Südtriols größtes privates KW am Netz9 min read
Lesedauer: 6 MinutenIm September 2011 kam der große Moment für eines der spannendsten Wasserkraftprojekte in Südtirol der jüngsten Vergangenheit: Das Kraftwerk „In der Klamme“ wurde ans Netz geschaltet.
Vorangegangen waren 18 Monate intensiver Bautätigkeit, in denen sowohl in technischer als auch in ökologischer Hinsicht neue Wege beschritten und neue Ideen verwirklicht wurden. Heute erzeugt die Anlage, die mustergültig in den Naturraum Ahrntal integriert wurde, rund 27 GWh sauberen Strom im Jahr.
Ein Kraftwerk im Nahbereich eines Naturparks zu errichten, braucht Fingerspitzengefühl und ein gutes Konzept. Vor allem dann, wenn es um ein Wasserkraftwerk geht, das im Vorfeld durchaus für kontroverse Diskussionen gesorgt hatte. Doch die Pläne – entwickelt vom Brunecker Planungsbüro Studio G – hatten nicht umsonst den Vorzug gegenüber Mitbewerbs-Projekten bekommen. Schließlich gelang es den Planern aus dem Pustertal, wirtschaftliche Ökostromerzeugung mit einer ökologisch und landschaftsästhetisch hochwertigen Lösung in Einklang zu bringen. Ein Beleg dafür: das Krafthaus, das man soweit möglich unterirdisch errichtete, dessen Frontfassade mit örtlichen Holzmaterialien verkleidet und das letztlich mit bewehrter Erde begrünt wurde. In unmittelbarer Nähe wurden im Rahmen der Ausgleichsmaßnahmen noch ein Amphibien- und ein Fischteich angelegt.
PLANERISCHE KOOPERATION
Gemäß dem ursprünglichen Plan wird das Triebwasser in St. Peter aus der Ahr abgeleitet – und weiter über einen 1.300 Meter langen Druckstollen und anschließend über eine 2.000 Meter lange, unterirdisch verlegte Druckrohrleitung zum Maschinenhaus geleitet. Ein komplexer Triebwasserweg, dessen Planung um Umsetzung zu den Kernherausforderungen des Projektes zählte. Für die Fachplanung von Stollenbau und Hydraulik, die Fachbauleitung, sowie die ÖBA Stollenbau wurde der Auftrag an das Planungsbüro BERNARD INGENIEURE aus Hall vergeben. Das Südtiroler Planungsbüro Patscheider und Partner wurde mit Statik und statischer Bauleitung beauftragt. Die Kooperation der drei Planungsbüros klappte bestens. Die optimale Koordinierung stellte die Grundlage dafür dar, dass die aufwändigen Bauarbeiten am Ende im Zeit- und Kostenplan gehalten werden konnten. Mithilfe einer 145 m langen Tunnelbohrmaschine wurde der allergrößte Teil des Stollenausbruchs bewerkstelligt. Am 24. Oktober 2010 erfolgte der Durchschlag am Ostportal – ein echter Meilenstein des Kraftwerksprojektes. In der Folge schritten die Bauarbeiten zügig voran, selbst die frostigen Temperaturen des Winters 2010/2011 brachten den Projektverlauf icht ins Stocken.
VERLEGUNG AUF ENGSTEM RAUM
Was das Projekt grundsätzlich auszeichnet, ist die Tatsache, dass die meisten Komponenten der Anlage unterirdisch angelegt und später in das natürliche Gelände integriert wurden. Dies gilt natürlich in erster Linie für die Druckrohrleitung. Selbige wurde mitsamt dem Trassenverlauf in Zusammenarbeit der Firmen Amitech und Wieser OHG aus Mühlen in Taufers projektiert und verlegt. Eine echte Herausforderung für das Bauunternehmen: Schließlich waren nur minimale Toleranzen vorgegeben. Dazu der Planer Dr. Ing. Anton Griessmair: „Bei der oberirdischen Verlegung im Rohrstollen mit 3,90 m Durchmesser wurden hohe Ansprüche an Präzision und Zeit gestellt. In nur 25 Arbeitstagen verlegte die Wieser OHG auf engstem Raum circa 1.300 lfm des GFK Rohres DN1800, wobei 300 lfm davon als Bogen ausgeführt werden mussten.“ Im Stollen erfolgte die Rohrverlegung auf vorgefertigten, verzinkten Rohrsätteln. Für die Einbringung der Rohre in den Stollen wurden diese selbst als Deichsel verwendet. Die restlichen 2 der insgesamt 3,3 Kilometer langen Triebwasserleitung verlegte das Team der Wieser OHG unterirdisch im Erdreich. Dieser Bauabschnitt stellte bis auf zwei Steilstufen keinerlei größere Herausforderung für die Baufirma dar. Dass die Verlegung professionell durchgeführt wurde, belegte die Druckprobe, die auf Anhieb ein erfolgreiches Ergebnis lieferte.Neben den Rohrverlungsarbeiten war Wieser OHG beim Bau des Kraftwerks „In der Klamme“ noch mit sämtlichen Erdbewegungsarbeiten beauftragt. Beide Baulose wurden zur vollen Zufriedenheit der Projektträger abgewickelt. Seit Jahren ist das Unternehmen führend bei der Realisierung von Groß- und Kleinkraftwerken in ganz Norditalien.
UNTERIRDISCHE INFRASTRUKTUR
Auch die in einer Felskaverne angelegte Doppelkammer-Entsandungsanlage gilt als prägender Bestandteil der Anlage, der wenig von einer Standardlösung hat. 9500 m3 Fels mussten für dessen Errichtung ausgebrochen werden. Gut 83 Meter beträgt die Länge des Sandfangs, der zusätzlich mit einer Verjüngung in Flaschenhalsform für 12,30 Meter ausgeführt wurde. Speziell dieser komplexe Übergang von der Fassung zum Sandfang entpuppte sich für die Planer als knifflige Angelegenheit, wie von Seiten der Projektleitung von BERNARD INGENIEURE zu hören war. Die Entsandungsanlage wurde in Zusammenarbeit der beiden Baufirmen Strabag AG und Unionbau GmbH exakt nach den Vorstellungen von Planern und Bauherrn errichtet. Neben dem Aspekt eines landschaftsschonenden Vorgehens lagen die wesentlichen Gründe für die unterirdische Bauweise an den beengten Platzverhältnissen, an den örtlichen Gegebenheiten und am Schutz vor allfälligen Lawinen. Selbstredend bringt diese Bauweise auch den großen Vorteil mit sich, dass sie für den Betrieb in den kalten Wintermonaten optimale Voraussetzungen bietet. Ebenso wenig oberirdisch erkennbar wurde auch das Wasserschloss realisiert. Das ehemalige Tunnelportal wurde nach dem Einbau der Druckrohre wieder mit Aushubmaterial und Erdreich gefüllt, das Gelände zurückgebaut, an das bestehende Gelände angepasst und für die zukünftige Bewirtschaftung wieder vorbereitet. Nach den groben Geländemodellierungen wurde die sorgfältig abgetragene und zwischengelagerte Humusschicht wieder aufgetragen.
MIT GRÖSSTER RÜCKSICHT AUF DIE NATUR
Für die Erhaltung der limnologischen und fischbiologischen Lebensraumqualität in der Ausleitungsstrecke wird eine großzügige Restwasserdotation garantiert. Entsprechend den Vorschlägen der zuständigen Landesämter Südtirols sieht diese eine Restwasserabgabe vor, die sich aus einem Fixanteil von 350 l/s über die Fischtreppe und einem dynamischen Anteil von über 25 Prozent – rückgerechnet von den Öffnungen der Turbinendüsen – an der Wasserfassung zusammensetzt. Zusätzlich werden in der betroffenen Gewässerstrecke einige Konsolidierungssperren mittels einer Sohlrampe rückgebaut, um auch dort die Durchgängigkeit für die Fische zu gewährleisten. Neben den Milderungsmaßnahmen, die unter anderem die möglichst landschaftsschonende Bauweise beinhalteten, galt es für den Projektträger, auch Umwelt-Ausgleichsmaßnahmen durchzuführen. Umgesetzt wurden diese im Rahmen der landschaftsökologischen Baubegleitung von Dr. Kurt Kußtatscher (Büro für Landschaftsökologie TRIFOLIUM, Bozen). In deren Mittelpunkt standen vor allen Dingen Konzepte, den aquatischen und limnischen Lebensgemeinschaften zusätzlichen Lebensraum zu schaffen und somit die Qualität dieser Lebensräume etwas zu verbessern. Sowohl der Rück- bzw. Umbau von Wanderhindernissen im Bachbett als auch das Anlegen von Amphibien- und Laichgewässern waren deshalb Teil des Ausführungsprojektes. Abgerundet wurden die ökologischen Maßnahmen durch die Schaffung von zusätzlichen, mit Steinen gestalteten Klein-Nischen für Flora und Fauna. In den Uferbereichen wurden wieder heimische Bäume und Sträucher angepflanzt.
VERKLAUSUNG AUSGESCHLOSSEN
Hervorzuheben sind neben den ökologischen und den baulichen Aspekten des Kraftwerks aber auch die Lösungen, ie im Stahlwasserbau umgesetzt werden konnte. Die umfangreiche stahlwasserbauliche Ausrüstung für die Fassung, die Entsandungsanlage sowie diverse Schützen und Rechen wurden von der Firma GMT Wintersteller GesmbH aus dem Salzburger Kuchl mustergültig realisiert. Sie stellen aus sicherheitstechnischen Aspekten auch eine wichtige Grundlage ür eine hohe Verfügbarkeit der Anlage dar. Eine ganz spezielle Lösung lieferte GMT für die Wasserfassung, die – wie ei so vielen anderen Komponenten des Kraftwerks – auf den ersten Blick nicht erkennbar ist. Das gelieferte irolerwehr urde mit einem darunter liegenden, automatisch arbeitenden Gegenrechen ausgeführt. Eine Verklausung des Durchfallrechens wird damit ausgeschlossen. Die einzelnen Rechenfelder werden dabei jeweils mit einem ydraulisch angetriebenen Gegenrechen kammartig von unten gereinigt. Das dabei gelöste Rechenmaterial wird durch das abfließende Wasser weggeschwemmt.
MASCHINENGESPANN VOM FEINSTEN
Vom wilden Wasser der Ahr kann das neue Kraftwerk „In der Klamme“ in Starkwasserzeiten an der Tirolerwehr bis zu 4,8 m³/s einziehen. Mit einem Druck von circa 17 bar trifft das Wasser auf die beiden sechsdüsigen vertikalen Peltonturbinen. Konsequenterweise wurde von Planern und Projektverantwortlichen auch in Sachen elektromaschinelle Ausrüstung höchstes Augenmerk auf Qualität gelegt. Die zwei sechsdüsigen Peltonturbinen stammen vom Traditionshersteller Geppert aus Hall in Tirol. Diese entsprechen dem letzten Stand der Technik, weisen neben einem hohen Wirkungsgrad auch eine sehr robuste Bauweise auf. Ausgelegt sind die Turbinen bei einer Fallhöhe von 176,35 Meter und einem Ausbaudurchfluss von 4,8 m³/s auf 7.315 kW. Nicht weniger hochwertig präsentiert sich die Generatorlösung. Die beiden Synchrongeneratoren, deren Rotorwelle jeweils direkt gekuppelt mit dem Laufrad der Turbinen ist, stammen vom österreichischen Qualitätshersteller ELIN Motoren GmbH. Die Generatoren des Weizer Motorenspezialisten zählen seit vielen Jahrzehnten absolut zum Topstandard in Sachen Synchron-Generatoren für die Wasserkraft – sowohl, was Wirkungsgrad, als auch was deren hohe Verfügbarkeit und Lebensdauer anbelangt. Die eiden Synchrongeneratoren wandeln die mechanische Energie des Laufrads in elektrische um. Ausgelegt sind sie jeweils auf knapp 5 MVA Generatorleistung. Der erzeugte Strom wird über ein unterirdisch verlegtes Mittelspannungskabel 20 kV in eine Primärkabine in Mühlen in Taufers geleitet und dort in das 130 kV-Netz der ERNA eingespeist. Diese 20 km lange Kabelleitung wurde aus Zeitgründen vom Bauherrn des Kraftwerks selbst verlegt. In Summe wird das neue Kraftwerk im Regeljahr rund 27 Mio. Kilowattstunden erzeugen. Mit dieser Erzeugungskapazität stellt die neue Anlage heute eine neue, wesentliche Säule in der Sicherung der Versorgungsunabhängigkeit im Südtiroler Ahrntal dar. Speziell, im Falle der immer wieder auftretenden Stromausfälle im überregionalen Stromnetz, kommt dem Kraftwerk große Bedeutung zu.
KRAFTWERK MIT LANGER VORGESCHICHTE ABER KURZER BAUZEIT
Bereits im Jahre 2002 hat die Ahr Energie GmbH, welche von deren Präsidenten Dr. Karl Hellweger, 10 Ahrntaler Bürgern bzw. Firmen gehalten wird, ein Projekt zur Erhaltung der Wasserkonzession für Strom – produktion eingereicht. Im Jahre 2004 wurde die Umweltverträglichkeitsprüfung positiv abgeschlossen. In den folgenden fünf Jahren bis 2009 musste das Projekt gegen weitere Konkurrenzprojekte verteidigt werden, mehrere Gerichtsverfahren waren notwendig. Schlussendlich konnte die Ahr Energie GmbH als Sieger des Wettbewerbes im Frühjahr 2010 mit den Bauarbeiten für das Kraftwerk beginnen. Die Anlage war im Juli 2011 betriebsbereit und konnte Anfang September 2011 ins Öffentliche Netz einspeisen.
PROJEKTBEGLEITUNG
Das gesamte Projekt wurde von Anfang bis Ende vom Ingenieurbüro Studio G des Dr. Ing. Anton Griessmair aus Bruneck hauptverantwortlich erstellt und begleitet und in Teamarbeit mit spezialisierten Büros und Technikern schlussendlich zur Ausführungsreife gebracht und während des Baus begleitet. Wesentlichen Anteil an der Projektentwicklung und Bauleitung, vor allem im Bereich Tunnelbau und Wasserhydraulik, hatte das Büro BERNARD Ingenieure aus Hall in Tirol sowie das Ingenieurbüro Patscheider & Partner aus Mals im Vinschgau für die Statik. Die landschaftskölogische Baubegleitung sowie die Umsetzung der Ausgleichs- und Milderungsmaßnahmen wurden von Dr. Kurt Kußtatscher (Büro für Landschaftsökologie TRIFOLIUM, Bozen), durchgeführt.
Bericht aus zek HYDRO – Februar 2012
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