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Neues Kraftwerk an vergessenem Standort6 min read

19. Feber 2014, Lesedauer: 4 min

Neues Kraftwerk an vergessenem Standort6 min read

Lesedauer: 4 Minuten

Der Grödner Bach dient seit Jahrzehnten der Stromerzeugung. Trotzdem gibt es bis heute verbliebene Möglichkeiten, die Kraft des Bachs energiewirtschaftlich sinnvoll und ökologisch verträglich zu nutzen.

Den Beweis dafür lieferten zwei Südtiroler Privatunternehmer, die einen alten, beinah in Vergessenheit geratenen Kraftwerksstandort im Talschluss des Grödnertals auf dem Gemeindegebiet von Wolkenstein wiederbelebten. Zwei Jahre nahm die Errichtung der  Anlage in Anspruch, deren Herz aus einer vierdüsigen Peltonturbine aus dem Hause Tschurtschenthaler besteht. Das Betreiber-Duo rechnet mit einem Regelarbeitsvermögen von 1,2 bis 1,4 Gigawattstunden im Jahr.

Schon so manch grandiose Idee wurde
bei einem Bierchen in einem gemütlichen
Gastgarten geboren. Ein schönes
Beispiel dafür ist das neue Wasserkraftwerk
im Grödnertal, das gemeinsam von Dipl.-
Ing. Christian Leimegger und seinem Kompagnon
Dipl.-Ing. Philipp Senoner entwikkelt,
finanziert und verwirklicht wurde. „Vor
ein paar Jahren haben mein Geschäftspartner
und ich uns in München, wo wir beide früher
studiert hatten, getroffen – und dabei haben
wir auch über die Möglichkeit und Durchführbarkeit
eines Kraftwerksprojektes in dem
Bereich der Skipiste oberhalb von Wolkenstein
gesprochen. Langsam wurde aus dieser
Idee dann ein immer konkreterer Plan“,
erzählt Christian Leimegger, der einerseits als
studierter Elektrotechniker und andererseits
als Betreiber und Errichter von Wasserkraftanlagen
selbst über großes Know-how auf
dem Gebiet verfügt. Nachdem die beiden
Initiatoren übereingekommen waren, das
Vorhaben in Angriff zu nehmen, ging
Leimegger daran, das Einreichprojekt zu erarbeiten,
während sein Partner die ökologischen
Gutachten in Auftrag gab.
SPUREN ALTER K.UK.-TECHNIK
„Unsere Zuversicht, das Projekt erfolgreich
auf den Weg zu bringen, wurde aber leider
schnell getrübt, nachdem wir von den
Behörden einen negativen Bescheid erhielten.
Die Schutzwürdigkeit in diesem Gewässerabschnitt
wurde vor allem damit begründet,
dass es dort noch nie eine Nutzung durch den
Menschen gegeben habe“, führt Leimegger
weiter aus. Doch gerade diese Begründung
machte die Beiden ein wenig stutzig, schließlich
hatten sie unweit der geplanten
Wasserfassung deutliche Überreste einer
alten, bereits stark verfallenen und verwitterten
Wehranlage entdeckt. Grund genug für
die findigen Südtiroler, der Sache auf den
Grund zu gehen. Leimegger: „Ich habe dann
in einigen Archiven recherchiert – in Bozen,
Innsbruck und in Wien. Und bin fündig
geworden. Offenbar wurde hier sehr wohl
schon einmal ein Wasserkraftwerk betrieben –
und zwar zu Zeiten des Ersten Weltkrieges
und vielleicht sogar ein paar Jahrzehnte darüber
hinaus.“
Bekannt ist, dass der Frontnachschub für die
Truppen der k.u.k Monarchie im Ersten
Weltkrieg durch das Grödnertal erfolgte.
Schließlich stand die deutsch-österreichische
Front bei Arraba im Buchensteintal. Und es
existieren Belege dafür, dass mittels zweier
Seilbahnen das nötige Kriegsmaterial über
das Grödnerjoch transportiert wurde. Für
diese Bahnen brauchte es Strom – und dafür
wurde offenbar jenes Kraftwerk am Grödner
Bach angelegt. Laut den Recherchen von
Christian Leimegger wurde es nach dem Krieg zumindest einige Jahre von einem
Hotelier weiterbetrieben. Aber im Laufe der
Geschichte fiel es offenbar dem Verfall
anheim und geriet in Vergessenheit. Doch die
verbliebenen steinernen „Zeugen“ der alten
Anlage waren für Christian Leimegger und
seinen Kompagnon höchst wertvoll.
Schließlich konnte damit der Negativbescheid
entkräftet werden.
Da sich das Kraftwerk zu 100 Prozent auf
Gründen der Gemeinde Wolkenstein, wurde
diese mit 14 Prozent am Umsatz beteiligt.
WIDRIGKEITEN IM PROJEKTVERLAUF
Nachdem einer Umsetzung des Kraftwerks
im Herbst 2009 nichts mehr im Wege stand,
konnten die Bauarbeiten starten. Doch reibungslos
sollte auch der Bauverlauf nicht
vonstatten gehen, so manch unliebsame
Überraschung sollte noch auf die Bauherrn
warten. „Da sich die etwa 950 m lange
Rohrtrasse entlang einer nicht übermäßig
steilen Skipiste erstreckt, die gut mit Baufahrzeugen
zugänglich ist, waren wir davon
ausgegangen, dass die Rohrverlegung absolut
problemlos sein sollte. Aber da hatten wir die
Rechnung nicht mit Widrigkeiten – wie rutschenden
Hängen oder etwa einer unüberschaubaren
Einbausituation von Infrastrukturleitungen
– gemacht. Zwei Hänge mussten
wir sanieren und eine Mittelspannungs –
leitung erneuern, die ein Bagger bei den
Grabungsarbeiten abgerissen hatte. Wir
waren wirklich höchst verblüfft, dass im
Untergrund der Skipiste so ziemlich jede
Leitung anzutreffen war, die es im menschlichen
Siedlungsgebiet heute gibt: von Stromund
Telekomkabeln angefangen über Lichtwellenleiter
bis hin zu Trinkwasser- und Gasleitungen.
Außerdem waren in der Skipiste
noch die Beschneiungsanlage und die Abwasserleitung,
die beim Krafthaus verlegt werden
musste“
Ein weiterer Grund, warum die Arbeiten
nicht ganz so schnell abliefen, wie man das
ursprünglich gehofft hatte, lag einfach an der
geographischen Lage der geplanten Wasserfassung.
Im Schatten des Sellamassivs auf
knapp 1.700 Meter Seehöhe beginnt der
Winter schon früh im Herbst und endet erst
im späten Frühling. „Als wir Anfang Oktober
2009 mit dem Bau begannen, ging sich gerade
noch die Errichtung der Zufahrtsstraße
aus. Dann sorgte der einsetzende Winter
schon für die erste Pause.“ Eine weitere Verzögerung
folgte wenige Monate später, als es
hieß, das Krafthaus müsste weiter nach unten
verlegt werden. Für die Projektbetreiber
bedeutete dies eine Umprojektierung und alle
damit verbundenen Behördenwege für die
entsprechenden Genehmigungen. Erst im
August 2010 konnte dann mit der Rohrverlegung
begonnen werden. Bei der Wahl des
Rohrmaterials vertraute das Betreiber-Duo
auf Guss aus dem Hause Duktus mit einem
Rohrdurchmesser von DN600.
Das Krafthaus, das nach den neuen Plänen
nun wie ein Verlängerungsteil an das Bauhof-
Gebäude der Gemeinde Wolkenstein angebaut
werden sollte, konnte gerade noch im
Spätherbst letzten Jahres fertig gestellt werden,
ehe wieder der Winter über das
Grödnertal hereinbrach. „Wir haben bis Ende
November gerade noch die Decke raufgebracht.
So konnten wir wenigstens ab März
mit den Restarbeiten beginnen, bevor die
Maschinen geliefert wurden“, so Leimegger.
REINES TRIEBWASSER – DANK GRIZZLY
Als kleine Besonderheit des Kraftwerks kann
die Wasserfassung angesehen werden. Sie
wirkt zwar auf den ersten Blick wie ein klassisches
Tirolerwehr, ist es aber nicht. Schließlich
ist direkt unterhalb des Grobrechens ein Coanda-Rechen installiert, ein bewährtes,
selbstreinigendes Sieb, das seine Ursprünge
im Bergbau hat. Die Betreiber vertrauten
dabei auf den so genannten „Grizzly“, dem
Patent des Südtiroler Herstellers Wild Metal.
Er besteht aus einem robusten feuerverzinkten
Stahlgitter und einem darunterliegendem
Feinsieb, die Form der oberen Schutzstäbe
wurde der Linie des natürlichen Wasserflusses
angepasst. Durch den Coanda-Effekt –
Flüssigkeit folgt einer Oberfläche – kombiniert
mit dem Abscher-Effekt der Profilstäbe
fließt das Wasser in die Fassung und verhindert
somit auch das Eindringen kleinerer
Gewässerlebewesen in das Triebwassersystem.
Dies macht den „Grizzly“ auch aus ökologischer
Sicht sehr interessant. „Durch den
Coanda-Rechen gelangt nur mehr sehr wenig
Sedimentmaterial in den Sandfang. Dadurch
müssen wir den Entsander voraussichtlich nur
einmal jährlich bei hoher Wasserführung spülen,
womit eine nur sehr geringe Eintrübung
des Fließgewässers einhergeht“, meint der
Betreiber.
WASSERMANGEL IM WINTER
Von der Wasserfassung überwindet das
Triebwasser eine Bruttofallhöhe von 134
Meter, ehe es zum Maschinenhaus gelangt, in
dem eine vertikalachsige vierdüsige Peltonturbine
aus dem Hause Tschurtschenthaler
installiert ist. Die Variante mit vier Düsen
war für die Betreiber unumgänglich, da der
Grödner Bach – speziell in diesem Bereich,
unweit seines Ursprungs – jahreszeitlich
bedingte, starke Schwankungen der Wasserführung
aufweist. „Noch fehlen uns hier die
Erfahrungswerte. Es sieht aber so aus, dass im
Winter das Wasser so weit zurückgeht, dass
wir vielleicht auch manchmal die Anlage stillsetzen
müssen“, erklärt der Betreiber. Natürlich
hängt dies auch mit der Restwassermenge
zusammen, die von Dezember bis Anfang
April mit 75 l/s – und die restliche Zeit mit
175 l/s vorgeschrieben ist.
Keine geringe Mengen, wenn man bedenkt,
dass die maximale Ausbauwassermenge 420 l/s
beträgt. Ausgelegt auf diesen Ausbaudurchfluss
und die Fallhöhe von 134 Meter bringt
die Peltonturbine von Tschurtschenthaler
eine Maximalleistung von 480 kW. Die mittlere
Ausbauleistung liegt bei 288 kW. Warum
die Wahl auf eine Turbine des Herstellers aus
dem Südtiroler Sexten fiel, ist für Leimegger
einfach erklärt: „Schon mein Vater hat mit
Paul Tschurtschenthaler zusammengearbeitet.
Ich kenne daher ihn und seine Firma sehr
gut. Es ist ein gutes Gefühl, dass man sich
auf das Produkt, aber auch auf Verein –
barungen wie Liefertermine, Service etc. zu
100 Prozent verlassen kann.” Mit 750
Umdrehungen pro Minute treibt das
Peltonlaufrad einen direkt gekuppelten, bürstenlosen
Synchrongenerator (Fabrikat
Hitzinger) an.
Seit Juni dieses Jahres läuft das Kraftwerk im
Probebetrieb, speist kontinuierlich Strom ins
Netz der SELNET. Wie viel Strom die Anlage
nun im Regeljahr erzeugen wird, kann
Christian Leimegger noch nicht genau
beziffern: „Die Erzeugung wird wohl so zwischen
1,2 und 1,4 GWh liegen“. Ob der
passionierte Wasserkraftbetreiber aus Südtirol
schon einen nächsten Kraftwerksplan in der
Schub-lade hat, will er nicht bestätigen. Fest
steht jedoch, dass er sich mit seinem alten
Studienfreund wohl sicher wieder einmal auf
ein kleines Bierchen treffen wird.

Bericht aus zek HYDRO – Oktober 2011

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