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Handwerkskunst aus alten Tagen haucht Turbine wieder Leben ein11 min read

27. April 2020, Lesedauer: 7 min

Handwerkskunst aus alten Tagen haucht Turbine wieder Leben ein11 min read

Lesedauer: 7 Minuten

Jemanden zu finden, der nach einer Maschinenhavarie ein altes Kammrad wieder in Schuss bringt, ist mittlerweile eine Herausforderung für sich geworden.

Es gibt wohl nur mehr eine Handvoll Spezialisten, die das alte Handwerk des „Einkämmens“ beherrschen – die also imstande sind, ein Kammrad mit neuen Holzzähnen auszurüsten. Der Niederösterreicher Karl Aichinger, Baujahr 1950, gehört zu dieser selten gewordenen Spezies. Seit rund einem Monat mit Unterbrechungen hat der pensionierte, ehemalige Voith-Mitarbeiter seine Zelte an der ehemaligen Papiermühle an der Glanfurt, dem Abfluss des Wörthersees, an der Peripherie von Klagenfurt aufgeschlagen, wo er eines der beiden Kammräder saniert. Die Turbinensanierung ist dabei Teil eines größer angelegten Kraftwerkssanierungsprogramms, an dessen Ende eine 15-prozentige Leistungssteigerung der Anlage stehen soll.

Etwas war anders an diesem Morgen des 2. Oktober 2018. Es war die ungewohnte Stille im Maschinenhaus, die nichts Gutes erahnen ließ. Für den Betreiber des altehrwürdigen Kraftwerks an der Glanfurt, Dr.  Josef Weinländer, der im traditionsreichen Gebäude der ehemaligen  Papier- und Getreidemühle zuhause ist, war schnell klar: Im Kraftwerk hatte es eine Havarie gegeben. „Der Anblick war kein schöner. Überall im Maschinenraum lagen Holzsplitter, die das eiserne Kegelrad aus den hölzernen Zähnen des Kammrads herausgeschlagen hatte. Am Ende seines Ausritts hatte sich der Triebling im Seitenblech festgefressen“, erzählt Josef Weinländer. Nach genauerer Inspektion stellte sich heraus: Der Fixierungskeil des Trieblings hatte sich gelockert, wodurch sich letzterer immer weiter von der Mitte nach außen bewegte. Aufgrund der konischen Struktur des Antriebslaufrads wurden alle Zähne im Außenbereich des Kammrads abgerissen, während einige der inneren Reihe zur Gänze verschont geblieben waren. Nach dem ersten Schock war für den Betreiber schnell klar, dass dies nicht das Ende der alten Technik bedeuten sollte. Er fasste eine Sanierung ins Auge – und wusste, an wen er sich wenden konnte. „Im Jahr 2010 lernte ich Karl Aichinger kennen, der das Kammrad damals gewartet hat. Er gilt als einer der letzten Kammradtischler. Im Jahr 1991 hatte er dieses Kammrad schon einmal für meinen Vater gekämmt. Aus dieser Verbundenheit und der Begeisterung für seinen ehemaligen Beruf erklärte er sich bereit, die Sanierung als Freundschaftsdienst zu übernehmen. Zuerst musste er aber noch eine Krankheit überwinden, so dass mit der Sanierung erst im Juni 2019 begonnen werden konnte.“

Bis heute unverzichtbares Handwerk
So  hat Karl Aichinger den Maschinenraum im Juni 2019 zu seiner Werkstätte umfunktioniert. Unter dem Licht einer starken Baustellenlampe setzt er die neuen Zähne in das alte gusseiserne Kammrad ein – einen nach dem anderen. Wie viel Routine der Mann mitbringt, lässt sich erst ermessen, wenn man sieht, wie geschmeidig und selbstverständlich ein Arbeitsschritt in den nächsten übergeht – und wenn man einen Blick auf seine Arbeitsgeräte und Hilfsmittel wirft: Es handelt sich vorrangig um Sonderanfertigungen, die speziell für diese Tätigkeit adaptiert wurden. Das betrifft sowohl die Bandsäge mit dem speziellen Spannblock, als auch die Bohrmaschine oder die metallenen Messzirkeln. Karl Aichinger ist gelernter Tischler – das Handwerk des Kammradtischlers habe er erst bei der Voith in St. Pölten gelernt, in deren Dienste er Anfang der 1970er Jahre getreten sei. „Bei Voith haben sie einen Tischler gesucht, der das ‚Einkämmen‘ machen kann. Mein Kollege, der 20 Jahre älter war als ich, hat mich dann angelernt. Zu zweit haben wir wohl ein paar hundert Kammräder ausgeführt, hauptsächlich natürlich saniert, weil es sich ja um eine sehr alte Technik handelt“, erzählt der pensionierte Tischler und ergänzt: „Zuletzt ist das Geschäft mit den Kammrädern immer mehr zurückgegangen, obwohl das Handwerk natürlich bei der Sanierung und Instandhaltung von denkmalgeschützten Kraftwerken bis zum heutigen Tag unverzichtbar ist.“

Hainbuchenholz für die Zähne
Warum es dafür einen Spezialisten braucht, wird schnell klar, wenn man Karl Aichinger über die Schulter schaut. Jeder der Zähne, die er in die Aussparungen des Kammrads klopft, ist ein Unikat – und das aus gutem Grund. „Das Kammrad ist ja ein altes Gussteil, da sind natürlich nicht alle Spalten gleich groß. Daher muss jeder einzelne Zahn passgenau gemacht werden“, so der erfahrene Fachmann. Doch für die Herstellung der Zähne braucht es erst einmal das richtige Holz. „Entscheidend ist, dass man ein möglichst feinjähriges Holz verwendet. Man muss wissen, dass jedes Holz ‚weichere‘ und ‚härtere‘ Jahreslinien aufweist, in die sich das Metall des Trieblings über die Jahre und Jahrzehnte hineinarbeitet und bei weicheren Bereichen eben tiefere Rillen gräbt. Daher ist ein sehr feinjähriges Holz ideal. Wir verwenden dafür nur Hainbuchen-Holz“.
Für den ersten Arbeitsschritt greift Karl Aichinger auf eine vorgefertigte Schablone zurück, nach deren Form und Umriss er sämtliche Zähne mit seiner Bandsäge ausschneidet. Dabei wird auch genaustens darauf geachtet, ob sich vielleicht ein Ast im gewählten Ausschnitt befindet. „An der falschen Stelle kann ein Ast durchaus zur Schwachstelle eines Zahns werden. Daher gilt es darauf zu achten, bevor man an die Feinarbeit geht“, erklärt er. Nachdem der Zahn einmal grob ausgeschnitten ist, wird er in einen speziellen Block eingespannt, der ein Schwenken des Rohlings nach beiden Seiten ermöglicht. Damit kann der Holzzahn an der Bandsäge von beiden Seiten sorgsam zugeschnitten werden, sodass er eine zunehmend konische Form erhält. Nun arbeitet der Tischler solange an dem Holzteil, bis es genau in die Öffnung des Kammrads passt und es sich mit einem mittelschweren Hammer einschlagen lässt. Damit es später im Betrieb nicht locker werden und sich bewegen kann, erhält es noch eine längsseitig durchgeführte Bohrung, wo danach ein Stahlstift zur Fixierung durchgesteckt wird. Sind alle Zähne eingepasst, kommt der – so Karl Aichinger – heikelste Teil der Arbeit: Zuerst wird die Teilung gemacht, im Fall des Laufrads im Kraftwerk Glanfurt wird das Rad in 120 exakt gleiche Sektoren eingeteilt, zuerst grob eingeschnitten und danach noch gehobelt. „Dieser Arbeitsschritt muss ganz exakt erfolgen, sonst schlägt und rumpelt es später im Betrieb.“ Im Anschluss nimmt Karl Aichinger noch den Keilkreis vom Triebling ab, um eine entsprechend sphärische Form am Kammrad zu erzeugen. Rund 550 einzelne Zähne fertigte der Niederösterreicher in den letzten Wochen. Ende Juli sollte die Sanierung abgeschlossen sein.

Mit speziellem Öl geschmiert
Grundsätzlich handelt es sich beim Kammrad um ein spezielles Kegelrad mit Holzzähnen. Es dient als Winkelgetriebe zur Kraftübertragung – im Allgemeinen natürlich nicht nur für die Stromerzeugung. Das Positive an dieser alten Technik liegt einerseits im durchaus hohen Wirkungsgrad und anderseits in der überzeugenden Laufruhe. In der Regel müssen die Hainbuchen-Zähne bei professioneller Wartung nach 60.000 bis 100.000 Betriebsstunden ausgetauscht werden. Die Wartung besteht dabei vor allem in der Schmierung. Dazu Karl Aichinger: „Wir haben immer ein ganz spezielles Öl dafür verwendet – hauptsächlich eine Mischung aus Leinöl und Graphit, die erhitzt wird, bevor sie auf das Kammrad aufgebracht wird. Sieht man von dieser ‚Patzerei‘ ab, ist die Technik sehr pflegeleicht.“ Dass die alte Technik leise und effizient funktioniert, belegt die zweite Maschine im Kraftwerk Glanfurt, die während der Sanierung von Maschine 1, ohne Unterbrechung weiterläuft. Sie ist in einem eigenen Maschinenraum untergebracht, der noch den Charme der frühen Elektrifizierungs-Ära verströmt. Trotz der alten Turbinentechnik ist die Maschine vollautomatisiert und durchaus leistungsstark. Je nach Wasserführung der Glanfurt erzeugen die Maschinen des Kraftwerks im Regeljahr rund 200.000 kWh.

Von der Papier- und Mehlerzeugung bis zur Elektrizität
Dabei wurde die Energie der Glanfurt, des Abflusses des Wörthersees, schon seit Jahrhunderten genutzt. Kaum einer kennt die Geschichte des Standorts besser als der heutige Betreiber, Dr. Josef Weinländer selbst: „Einst gab es hier eine Papiermühle. Über Generationen wurde Papier geschöpft und an den Kaiserhof geliefert. Um 1850 erfolgte dann die Umstellung auf eine Getreidemühle. Diese blühte vor allem in den Kriegszeiten auf, als das Mehl vom Militär nachgefragt wurde. Laut den Aufzeichnungen hat  mein Großvater bereits im Jahr 1883 Strom erzeugt. Es  gelang ihm, das Mühlenareal mit 6 kW Leistung zu beleuchten. Es war angeblich das erste elektrische Licht in Klagenfurt. 1921 und 1927 wurden die Turbinenräder in der heutigen Ausführung eingebaut, die allerdings ausschließlich zum Antrieb der Walzenstühle dienten. Die beiden Turbinen sind dann bis 1970 gelaufen, ehe mein Vater damals den Mühlenbetrieb schloss. Um das Wasserrecht zu behalten, liefen die Maschinen zur Stromerzeugung weiter, auch wenn man sie damals manuell betreiben musste, was schon sehr aufwändig war. Die Zeit war damals noch nicht bereit für Kleinkraftwerke, und die Wasserrechtsbehörde drohte meinem Vater mit dem Entzug des Wasserrechts. Doch ohne Erfolg. Er hat einen Prozess bis zum Verwaltungsgerichtshof durchgefochten und Recht bekommen. Schließlich argumentierte das Gericht zugunsten meines Vaters, wonach an diesem Standort über Jahrhunderte unterschiedlichste Formen der Wasserkraftnutzung erfolgt seien und die Nutzung der Elektrizität nur eine weitere Art sei. Aus diesem Grund verfügen wir bis heute über ein hinsichtlich Art der Nutzung uneingeschränktes und zeitlich unbefristetes Wasserrecht.“

15 Prozent Leistungsplus als Ziel
Seit rund 20 Jahren kümmert sich nun Josef Weinländer um die Anlage. Unter seiner Ägide wurden die Maschinensätze automatisiert und eine vollautomatische Rechenreinigung installiert. Einen Teil des erzeugten Stroms aus dem Kleinkraftwerk nutzt der Betreiber heute für die Versorgung des ehemaligen Mühlen­areals. Der überschüssige Strom wird ins öffentliche Netz eingespeist. Mit der erfolgreichen Sanierung der havarierten Turbine will der erfahrene Betreiber nun an der Wirtschaftlichkeitsschraube seiner Anlage drehen. Das erklärte Ziel lautet: eine Leistungssteigerung um etwa 15 Prozent. Dies würde bedeuten, dass das Kleinkraftwerk in das Tariffördermodell der ÖMAG wechseln und für 13 Jahre einen geförderten Strompreis in Anspruch nehmen könnte. Doch das wird alles andere als einfach, wie auch Dipl.-Ing. Christoph Aste vom Ingenieurbüro asteenergy, bestätigt. Er wurde mit der Herausforderung von Josef Weinländer betraut, sämtliche Möglichkeiten für eine Leistungssteigerung auszuloten. „In diesem Fall muss man tatsächlich an mehreren Punkten ansetzen, um das doch sehr ambitionierte Ziel zu erreichen“, erklärt der erfahrene Energiefachmann, der dazu ein Gutachten erstellt hat. „Ein erster wichtiger Aspekt betrifft die Wiederherstellung der Nutzfallhöhe, die heute durch künstlich eingezogene Sohlschwellen und Badezugänge im Unterwasser eingeschränkt ist. Das heißt: Die müssen zurückgebaut werden. Natürlich trägt auch die Sanierung der Turbine ein kleinwenig zur Zielerreichung bei. Darüber hinaus gilt es, sämtliche Widerstände in den rotierenden Bauteilen zu eliminieren. Konkret betrifft das etwa die Turbinenführungslager. Ein wichtiger Punkt stellt der Generator dar. Der aktuell installierte ist etwas zu klein, es würde sich anbieten, diesen gegen einen 40 kVA Asynchrongenerator zu tauschen. Hinzu kommt, dass über eine moderne Leittechnik noch einige Prozente Erzeugungsplus erreichbar wären. Und last-but-not-least sehe ich ein beachtliches Optimierungspotenzial beim alten Schleusenwehr. Hier kommt es immer wieder ober- wie unterirdisch zu nicht unerheblichen Wasserverlusten. Das gilt es zu eliminieren“, erklärt Christoph Aste. Der österreichweit bekannte Energiefachmann, unter anderem Institutsleiter des Instituts für Energie und Umwelt Kärnten und Geschäftsführer der Stockenboi Energie GmbH, kann im Rahmen dieses Projektes auf seine große Erfahrung in Sachen Kleinwasserkraft zurückgreifen. Ohne an der Schraube Wassermenge zu drehen, sollte mit dem angeführten Maßnahmenpaket das gewünschte Leistungsplus am Kraftwerk Glanfurt erreichbar sein.

Hochwasserschutz an der Glanfurt
Doch in dieses Vorhaben spielen noch übergeordnete Pläne hinein: Es geht um den Hochwasserschutz an der Glanfurt, mit dessen Umsetzung nach längerer Vorbereitungsphase bereits 2021 begonnen werden soll. Dabei soll der Wörtersee-Abfluss eingetieft werden, um die Abflusskapazität zu erhöhen. Das Projekt betrifft eine Strecke von der Seeschleuse bis eben zur Wehranlage Weinländer. „Unsere alte Wehranlage stammt aus dem Jahr 1919. Den aktuellen Plänen zufolge soll sie rückgebaut und eine neue Wehranlage mit zwei Stauklappen errichtet werden“, führt Josef Weinländer aus, der auch die turbulente Geschichte hinter dem Querbauwerk kennt: „Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges war hier am Wörthersee-Abfluss eine hölzerne Wehranlage. Die Glanfurt wurde insofern historisch relevant, als sie unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg, als Kärnten vor der Volksabstimmung stand, zur Demarkationslinie zwischen den österreichischen und den Truppen des SHS-Staates (Serbien, Kroatien und Slowenien) wurde, die von Süden her vorgedrungen waren. Im Zuge der Scharmützel wurde die Wehranlage von diesen Truppen gesprengt. Mein Großvater hat sie unmittelbar danach in Betonbauweise wiederaufgebaut. Als er dann 1921 die erste Turbine einbauen wollte, stellten die Behörden fest, dass die Wehranlage ohne Genehmigung wiederrichtet worden war. Zum Glück wurde auch konstatiert, dass das Querbauwerk zwar in Beton, aber komplett baugleich wie das alte gebaut worden war – und somit wurde es im Nachhinein genehmigt.“ Nun scheinen allerdings die Tage der alten Wehranlage gezählt zu sein. Derzeit laufen noch die Verhandlungen, doch 2021 will man mit dem Bau, der auch eine Fischaufstiegshilfe mit sich bringen wird, beginnen. „Die Perspektive, dass dann unsere Anlage bis 2024 für zwei Jahre stillstehen soll, ist natürlich nicht so prickelnd. Aber der Hochwasserschutz hat Vorrang“, räumt Josef Weinländer ein. 

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