Technik

Pilotprojekt „Wasserbatterie“ setzt auf die Kompetenz österreichischer Unternehmen6 min read

27. Mai 2019, Lesedauer: 4 min

Pilotprojekt „Wasserbatterie“ setzt auf die Kompetenz österreichischer Unternehmen6 min read

Lesedauer: 4 Minuten

Die in den vergangenen Jahren immer stärkere Nutzung erneuerbarer Energieträger wie Wind- und Sonnenenergie verlangt von Stromerzeugern und Netzbetreibern gleichermaßen neue Strategien.

Um die schwankende Verfügbarkeit von Wind- und Photovoltaikanlagen und deren Auswirkungen auf die öffentlichen Stromnetze auszugleichen, hat die Firmengruppe Max Bögl ein richtungsweisendes Konzept entwickelt: die sogenannte „Wasserbatterie“. Im Prinzip handelt es sich dabei um die direkte Kombination von Windkraftanlagen mit einem Pumpspeicherkraftwerk, womit die Betreiber neue Maßstäbe im Bereich der erneuerbaren Energieproduktion setzen. Das erste Pilotprojekt des innovativen Konzepts entsteht aktuell im baden-württembergischen Gaildorf und soll im kommenden Jahr in Vollbetrieb gehen. Vier Windräder mit einer Nabenhöhe von bis zu 178 m – „onshore“-Weltrekord – und einer Leistung von je 3,4 MW wurden dabei bereits im Vorjahr auf einer Anhöhe errichtet. Die Fundamente der Windräder fungieren dabei gleichzeitig als Oberbecken für das Pumpspeicherkraftwerk mit einer Leistung von 16 MW. Über eine rund 3 km lange PE-Druckrohrleitung, welche einen Höhenunterschied von knapp 200 m überwindet, sind die Oberbecken der Windräder und das Wasserkraftwerk miteinander verbunden. Die österreichische Bilfinger VAM Anlagentechnik GmbH konnte sich den Auftrag zur Fertigung der stählernen Verteilrohrleitung beim Übergang der Druckleitung zu den drei Pumpturbinen sichern. Um die hydraulischen Verluste möglichst gering zu halten, optimierten die Stahlbauspezialisten den „Trifurkator“ mittels computergestützter Strömungssimulation.

Das Konzept der aktuell auf dem Gebiet der rund 12.000 Einwohner zählenden Stadt Gaildorf in Baden-Württemberg entstehenden „Wasserbatterie“ ist im Grunde relativ simpel: Die Oberbecken des Pumpspeicherkraftwerks werden in die Fundamente  der Windenergieanlagen integriert. Die dadurch zusätzlich gewonnene Nabenhöhe trägt gleichzeitig zu einer größeren Windausbeute bei. Eine unterirdische Druckrohrleitung aus Polyethylen (PE), die ins Tal führt, verbindet die Becken mit drei jeweils auf 5,3 MW ausgelegten reversiblen Francis Turbinen. Das Pumpspeicherkrafthaus ist wiederum mit einem Unterbecken verbunden. Bei Stromüberschuss wird das Wasser im Pumpbetrieb in die Oberbecken befördert, wo es in Form von Lageenergie gespeichert wird. Wenn wiederum Energiebedarf besteht, wird das Wasser aus den oberen Speicherbecken nach unten geleitet und zur Stromerzeugung verwendet. Dieses Betriebskonzept eignet sich im Speziellen zur Bereitstellung von Regelenergie, mit welcher die volatile Verfügbarkeit erneuerbarer Energieträger wie Wind- und Sonnenenergie ausgeglichen wird.

Bewährte Unternehmen am zug
Die bauliche Umsetzung des innovativen Projekts liegt bei der Max Bögl Wind AG und ihrer Beteiligung Naturspeicher GmbH. Mit rund 6.500 Mitarbeitern, 35 Standorten weltweit und einem Jahresumsatz von über 1,7 Milliarden Euro zählt die 1929 gegründete Firmengruppe Max Bögl zu den größten deutschen Unternehmen in der Bauindustrie. Die Pumpspeichertechnologie wird unter der Führung der Naturspeicher GmbH umgesetzt. Dabei wird auf die Kompetenz bewährter Unternehmen aus der Wasserkraftbranche gesetzt. So werden etwa die drei Francis-Pumpturbinen in der Kraftwerkszentrale von Voith Hydro geliefert. Für die Herstellung der hoch beanspruchten Verteilrohrleitungskonstruktion am Ende des Kraftabstiegs wurde die Bilfinger VAM Anlagentechnik GmbH mit Sitz im oberösterreichischen Wels beauftragt. Die Stahlbauer zählen zu den führenden europäischen Unternehmen im industriellen Anlagen-, Rohrleitungs-, Apparate-/Behälter- und Tankbau sowie in den Bereichen Druckrohrleitungs- und Stahlwasserbau. Bilfinger-Projektleiter Christian Freymüller beschreibt im Gespräch mit zek Hydro die generellen Herausforderungen des Auftrags: „Obwohl wir in der Vergangenheit eine ganze Reihe von anspruchsvolle Projekten im Bereich Druckschachtbau umgesetzt haben, stellte das Projekt Wasserbatterie in technischer Hinsicht auch für uns ein Novum dar. Da sich die Druckrohrleitung beim Übergang ins Krafthaus auf drei Stränge aufteilt, erforderte dies den Einbau eines ‚Trifurkators‘, sprich ein Hosenrohr mit insgesamt drei Abgängen. Ein derartiges Bauteil ist generell nicht üblich.“

Hydraulisch optimiertes System
Im Anschluss an die Auftragserteilung starteten die Welser direkt mit den konkreten Planungstätigkeiten. Bei den Berechnungen musste eine ganze Reihe von wichtigen Parametern beachtet werden. Beispielsweise die jeweils maximalen Durchflussmengen im Turbinen- und Pumpbetrieb, die unterschiedlichen Lastzyklen unter Voll- und Teillast sowie bei der Fahrweise im hydraulischen Kurzschluss. Auch die verschiedenen Aus­­legungsdrücke und -normen flossen in die Konzeption ein. „Eine große Herausforder­ung stellte die Bemessung der Rohrwandstärken unter Berücksichtigung der Betriebsfestigkeit dar, da hierfür aufgrund der sehr dynamischen Betriebsweise besondere Beanspruchungen auftreten“, sagt Freymüller. Zur Prüfung des Strömungsverhaltens sowie der Druckverluste spielte zudem die Anwendung der computergestützten „CFD-Analyse“ (Computational Fluid Dynamics) eine ganz wesentliche Rolle, erklärt Freymüller weiter: „Die CFD-Analyse ermöglicht eine detaillierte Darstellung des Strömungsverhaltens und in weiterer Folge die Auswertung von Druckverlusten bei unterschiedlichen Szenarien. Das ist bei einer Druckleitung, die sich auf drei Stränge aufteilt umso wichtiger, da vor dem Übergang auf die Turbinen Druckverluste weitgehend vermieden sowie eine bestmögliche Strömungssituation erreicht werden sollen. Durch einen Annäherungsprozess mit zahlreichen Iterationen haben wir in Absprache mit dem Auftraggeber schließlich eine optimale technisch-hydraulische Lösung gefunden.“

Trifurkator von Hand geschweißt
Die Herstellung der Verteilrohrleitung inklusive der in einem 90 Grad Winkel abgehenden Stichleitungen im Bilfinger-Werk in Wels nahm rund drei Monate in Anspruch. Das mit Wandstärken bis zu 45 mm ausgeführte Bauteil musste aufgrund seiner außergewöhnlichen Geometrie großteils mittels MAG-Verfahren von Hand geschweißt werden. Um bei zukünftigen Wartungseinsätzen die Zugänglichkeit und Demontagefähigkeit zu ermöglichen, wurde der Trifurkator an seinen drei Abgängen mit Flanschanschlüssen ausgestattet. Zur Abdichtung zwischen den Flanschen kommen hochpräzise gefertigte O-Ring-Dichtungen und M48-Schrauben zum Einsatz. Freymüller merkt an, dass im Rahmen der Fertigung auch ein Probezusammenbau inklusive Werksvermessung durchgeführt wurde. Somit stellte man sicher, dass beim Einbau auf der Baustelle eine optimale Passgenauigkeit beim Anschluss an die gegebenen Fixpunkte gewährleistet wird. Im Anschluss an die sorgfältig durchgeführten Schweißnahtprüfungen ging es für den Trifurkator via Sondertransport zur Wasserbatterie nach Baden-Württemberg.

Planmäßig verlaufene Montage
Damit das tonnenschwere Stahlteil an seinem Bestimmungsort fachgerecht verbaut und verschweißt werden konnte, wurden auf der Baustelle entsprechende Montageplattformen erstellt. Beim Einbau sollte zuerst das obere, ebenfalls mit Flanschverbindung ausgeführte Übergangsstück zur PE-Druckrohrleitung montiert werden. Mit dem Einsatz eines mobilen Schwerlastkrans wurden die Verbindungsrohre und der Trifurkator unter beengten räumlichen Verhältnissen eingehoben, die Bilfinger-Fachkräfte arbeiteten sich dabei sukzessive von oben nach unten. Die drei Stichleitungen, die das Triebwasser nach der Aufteilung beim Trifurkator zu den Pumpturbinen leiten, sollten schließlich als letztes verschweißt werden. Die Anschlüsse zu den Absperrorganen der einzelnen Maschinengruppen wurden ebenfalls wieder mit Flanschen ausgeführt. Im Anschluss an die Schweiß- und Montagearbeiten ging es ans Herstellen des Baustellen-Korrosionsschutzes an den Montage-Rundnähten. Insgesamt besteht der zum Großteil bereits bei der Werksfertigung aufgetragene Korrosionsschutz aus vier einzelnen Schichten. Dank optimaler Vorbereitungen und der guten Zusammenarbeit mit dem Auftraggeber vor Ort konnte die anspruchsvolle Montage des Verteilrohrleitung innerhalb weniger Wochen noch im Herbst vollendet werden, führt der Projektleiter aus.

Wasserbatterie geht 2019 ans Netz
Christian Freymüller kann nach Abschluss des Bilfinger-Projektanteils ein durchwegs positives Fazit ziehen: „Im Wesentlichen hat die Umsetzung dank der genauen Vorplanung sehr gut funktioniert, der Auftrag konnte sowohl termingerecht als auch qualitativ hochwertig umgesetzt werden. Darüber hinaus haben wir viel Erfahrung und wertvolles Know-how gewonnen, wodurch wir für Folgeprojekte mit vergleichbaren Anforderungen bestens gerüstet sind.“ Die endgültige Fertigstellung des Pilotprojekts steht mittlerweile kurz bevor. Nachdem bereits im Vorjahr die Windräder ihren Betrieb aufgenommen haben, soll das Pumpspeicherkraftwerk in der zweiten Jahreshälfte 2019 die Stromproduktion aufnehmen. Die Vertreter der Firmengruppe Max Bögl sind überzeugt, dass die innovative Wasserbatterie bald auch an anderen geeigneten Standorten umgesetzt wird.

 

Teilen: