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Generalsanierung für geschichtsträchtige Kaplan-Turbine in der Papierfabrik Gratkorn6 min read

7. November 2019, Lesedauer: 5 min

Generalsanierung für geschichtsträchtige Kaplan-Turbine in der Papierfabrik Gratkorn6 min read

Lesedauer: 5 Minuten

Ein bald 100 Jahre in Betrieb stehendes Wasserkraftwerk der hochmodernen Papierfabrik von Sappi Gratkorn liefert noch heute einen wichtigen Beitrag zur Deckung des Eigenstrombedarfs.

Bei der Inbetriebnahme im Jahr 1925 waren die beiden damals auf eine Engpassleistung von jeweils 2,57 MW ausgelegten Kaplan-Turbinen die leistungsstärksten Maschinen ihrer Bauart – weltweit. Im Zuge eines Refurbishment-Projekts wurde die Turbine 1 nun vom Tiroler Wasserkraftallrounder und Sanierungsspezialisten Geppert GmbH grundlegend revitalisiert, die steirische ELIN Motoren GmbH brachte den direkt gekoppelten Synchron-Generator wieder auf Vordermann. Die Generalüberholung der Anfang August wieder in Betrieb gesetzten Maschine führte zu einer ganzen Reihe von Optimierungen. Neben der rund 5-prozentigen Leistungssteigerung konnten bei der Revitalisierung vor allem die Umweltaspekte der Turbine deutlich verbessert werden.

Die Papierproduktion hat in der Steiermark eine jahrhundertelange Tradition, auf dem Gebiet der Markgemeinde Gratkorn nördlich von Graz reichen die ersten Aufzeichnungen über das Druckerhandwerk und die Herstellung von Papier bis ins 16. Jahrhundert zurück. Heutzutage werden im Werk von Sappi Gratkorn, Teil des global agierenden Mutterkonzerns Sappi Limited, alljährlich rund 990.000 t Qualitätspapier hergestellt. Die Exportquote des Werks, das aktuell über 1.200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt, liegt bei etwa 95 Prozent. An mehreren hochkomplexen Produktionslinien (zwei für Papier, eine für Zellstoff) läuft die an höchsten Umweltkriterien orientierte Produktion das ganze Jahr hinweg durch. In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten investierte Sappi kontinuierlich in den Ausbau und die Modernisierung der  Produktionsanlagen und Infrastruktur. Durch die Inbetriebnahme eines Gas- und Dampfturbinenkraftwerks im Jahr 2007 kann die für die gesamte Papier- und Zellstoffherstellung erforderliche elektrische Leistung im Ausmaß von rund 85 MW am Standort selbst bereitgestellt und bei Volllastbetrieb auch noch ins öffentliche Stromnetz eingespeist werden. Zudem hat sich Sappi Gratkorn als wichtiger Fernwärmeversorger für die nahe gelegene Landeshauptstadt etabliert, rund 15 Prozent des Fernwärmebedarfs von Graz wird durch die Prozessabwärme der Papierherstellung bereitgestellt.

Historisch hochinteressante Maschinen
Einen noch heute wichtigen Beitrag zur Eigenstromversorgung der Papierproduktion liefert zudem ein 1925 fertig gestelltes Wasserkraftwerk auf der orographisch linken Murseite. Die bald 100 Jahre in Betrieb stehende Anlage stellt in historischer Hinsicht ein besonderes technisches Gustostückerl dar. Das Wasserkraftwerk auf dem Gelände der seinerzeit im Besitz der Leykam Josefstal AG stehenden Papierfabrik war die erst dritte Anlage weltweit, bei der die damals neuartigen Kaplan-Turbinen eingebaut wurden. Es wird kolportiert, dass sogar der 1934 verstorbene Technikpionier und Namensgeber Viktor Kaplan bei der Inbetriebnahme anwesend war. Zu ihrer Inbetriebsetzung waren die für eine Ausbauwassermenge von jeweils 37,8 m³/s und eine Engpassleistung von 3.500 PS (2.574 kW) konzipierten Maschinen in Schacht-Bauweise die leistungsstärksten Turbinen ihrer Art. Ein detailliertes Modell einer in Gratkorn eingebauten Kaplan-Turbine, das schon 1937 im Rahmen der Pariser Weltausstellung präsentiert wurde, kann heute im Technischen Museum in Wien begutachtet werden.

Zeit für Generalsanierung
1963 erhielten die geschichtsträchtigen Maschinen ein erstes mechanisches Upgrade. Um ein Leistungsplus zu erzielen, wurden die ursprünglich mit vier Flügeln ausgeführten Laufräder gegen 5-flügelige Läufer getauscht. Im Jahr 2000 kam es zu einer elektro- und leittechnischen Modernisierung, der Betrieb des zuvor manuell geregelten Wasserkraftwerks erfolgte daraufhin im Automatikmodus. Aufgrund von diversen Verschleißerscheinungen, die vermehrt in unerwünschten Maschinenstillständen resultiert waren, entschlossen sich die Betreiber 2017 zu einer umfassenden Sanierung von Turbine 1. Umgesetzt wurde das Projekt schließlich zwischen den vergangenen beiden Sommern. Im Rahmen der Ausschreibung erhielt der renommierte Tiroler Turbinenbauer und Refurbishment-Spezialist Geppert GmbH den Haupt-i auftrag, in Summe waren rund 30 Unternehmen an der Revitalisierung beteiligt.

Flexibles Handeln gefragt
Geppert-Projektleiter Alexander Stainer, Sappi-Projektleiter Georg Sailer und Sappi-Umweltbeauftragter und Wasser/Abwasser-Manager Oliver Bürger betonen rückblickend einstimmig, dass eine der größten Projektherausforderungen im Fehlen wesentlicher technischer Aufzeichnungen bestand. „Die Schwierigkeit bestand grundsätzlich darin, dass so gut wie keine genauen Pläne oder Dokumentationen aus der Zeit der Inbetriebnahme und des ersten Maschinenumbaus in den 1960er Jahren vorhanden waren. Entscheidungen über die Handhabung verschiedener Maschinenkomponenten konnten erst nach eingehenden Kontrollen, sprich dem Reinigen, Vermessen oder erfolgten Rissprüfungen getroffen werden“, sagt Georg Sailer. Geppert-Projektleiter Stainer ergänzt, dass der Auftrag sowohl vorausschauendes Projektmanagement als auch hohe Flexibilität erforderte: „Man musste sich schon bei der Ausschreibung genau überlegen, wie man die Maschine auseinander bauen will, wie man den Transport anlegt oder welche Komponenten direkt vor Ort oder im Werk in Tirol bearbeitet werden sollen. Gewisse Dinge haben sich bei der Demontage bzw. dem Projektverlauf allerdings anders dargestellt als erwartet, weswegen mehrfach umdisponiert werden musste. Großes Lob gebührt an dieser Stelle unserem Konstrukteur Lukas Zingerle, der als Schnittstelle zwischen Betreiber und den beteiligten Unternehmen mehr als 1.000 Stunden Arbeitszeit in das Projekt investiert hat.“ Wichtig zu erwähnen bleibt außerdem, dass das Know-how des Projekt- und Instandhaltungsteams sowie des Betriebspersonals von Sappi wesentlich zum Erfolg des Projektes beigetragen haben.

Turbine nun ökologisch topfit
Während der rund 13-monatigen Generalsanierung wurde das gesamte „Kaplan-­Früh­werk“ aufs Genaueste inspiziert und bedarfsgerecht saniert. Die durchgeführten Maßnahmen reichten vom Auftragen frischer Schutz-i beschichtungen am Turbinenkörper, einer kompletten Laufradsanierung bis hin zur Überarbeitung des mechanischen Verstellmechanismus. Am Laufrad, an dem fünfeinhalb Jahrzehnte Dauerbetrieb entsprechende Spuren hinterlassen hatten, wurde der rund 15 mm messende Spalt zwischen Flügel und Gehäuse auf 1,9 mm reduziert. Weiters führte die Sanierung zu einer enormen Aufwertung des ökologischen Aspekts der Maschine: „Die Revitalisierung bringt auch durch die weitgehende Umstellung von Öl- auf Wasserschmierung umwelttechnische Vorteile“, sagt Stainer. Ein weiterer Schwerpunkt der Sanierung lag im Bereich Wartungsfreundlichkeit, gemäß des heute üblichen Qualitätsstandards wurden sämtliche Lager und wasserberührten Teile in wartungsfreier Ausführung gefertigt. Punkto Maschineneffizienz führte die Rundum-Sanierung zu einer rund 5-prozentigen Leistungssteigerung.

Rund- und Planlauf für Generator angepasst
Selbstredend wurde die Demontage der Turbine auch zur Inspektion des in vertikaler Richtung direkt gekoppelten Synchron-Generators genutzt. Durchgeführt wurden diese Arbeiten vom steirischen E-Technikspezialisten ELIN Motoren GmbH in enger Abstimmung und Zusammenarbeit mit Geppert und dem Projekt- und Instandhaltungsteam von Sappi. Eine grundlegende Sanierung wie an der Turbine war aufgrund des guten Gesamtzustands des Energiewandlers nicht notwendig. Allerdings erforderte das von Geppert adaptierte Lagerungskonzept der Turbine eine Anpassung des Rund- und Planlaufs des Rotors. Weil die räumliche Situation im Krafthaus kein Ausbringen des 52 t schweren Rotors erlaubte, wurde das mächtige Bauteil an Ort und Stelle mithilfe einer mobilen Drehbank bearbeitet. Ein im Krafthaus vorhandener Hallenkran leistete beim Ausbau und Umlegen in die horizontale Position wertvolle Unterstützung. Auf mechanischer Seite wurden die Führungs- und Traglager des Generators überprüft, außerdem wurden die Stator- und Rotorwicklungen einer eingehenden elektrischen Diagnose unterzogen. Als finaler Schritt nach dem Wiederzusammenbau der inspizierten bzw. angepassten Komponenten sorgten die Branchenexperten von ELIN Motoren für die exakte Kontrolle und Einstellung von Rundlauf und Luftspalt.

Generalsanierung für Turbine 2
Die Wiederinbetriebnahme des rundum sanierten Maschinensatzes erfolgte nach rund 13 Monaten Projektdauer Anfang August 2019. Bei Sappi zeigt man sich im Anschluss an die Generalsanierung allgemein zufrieden mit dem Endresultat, das Wasserkraftwerk hat noch heute einen hohen Stellenwert für die Papierfabrik. Im Vergleich zum Gas- und Dampfturbinenkraftwerk kann mit Wasserkraft emissionsfreie und erneuerbare Energie gewonnen werden. Der wichtigste Punkt allerdings besteht in der Schwarzstartfähigkeit des Kraftwerks. Wenn es in der inselbetriebsfähigen Papier- und Zellstoffproduktion zu einem kompletten Stromausfall kommen sollte, könnten die Produktionsanlagen aufgrund der Schwarzstartfähigkeit der Kaplan-Turbinen wieder in Gang gesetzt werden. Oliver Bürger ergänzt, dass die Investitionen in die Wasserkraft im direkten Einklang mit den Sappi-Unternehmenszielen stehen: Die Nutzung von grüner Energie weiter zu forcieren und die Eigenproduktion möglichst nachhaltig zu gestalten. Dass es die Gratkorner mit diesen Bekenntnissen ernst meinen, beweisen die anstehenden Pläne für ihr Traditionskraftwerk. Noch im Oktober beginnt die Generalsanierung von Kaplan-Turbine 2. Dank der Kenntnisse, die man sich bei der Sanierung ihres Gegenstücks erarbeitet hat, rechnen die Betreiber damit, dass der kommende Revitalisierungseinsatz bereits im kommenden Sommer abgeschlossen sein wird.

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