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Tabula Rasa bringt Leistungsschub9 min read

29. November 2013, Lesedauer: 6 min

Tabula Rasa bringt Leistungsschub9 min read

Lesedauer: 6 Minuten

Im Kraftwerk Wannebode im Kanton Wallis wurden die vier Maschinen durch eine 4-düsige Peltonturbine aus dem Hause Troyer AG ersetzt. Der neue Maschinensatz liefert nun 20 Prozent Mehrertrag ins Netz.

Es ist vor allem die Großwasserkraft, die aus der Gesamtenergiestatistik des politischen Bezirks Goms im Kanton Wallis herausragt. Die vier leistungsstärksten Wasserkraftwerke in der Bergregion im obersten Teil des Rhonetals erzeugen im Jahr rund 490 GWh Strom. Hinzu kommen rund 30 GWh aus Kleinwasserkraftwerken. In dem dünn besiedelten Gebiet mit gerade einmal 5.500 Einwohnern auf einer Gesamtfläche von 650 km2 setzt man seit langem auf die Nutzung der Wasserkraft, sie stellt heute die zentrale Energiequelle für das Goms dar.
Insgesamt listet die regionale Statistik 13 Wasserkraftwerke auf, von denen acht eine installierte Leistung unter 3 MW aufweisen. Dazu zählt auch das Kraftwerk Wannebode der Blinnenwerk AG, das auf dem Gemeindegebiet von Reckingen-Gluringen liegt. Das 1989 in Betrieb genommene Kraftwerk nutzt den Blinnenbach, der sich vom Blinnenhorn, dem höchsten Gipfel (3.374 m) am Nufenenpass, talwärts schlängelt. Das Triebwasser wird auf einer Seehöhe von circa 1530 Meter über ein Tirolerwehr eingezogen und über ein insgesamt 1.330 Meter langes Leitungs-system an die 164 Meter tiefer gelegene Maschinenzentrale geführt. Bis Anfang des letzten Winters bestand das darin installierte Maschinenensemble aus drei baugleichen Pumpturbinen mit einem Schluckvermögen von je 425 l/s sowie einer zweidüsigen Peltonturbine, die auf eine Ausbauwassermenge von 350 l/s ausgelegt war. Im Regeljahr erzeugte das Kraftwerk Wannebode rund 6,4 GWh.

QUARTETT MIT SCHWÄCHEN
Beeindrucken konnte die Anlage mit diesen Produktionsdaten nicht. Den Betreibern war schon länger bewusst, dass das Kraftwerk nicht gerade an den Grenzen der technologischen Machbarkeit arbeitete. „Aus heutiger Sicht muss man einräumen, dass man Mitte der 1980er Jahre eine effizientere Maschinenlösung hätte finden können. Man hätte damals wohl um den gleichen Preis eine bessere Anlage bauen können. Es sind dabei aber unterschiedliche Dinge schiefgelaufen“, erklärt Urban Paris. Er ist nicht nur Verwaltungsratspräsident der Blinnenwerk AG, die zum größten Teil der Gemeinde Reckingen-Gluringen gehört, sondern auch ein erfahrener Planungsingenieur, unter dessen Ägide letztlich der Umbau des Kraftwerks vonstatten gehen sollte.
Konkret gab es vor allem zwei Aspekte an der alten Maschinenkonfiguration zu bemängeln: ein zu geringer Wirkungsgrad und eine äußerst schwere Steuerbarkeit. Letzteres war auch der Grund dafür, warum die Anlage die ursprünglich intendierte Funktion der Spitzenstromerzeugung nicht wahrnehmen konnte. „Die Erbauer haben unmittelbar nach der Wasserfassung ein unterirdisches Ausgleichsbecken mit einem Nutzvolumen von 3.000 m3 angelegt. Es sollte dazu dienen, dass man speziell im Winter hier in der Nacht Wasser staut, um es tagsüber in Zeiten erhöhten Bedarfs abzulassen. Aber durch die sehr limitierten Möglichkeiten der Steuerung dieser vier Maschinensätze konnte davon kaum Gebrauch gemacht werden.“

AM ENDE DER LEBENSDAUER
Dass der Wirkungsgrad bei einer als Turbine verwendeten Pumpe hinter jeder halbwegs modernen Hochdruckturbine hinterherhinkt, ist keine Überraschung. Mit 73 bis 74 Prozent wurde jener der drei Pumpturbinen im KW Wannebode angegeben. Doch zum Leidwesen der Betreiber erreichte die installierte zweidüsige Peltonturbine noch deutlich weniger: „Je nach Beaufschlagung kam die Maschine auf einen Wirkungsgrad von 60 bis 65 Prozent. Da liegen in der Tat Welten zwischen dieser Turbine und einer modernen. Dabei war ja die Peltonturbine die einzig regelbare von den installierten Maschinen. Sie ist im Winter die meiste Zeit über allein durchgefahren – und mit Beginn der Schneeschmelze hat sich dann eine um die andere Pumpturbine zugeschaltet“, schildert Paris.
Die Pumpturbinen näherten sich in den letzten Jahren darüber hinaus auch dem Ende ihrer technischen Lebensdauer. Und so fiel den Verantwortlichen der Betreibergesellschaft, einer Aktiengesellschaft, in der neben der Gemeinde auch drei Kraftwerksgesellschaften als Minderheitseigentümer vertreten sind, die Entscheidung zugunsten eines Austausches der elektromaschinellen Ausrüstung nicht allzu schwer. „Dass wir ‚tabula rasa‘ machen wollten, war klar. Aber wie die Lösung am Ende konkret aussehen sollte, ergab sich erst durch ein intensives Variantenstudium. Dieses führte uns letztlich dazu, alle vier Maschinensätze durch einen einzigen mit einer modernen vierdüsigen Peltonturbine zu ersetzen“, so der Planer.

ENGES ZEITKORSETT FÜR AUSRÜSTER
Dem Beschluss für den Umbau folgte prompt im vergangenen Jahr eine internationale Ausschreibung, aus der die Firma Troyer AG aus dem Südtiroler Sterzing als Sieger hervorging. „Da ich häufiger in Südtirol unterwegs war, hatte ich zuvor schon Gelegenheit gehabt, Kraftwerke zu besichtigen, die von der Firma Troyer ausgerüstet worden waren. Ehrlich gestanden, ich war sehr angetan von dem, was ich gesehen habe, und war dann erfreut zu hören, dass unser Wasserkraft-Partner das Sterzinger Traditionsunternehmen sein würde“, erklärt Urban Paris.
Für die Wasserkraftspezialisten aus dem Eisacktal, die mittlerweile auch schon auf eine lange Schweizer Referenzliste verweisen können, brachten zwar die technischen Erfordernisse keine außergewöhnlichen Herausforderungen mit sich. Doch dafür hatte es der enge Zeitplan in sich. Es galt, den gesamten Umbau in der Niederwasserphase des letzten Winters, konkret von Anfang Januar bis zum 1. Mai, über die Bühne zu bringen. Die Ärmel wurden hochgekrempelt.

TRANSPORT ALS MILLIMETERARBEIT
An der Bausubstanz des Gebäudes wurde äußerlich nichts verändert. Im Inneren wurde nach Abbruch der alten Maschinen lediglich der Hallenboden für die neue Turbine abgesenkt und das Tragsystem getauscht. „Wir hatten zuvor einen 5-to-Kran installiert. Der wäre mit dem 21-to-Generator nicht zu Rande gekommen. Also wurde der alte Kran gegen einen leistungsstarken 25-to-Kran ausgewechselt“, so Urban Paris. Damit waren die wesentlichen Voraussetzungen für den Einbau des Maschinensatzes erfüllt.
Doch dann sollte der wohl heikelste Abschnitt im Verlauf des Umbauprojektes folgen. Paris Urban: „Wir hatten zuletzt einen strengen Winter mit viel Schnee. Und das wirkte sich auch auf die Montagearbeiten aus. Vor allem die Anlieferung von Generator und Turbine wurde zur Nagelprobe. So musste etwa der Schnee von einer Holzbrücke hier im Ort zuerst geschaufelt werden, um das zulässige Gesamtgewicht nicht zu überschreiten. Doch damit war es nicht abgetan, denn mit einem Spielraum von rund 1 cm nach oben und unten erforderte die Durchfahrt des Spezial-Tiefgängers durch die überdachte Holzbrücke viel Fingerspitzengefühl.“ Das Montageteam der Troyer AG konnte dabei Know-how und Erfahrung unter Beweis stellen. „Es hat nicht nur die Chemie gestimmt. Auch die geleistete Arbeit war exzellent“, findet der Verantwortliche der Blinnenwerk AG lobende Worte.

ALLE AUFLAGEN DER KEV ERFÜLLT
„Ich kann es nur als Kompliment aussprechen, dass die neue Turbine mit der Minimal-Verspätung von gerade einmal 15 Stunden den Betrieb aufnahm. Am Nachmittag des 2. Mai gingen wir mit der Maschine ans Netz. Dass das Projekt trotz aller Widrigkeiten und Unwägbarkeiten in dieser kurzen Zeit realisiert werden konnte, ist höchst erfreulich“, sagt Urban Paris. Noch mehr freut die Betreiber allerdings, dass sich das Laufrad seit diesem Zeitpunkt nicht mehr aufgehört hat zu drehen. Und natürlich, dass der garantierte Wirkungsgrad sogar noch übertroffen wurde. „Obwohl die installierte Leistung mit einer Turbine nun unter jener der vier alten Maschinen liegt, ist die tatsächliche Wirkleistung heute bedeutend höher. Wir können damit rechnen, dass der neue Maschinensatz eine Produktionssteigerung von 20 Prozent ermöglicht.“
Das bedeutet, dass die Anlage nun auch die Anforderungen der KEV, der „Kostendeckenden Einspeisevergütung“, erfüllt. Das Kraftwerk wurde bereits in die entsprechende KEV-Warteliste aufgenommen.

GERÜSTET FÜR DEN NOTFALL
Mit dem Tausch der elektromaschinellen Ausrüstung ging auch ein Quantensprung in Sachen Steuerbarkeit einher. Mit der von der Firma Troyer integrierten Automations- und Regeltechnik kann das Kraftwerk nun auch die Lieferung von Spitzenenergie übernehmen. Gerade für die nun kommende Niederwasserphase im Winter wird dies ein Thema für die Betreiber sein.
Ein anderes war die Inselbetriebs- und Schwarzstartfähigkeit des Kraftwerks, was ebenfalls von den Sterzinger Kraftwerksspezialisten verwirklicht wurde. Warum dies von großer Bedeutung für die Gommer Betreiber ist, erörtert Urban Paris: „Das alpine Hochtal hier erlebte ja schon des Öfteren Lawinenkatastrophen. Und gerade Lawinen können die durch das Tal verlaufende 16-kV-Leitung schwer beschädigen. Zuletzt ist das 1999 passiert. Zwar liefern wir aus historischen Gründen den hier erzeugten Strom nicht in das Netz von Reckingen-Gluringen, aber im Notfall wird natürlich hier eingespeist, um die beiden Dörfer zu versorgen. 1999 war dies für uns eine Riesen-Herausforderung, da damals noch alles von Hand aus reguliert werden musste. Mit der nun von Troyer realisierten automatischen Insellösung sollte auch ein derartiger Notfall sehr gut beherrschbar sein.“

GUT AUCH IM TEILLASTBEREICH
Was die vierdüsige Peltonturbine angeht, so ist sie auf eine Fallhöhe von 164 Meter und eine Ausbauwassermenge von 1.625 l/s ausgelegt. Erfahrungsgemäß geht die nutzbare Wassermenge im Winter bis auf etwa 200 bis 250 l/s zurück. Bei diesem Durchfluss kann die Turbine immer noch mit einer Düse in einem recht guten Wirkungsgrad am Netz bleiben.
Direkt an die vertikale Turbinenwelle ist der Synchrongenerator gekoppelt, der mit einer Nenndrehzahl von 500 Upm angetrieben wird. Es handelt sich dabei um ein Fabrikat der TES, des tschechischen Herstellers aus Vsetin, der speziell in der Wasserkraft einen guten Namen hat. „Es ist noch zu früh über Erfahrungen mit dem Generator zu sprechen. Ich kann nur sagen, dass die technische Dokumentation ausgezeichnet ist. Und natürlich hat auch der Liefertermin gepasst“, resümiert Paris.
Der Generator ist wassergekühlt, wobei man die Abwärme dazu nutzt, die doch recht große Maschinenzentrale im Winter zu beheizen. Durch die Wasserkühlung arbeitet die Maschine auch in einem sehr moderaten Geräuschbereich. Vom Generator wird der Strom zum Transformator geführt, wo er auf die 16 kV-Ebene des Netzes des E-Werks Brig-Aletsch-Goms hochgespannt wird, in welches er letztlich eingespeist wird.


WEG FÜHRT IN DIE ENERGIEAUTARKIE
Gerade einmal vier Monate nahm das Umbauprojekt am Kraftwerk Wannebode in Anspruch, in das die Blinnenwerk AG rund 2 Millionen CHF (1,66 Millionen E) investiert hat. Eine Investition, die sich als höchst sinnvoll, und ein Projekt, das sich als erfolgreich, herausgestellt hat. Unter dem Strich steht eine Mehrproduktion von 20 Prozent, ohne dass etwas an den hydraulischen Bedingungen des Kraftwerks geändert werden musste.
Die Betriebs-Gesellschaft hat damit im Walliser Bezirk im oberen Rhonetal nicht nur einen weiteren Schritt in die seit dem Jahr 2007 explizit angestrebte Energieunabhängigkeit und den Ausbau der erneuerbaren Energien getan, sondern auch ein eindrucksvolles Musterbeispiel geliefert, welche Möglichkeiten auch in Erneuerungen und Retrofitprogrammen stecken.
Goms ist eine Region, die auch weiterhin auf die Wasserkraft setzen wird. Nach Angaben der energieregionGOMS liegt derzeit noch ein wirtschaftlich nutzbares Wasserkraftpo-tenzial von 135 GWh brach, das in Anbetracht der aktuellen energiewirtschaftlichen Entwicklungen wohl Schritt für Schritt genutzt werden sollte. Gut möglich, dass dabei die ausgereifte Maschinentechnologie aus Südtirol erneut einen Beitrag leisten könnte.

 

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