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Privates Kraftwerksprojekt an der Enz8 min read

3. Feber 2013, Lesedauer: 6 min

Privates Kraftwerksprojekt an der Enz8 min read

Lesedauer: 6 Minuten

Die erste urkundliche Erwähnung der Oberen Mühle in Vaihingen an der Enz stammte bereits aus dem Jahre 1447, dort waren in der Blütezeit bis zu 8 Mühlräder zur Wasserkraftnutzung im Einsatz.

Ende des 19. Jahrhunderts wurde an diesem Standort der Mühlbetrieb aufgegeben und mit der Installierung einer Jonval-Turbine auf elektrische Energieerzeugung umgestellt. Nach dem zweiten Weltkrieg ersetzte man eine zwischenzeitlich eingebaute Francis-Turbine schließlich durch eine solide Voith-Kaplanturbine, welche jetzt schon seit über 60 Jahren am ehemaligen  Mühlenstandort ihren Dienst verrichtet.

Im Jahre 1971 interessierte sich das Ehepaar Elsbeth und Alfred Auch, Besitzer und Betreiber der Unteren Mühle an der Enz, der heutigen Vaihinger Mühle für den Erwerb des ca. 800 Meter flussaufwärts gelegenen Wasserkraftwerks Obere Mühle. Seine Bedingung für den Kauf der Anlage war eine direkte Durchleitung vom Kraftwerk zur Stromversorgung seines Mühlenbetriebs, dies wurde dem geschäftstüchtigen Müllermeister schließlich gewährt. Somit konnte seine Familie für die nächsten 35 Jahre ca. die Hälfte des vom Wasserkraftwerk Obere Mühle produzierten Prozent wurden ins öffentliche Netz eingespeist.

NEUE REGELUNG LEITET UMDENKPROZESS EIN
Diese Versorgungssituation änderte sich 2005 in Folge einer gesetzlichen Änderung, wonach man den Eigenbezug für den Betrieb und die Einspeisung ins öffentliche Netz trennen musste. Somit war keine direkte Versorgung der eigenen Getreidemühle mit selbst produziertem Strom aus Wasserkraft mehr möglich, und bei der damaligen Vergütungssituation war der Betrieb des in die Jahre gekommenen Wasserkraftwerks zur reinen Netzeinspeisung wenig wirtschaftlich geworden. Als im Jahre 2009 zudem noch der Generator schadhaft wurde, musste sich die nächste Generation um Müllermeister Manfred Auch mit seiner Familie grundsätzliche Gedanken über die Zukunft der eigenen Wasserkraftanlage machen.

MUTIGE NEUBAUENTSCHEIDUNG MIT BLICKRICHTUNG ZUKUNFT
Zusammen mit Fachleuten beleuchtete man alle Paramater des
Standorts Obere Mühle und kam schließlich zu dem Schluss, dass mit der Altanlage viel Erzeugungspotential an diesem  Flussabschnitt ungenutzt blieb. Die Ausbauwassermenge der alten Kaplanturbine betrug maximal 8,0 m3/s, bei einem Mittelwasserabfluss der Enz bei Vaihingen von ca. 20 m3/s und einem eher ausgeglichenen hydrologischen Regime sah man die Möglichkeit für eine beträchtliche Steigerung des energiewirtschaftlich nutzbaren Durchflusses. Bei der Abwägung zwischen grundlegender Modernisierung der Altanlage und dem Bau eines komplett neuen Wasserkraftwerks unmittelbar daneben entschied sich der mutige Bauherr Manfred Auch schließlich für die zweite Variante. Diese Entscheidung wurde schon mit Weitblick auf die nachfolgende Generation getroffen, denn mit Sohn Johannes hatte Müllermeister Manfred Auch nicht nur einen tatkräftigen, sondern auch fachlich beschlagenen Unterstützer für das Projekt an seiner Seite. Als Diplomstudent der Fachrichtung Maschinenbau am Institut für Strömungsmechanik und hydraulische Strömungsmaschinen der Universität Stuttgart brachte der Filius einiges an technischem
Know-how in das Projekt mit ein.


TURBINENAUSLEGUNG IN AKRIBISCHER DETAILARBEIT
Das ambitioniert zu Werk gehende Vater-Sohn-Gespann arbeitete den Vorantrag zur Einreichung des Neubauprojekts beim Landratsamt in Eigenregie aus, für die Entwurfs- und Ausführungsplanung sowie Ausschreibung und Vergabe holte  man sich das Ingenieurbüro Alwin Eppler mit ins Boot. Die Auslegung und Dimensionierung der neuen Kraftmaschine, man
entschied sich für eine vertikalachsige Kaplan-Turbine, gestaltete sich zur akribischen Detailarbeit unter Abwägung verschiedenster Parameter. Zuerst wurden für das neue Aggregat ca. 18 m3/s Ausbaudurchfluss veranschlagt, der daraus resultierende Laufraddurchmesser hätte jedoch größere Dimensionen im Betonbau der Anlage erfordert. Eine Reduzierung des Durchmessers um 10% bei einem immer noch stattlichen
Turbinenschluckvermögen von 15 m3/s kristallisierte sich
schließlich als wirtschaftlichste Lösung heraus, unter Abwägung des zu erwartenden Jahresarbeitsvermögen mit den Herstellungskosten.

VOLLGEHEBERTE TURBINE ALS PERFEKTE LÖSUNG
FÜR GERINGE FALLHÖHE
Den eigentlichen Clou dieser neuen Anlage stellt aber die Einbauhöhe der neuen Turbineneinheit dar. Da am Standort der Oberen Mühle eine Fallhöhe von lediglich 1,5 m für die Energieerzeugung zur Verfügung steht, entschied man sich beim Neubau der Wasserkraftanlage für eine vollgeheberte Lösung.
Bereits die alte Kaplanturbine wurde in teilgeheberter Weise eingebaut, die neue Kraftmaschine wollte man noch ein gutes Stück höher einbauen, und das aus gutem Grund: Denn dadurch musste man beim Neubau des Krafthauses nicht so tief gründen und auch der Betonbau für den Auslauf aus dem Saugrohr konnte erheblich kürzer gestaltet werden. Diese Einsparungen wogen die Kosten für die Vollheberung inklusive Pumpe und Belüftungsventil von ca. 10.000,- Euro bei weitem auf, zudem war die gesamte Anlage nun hochwassersicher, da der neue Turbinenhausboden nun gut einen halben Meter über dem
Wasserspiegel des HQ100 liegt. Die Unterkante des neuen Turbinenleitrades liegt nun ca. einen halben Meter über dem Normalwasse rstand des Oberwassers. Für den Turbinenanlauf wird die Luft in der Turbinenkammer mittels einer Vakuumpumpe komplett ab gesaugt , der dadurch entstehende Unterdruck  sorgt für das Ansaugen des Triebwassers über das Oberwasserniveau in den Leitapparat, von wo es dann senkrecht
hinab auf die Turbinenschaufeln zur Energieerzeugung geleitet wird.


OBERÖSTERREICHISCHER TURBINENHERSTELLER
MIT BESTEM PACKAGE
Bei der Suche nach dem geeigneten Turbinenpartner für dieses spezielle Projekt werteten Manfred und Johannes Auch eine Vielzahl von maschinentechnischen Informationen vor dem Hintergrund der standortspezifischen Parameter bei der Oberen Mühle aus. Von allen Angeboten konnte schließlich jenes des oberösterreichischen Turbinenherstellers Global Hydro Energy (GHE) aus Niederranna am meisten überzeugen. Zudem konnten
die Projektbetreiber eine in etwa gleichwertige, bestens funktionierende Referenzanlage von GHE mit einer Fallhöhe von 1,60 Meter besichtigen, was den Beschluss zur Zusammenarbeit
nur noch weiter bestärkte. Die im neuen Krafthaus installierte doppeltregulierte GHE-Kaplanturbine mit vertikaler
Achse hat einen Durchmesser von über 2,5 Meter und erzeugt beim Ausbaudurchfluss von 15 m3/s ca. 200 kW Leistung. Die durch die geringe Fallhöhe sehr niedrige Drehzahl von 69 Umdrehungen pro Minute erforderte eine Getriebeübersetzung für den Synchrongenerator, da die Dimensionen desselben ansonsten jeden Rahmen gesprengt hätten.

NEUE WEHRANLAGE AN NEUEM STANDORT
Im Umfeld des neuen Krafthauses wurde auch die Wehranlage komplett neu gebaut. Das alte gemauerte Dachwehr mit Betonüberzug und einem 50 cm hohen Holzaufsatz war schon sehr baufällig und nicht mehr in die neue Anlage zu integrieren, deshalb beschloss man mit der neuen Wehranlage ca. 30 Meter flussabwärts zu rücken. Der gesamte Stahlwasserbau des neuen Wasserkraftwerks wurde an die österreichische Firma Danner Maschinenbau vergeben. Dieser installierte am neuen Wehrkörper eine 20 Meter breite und 1,2 Meter hohe  Wehrklappe, einen 7,0 Meter breiten und 3,2 Meter hohen Grundablassschütz sowie einen Einlaufschütz mit der Breite von 9,0 Meter und einer Höhe von ebenfalls 3,2 Meter. Auch der
großflächige Rechen mit knapp 55 m2 sowie die Rechenreinigungsmaschine wurden von der Firma Danner geliefert und montiert. Durch die neuerrichtete Wehrklappe und den neuen Grundablassschütz kann der Wasserspiegel nun optimal gehalten werden und auch die Hochwasser-Abfuhr wurde
dadurch verbessert. Eine elegante Lösung für anfallendes Treibgut stellt die überflutete Spülrinne am Rechen dar, über welche das anströmende Geschwemmsel bei Öffnung des Spülschützes einfach ins Unterwasser weitergeleitet wird. Zudem kann diese Vorrichtung auch als Möglichkeit für den Fischabstieg dienen.

TECHNISCHER UND NATURNAHER FISCHAUFSTIEG
AN NEUEM KRAFTWERK
Apropos Fische: Nachdem die Betreiberfamilie Auch bereits im Jahre 2009 die alte Wasserkraftanlage fischdurchgängig  gestaltete, indem ein kleiner Altarm der Enz mit einer rauen Rampe wieder an den Fluss angebunden wurde, schrieb man seitens der Behörde an der neuen Wehranlage einen weiteren
Fischaufstieg vor. Dieser wurde in Form eines klassischen Vertical-Slot-Passes realisiert, der mit 200 Liter pro Sekunde für die Fischarten der oberen Barbenregion dotiert wird. Neben den 1,2 m3/s Abfluss über die raue Rampe werden somit rund 1,4 m3/s Enzwasser ständig für die Herstellung der ökologischen
Durchgängigkeit dieses Abschnittes vom Triebwasser abgezweigt. Zusammen mit der Abstiegsmöglichkeit über die Spülrinne kann die neue Wasserkraftanlage in Vaihingen somit zu Recht als ökologisch vorbildlich bezeichnet werden.

INTEGRIERTE GESAMTLÖSUNG FÜR ANLAGENSTEUERUNG
Die Steuerung des neuen Wasserkraftwerks wurde ebenfalls von der Firma Global Hydro Energy als Komplettpaket realisiert. Die
GHE-Spezialisten haben nämlich auch die Steuerung der Stahlwasserbaukomponenten wie Klappen, Schütze und Rechenanlage mit in eine Gesamtlösung einbezogen, somit können die Betreiber die gesamte Anlage zentral und mit modernsten Überwachungsfunktionen problemlos steuern und regeln. Die Einbindung der immer noch laufenden alten Kaplan-Turbine aus dem Jahre 1946 in das neue Kraftwerkskonzept wurde sehr pragmatisch angelegt. Da die Regelung des alten
Aggregats noch recht aufwendig per Hand bzw. teilautomatisch über eine mechanische Vorrichtung erfolgt und auch der Wirkungsgrad gute 15 % unterhalb der neuen GHEKaplanturbine
liegt, wird die altehrwürdige Voith-Maschine nur an wenigen, sehr abflussstarken Monaten im Jahr für die Stromproduktion zugeschaltet. Selbst niedrigere Abflüsse werden somit ausschließlich von der neuen, größeren Turbine abgearbeitet, auf
Grund der weit besseren Regelbarkeit und höheren Effizienz.
Künftig ist mit der Firma GHE bereits angedacht, die alte Wasserkraftanlage soweit in das neue Gesamtsteuerungskonzept miteinzubeziehen, sodass man über Fernzugriff die Daten abrufen und gegebenenfalls auch  eingreifen kann.


AMBITIONIERTE BAUHERRN MIT HOHEM EIGENLEISTUNGSANTEIL
Das ambitionierte Neubauprojekt in Vaihingen an der Enz verlangte von Vater Manfred und Sohn Johannes einiges an Mut, Vertrauen und vor allem Pioniergeist. Man versuchte zudem, die unvermeidbaren, durch kleinere Projektanpassungen  entstandenen Mehrkosten durch einen möglichst hohen EigenleistungsanteilEigenleistungsanteil wieder auszugleichen. Ob das Errichten des Geländers beim Kraftwerk, der Einbau der Fenster im Krafthaus, die Schalung und Untergrundvorbereitung beim Bau der Fischtreppe sowie die Konzeption der Heberanlage – man scheute sich seitens der Bauherrschaft nicht, selbst kräftig Hand anzulegen, um das ehrgeizige Wasserkraftprojekt möglichst effizient voranzutreiben.

GÜNSTIGE RAHMENBEDINGUNGEN FÜR MUTIGES PROJEKT
Vom Fällen der ersten Bäume im Februar 2011 über den Baubeginn im Mai 2011 mit den lokalen Firmen Gayer Erdbau und Hirschberger & Kusterer bis zur Inbetriebnahme der neuen Anlage Ende März 2012 benötigte man etwas mehr als ein Jahr für die Projektausführung und lag damit gut im geplanten Zeitrahmen. Mit einem Jahresarbeitsvermögen von 1,35 Millionen kWh der beiden Anlagen, wobei auf das neue Kraftwerk allein 1,2 Millionen kWh pro Jahr entfallen, sehen die Betreiber
hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit der neugebauten Anlage durchaus optimistisch in die Zukunft. Gestützt auf die  Vergütungssicherheit durch das EEG und auf die für Kredite
momentan sehr günstige Geldmarktsituation steht dieses streng kalkulierte private Kraftwerksprojekt weiterhin unter einem guten
Stern und belohnt die ambitionierten Initiatoren für ihr mutiges Engagement.

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