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Kraftwerk in ehemaliger Textilfabrik7 min read

29. Dezember 2014, Lesedauer: 5 min

Kraftwerk in ehemaliger Textilfabrik7 min read

Lesedauer: 5 Minuten

Nach 125 Betriebsjahren wurde 1995 der Betrieb in der Schweizer Textilfabrik Stoffel Mels eingestellt. 2007 ersteigerte die SAK  (St. Gallisch-Appenzellische Kraftwerke AG) das gesamte Areal…

…mit dem dazugehörigen Wasserkraftwerk. Letzteres behielt man und für die restlichen Gebäude wurde 2010 ein Käufer gefunden. Ein Immobilienprojekt, bestehend aus Lofts, Hotels und Restaurants, soll hier in Zukunft entstehen. Zusammen mit der St. Galler Gemeinde Mels gründete die SAK die „Kraftwerke Stoffel AG“ und sanierte die alte Kraftwerksanlage. Die drei 2-düsigen Pelton-Turbinen ersetzte man durch eine moderne 6-düsige Pelton-Turbine aus dem Hause Andritz Hydro. Die Zentrale wurde an den Rand des Fabrikgeländes versetzt, die Fassung von Grund auf erneuert und die Wasserstrecke generalsaniert. Insgesamt investierten die Betreiber 14 Mio. CHF in das Projekt und erhoffen sich im Regeljahr eine Jahresarbeit von mindestens 14 Mio. kWh

Die Textilfabrik Stoffel Mels liegt in der gleichnamigen Gemeinde im Kanton St. Gallen. Ihre Firmengeschichte reicht bis in das Jahr 1866 zurück. Zu dieser Zeit plante die Glarner Firma Heer den Bau einer Textilfabrik in Mels und unterhielt zähe und teilweise geheime Verhandlungen mit der Gemeinde. Den abschließenden Segen zum erfolgreichen Vertragsabschluss musste aber die Bevölkerung selbst geben. Getrieben von der hohen Arbeitslosigkeit und der Aussicht auf eine wirtschaftliche Besserung, fiel die Abstimmung dementsprechend positiv aus. In dem Vertrag enthalten waren auch die Rechte zur Wasser-Herleitung. In den darauffolgenden Jahren wurden die Wasserbauten an der Seez und das markante Fabrikgelände am Berghang über Mels errichtet. 1879 ging die Spinnerei schließlich in Betrieb, bis sie 1920 vom St. Galler Großindustriellen Beat Stoffel übernommen wurde. Das Textilimperium Stoffels galt damals als das größte der Schweiz. Trotz Produktionsschwierigkeiten überstand die Textilfabrik, durch innovatives Management, auch die schwierigen Kriegsjahre.

Zu dieser Zeit war das in der Schweiz bekannte, „Stoffel-Tüechli“ der Renner. Anfang der 60er Jahre begann die amerikanische „Burlington Industries“ Anteile an der Stoffel AG zu erwerben, bis sie schließlich anno 1968 den Konzern komplett übernahm. Danach folgten weitere Besitzwechsel bis schließlich 1995, nach 125 Betriebsjahren, die Lichter endgültig erloschen. 12 Jahre später, im Jahr 2007, wurde das gesamte Areal von der St.Gallisch-Appenzellische Kraftwerke AG (SAK) gekauft. Sie ist der führende regionale Dienstleister für Netze und Energie in den Kantonen St. Gallen, Appenzell Ausserrhoden und Appenzell Innerrhoden und deckt mit rund 310 Mitarbeitern die ganze Wertschöpfungskette – von der Energiebeschaffung über Planung, Bau, Betrieb sowie Instandhaltung von Netzen und Anlagen bis hin zu Vertrieb und Rechnungsstellung ab.

Wasserkraftwerk als Kaufgrund
So war die SAK auch vorwiegend an der Nutzung der Wasserkraft und der dazugehörigen Konzession interessiert. Für die restlichen Immobilien fand man 2010 einen Abnehmer. Dieser sieht ein Konzept der gemischten Nutzung für das Areal vor und so sollen zukünftig Lofts, Ateliers, Gewerberäume und Restaurants entstehen. Dieses Projekt befindet sich derzeit noch in der Anfangsphase. 

Verlegung der Kraftwerkszentrale
Bis am 29. Juli 2013 betrieb die SAK das bestehende Kraftwerk mit drei 2-düsigen Pelton-Turbinen. In Zusammenarbeit mit dem renommierten Schweizer  Planungsunternehmen Rüesch Engineering AG aus Herisau, plante man den teilweisen Neubau und Sanierung der Kraftwerksanlage. Vorgesehen war der komplette Neubau der Zentrale und eine Versetzung dieser an den Grundstücksrands. Zusätzlich war geplant, dass das Kraftwerk komplett unterirdisch in den hangseitigen Fels des Areals hineinverlegt  werden soll. Mit beiden Maßnahmen sollte so eine Beeinträchtigung der zukünftigen Bewohner der Lofts durch das Kraftwerk verhindert werden. Schon tags darauf, nach Stilllegung des alten Kraftwerks, begann man bereits mit den Sprengarbeiten am Fels.

Neubau der Fassung als kritischer Terminfaktor
Auch für die Fassung sahen die Planern der Rüesch Engineering AG diverse Neubaumaßnahmen vor. Der Freispiegelstollen mit Wasserschloss und die Druckleitung sollten hingegen wiederverwendet werden. Für diese Abschnitte war eine Generalsanierung eingeplant. Lediglich die letzten 100 m der Rohrleitung mussten, bedingt durch die  Versetzung der Zentrale, neu verlegt werden.  Gebaut wurde über den gesamten Winter, aber das Wetter spielte nur bei den Maßnahmen an der Fassung eine Rolle. Deshalb war dies auch der Flaschenhals der gesamten Projektplanung. „Die Arbeiten in den Wintermonaten mussten an der Wasserfassung sogar teilweise im Wasser, erfolgen“, so Ralph Egeter, Projektleiter und Geschäftsführer der Kraftwerk Stoffel AG. „Dank der milden Witterung konnte wir aber die Arbeiten dennoch pünktlich mit Ende März 2014 abschließen.“ Die neue Fassung wurde jetzt breiter ausgelegt und mit einem größeren Entsander ausgestattet.  Die Seez ist ein absoluter Wildbach und seine Wassermenge kann innerhalb kürzester Zeit von 1 m3/s auf 60 m3/s ansteigen. Dementsprechend transportiert sie auch Unmengen an Geschiebe mit sich und machte diese Maßnahmen notwendig. Die Betreiber vertrauen dabei auf das innovative HSR Entsandersystem der Hochschule in Rapperswil. Mit gut 20 m Länge besitzt es ein dreimal größeres Absetzvolumen als das alte System. Außerdem kann es bei laufendem Betrieb gespült werden. Am Einlauf installierte man eine stationäre hydraulische Rechenreinigungsmaschine mit Doppelteleskopausleger der Firma Muhr. Die Anlage ist auf vollautomatischen Betrieb ausgelegt und steuerungsseitig vollständig in die Kraftwerksleittechnik integriert. Zur normalen Reinigungsfunktion verfügt die Maschine über ein zusätzliches Eisreinigungsprogramm für den Winter. „Dies ist nötig, da sich die Fassung in einem tiefen und dunklen Tal befindet und es dadurch im Winter zu Grundeisbildung kommen kann“, so Egeter. Eine Beheizung des Rechens ist derzeit nicht vorgesehen, könnte aber bei Problemen noch nachgerüstet werden.

Sanierung der Wasserstrecke
Nach der Fassung wird das Wasser in den 820 m langen Freispiegelstollen geleitet. Er  wurde im Zuge der Sanierungsarbeiten komplett trocken gelegt und mit einer 10 cm starken Gunit-Betonschicht ausgespritzt. Eine instabile Zone wurde zuvor noch komplett erneuert. Außerdem stattete man den Stollen mit einer Betonsohle aus, um ihn begehbarer zu machen. Zuvor war er lediglich ein Felsausbruch mit einer Breite von 1 m – 1,5 m und einer Höhe von 1,2 m – 2 m. Diverse mit Wasser gefüllte Löcher erschwerten das Laufen deshalb im Stollen. Vom Freispiegelstollen gelangt das Wasser weiter in ein Wasserschloss mit zwei Kammern. Früher dienten sie zur Aufteilung des Wassers in zwei separate Druckrohrleitungen. Diese wurden jedoch bereits vor Jahren zu einer Rohrleitung zusammengelegt. Das System mit zwei Kammern hatte man damals für zukünftige Revisionszwecke beibehalten. Sie wurden nun gründlich saniert, und Wasserstand-Sensoren sind zum Zwecke der Turbinen-Steuerung installiert worden. Die Zusammenführung des Triebwassers erfolgt über ein Y-Rohrstück, dem eine 640 m lange Stahlrohr-Druckleitung, mit einem Nenndurchmesser von 1000 mm, nachfolgt. Bis auf die letzten 100 m, bedingt durch die Verlegung der Zentrale,  wurde die gesamte Rohrstrecke der alten Anlage wieder verwendet. Die alten Stahlrohre wurden innen und außen mit einem neuen Korrosionsschutz versehen. Insgesamt wird durch sie eine maximale Ausbauwassermenge von 2.340 l/s, bei einer Nettofallhöhe von 151 m, zur Zentrale transportiert.

Aufwändige Schallisolation
Dort sorgt jetzt eine vertikale 6-düsige Pelton-Turbine aus dem Hause Andritz Hydro für die Stromproduktion. Die Turbinenleistung beträgt satte 3.2 MW und zusammen mit dem 4 MVA Generator von Indar soll eine Jahresarbeit von mind. 14 Mio. kWh erzielt werden. Getauft wurde die Turbine auf den Namen Angelina. Einen offensichtlichen Grund warum man die Turbine auf diesen Namen getauft hat gab es keinen. „Wir machen das ganz gerne bei unseren Projekten und es ist immer eine spaßige Angelegenheit“, so Ralph Egeter. Was die Zentrale außerdem noch besonders macht, ist die aufwendige Schallisolation. Sie hat den Zweck, die umliegenden Gebäude vor Vibrationen und Luftschall zu schützen. Damit sich die tiefen Frequenzen, der sogen. Körperschall, nicht über den Fels zu den umliegenden Gebäude ausbreitet, wurde das Fundament rund um die Maschine mit einer dämpfenden Sylomer-Schicht ausgekleidet. Somit erzielte man eine komplette Entkopplung der Maschine von der Zentrale. „Erste Messungen ergaben sensationelle Werte, die nahezu gegen Null gingen“, so Egeter erfreut. Im Bereich der Luftschallisolation verfügt die Zentrale über schallisolierte Zu- und Abluftkanäle sowie über ein schalldichtes, großes Eingangstor. Insbesondere aus dem Unterwasserkanal von Pelton-Anlagen sind oftmals starke Geräusche wahrnehmbar. Bei der Zentrale Steigs sind deshalb zwei hintereinander liegende, betonierte Schallschutzrippen an der Decke des Unterwasserkanals angebracht. Dies verhindern, dass die Turbinengeräusche über den Unterwasserkanal in das angrenzende Wohngebiet austreten können.

Strom für 3.500 Haushalte
Nach neunmonatiger Bauzeit konnte das neue Kraftwerk Steigs Mitte Mai in den Probebetrieb übergehen. Nach 135 Jahren erstrahlt ein Teil des Stoffel Areals wieder in neuem Gewand und aus der neuen Zentrale soll die Maschine in Zukunft hochwertigen Naturstrom für 3.500 Haushalte liefern. Mit dem Projektverlauf zeigte sich Egeter äußerst zufrieden: „Wir hatten wirklich Glück mit dem Wetter und konnten durch die Verlässlichkeit der beteiligten Firmen das Projekt termingerecht abschließen.“ Am 6. Juni 2014 lud man zur offiziellen Eröffnungsfeier und am Tag darauf wurde die Bevölkerung beim „Tag der offenen Tür“ zur Besichtigung der Anlage eingeladen. Ganze 700 Menschen folgten der Einladung und statteten Angelina einen Besuch ab.

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