Projekte

Energiegeladen seit 115 Jahren – Franz feiert Jubiläum und weiht neues Restwasserkraftwerk ein10 min read

4. September 2018, Lesedauer: 7 min

Energiegeladen seit 115 Jahren – Franz feiert Jubiläum und weiht neues Restwasserkraftwerk ein10 min read

Lesedauer: 7 Minuten

In Anwesenheit vieler Ehrengäste feierte die Elektrizitätswerk Gösting V. Franz GmbH (EWG), kurz E-Werk Franz, am 29. Juni ihr 115-jähriges Bestehen.

Zahlreiche Geschäftspartner, Mitarbeiter, Gesellschafter und teils hochkarätige Vertreter der Politik waren der Einladung in die Mehrzweckhalle ins steirische Gratwein gefolgt. Unter dem Motto „Energiegeladen seit 115 Jahren“ wurde ein abwechslungsreiches Festprogramm geboten und regionale Köstlichkeiten serviert. Die EWG nützte diesen feierlichen Anlass auch für die offizielle Einweihung des neuen Mur-Kraftwerks Franz (MKF) in Gratwein, das erst kürzlich vom Probe- in den Regelbetrieb überging. Bei der Kraftwerksbesichtigung konnten sich die Festgäste über die umweltfreundliche Gewinnung von Ökostrom, aber auch über die neueste Wasserkrafttechnik informieren. Die bisher größte von Geppert Hydropower gebaute Kaplan-Turbine liefert pro Jahr rund 7,56 GWh und versorgt damit rund 2.500 durchschnittliche Haushalte mit CO₂-freier Energie.

Die Feier war denkwürdig: Die rund 250 geladenen Gäste lauschten gespannt den Reden und Präsentationen der Verantwortlichen des E-Werk Franz, die dabei keineswegs mit spannenden Anekdoten und interessanten Einblicken in die 115-Jährige Firmen-Historie geizten. Der Energieversorger, der bis heute als Familienbetrieb geführt wird, kann auf eine lange Tradition zurückblicken. Der Grundstein wurde 1903 mit der Inbetriebnahme eines kleinen Wasserkraftwerks auf dem Standort einer ehemaligen Jesuitenmühle gelegt, worauf die Familie Franz das Elektrizitätswerk Gösting gründete. Es folgte ein sukzessiver Ausbau der Erzeugungskapazitäten und des Verteilernetzes bis jetzt. Heute wird das 72 km² große Netzgebiet fast ausnahmslos über 20 kV- Erdkabel versorgt. Allein daran lässt sich erkennen, welchen Stellenwert man beim E-Werk Franz einem hohen Sicherheits- und Versorgungsstandard beimisst. Der Familienbetrieb vertritt heute mehr denn je die Philosophie eines nachhaltigen Schaffensgeistes, welcher vom Gründer Viktor Franz bereits vor über 100 Jahren vorgelebt wurde. In dieser Gesinnung wurde nun auch das neue Mur-Kraftwerk in Gratwein realisiert. Zum Einen konnten weitreichende Maßnahmen für eine erhebliche Verbesserung der Gewässerökologie umgesetzt werden, und zum Anderen blieb die Wertschöpfungskette der ausführenden Unternehmen in der Region. „Uns war es ein Anliegen, regionale Betriebe mit ins Boot zu holen“, erklärt Thomas Unger, Leiter für Eigenerzeugung und zuständig für die Kraftwerksprojekte bei EWG. Diese Entscheidung wurde auch von der lokalen Bevölkerung positiv aufgenommen und brachte noch weitere Vorteile mit sich. „Auf diese Weise konnten die Firmen rasch auf eventuelle Änderungen reagieren, es gab keine Probleme mit den Zulieferungen, und die Kommunikation mit den zuständigen Ansprechpersonen funktionierte reibungslos,“ so Unger weiter.

NEUES KRAFTWERK NUTZT POTENTIAL DES ALTEN WEHRS
In der Bauzeit von November 2016 bis Dezember 2017 wurde das neue Restwasserkraftwerk Franz an einer bestehenden Wehranlage auf der rechten Mur-Uferseite in Gratwein realisiert. Das Wehr wird seit seiner Errichtung im Jahre 1927 von der Sappi Papier Holding GmbH zur Stromversorgung für den nahegelegenen Produktionsstandort betrieben. Das Triebwasser fließt dazu über die linke Uferseite via Freispiegelkanal zum rund 1 km entfernten Hauptkraftwerk direkt am Firmenareal, wo zwei Maschinensätze mit einer Engpassleistung voninsgesamt 5 MW installiert sind. 1963 und später im Jahre 2000 führte die Fa. Sappi an der Wehranlage Sanierungsarbeiten durch. Aufgrund der neuen Restwasservorschrift und den dadurch unumgänglichen Umbauarbeiten bot sich eine Zusammenarbeit beider Unternehmen an. Das Projekt für ein gemeinsames Kraftwerk wurde entwickelt. „Die Firma Sappi sah sich mit der behördlichen Auflage konfrontiert, am Standort eine Restwassermenge von 12 m³/s zur Verfügung zu stellen und eine ökologische Durchgängigkeit an der Wehranlage zu realisieren“, so Thomas Unger. Vor diesem Hintergrund beauftragte die MKF Gmbh, als Tochterfirma des EWG, das Planungsbüro PITTINO ZT GmbH mit der Entwicklung eines Projektes, das durch ein Schutz-Nutzungskonzept sowohl ein Restwasserkraftwerk als auch eine Fischpassierbarkeit in Form eines Individualbeckenpasses vorsah. Das Planungsbüro verfügt über langjährige Erfahrung im Wasserkraftwerksbau. Konkret gestalten sich die Leistungen von Neubau und Revitalisierungen, Projektentwicklung über Behördenmanagement, Genehmigungsplanung und Ausführungsplanung bis hin zur Inbetriebsetzung und Kollaudierung. Für die Verantwortlichen bei Pittino ZT, die auch mit der Bauaufsicht betraut wurden, waren Aspekte wie die sehr komplexe Bewirtschaftung und das begrenzte Platzangebot am Standort die entscheidenden Einflussgrößen bei der Projektentwicklung. Das Wasserdargebot der Mur beträgt im Jahresmittel rund 117 m³/s. Während die Firma Sappi circa 90 m³/s Wasser entnimmt, leitet das neue KW-Franz bis zu 45 m³/s ab. „Der Murzufluss über 150 m³/s, fließt über die Wehranlage,“ erklärt Projektleiter Unger. Die beiden Maschinensätze auf den Firmengelände der Firma Sappi sind auf je 45 m³/s ausgelegt.

KRAFTHAUS
Das Krafthaus wurde auf der rechten Uferseite von der Baufirma Steinerbau GmbH aus dem nahagelegenen Gratkorn in Betonbauweise realisiert. Der Servicezugang erfolgt über ein zweiflügeliges Einfahrtstor, wodurch mittels LKW schweres Gerät ins Innere des Krafthauses transportiert werden kann. Um für künftig anfallende Servicetätigkeiten gerüstet zu sein, wurde ein Schwerlastkran mit einer Nutzlast von bis zu 16 t an die Decke montiert.

GRÖSSTE KAPLAN-TURBINE DER GESCHICHTE
Den Auftrag, eine maßgeschneiderte Maschinenlösung für das ambitionierte Kraftwerksprojekt zu liefern, sicherte sich der erfahrene Tiroler Wasserkraftspezialist Geppert Hydropower GmbH. Das Haller Traditionsunternehmen lieferte sämtliche Kraftwerkskomponenten für den Maschinensatz mit einem Gesamtgewicht von insgesamt rund 74 t. Konkret umfasste der Lieferumfang die komplette Turbine inkl. Saugrohrschalung aus dem Hause Mitterfelner, Getriebe, Generator und Hydraulikaggregat für die Turbinensteuerung. Die Ingenieure von Geppert stellten dazu numerische Strömungssimulation für Turbine inkl. Turbinenauslauf an, die in der Folge von der TU-Wien verifiziert wurden. Das Herzstück des MKF bildet eine doppelt regulierte, vertikale Kaplanturbine. Bei dieser Ausführung ist die Turbinenwelle miteinem wassergeschmierten Führungslager und einer Turbinenwellendichtung mit einem Sperrwassersystem ausgeführt. Das dafür benötigte Rohwasser wird aus einem eigens angelegten Schacht aus dem Uferfiltrat der Mur entnommen. Das rund 5,2 t schwere Kaplanlaufrad erzeugt bei einer Nettofallhöhe von 4,6 m und einem Ausbaudurchfluss von 45 m³/s eine Engpassleistung von rund 1.760 kW. Mit einem Laufraddurchmesser von 2,95 m handelt es sich um das bisher größte Kaplanlaufrad, das bei Geppert in Hall gefertigt worden ist. Mit der Inbetriebnahme der neuen Hightech-Maschinenhalle im Jahr 2017 schaffte man bei Geppert die besten Voraussetzungen, um Projekte dieser Größenordnung erfolgreich und in gewohnter Präzision abzuwickeln.

ÜBERSETZUNG VIA STIRNRADGETRIEBE
Um die Drehzahl der Turbine von 120 U/min auf die des Generators von 750 U/min zu übersetzen, installierten die Techniker von Geppert ein Getriebe mit einem Übersetzungsverhältnis von 1:6,25. Das Stirnradgetriebe inkl. i:Gear 4.0 aus dem Hause Eisenbeiss ist auf eine Dauerbelastung von 1.800 kW ausgelegt und wiegt 9,6 t. Durch das i:Gear 4.0 werden die Betriebsbedingungen selbstständig analysiert und Verbesserungspotenziale aufgezeigt. Der Traditionsbetrieb mit Sitz in Enns in Oberösterreich ist ein internationales Industrieunternehmen für den Spezialgetriebebau und besitzt langjährige Erfahrungen im Wasserkraftsektor. Anhand verschieden angepasster Verzahnungsgeometrien sowie individuell ausgeführter Schmiersysteme wird für die Anwendungen das jeweilige Optimum an Langlebigkeit, Betriebssicherheit und Servicefreundlichkeit ermittelt. Für die Energieumwandlung verbaute man einen Synchrongenerator von Hitzinger, der bei einer Drehzahl von 750 U/min eine Nennleistung von 2100 kVA liefert. Der rund 11 t schwere Drehstromgenerator ist mit einer Wasserkühlung und einer Umschaltfunktion zum Heizen ausgestattet. Dank ausgewählter Materialien und höchster Qualitätsansprüche zeichnen sich die Generatoren des Linzer Vorzeigeunternehmen durch Effizienz und Langlebigkeit aus. Der erzeugte Öko-Strom wird schließlich mittels neu verlegter Kraftableitung über eine rund 600 m entfernte Trafostation in das höherrangige Stromnetz (20 kV) der Energie Steiermark eingespeist.

BEDIENUNGSFREUNDLICHE STEUERUNG
Die komplette elektrotechnische Ausstattung der Anlage lieferte und montierte die MBK Energietechnik GmbH aus Ilz unweit von Graz. MBK hat auch in weiterer Folge die Datenüberwachung inne. Das Leistungsspektrum der auf Wasserkraftwerke spezialisierten Elektrotechniker zieht sich durch alle elektronischen Belange des gesamten Kraftwerks und umfasst die Bereiche: Mittelspannung, Simatic s7-Steuerung von Siemens, Fernüberwachung und auch die elektrische Infrastruktur am Kraftwerksaußenbereich. Eine große Herausforderung war die steuerungstechnische Kopplung d beiden Kraftwerke, wobei konkret die alte s5-Steuerung vom Hauptkraftwerk mit der neuen s7-Steuerung des MKWs kompatibel gemacht wurde. Beide Steuersysteme sind somit in den Betrieb eingebunden und das machte viele steuertechnische Schnittstellen notwendig. Einerseits wird in das Steuerkonzept das rechtliche Wehrmanagement der Fa. Sappi mit einbezogen und andererseits müssen weitere Einflussgrößen wie Hydraulikaggregat, RRM, Restwassermenge, oder das jeweilige Mindestwasserregime der insgesamt drei Maschinensätze berücksichtigt werden.

STAHLWASSERBAU AUS DER STEIERMARK
Die Kraftwerkseinlaufsituation wurde anhand einer numerischen Strömungssimulation optimiert. Das wesentliche Ergebnis daraus: Der Einlauf wurde daraufhin von vier auf drei Felder reduziert. Dabei wurde die Breite von 24,4 m auf 18,5 m verringert und die Einlaufhöhe von 2,3 m auf 2,9 m erhöht. „Der Oberwasserkanal kann bei Bedarf mit drei stählernen Schützentafeln mit 5 t undeiner Tafelgröße von rund 6 x 3 m verschlossen werden. Der Turbinenauslauf wird ebenfalls im Bedarfsfall mit Hilfe einer Dammtafel mit 10 t und einer Tafelgröße von 9 x 4 m geschlossen. Die Schützentafeln sind an 4 Seiten dichtend ausgeführt und werden elektrisch angetrieben“, erklärt Projektleiter Unger. Der obere Abschluss des Rechens erfolgte mit einem Betonriegel, auf dem die Laufbahn der Rechenreinigungsmaschine (RRM) montiert ist. Die horizontale RRM hat eine Reinigungslänge von 20 m und eine maximale Schublast von 1,8 t. Das Räumgut wird entlang des Rechens befördert und über den rechten Grundablass ins Unterwasser gespült. Der Antrieb der RRM erfolgt hydraulisch. Der Betrieb wird automatisch über eine Rechenverlustanzeige via Pegeldifferenz bzw. zusätzlich über eine Zeit-Intervallschaltung gesteuert. Für die Lieferung und Montage der Stahlwasserbau-Komponenten vertraute die MKF GmbH auf die langjährige Erfahrung der steirischen S.K.M GmbH, deren Geschäftsführer Josef Köhl selbst ein Wasserkraftwerk betreibt. Die Leistung der Kraftwerksspezialisten aus Kammern umfasste den Horizontal-RRM, 1 Auslaufschütz 9 x 4 m und 10 t, 3 Einlaufschütze mit 6 x 3 m und 5 t und 6 Schütze aus Edelstahl für die Fischaufstiegshilfe. S.K.M. überzeugte bereits bei über 60 erfolgreich abgewickelten Wasserkraftprojekten mit ausgefeilten technischen Lösungen und hoher Betriebssicherheit.

FISCHE WANDERN ÜBER DAS „S“
Beim MKF handelt es sich um ein Restwasserkraftwerk, bei dem das Restwasser für den Fischaufstieg zu Verfügung gestellt wird. Ein Teil der Pflichtwasserabgabe von 11,4 m³/s wird für die Dotation des Fischaufstiegs verwendet. Der Fischaufstieg wurde als Individualbeckenpass ausgeführt und ist mit einer Betriebswassermenge von 283 l/s bis 337 l/s dotiert. Durch die Zusatzdotation aus der Dotierleitung wird die Gesamtdotationswassermenge von 360 l/s bis 560 l/s abgebeben. Unger: „Insgesamt wird die Restwasserstrecke gemäß Behördenbescheid mit einem Basisabfluss von 11,4 m³/s dotiert. Der Einstieg erfolgt flussabwärts des Tosbeckens direkt aus dem Migrationskorridor.“ Der Fischaufstieg wurde über 150 m als langgezogenes „S“ angelegt und besteht aus 41 Becken mit je 3 m Länge und 2,2 m in der Breite. Der Ausstieg erfolgt über das oberwasserseitige Verteilbauwerk. Die Mur weist in diesem Abschnitt mit 22 potentiellen Arten ein breites Fischartenspektrum auf. Neben der Bemessungsfischart Huchen, die hier bis zu einem Meter groß werden können, ist für eine positive Funktionsbeurteilung der erfolgreiche Nachweis auch schwimmschwacher und bodenorientierter Kleinfischarten, wie beispielsweise Rotauge und Gründling, erforderlich. Aufgrund des anhaltend hohen Wasserdargebots der Mur zwischen Frühjahr und Frühsommer, konnte man das Fischmonitoring in Folge der starken Trübung bisher nur bei suboptimalen Bedingungen und nur über wenige Tage durchführen. Entsprechend gering sind daher die bisherigen Arten- und Fangzahlen. Für die Nachweisführung der Funktionsfähigkeit der Fischaufstiegshilfe wurde von der Fa. Sappi das steirische Ingenieurbüro DI Parthl beauftragt. Erste aussagekräftige Ergebnisse werden während des Sommers erwartet.

TROTZ STOLPERSTEINE SOUVERÄN GEMEISTERT
Trotz einiger Holpersteine, wie einem Hochwasser, großen Temperaturschwankungen auf der Kraftwerksbaustelle oder erschwerte Anlieferungen durch die vielen Sommerbaustellen, konnte das Kraftwerksprojekt plangemäß umgesetzt werden. Im Zuge der Beton- und Spundungsarbeiten brachte die 110 kV-Leitung die größte Herausforderung mit sich, da diese direkt über der Kraftwerksbaustelle verläuft. „Das Projekt ist trotz mehrerer Hürden sehr gut verlaufen und die Kommunikation sowie die Zusammenarbeit zwischen den Firmen hat bestens funktioniert. Alle beteiligten Unternehmen haben eine hervorragende Arbeit geleistet,“, erklärt Thomas Unger, sichtlich erfreut über den positiven Projektverlauf. Die Investitionskosten des Gemeinschaftsprojekts von der EWG und der Fa. Sappi belaufen sich auf insgesamt circa 5 Mio. Euro.

Teilen: