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Graubündner Kraftwerke Marmorera und Löbbia nutzen Restwasser für Ökostromgewinnung6 min read

8. März 2021, Lesedauer: 4 min

Graubündner Kraftwerke Marmorera und Löbbia nutzen Restwasser für Ökostromgewinnung6 min read

Lesedauer: 4 Minuten

Mit der Fertigstellung der Dotierkraftwerke Marmorera und Löbbia Ende 2020 erfüllt das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (ewz) nun an allen Wasserkraftanlagen in Graubünden und Zürich die gesetzlich vorgeschriebenen Restwasserbestimmungen.

Das Kraftwerk Marmorera in Surses wurde am Grundablass der gleichnamigen Staumauer errichtet, wofür eine rund 20 m lange Kaverne aus dem Fels gesprengt wurde. Etwas weniger aufwändig gestalteten sich die Arbeiten für die Errichtung des Dotierkraftwerks Löbbia in der Region Bergell. Beim Stauwehr Löbbia erfüllt ewz seit 2015 die Restwasservorschriften und hatte bereits die technische Infrastruktur für den Bau eines Kleinwasserkraftwerks geschaffen. Das komplette elektromechanische und leittechnische Equipment für die beiden Projekte lieferte der deutsche Wasserkraftexperte Ossberger. Im Regeljahr können die beiden Dotierkraftwerke gemeinsam rund 1,8 GWh Ökostrom erzeugen.

Das 1892 gegründete Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (ewz) setzt zur Deckung des stetig steigenden Strombedarfs auf den Ausbau erneuerbarer Energien. Im Fokus des rund 1.200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigenden Unternehmens steht eindeutig die Wasserkraft, die bis 2034 laufenden Beteiligungen an Kernkraftwerken werden nicht verlängert. Der Löwenanteil des selbst erzeugten Stroms stammt neben Photovoltaik, Windkraft und Biomasse traditionell aus insgesamt 15 Wasserkraftwerken in Graubünden und an der Limmat sowie Beteiligungen über die gesamte Schweiz. ­   Die jüngsten ewz-Kleinwasserkraftwerke, die noch vor dem Jahreswechsel in Betrieb genommen wurden, nutzen das hydroenergetische Potential der Restwasserabgabe an den Stauanlagen Marmorera und Löbbia.

Gewässerökologie verbessert
Der Marmorerasee befindet sich auf dem Gebiet der Graubündner Gemeinde Surses und dient der ewz-Kraftwerksgruppe Mittelbünden als saisonaler Kopfspeicher. Entstanden ist das über 60 Mio. m³ fassende Reservoir durch einen zwischen 1950 und 1954 errichteten Erdschüttdamm mit einer Höhe von 91 m und einer Kronenlänge von rund 400 m. „ewz hat 2017 die Auflage erhalten, an der Stauanlage Marmorera Restwasser abzugeben. Diese Vorschreibung wurde schnellstmöglich umgesetzt, bereits im Folgejahr wurde eine entsprechende Dotiereinrichtung in Betrieb genommen. Mit dieser Maßnahme konnte eine erhebliche gewässerökologische Verbesserung erzielt werden. Der Fluss Julia im Unterlauf der Staumauer neigte zuvor vor allem während der Sommer- und Herbstmonate zum Austrocknen und wird nun ganzjährig konstant bewässert“, erklärt Christof Oertli, seines Zeichens Leiter Hydro bei ewz. Oertli ergänzt, dass bereits 2018 die technischen Vor­aussetzungen zum Bau eines Dotierkraftwerks geschaffen wurden. Die Wirtschaftlichkeit dieses Vorhabens war allerdings an die Gewährung des Schweizer Ökostromtarifs „Kostendeckende Einspeisevergütung“ (KEV) gekoppelt, dessen Zusage erst 2019 erteilt wurde.

Heikler Sprengeinsatz
Errichtet wurde das neue Dotierkraftwerk beim Grundablassstollen am Fuß der Staumauer, wozu bereits 2018 eine rund 20 m lange, 5 m hohe sowie 5 m breite Kaverne in den Fels gesprengt wurde. Vor Beginn der Bauarbeiten wurde festgestellt, dass der Fels im Projektgebiet eine hohe Konzentration von Asbest aufweist. Dies erforderte erweiterte Sicherheitsmaßnahmen hinsichtlich Materialausbruch und Deponierung und brachte in weiterer Folge auch erhöhte Baukosten mit sich. „Die Sprengarbeiten waren sicherlich ein heikler Punkt des Projekts, immerhin wurden diese unmittelbar neben dem wassergefüllten Grundablassstollen durchgeführt. Nach Abschluss der Sprengarbeiten wurde der See abgesenkt, Dammbalken gesetzt und die letzten Meter Stollen durchgeschlagen“, so Oertli. Die Abzweigung der Dotiereinrichtung wurde mittels Hosenrohr vor den Grundablassschützen installiert. Das Restwasser weicht somit durch einen Bypass den Schützen aus und strömt nach der Turbinierung wieder in den Auslaufstollen des Grundablasses. Oertli ergänzt, dass wegen der beträchtlichen Stauhöhe von über 90 m ein Energievernichter als zusätzliches Sicherheitsorgan eingebaut werden musste. Die Restwasserabgabe bleibt somit auch bei Wartungsarbeiten an der Turbine konstant aufrecht. Eingebaut wurde der in einer Bypassleitung situierte Energievernichter bereits 2018.

Komplettpaket von Ossberger
Die Montage der hydroelektrischen und leittechnischen Ausstattung, die vom deutschen Wasserkraftexperten Ossberger im Rahmen eines Komplettpakets geliefert wurde, erfolgte schließlich 2020. Das Herzstück des Kraftwerks bildet eine Durchström-Turbine mit direkt gekoppeltem Synchron-Generator. Die Steuerung der Anlage lieferte ebenfalls Ossberger, die übergeordnete Leit- und Schutztechnik wurde von ewz in Eigenregie ausgeführt. „Wir wollten eine möglichst einfache Turbine, die auch bei variierendem Durchfluss effizient produziert. Mit den gegebenen Parametern zwischen 50 und 90 m Fallhöhe und einem Durchfluss zwischen 200 – 1.200 l/s hat sich das System Ossberger angeboten. Unsere ersten Erfahrungen mit dem Maschinensatz seit der Inbetriebnahme sind sehr positiv“, sagt Oertli der noch ergänzend hinzufügt, dass die Turbine auf einen maximalen Durchfluss von 1.200 l/s ausgelegt wurde. Begründet ist dies durch die im Jahr 2035 anstehende Neukonzessionierung der Stauanlage. Die Betreiber gehen davon aus, dass damit einhergehend auch die Restwasserverpflichtung deutlich erhöht wird, weswegen die Maschine auf einen entsprechend größeren Durchfluss ausgelegt wurde. Aktuell erreicht die Turbine eine maximale Leistung von rund 400 kW, bei vollem Durchfluss kommt die Maschine auf eine Engpassleistung von 850 kW.

Zwei Anlagen in einem Jahr realisiert
Ein weiteres Dotierkraftwerk realisierte ewz im Vorjahr an der Staumauer des Ausgleichsbecken Löbbia in der Gemeinde Bergaglia. Das zum Kraftwerk Löbbia gehörende Reservoir wurde 1959 fertiggestellt und fasst mit seiner 18,5 m hohen und 90 m breiten Schwergewichtsmauer rund 180.000 m³ Wasser. Bereits 2015 installierte ewz am Fuß der Stauanlage eine freiwillige Dotiereinrichtung, weswegen die Anlage vom „Verein für umweltgerechte Energie“ mit dem Gütesiegel „naturemade star“ ausgezeichnet wurde. Im Vergleich zu der rund zwei Autostunden entfernten Anlage Marmorera war die Errichtung des Restwasserkraftwerks Löbbia mit weniger Bauaufwand verbunden, erklärt Oertli: „Beim Einbau der Dotiereinrichtung hatte man schon eine Abzweigung für das ­zukünftige Restwasserkraftwerk vorgesehen, zudem konnten die Arbeiten oberirdisch durchgeführt werden. Die wesentlichen Her­ausforderungen in Löbbia waren topographischer Natur. So ist die Anlage zu beiden ­Seiten von steilen Abhängen flankiert, weswegen in Abklärung mit Geologen die Steinschlag- und Baugrubensicherung während der Projektdurchführung oberste Priorität hatte.“

1,8 GWh Ökostrom aus Restwasser
Für das in einem Zug gebaute Kraftwerk wurde an den vorhandenen Abzweiger der Dotier­einrichtung eine Druckrohrleitung angeschlossen. Diese führt das Restwasser zu dem rund 70 m talabwärts gelegenen Kraftwerksgebäude. Das elektromechanische Equipment der Anlage inklusive Elektro- und Leittechnik lieferte erneut Ossberger. Die Durchström-Turbine wurde auf eine Ausbauwassermenge von 1.000 l/s und eine Bruttofallhöhe von 15 m ausgelegt, womit die Maschine eine Engpassleistung von 115 kW schafft. Als Energiewandler kommt ein direkt mit der Turbinenwelle gekoppelter Asynchron-Generator mit Luftkühlung zum Einsatz, der mit 400 V Spannung in die Eigenbedarfsversorgung des Kraftwerks Löbbia einspeist. Nach der Inbetriebnahme der beiden Anlagen Ende 2020 zeigt sich Christof Oertli rundum zufrieden mit dem Endergebnis: „Die Einbindung der Kleinkraftwerke in unseren Kraftwerkspark stellte eine Challenge dar. So kommen beispielsweise bei der Schutztechnik die gleichen Komponenten wie bei unseren Großkraftwerken mit 50 MW und mehr Leistung zum Einsatz. Diesen Standard auf die viel kleineren Anlagen umzulegen war keine leichte Aufgabe. In ökologischer Hinsicht freut es mich sehr, dass das Energiepotential des Restwassers nicht länger ungenutzt verloren geht. Darüber hinaus sind beide Kraftwerke deutlich wirtschaftliche Anlagen, die sich definitiv bezahlt machen.“ Im Regeljahr wird das Kraftwerk Marmorera rund 1,3 GWh Ökostrom produzieren, bei der Anlage Löbbia rechnet ewz mit einer Jahreserzeugung von rund 0,5 GWh.

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