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Hochwasserschutz und Kraftwerksbau10 min read

6. Juni 2013, Lesedauer: 6 min

Hochwasserschutz und Kraftwerksbau10 min read

Lesedauer: 6 Minuten

Die tiefgreifenden Hochwasser-Schutzmaßnahmen in der Salzburger Gebirgsgemeinde Maria Alm bedeuteten das Ende für das über 100-jährige Kleinwasserkraftwerk von Alois Lohninger.

Doch damit tat sich auch eine neue Chance auf. Der findige Pinzgauer suchte gemeinsam mit den Verantwortlichen von Wildbach- und Lawinenverbauung nach einer Lösung für eine
neue Anlage an der Urslau, für deren Errichtung sich die Nutzung der Synergieeffekte aus dem Hochwasserschutzbau anbot.
Gemeinsam mit seinem Partner, den Österreichischen Bundesforsten (ÖBf ), gelang es dem Salzburger, ein neues Laufkraftwerk zu errichten, das in Betrieb deutlich mehr als die zehnfache Leistung  des alten Kraftwerks bringen wird. Aktuell befinden sich die Bauarbeiten auf der Zielgeraden. Noch vor Sommerbeginn soll das neue KW Urslau den Betrieb aufgenommen haben.

Der 21. Juni letzten Jahres war einer
jener Tage, die man in Maria Alm
nicht so schnell vergisst. Fast überfallsartig
verwandelten sintflutartige Regenfälle
die sonst so beschaulichen Bäche in reißende
Flüsse. Straßen und Keller waren überflutet,
Bilder von einem Marktplatz, der hüfttief
unter Wasser stand, gingen durch die Medien.
Umso bedauerlicher, dass das Hochwasser des
Vorjahres beileibe kein Ausnahmeereignis
darstellt. Speziell in den letzten Jahren hatte
man in der Pinzgauer Gebirgsgemeinde immer
wieder mit den Fluten zu kämpfen – wie
etwa in den Jahren 2008 und besonders
2002. Damals wurden, bedingt durch die
Verklausungen und die starken Veschlammungen,
auch erhebliche Schäden an Wohnhäusern,
Geschäften und öffentlichen Einrichtungen
gemeldet.
Ein Gebot der Vernunft also und hoch an der
Zeit dazu, um umfassende Hochwasser-
Schutzmaßnahmen in die Wege zu leiten.
Nach längerem politischen Gezerre um die
Finanzierung wurde dafür letztlich ein 38-
Millionen-Euro-Paket geschnürt, damit die
Bewohner von Maria Alm und von Saalfelden
in Zukunft auch bei Starkregen wieder ruhig
schlafen können.
FASSUNGSVERMÖGEN VERDREIFACHT
Ziel ist die Bändigung der Urslau. Dabei handelt
es sich um einen circa 20 Kilometer langen
Gebirgsbach, der zwischen dem
Hochkönigsmassiv und dem Steinernen Meer entspringt und letztlich in die Saalach mündet.
Besonders bekannt ist die Urslau bei
Naturliebhabern für den rund 100 Meter langen
Wasservorhang – die „Triefen“ im Ortsgebiet
Hinterthal. Sie ist das spektakuläre
Resultat einer geologischen Besonderheit,
einer waagerechten, wasserundurchlässigen
Gesteinsschicht, auf der Quellwasser zutage
tritt. Wie Perlschnüre eines langen Vorhangs
ergießt sich dieses Wasser aus einer Höhe von
zwei bis drei Metern in die Urslau – ein besonderes
Naturschauspiel, das sich zu jeder
Jahreszeit beobachten lässt.
Die Urslau ist auch Namensgeberin für das
Urslautal, dessen Hauptort Maria Alm in den
letzten Jahren auch am stärksten von den
Hochwässern des Wildbaches betroffen war.
Doch diese Gefahr soll nun gebannt werden.
Um die Urslau in Hinkunft auch bei Starkregen
in ihrem Bett zu halten, wird ihr Fassungsvermögen
aktuell auf das rund Dreifache
ausgebaut. In der ersten Bauphase wurde
zunächst das Bachbett erweitert und vertieft
und danach das Ufer mit Wasserbau –
steinen gesichert. VIELE GEWINNER – EIN LEIDTRAGENDER
Dass die Investition in den Hochwasserschutz
für Maria Alm und seine Bewohner
eine gute Sache ist, steht außer Zweifel. Und
dennoch hatte es für einen Maria Almer
eine n Pferdefuß parat: und zwar für Alois
Lohninger, dessen bestehendes Kleinwasserkraftwerk
an der Urslau den Schutzbaumaßnahmen
weichen musste. Seit 1906 h atte
seine Familie hier ein Kleinkraftwerk betrieben,
zuletzt hatte es der Betreibe r 1980 auf
den Letztstand der Technik gebracht. „Nachdem
klar war, dass es für mein altes Kleinwasserkraft
keinen Fortbesta nd gibt, habe ich
relativ schnell nach einer Alternativ-Option
für ein neues Kraftwerk Ausschau gehalten.
Gemeinsam mit der Wildbach- und Lawinenverbauu
ng habe ich nach einer Lösung
gesucht, wie man mögliche Synergien aus
den Schutzbaumaßnahmen nutzen könnte,
um ein neues Wasserkraftwerk an der Urslau
zu errichten“, erzählt Alois Lohninger, der
sein Vorprojekt dazu bereits im Jahr 2008
einreichte.
Die Betreibergesellschaft für sein Kraftwerk
gründete er in der Folge mit einem ebenfalls
Wasserkraft erprobten Partner, den Österreichischen
Bundesforsten (ÖBf ).
VERHÄLTNISSE VON SPEZIELLER HÄRTE
Die Planung des Kraftwerks vergaben die
Bauherren an ein erfahrenes Ingenieurbüro,
aus der Stadt Salzburg, das seit vielen Jahren
zig Wasserkraftwerke in und außerhalb des
Bundeslandes Salzburg geplant hat. Und
diese Erfahrung sollte auch schon sehr bald
auf die Probe gestellt werden, nachdem sich
beim Bau der Wasserfassung erste Probleme
einstellten. „Eine grundsätzliche Schwierigkeit
ergab sich schon daraus, dass die ursprünglich
geplante Wehrklappe nicht mit
den Plänen des Hochwasserschutzes vereinbar
war. Stattdessen wurde uns nur eine Sohl-entnahme
genehmigt. Dadurch waren wir
gezwungen, mit dem Fassungsbauwerk noch
tiefer in den Untergrund zu gehen“, erläutert
Lohninger die Ausgangssituation. „Bereits in
4 Meter Tiefe hatten wir starken Grundwasserdrang,
aber wir mussten weiter hinunter –
bis auf 9 Meter. Und das Grundwasser war
derartig viel, dass an das Ausheben der Baugrube
ohne Umspunden gar nicht zu denken
war.“ Zu diesem Zweck beschloss man, die
Spundwände in den Boden zu rammen. Aber
ohne Erfolg. Der Untergrund erwies sich als
extrem hart, sodass man erste Probebohrungen
vornahm. „Es ist gleich einmal der
Bohrer abgerissen. Wir haben dann einen
Geologen zu Rate gezogen, der nach dreiwöchigen
Untersuchungen und Analysen festgestellt
hat, dass das Setzen der Spundwände
nur nach erfolgtem Vorbohren möglich sei.“
LÖCHERN UNTER VOLLDAMPF
Die beauftragte Baufirma HV-Bau aus
Bramberg in Pinzgau war nun wahrlich voll
gefordert. Denn – teilweise war es auch mit
Bohren alleine nicht abgetan. Riesige Findlinge
mit bis zu 30 Tonnen kamen zum Vorschein,
denen letztlich nur durch Sprengung
beizukommen war. Die Bohrmaschine auf
der Baustelle ist indes seit Anfang des Jahres
kaum zur Ruhe gekommen. „Seit 9. Januar
läuft die Bohrmaschine jeden Tag. Insgesamt
mussten über 330 Löcher gebohrt werden,
damit wir die Spundwände setzen konnten.
Ganz nebenbei war das natürlich auch eine
erhebliche Belastung für die Anrainer, mit
denen wir zum Glück aber ein sehr gutes Einvernehmen
haben“, sagt der Betreiber.
Er ist voll des Lobes für die Baufirma, die mit
großem Engagement gegen die Widrigkeiten
Untergrund und Grundwasser kämpfte. Dass
man aktuell nur ein knappes Monat hinter
dem Terminplan hinterher hinkt, ist zweifellos
ihrem großen Einsatz zu verdanken.
Der Startschuss für die Bauarbeiten fiel im
August letzten Jahres, die Inbetriebnahme
wird nun in der zweiten Juni-Hälfte erfolgen.
Dazwischen lagen nicht nur höchst betriebsame
Monate auf der Baustelle in Maria Alm,
sondern auch ein Baustopp, der sich über
mehrere Wochen hinzog. Der Grund dafür
lag weniger an den winterlichen Bedingungen,
sondern an dem Umstand, dass in
unmittelbarer Umgebung zur Wasserfassungs-
Baustelle ein Lift-Parkplatz liegt – und
man den Liftbetrieb nicht beeinträchtigen
wollte und durfte.

SCHWIERIGES FÄDELN DER ROHRE DURCH DIE EINBAUTEN
Die Herausforderungen in baulicher Hinsicht blieben allerdings nicht
auf den Bereich der Wasserfassung beschränkt. Auch die Verlegung der
Druckrohrleitung hatte es in sich. Das lag nun weniger an Untergrund
oder Topographie, sondern vielmehr an den zahlreichen Einbauten, die
es zu passieren galt. „Wir befinden uns hier in einem ortsnahen
Bereich, daher sind unterirdisch so gut wie alle möglichen Einbauten
anzutreffen, von Trinkwasser- und Kanalleitungen angefangen, über
diverse Strom- und Telekommunikationskabel bis zu Gasleitungen.
Dass wir hier mit unserem 1.800er-Rohr überall durchgekommen
sind, war auch dem Geschick der Baumannschaft zu verdanken“, sagt
Lohninger.
Wichtig war dabei auch ein möglichst einfaches Handling der Rohre.
Nicht zuletzt aus diesem Grund entschieden sich die Betreiber für
Rohrmaterial aus glasfaserverstärktem Kunststoff aus dem Hause
Amitech. Im Detail kamen über die Gesamtlänge von 1.670 Meter
GF-UP Rohre des Typs Flowtite DN1800 der Steifigkeitsklasse
SN5000 und der Druckklasse PN6 zum Einsatz, geliefert in verschiedensten
Stücklängen von der Firma Etertec aus Brunn am Gebirge, die
den Betreibern auch mit technischer Begleitung zur Seite stand.
Aufgrund des nicht unkomplizierten Trassenverlaufs mit Bach- und
Straßenquerungen waren auch zahlreiche Rohrbögen erforderlich –
insgesamt 15 an der Zahl. „Wir haben auch sehr viel mit kurzen
Rohrstücken mit 2 Meter Länge gearbeitet, um die vielen erforderlichen
Richtungsänderungen bestmöglich bewerkstelligen zu können“,
so der Betreiber. Als technische Besonderheit kam zudem noch ein
GF-UP Ultraschall Messschacht zum Einsatz.

INNOVATIVER STAHLWASSERBAU AUS SALZBURG
Als erfahrener Wasserkraftbetreiber legte Alois Lohninger auch starkes
Augenmerk auf die stahlwassererbauliche Ausrüstung. Im Zuge der
Ausschreibung hatte sich das Salzburger Stahlbauunternehmen GMT
mit Sitz in Kuchl durchgesetzt, das für zahlreiche Wasserkraftprojekte
in und um Österreich in den vergangenen Jahren den Stahlwasserbau
und auch maschinentechnische Lösungen lieferte. „Ich habe GMT
zuvor nicht gekannt. Daher war uns ganz wichtig, uns bei
Referenzanlagen zu erkundigen. Wir sind sogar nach Südtirol gefahren
und haben uns das bekannte Kraftwerk „In der Klamme“ angesehen,
bei dem auch GMT den Stahlwasserbau realisiert hat. Und was wir
gesehen und von den Betreibern gehört haben, hat uns überzeugt.
Heute kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen, dass die Kuchler
nicht nur Handschlagqualität besitzen, sondern auch erstklassige
Lösungen liefern können“, lobt Alois Lohninger.
Eine dieser Lösungen betrifft den Sohlrechen am Tirolerwehr, der mit
einem Stababstand von 20 mm relativ englumig ist. Das hängt unmittelbar
mit dem innovativen Reinigungssystem des Rechens zusammen,
das dafür von GMT entwickelt wurde. Dem Prinzip nach arbeitet die
Tirolerwehr-Rechenreinigungsmaschine von unten: Ein „Negativprofil“
des Rechens – ein so genannter „Gegenrechen“ – presst sich dabei
unter hohem hydraulischen Druck von unten durch selbigen und
drückt dadurch sämtliches Geschwemmsel und alle Sedimente von der
Rechenoberfläche, wo es einfach weitergespült wird. Dieses System
stellt sicher, dass auch nach einem Gewitter der Kraftwerksbetrieb
uneingeschränkt aufrecht bleibt. Ein bewährtes Prinzip also, das durch
die robuste Bauweise des Salzburger Stahlbauspezialisten für ein sauberes
Tirolerwehr für viele Jahre sorgt – und damit Produktionsverluste
verhindert. Neben diversen Verschlussorganen und dem Feinrechen
lieferte GMT auch die Rechenreinigungsmaschine. Dabei handelt es
sich um eine Teleskop-RRM, mit einer Reinigungslänge von 4,8
Metern und einer Harkenbreite von 8,5 Metern. Mit diesen Abmessungen
stellt sie die bislang breiteste Teleskop-RRM der Kuchler Stahlbauer
dar. Eine echte Referenz also für GMT.

BEWÄHRTES AUSTRO-MASCHINENGESPANN
IM KRAFTHAUS
Grundsätzlich zählt das neue Kraftwerk
Urslau zu den so genannten Niederdruck-
Kraftwerken. Über das Tirolerwehr wird an
der Bachsohle das Triebwasser eingezogen
und über die 1.670 Meter lange Druckrohrleitung
zum Krafthaus geleitet, wo eine
Kaplan-Rohrturbine installiert ist, die einen
Synchrongenerator antreibt.
Ausgelegt ist die Turbine, die vom renommierten
niederösterreichischen Wasserkraftspezialisten
Kössler stammt, auf die Ausbauwassermenge
von 4.500 l/s sowie eine Fallhöhe
von 24 Metern bei einer offiziellen elektrischen
Nennleistung von 907 kW. Mit 750
Umdrehungen wird die Rotationsenergie auf
den Synchrongenerator übertragen, bei dem
es sich ebenfalls um ein österreichisches Qualitätsprodukt
handelt – und zwar um einen
Generator von Linzer Hersteller Hitzinger.
Ein sehr hochwertiges Maschinengespann,
das Anfang Mai bereits installiert und „signalbereit“
war.
E-TECHNIK AUS EINER HAND
Die erforderlichen Signale für den Betrieb der
Maschinen sollten aber nur mehr kurz auf
sich warten lassen. Schließlich hatten sich die Betreiber auch bei der steuerungs- und etechnischen
Ausrüstung einen sehr namhaften
Partner ausgesucht. Die Wahl war auf die
PMS Elektro- und Automationstechnik GmbH
aus dem Kärntner Lavanttal gefallen, die mit
der E-Technik sowie der ganzen Steuerungsund
Automationstechnik beauftragt wurde.
Ein Punkt, der besonders für das Kärntner
Unternehmen sprach, war der Umstand, dass
PMS nicht nur imstande war, die Steuerungstechnik
der Anlage professionell zu realisieren,
sondern darüber hinaus auch die
Anbindung an die Nieder- und Mittelspannungsebene
sowie die Einspeisung ins 30 kVNetz
umzusetzen. So war PMS auch für die
Lieferung und Montage der Transformatoren,
Niederspannungs- und Mittelspannungsanlagen
verantwortlich.
Alois Lohninger zeigt sich vom Leistungsumfang
angetan: „Gerade am Sektor erneuerbare
Energien bringt PMS sehr große Erfahrung
mit. Und dass man sämtliche e-technischen
Aspekte abdecken kann, ist für einen Betreiber
immer gut, da es auch in diesem Bereich
ansonsten zu Schnittstellenproblemen kommen
kann. Die Gesamtperformance, angefangen
von Planung und Projektierung über
Projektleitung bis zur Inbetriebsetzung, ließ
für uns keine Wünsche offen.“

SYNERGIEN OPTIMAL GENUTZT
Noch hat das Kraftwerk den Betrieb nicht
aufgenommen. Nachdem mittlerweile der
Großteil aller Bauarbeiten abgeschlossen ist,
sind die Montage- und Inbetriebsetzungstechniker
am Zug, die die Anlage bis Sommerbeginn
ans Netz bringen werden. Ein
günstiger Zeitpunkt, schließlich ist in diesem
Jahr noch bis in den Frühsommer mit
Schmelzwasser aus den Bergen zu rechnen,
sodass der neue Pinzgauer Ökostrom-Erzeuger
voraussichtlich einen Start unter Volllast
wird hinlegen können.
Rund 3,9 bis 4,2 GWh wird das neue Kraftwerk
Urslau im Durchschnittsjahr erzeugen.
Das ist ein Vielfaches des alten Kraftwerks
von Alois Lohninger, das dem Hochwasserschutz
weichen musste. „Im Grunde trauere
ich meinem E-Werk immer noch ein wenig
nach, vor allem wenn ich an den ganzen –
Aufwand der letzten Monate denke. Aber die
Mühe hat sich auch gelohnt: Die Stromerzeugung
hat sich vervielfacht, und wir verfügen
über eine Anlage am Stand der Technik“,
resümiert der Pinzgauer, der auch darauf stolz
ist, dass sein Kraftwerk schon jetzt als Vor –
zeige projekt für ein perfektes Zusammenspiel
von Hochwasserschutz und Wasserkraftnutzung
Beachtung gefunden hat.

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