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Neues Kleinkraftwerk im Bayerischen Wald leistet seinen Beitrag zur Netzstabilität10 min read

22. Oktober 2018, Lesedauer: 7 min

Neues Kleinkraftwerk im Bayerischen Wald leistet seinen Beitrag zur Netzstabilität10 min read

Lesedauer: 7 Minuten

Weniger als ein halbes Jahr nahmen die Arbeiten für den Ersatzneubau des Kleinwasserkraftwerks ATEX in Grafenau im Bayerischen Wald in Anspruch, ehe die 1,6 MW starke Ökostromanlage im Dezember letzten Jahres wieder ans Netz ging.

Im Rahmen des Bauvorhabens wurde der Kraftwerksstandort weiter flussabwärts verlegt, ein Teil der Rohrleitung ausgetauscht und die elek- tromaschinelle Einrichtung erneuert. Darüber hinaus wurde auch die gesamte e-technische und leittechnische Ausrüstung des Kleinkraftwerks modernisiert. Gerade dieser Teilaspekt des Projektes brachte die größten Herausforderungen mit sich. Schließlich galt  es für die Techniker des beauftragten E-Technik-Unternehmens Schubert Elektroanlagen, das Kleinkraftwerk fit für die neuesten Anforderungen der so genannten BDEW-Richtlinie zu machen. Konkret muss die Anlage nun strenge Auflagen erfüllen, um sich an der Stabilisierung des Stromnetzes beteiligen zu können.

Der Kraftwerksstandort an der Kleinen Ohe, einem Zubringer der Ilz im Bayerischen Wald, hat Tradition. „Hier haben einst alte Turbinen auf mechanischem Weg Holzschleifmaschinen angetrieben. Später, in den 1960er Jahren, erfolgte dann der Umbau auf eine elektrische Ausrüstung“, erzählt Dipl.-Ing. Alfred Stephan Maier. Er ist der Betreiber des Kraftwerks ATEX, dessen Name aus der Zeit stammt, als die Anlage in Diensten der gleichnamigen Spanplattenfabrik in Grafenau gestanden war. Doch die Firma ATEX ist bereits Geschichte. Nicht so der Industriestandort, an dem heute der Baustoffspezialist Knauf AMF ansässig ist – und an dem immer noch Ökostrom erzeugt wird. 1985 hatte der Vater von Alfred Stephan Maier das Kleinkraftwerk herausgekauft und weiter betrieben. Mehr als 30 Jahre später war es nun an dessen Sohn, das Kraftwerk in eine neue Epoche zu führen. „Wir haben uns für einen Ersatzneubau entschieden, weil die Altanlage schon stark renovierungsbedürftig und die Technik teilweise Ende ihrer Lebensdauer angelangt war“, so der Betreiber.


Verlegung des Krafthauses
Ein zentraler Punkt im Konzept des Ersatzneubaus betraf die Verlegung des alten Krafthausstandorts, der sich relativ zentral im Gelände der Firma Knauf AMF befunden hatte. Zum einen hatte das Unternehmen verständlicherweise Interesse daran, diesen Platz selbst zu nutzen – und zum anderen konnte das Maschinenhaus nun weiter flussabwärts verlegt werden, was einen Fallhöhenzugewinn für den Betreiber versprach – eine klassische Win- Win-Situation. Für die Planung beauftragte der Betreiber das namhafte österreichische Planungsbüro BHM Ingenieure, das über große Erfahrung im Wasserkraftwerksbau verfügt – und dies in allen Größen und Varianten. Gemeinsam mit dem Planer wurde ein neuer Standort für das Krafthaus gefunden, zwar immer noch am Gelände von Knauf AMF, aber dafür in der äußersten Peripherie. Gemäß den Plänen von BHM wurde es am Ende der ehemaligen Ausleitungsstrecke, konkret an der Einleitung in die Kleine Ohe, situiert. Auf diese Weise ließ sich ein Fallhöhenzugewinn von immerhin 9 Metern erreichen.


Druckrohrleitung verlässt Werkshalle
Grundsätzlich sollte sich am Gesamtkonzept des Kraftwerks nichts ändern. Es handelt sich um ein Ausleitungskraftwerk vom Typ einer Hochdruckanlage mit einer Wasserfassung mit einer 20 Meter langen, betonierten Stauwand, an der sich auch eine Wehrklappe befindet. Die Entnahme des Triebwassers erfolgt im rechten Winkel zur Staumauer in Fließrichtung über einen Feinrechen, an dem eine massive Kettenumlauf-Rechenreinigungsmaschine ihren Dienst versieht. Das Triebwasser wird in der Folge über eine oberirdische Stahl-Druckrohrleitung Richtung Turbinen geführt. Sowohl die Wasserfassung als auch zwei Drittel der Stahl-Druckrohrleitung über eine Länge von rund 1.000 Meter blieben vom Umbauprojekt unberührt. Das untere Drittel der bestehenden Leitung, die zum Teil mitten durch eine Werkshalle führte, wurde allerdings rückgebaut und nun durch eine unterirdisch verlegte, ca. 590 Meter lange GFK-­Rohrleitung DN1200 ersetzt. Das Bauteam der damit beauftragten Karl-Gruppe aus Innernzell begann zunächst mit dem Abbruch der Oberflächenbefestigung, anschließend wurde die Rohrkünette für die neue Druckrohrleitung bis auf eine Tiefe von 4 Metern ausgehoben. Dabei fielen insgesamt rund 8.000 m3 Aushubmaterial an. Die GFK-Rohre, ausgeführt in der Wickelvariante aus dem Hause Amiblu, wurden auf Filterkies gebettet und mit ebensolchem hinterfüllt. Erschwerend für die Arbeiten war das partielle Auftreten von Grundwasser im Bereich der Kanalsohle, zudem wurden Betonfundamente erforderlich, mit denen die Rohrbögen bei größeren Richtungsänderungen von mehr als 20 Grad gesichert wurden. Im Zuge der Verlegungsarbeiten zeigten sich die Vorteile der GFK-Rohre deutlich. Bedingt durch das einfache Handling konnte auch in schwierigem baulichen Umfeld eine hohe Verlegeleistung erzielt und der Terminplan auf den Punkt eingehalten werden. Heute verläuft die Druckrohrleitung gemäß den Plänen von BHM in einem weitläufigen Bogen entlang des Bachverlaufs bis zum Krafthaus.

Erhöhung der Engpassleistung
Die Behördenverfahren stellten bei diesem Projekt keine allzu große Hürde dar. Wie Betreiber Alfred Stephan Maier betont, seien die Genehmigungsverfahren unkompliziert verlaufen. Am bestehenden alten Wasserrecht wurde schließlich auch nichts geändert. Genauso wie vor dem Umbau steht dem Kraftwerk eine maximale Triebwassermenge von 2,2 m3/s zu. „Entsprechend dem Charak-    ter eines typischen Mittelgebirgszuflusses schwankt das Wasserdargebot der Kleinen Ohe im Jahresverlauf teilweise erheblich“, so der Betreiber. Die passende Antwort für derartige Gegebenheiten konnte somit nur eine mehrdüsige Peltonturbine sein, die auch noch bei geringen Wassermengen eine effiziente Stromerzeugung gewährleistet. Konkret fiel die Wahl auf eine 6-düsige Peltonturbine des bekannten Tiroler Wasserkraftspezialisten Geppert, dessen Maschine bei einer Ausbauwassermenge von 2,2 m3/s und einer Fallhöhe von 97 m auf eine Nennleistung von 1,6 MW ausgelegt ist. Dabei dreht die Maschine mit 375 U/min relativ langsam, der Generator – eine wassergekühlte Synchronmaschine aus dem Hause Hitzinger – wird mit der selben Drehzahl angetrieben. Dank dem Zugewinn von rund 9 Meter Fallhöhe und der modernen technischen Ausrüstung konnte die Engpassleistung um ca. ein Drittel erhöht werden. Im Regeljahr erzeugt die Anlage nun rund 8 GWh.

BDEW-Richtlinie als Herausforderung
Die größte technische Herausforderung des Kraftwerksprojektes lag allerdings weniger in dessen elektromechanischer Ausführung als in den elektro- und leittechnischen Kriterien. Konkret ging es darum, die jüngsten Anforderungen der so genannten BDEW-Richtlinie umzusetzen. Dabei handelt es sich um Vorgaben des BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V in Bezug auf die geforderte Netzstützung von Erzeugungsanlagen im Mittelspannungsnetz, analog zu den bisher schon gültigen Richtlinien für Hoch- und Höchstspannungsnetze. „Das bedeutet: Um die Sicherheit des Netzbetriebs zu gewährleisten, dürfen sich Kleinkraftwerke im Fehlerfall – nicht wie bisher – prompt vom Netz trennen. Zudem haben sie auch während des regulären Netzbetriebs ihren Beitrag zur Spannungshaltung im Mittelspannungsnetz zu leisten. Das hat natürlich auch unmittelbare Auswirkungen auf die Auslegung der Anlagen“, erklärt dazu Ing. Lukas Rudolf von Schubert Elektronanlagen. Das renommierte Elektrotechnik-Unternehmen aus dem niederösterreichischen Ober-Grafendorf war von Betreiber Alfred Stephan Maier direkt und persönlich mit diesem Spezialauftrag betraut worden. Neben der gesamten elektrotechnischen Ausrüstung und den für ein Kleinwasserkraftwerk „üblichen“ Steuerungs- und Automatisierungssystemen wartete auf das Team von Schubert Elektroanlagen mit der BDEW-Richtlinie eine echte Premiere.

Regelung innerhalb von Millisekunden
„Mit derart strikten Regeln bei zugleich hohen technischen Standards waren wir bislang noch bei keinem Kleinwasserkraftprojekt konfrontiert“, sagt Lukas Rudolf. Dies erscheint auch wenig verwunderlich, zumal Neuanlagen in Deutschland erst seit kurzer Zeit davon betroffen sind. Es geht um Kraftwerke, die innerhalb der letzten zwei Jahre fertiggestellt wurden. Diese müssen nun technisch dazu in der Lage sein, ihren Beitrag zur Netzstabilisation zu leisten. Der Hintergrund ist darin zu sehen, dass einerseits durch zu viele „volatile“ Ökostrom-Einspeiser, wie etwa Wind- und Solarkraftwerke, die Konstanz in der Netzfrequenz gefährdet ist  – und zum anderen durch den Aufbau eines „virtuellen Kraftwerks“ mittels Zusammenschluss von zahlreichen Kleinanlagen. Entscheidend ist nach wie vor, die Gefahr eines möglichen Blackouts zu bannen. Dieser Entwicklung wird in der neuen BDEW-Richtlinie Rechnung getragen.  In der Praxis errechnet der Netzbetreiber nun aktuelle Trends im Netzbetrieb, die je nach Bedingung eine Leistungserhöhung oder eine Leistungsreduktion der einzelnen Erzeugungsanlagen im Netz erforderlich machen. Das bedeutet auch, dass das Kraftwerk den Netzbetreiber mit einer ganzen Reihe von Messwerten aus dem Kraftwerk versorgt, die permanent automatisch übertragen werden. „In der Praxis schaut das so aus, dass der Netzbetreiber – im vorliegenden Fall die Bayernwerke – beispielsweise das Signal gibt, die Leistung der Anlage um 60 Prozent zu reduzieren. Die Reaktion der Anlage muss darauf innerhalb von Millisekunden erfolgen. Trotzdem darf die Leistungsreduktion nicht zu abrupt verlaufen, da dies unerwünschte Schwankungen im Netz erzeugen würde. Im Detail heißt das, dass die mechanischen Antriebe der Düsenöffnungen nicht zu schnell schließen und dieser Gradient über eine so genannte ‚Rampenfunktion‘ in der Regelung erreicht wird, bis das Kraftwerk sich auf 40 Prozent der ursprünglichen Leistung einpendelt. Dies zu programmieren, erforderte nicht nur eine enge Koordination mit dem Turbinenhersteller Geppert und dem Generatorspezialisten Hitzinger, sondern darüber hinaus auch viel Zeit und Aufwand, um letztlich alle Anforderungen zu erfüllen“, erklärt Lukas Rudolf von Schubert Elektroanlagen.

Neue striktere Regelungen im BDEW
Für die Betriebsgenehmigung des neuen Kraftwerks ATEX waren die Auflagen im Hinblick auf die BDEW-Richtlinie strikt einzuhalten. Sie werden noch einer entsprechenden Prüfung durch ein akkreditiertes Institut unterzogen. Dass auf diese Weise nun viele Kraftwerksbetreiber im Sinne der Netzstabilität Leistung vorhalten, ist gewollt, wird aber auch durch eine Entschädigung abgegolten.
Im Falle des modernisierten Kleinkraftwerks an der Kleinen Ohe setzten die Techniker von Schubert Elektroanlagen auf eine moderne Siemens SPS-Steuerungseinheit, die an die komplexen Anforderungen angepasst wurde. „Wir haben bei diesem Projekt einiges an Erfahrung hinzugewonnen, schließlich erforderten die neuen, strikteren Regelungen der BDEW neue Programmierung in der Software. Im Hinblick auf nächste Kraftwerksprojekte in Bayern ist das sicher von Vorteil. Wir gehen davon aus, dass diese Anforderungen der BDEW-Richtlinie kurz- bis mittelfristig auch in Österreich in gleicher oder ähnlicher Form umgesetzt werden müssen. Und dafür sind wir nun gerüstet: Die programmierte Steuerungssoftware steht in der ‚Schubert Software-Bibliothek‘ für vergleichbare Anwendungen bereit“, so Rudolf.

Hoher Bedienkomfort
Der gesamte Lieferumfang für den niederösterreichischen Elektrotechnik-Spezialisten umfasste unter anderem eine gasisolierte 24kV SF6-Mittelspannungsanlage, einen Maschinentransformator mit 2 MVA Leistung, den Eigenbedarfstrafo mit 160 kVA sowie sämtliche Schaltschränke, die im Werk in Ober-­Grafendorf einer umfangreichen Werksprüfung unterzogen werden, bevor sie ausgeliefert werden. Bei den verbauten Komponenten setzt man bei Schubert auf durchwegs bewährte und langlebige Bauteile, wie etwa Komponenten der Siemens Simatic 1500. Zudem wurden dem Betreiber umfangreiche Überwachungs- und Steuerungsoptionen an die Hand gegeben, indem er nun auch über einen Online-Fernzugang verfügt. Die Visualisierung ist dabei übersichtlich, logisch und auf eine hohe Bedienerfreundlichkeit ausgelegt. Egal ob am PC, dem Tablet oder dem Smartphone: die Visualisierung des SCADA-Systems erscheint überall in identischer Weise. Gerade im Hinblick auf die Bedienerfreundlichkeit hat das Kraftwerk ATEX nun den Sprung in die Neuzeit geschafft und bietet dem Betreiber heute zahlreiche Vorteile im Vergleich zum Altbestand. Über den eingerichteten „VPN-Tunnel“, also eine sichere VPN-Verbindung, kann nicht nur der Betreiber auf seine Anlagendaten zugreifen. Wenn es in einem Notfall erforderlich sein sollte, können sich so auch die Steuerungsspezialisten von Schubert Elektroanlagen einklinken und auf diese Weise schnell Support leisten. Alarme bzw. Störungsmeldungen werden – wie heute allgemein üblich – per SMS an das Smartphone des Betreibers sowie des Kraftwerkswärters gesendet.

Bereit für komplexe Anforderungen
Kurz vor Weihnachten letzten Jahres erzeugte das Kraftwerk erstmalig wieder Strom. Bereits vor rund 18 Jahren hatte Kraftwerksbetreiber Alfred Stephan Maier auf das Know-how und die Erfahrung von Schubert Elektroanlagen bei einem anderen Kraftwerksprojekt vertraut. Für die niederösterreichischen E-Technik-Spezialisten war es daher besonders erfreulich, dass aufgrund dieser positiven Erfahrung auch der Folgeauftrag am Kraftwerk ATEX möglich geworden ist. Der Auftrag erging nicht wie sonst häufig als Subunternehmen des Turbinenbauers, sondern aus erster Hand durch den Betreiber. Und der zeigt sich mit der umgesetzten Lösung sehr zufrieden. Das neue Kraftwerk ATEX ist nun bereit für die modernsten Anforderungen, die heute ein Kleinwasserkraftwerk zu erfüllen hat.

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