Technik

Stahl-Hochleistungswasserräder – neue Entwicklungen für ungenutzte Wasserkraftpotenziale9 min read

13. Jänner 2017, Lesedauer: 6 min

Stahl-Hochleistungswasserräder – neue Entwicklungen für ungenutzte Wasserkraftpotenziale9 min read

Lesedauer: 6 Minuten

An der TU Braunschweig wurde eine neuartige Wasserkraftmaschine auf der Basis einer Hochleistungswasserradtechnologie zur Erschließung des Wasserkraftpotenzials im Bereich der niederen Fallhöhen von 0,4 bis 8,5 m…

und der mittleren bis großen Durchflussmengen von 5 bis 1.000 m³/s geschaffen. Die neue Technologie zeichnet sich durch eine hohe Umweltfreundlichkeit, eine hohe Effizienz, ein großes Schluckvermögen und ein großes ganzjähriges Arbeitsvermögen aus und liegt in ihrer Leistungsfähigkeit weit über dem derzeitigen Stand der Technik. Zur Erprobung der Hochleistungswasserradtechnologie entsteht in Niedersachsen in Kooperation mit der Salzgitter AG eine Forschungswasserkraftanlage, um den technischen Funktionsnachweis der neuen Technologie im Originalmaßstab zu erbringen.

Eine Betrachtung des gegenwärtigen Standes der Technik zeigt, dass für Durchflussmengen von 5 bis 1.000 m³/s und Fallhöhen größer 2 m bisher Turbinen eingesetzt werden. Nachteilig bei der Turbinentechnologie ist jedoch, dass mit abnehmender Fallhöhe die Betriebsdrehzahl der Turbine sinkt, was den Bau großer Turbinen erfordert und zu gewaltigen Drehmomenten führt, die entsprechend aufwendig zu handhaben sind und teuere Generatorenlösungen bedingen. Auch nehmen die Wirkungsgrade bei Fallhöhen kleiner 3 m merklich ab, während die Herstellungs- und Baukosten erheblich steigen, so dass die Amortisationszeiten der Wasserkraftanlage bis in die Unrentabilität anwachsen können. Unterhalb einer Fallhöhe von 1,0 bis 1,5 m erweist sich die hydraulische Pressung als zu gering, um Turbinen für die Energiegewinnung zu nutzen. Die technische Einsatzgrenze von Turbinen lässt sich damit auf ca. 2 m festlegen, während die wirtschaftliche Einsatzgrenze je nach Standortsituation und Randbedingungen bei ungefähr 3 bis 4 m Fallhöhe liegen kann. Neben dem sind Turbinen im ökologisch sehr sensiblen und vielfältig belebten Bereich der Fließgewässer des Flachlandes und der Mittelgebirge genehmigungsrechtlich häufig mit hohen Auflagen belegt und bedürfen aufwendiger Vorrichtungen zum Fischschutz.

NISCHE BEI NIEDRIGER FALLHÖHE
In dem Fallhöhenbereich von 0,4 bis 8,5 m wurden historisch auch Wasserräder verwendet, die jedoch maximal 6 m³/s Durchflussmenge verarbeiten konnten. Im gleichen Bereich einsetzbar sind Wasserkraftschnecken, die eine maximal verarbeitbare Durchflussmenge von 6 m³/s aufweisen. Weiterentwicklungen deuten bei Wasserkraftschnecken zukünftige Einsatzbereiche von 10 bis 15 m³/s Schluckvermögen an. Auch in Bezug auf die maximal verarbeitbare Leistung sind klassischen Wasserrädern ebenso Wasserkraftschnecken Grenzen bei 100 kW bzw. 250 kW gesetzt. Bild 2 zeigt den Einsatzbereich der unterschiedlichen Wasserturbinen in Abhängigkeit der Fallhöhe und des Durchflusses. Dabei sind alle gängigen modernen Turbinengattungen erfasst, von der Pelton-, Francis-, Durchström- bis zur Kaplan-/ Rohrturbine. Jede Turbinengattung besitzt kennzeichnender Weise ihren spezifischen Einsatzbereich, der sich an den Grenzen des Einsatzbereiches der jeweiligen Turbine mit den Grenzen der anderen Gattungen überschneiden kann, so dass in diesem Bereich sowohl Turbinen der einen Gattung als auch Turbinen der anderen Gattung einsetzbar sind. Auffällig ist bei diesem Diagramm aber auch, das es Bereiche gibt, die von den Turbinengattungen nicht abgedeckt werden. Ein besonders großer Bereich befindet sich im Bereich der niederen Fallhöhen und der großen Durchflussmengen, der nach oben hin im Bereich der kleinen Durchflüsse von den Durchströmturbinen und im Bereich der großen Durchflüsse von den Kaplan-/Rohrturbinen begrenzt ist und sich mit dem feststellbaren ungenutzten Wasserkraftpotenzial an Fließgewässer des Flachlandes und der Mittelgebirge deckt. Neben den Turbinengattungen wurden in Bild 2 auch die Einsatzbereiche der Wasserkraftschnecken und der ober-, mittel- und unterschlächtigen Wasserräder dargestellt. Ebenfalls ist die historisch häufig im niederen Fallhöhenbereich verwendete Francis-Schacht-Turbine und die VLH-Turbine eingezeichnet. Bezogen auf das ungenutzte Wasserkraftpotenzial im Bereich der niederen Fallhöhen und großen Durchflussmengen erweisen sich aber auch diese Technologien als ungeeignet, das Potenzial technisch zu erschließen, wie in Bild 2 ersichtlich.

HOCHLEISTUNGSWASSERRADTECHNOLOGIE
In Anbetracht der beschriebenen technischen Lücke wurde an der TU Braunschweig eine Klasse von Wasserkraftmaschinen entwickelt, die in der Lage ist, das Wasserkraftpotential im Bereich der niederen Fallhöhen und der großen Durchflussmengen zu erschließen. Ausgangspunkt für die Technologieentwicklung war, nach der Analyse der Charakteristik des Wasserkraftpotenzials und der derzeit zur Verfügung stehenden Wasserkrafttechnologien, das Überfallwasserrad nach verbesserter Zuppinger Bauart, das es entsprechend zu modifizieren und weiterzuentwickeln galt, um die bestehenden technischen Probleme infolge der großen Durchflussmengen und niedrigen Fallhöhen zu lösen. Für niedrige Fallhöhen zeigen sich dabei die modernen Wasserräder, die ausschließlich die Lageenergie des Wassers nutzen, als die effizientesten Wasserkraftmaschinen, die bei guter Ausführung im Bereich zwischen 0,4 bis 3,0 m von keiner anderen Wasserkraftmaschine bisher übertroffen werden. Den Querschnitt der Hochleistungswasserradtechnologie bildet daher das Überfallwasserrad nach verbesserter Zuppinger Bauart, an dem weitere neuartige, aus strömungsmechanischen Untersuchungen motivierte Modifikationen am Radkörper mit Schaufelapparat und Regulierschütz vorgenommen werden mussten, um die verarbeitbare Durchflussmenge pro Meter Radbreite um bis zu 400 % zu erhöhen und die Effizienz der Maschine von 75–85 % auf 85–92 % zu steigern, wie die bisher durchgeführten theoretischen und numerischen Untersuchungen sowie die experimentellen Versuche am Modellwasserrad im Wasserbaulabor zeigen.

KAUM WISSENSCHAFTLICHE ERKENNTNIS ÜBER XXL-WASSERRÄDER
Das Problem der großen Durchflüsse ist bei der Hochleistungswasserradtechnologie neben der strömungsmechanischen Optimierung durch die Entwicklung besonders großer Wasserräder mit Raddurchmessern von 8 m und mehr, sowie durch die Verwendung von speziell für die Anforderungen des Einsatzbereiches entwickelten neuartigen Hochleistungswellen, die den Bau besonders breiter Wasserräder ermöglicht, gelöst worden. Wissenschaftliche und technische Erkenntnisse und Erfahrungen zum Bau von Wasserrädern solches Maßstabes und solcher Größenordnung besonders hinsichtlich der Radbreite und den großen zu verarbeitenden Durchflussmengen und Leistungen liegen weltweit nicht vor, da Räder dieses Typs eine absolute Neuheit darstellen. Hierzu besteht daher erheblicher Forschungs- und Entwicklungsbedarf, für den im Rahmen der bisherigen Forschungsarbeiten erste vielversprechende Ansätze geliefert werden konnten. Für die Handhabung der gewaltigen Drehmomente, die sich bei der Verarbeitung großer Durchflussmengen im niederen Fallhöhenbereich ergeben, wurde ein besonderes, mit modernsten Herstellungsverfahren produzierbares, robustes und langlebiges neuartiges Hochleistungsgetriebe entwickelt, das Kostenersparnisse von 90 bis 95 % im Vergleichzu den im Maschinenbau üblichen Lösungen erbringt.

SCHLUCKVERMÖGEN BIS 100 m3/s
Die auf der Basis der wissenschaftlich-technischen Neuerungen konstruierbaren Maschinen können nach erfolgreichem Abschluss der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zukünftig voraussichtlich Durchflussmengen von 15 bis 100 m³/s verarbeiten, was im Vergleich zu der historisch bei Wasserrädern maximal verarbeitbaren Wassermenge von 6 m³/s einer Steigerung von bis zu 1.650 % entspricht und dem Schluckvermögen von Turbinen gleich kommt. Fernerhin liegen die Hochleistungswasserräder, die, wie die derzeitigen Entwicklungsprognosen andeuten, zukünftig Leistungen von bis zu 3.000 kW erbringen können, im Vergleich zu den derzeit größten herstellbaren Wasserrädern mit 100 kW Leistung in ihrer Leistungsfähigkeit weit über dem derzeitigen Stand der Technik. In Bild 3 ist neben den modernen Turbinen auch der nach erfolgreichem Abschluss der Forschungs- und Entwicklungsarbeiten denkbare Einsatzbereich der Hochleistungswasserradtechnologie eingezeichnet, der genau dem in Bild 2 gezeigten Bereich des ungenutzten Wasserkraftpotenzials entspricht. Der Einsatzbereich der Hochleistungswasserradtechnologie überschneidet sich dabei mit den Einsatzbereichen der Durchströmturbinen und der Kaplan-/ Rohrturbinen und kann, bei einer Ausführung als Schaufelwasserrad (mittel- und unterschlächtiger Radtyp), zukünftig bei einer Fallhöhe von 0,4 bis 8,5 m und bei einer Durchflussmenge von bis zu 100 m³/s pro Maschine liegen. Bei Verwendung mehrerer Maschinensätze wären so Durchflussmengen bis zu 1.000 m³/s und mehr verarbeitbar. Als Einsatzbereiche der Hochleistungswasserradtechnologie ergeben sich damit die mittlere Wasserkraft mit 0,2 bis 1 MW und die große Wasserkraft mit 1 bis 30 MW.

WIRKUNGSGRADE BIS 92 PROZENT
In Bild 4 ist der Wirkungsgrad bezogen auf die Durchflussmenge und die Turbinenleistung dargestellt. Hierbei zeigt sich, dass die Hochleistungswasserradtechnologie mit dem theoretisch und am Modellrad im Wasserbaulabor experimentell bisher ermittelten 80 bis 92 % Wirkungsgrad den Turbinengattungen ebenbürtig ist und über einen großen Arbeitsbereich verfügt. Kennzeichnend ist dabei, dass der Wirkungsgrad mit fallendem Durchfluss steigt und bis zu 92 % erreichen kann. Bezüglich des großen Regelarbeitsvermögens bei durchgehend hohen Wirkungsgraden zeichnet sich die neue Wasserradtechnologie besonders aus. Das klassische Wasserrad liegt mit seinen Wirkungsgraden um ca. 10 % niedriger als das modifizierte Rad.

FAST HORIZONTALE WG-KURVE
Mit einem bisher theoretisch und experimentell am Modellrad nachweisbaren Arbeitsvermögen von 10 bis 150 % im Durchfluss und 25 bis 180 % in der Fallhöhe zeigt sich die Hochleistungswasserradtechnologie als geeignet, den jahreszeitlichen Gang von Flachlandflüssen zu beschreiben und kann nach derzeitigen Abschätzungen 5 bis 40 % mehr Strom im Vergleich zu den verschiedenen Turbinenarten über den Verlauf eines Jahres produzieren. Dies wird besonders interessant, wenn an einem Standort die Energieausbeute durch die Erhöhung des Ausbaugrades gesteigert werden soll. Gerade hierfür sind hohe Wirkungsgrade auch im Teillastbereich notwendig, die, wie Bild 4 verdeutlicht, bei Wasserrädern im Gegensatz zu Turbinen durch den fast horizontalen Wirkungsgradverlauf gegeben sind. Neben dem bleibt die Technologie, wie die derzeitigen Erkenntnisse und historische Berichte über Wasserräder zeigen, auf Grund des großen Arbeitsvermögens auch im Hochwasserfall besonders lange einsatzfähig. Die Fischfreundlichkeit von Wasserrädern ist in den historischen Fischereigesetzen belegt und konnte auch unter den verschärften Bedingungen von Modellversuchen im Wasserbaulabor mit künstlichen Fischversuchskörpern grundsätzlich bestätigt werden. Umfassende wissenschaftliche Untersuchungen zu diesem Teilaspekt sind erforderlich und müssen maßgeblich am Großrad durchgeführt werden. Bestätigen die Versuche die bisherigen Erkenntnisse, so ist bei einem Wasserrad im Originalmaßstab auf Grund der großen Einströmkammern und der geringen Drehzahl des Rades von 1 bis 3,8 U/min ein Absteigen von Fischen und anderen Wasserlebewesen fahrstuhlgleich direkt durch die Maschine denkbar, woraus sich ein besonders großer ökologischer Nutzen der Technologie ergibt, der in der mittleren und großen Wasserkraft weltweit bisher nicht erreichbar ist.

FORSCHUNGSWASSERKRAFTANLAGE IN CELLE REALISIERT
Nach umfangreichen theoretischen und experimentellen Arbeiten zu der neuen Technologie wird derzeit in Niedersachsen in Kooperation der TU Braunschweig mit der Salzgitter AG mit Unterstützung des Bundeswirtschaftsministeriums und des Landes Niedersachsens eine Forschungswasserkraftanlage am Allerwehr Bannetze im Landkreis Celle errichtet, um die neue Technologie im Großmaßstab zu erproben sowie kurz-, mittel- und langfristige Untersuchungen der Wasserkraftmaschine im Dauerbetrieb zu ermöglichen. Die TU Braunschweig erhielt hierzu mit breiter Unterstützung der lokalen Bevölkerung, der Fischerei und der Natur- und Umweltverbände den Planfeststellungsbeschluss für den Bau und die wasserrechtliche Bewilligung zum Betrieb der Forschungswasserkraftanlage. Vorgesehen ist für die Wasserkraftanlage ein Hochleistungswasserrad mit einer Leistung von 500 kW, einem Schluckvermögen von 60 m³/s und einer Jahresstromproduktion von 2.500 MWh, mit der ca. 1.000 Haushalte dauerhaft mit Strom versorgt werden können. Das Wasserrad wird als unterschlächtiges Schaufelwasserrad mit 60 Schaufeln, mit einem Raddurchmesser von 11 m und einer Radbreite von 12 m ausgeführt (11 m Klasse SWR-11-12). Die Drehzahl des Wasserrades liegt bei 1 bis 3,8 U/min. Für die Optimierung und Weiterentwicklung der neuen Technologie erfolgt ein umfangreiches Versuchs- und Messprogramm, in dem mechanische, hydraulische und ökologische Aspekte untersucht werden. Eine Seiten- und Unterwasseransicht der Forschungswasserkraftanlage ist in Bild 1 und 6 dargestellt. Das Modellwasserrad der 8 m Klasse SWR-8-10 im Maßstab 1:10 mit 48 Schaufeln zeigt Bild 5.

Teilen: