Neue Fassade für Traditionskraftwerk5 min read
Lesedauer: 3 MinutenBald 90 Jahre erzeugt das denkmalgeschützte Kraftwerk Raffelberg in Mülheim an der Ruhr nun schon saubere Energie für das für seinen Kohlereichtum einstmals bekannte Ruhrgebiet.
Schon bei seiner Inbetriebnahme 1926, zu Hochzeiten also des fossilen Energieträgers Kohle, schätzte man in der Region die Bedeutung des Stromerzeugers. Immerhin ersparte man sich durch seinen Betrieb eine Jahresmenge an 2.200 Eisenbahnladungen Kohle. Mittlerweile ist der Kraftwerks-Dinosaurier zwar in die Jahre gekommen. Doch durch schrittweise Revitalisierung fast aller Anlagenkomponenten seit Mitte der 60er- Jahre läuft die Energieproduktion noch immer wie geschmiert. Im Schnitt erzeugt man am KW Raffelberg 23,5 Mio. kWh sauberen Strom jährlich, bis zu 6.000 Haushalte können damit versorgt werden.
Die Mülheimer Geschichte ist eng verbunden mit ihrer Schifffahrtstradition. 1913 wurde der Stadt das Recht verliehen einen hafentauglichen Schifffahrtskanal als direkten Zugang zum Rhein und als Durchstich zum Rhein-Herne Kanal anzulegen. Durch die Folgen des 1. Weltkriegs, vor allem durch die zu leistenden Reparationsleistungen an Frankreich aus dem Ruhrkohlebergbau, war Energie ein knappes Gut. Somit entstand in diesen schwierigen Zeiten die Idee, an der neu erstellten Schleuse Raffelberg ein Wasserkraftwerk zu errichten. Das zwischen 1922 und 1926 erbaute Querbauwerk ergänzte die vorhandene Schleusenanlage an gleicher Stelle und erlaubte es, den Wasserstand für einen wirtschaftlichen Schiffsbetrieb zu regulieren. Joachim Exner, zuständiger Betriebsleiter der Stadt Mülheim erklärt die Vorzüge des Standorts: „Ideal ist sicher die Fallhöhe von 6,20 m, das ist schon einmalig. Bedingt durch die Lage direkt an der Mündung in den Rhein befinden wir uns auch an einer äußerst durchflussreichen Stelle, das macht die Wasserkraftnutzung hier natürlich sehr attraktiv.“
Permanente Revitalisierung
Von außen sieht man es dem seit 1986 unter Denkmalschutz stehendem KW Raffelberg nicht an, dass in seinem Inneren modernste Technik ihr Werk verrichtet. Doch der erste Eindruck täuscht: Obgleich seines äußerlichen historischen Charmes wird hier durch den Einsatz aktueller Leittechnik saubere Energie völlig automatisch produziert. „Angefangen von den Öl- und Hydraulikanlagen bis hin zur Peripherie der Maschinensteuerung ist über einen langen Zeitraum alles modernisiert worden. Die Turbinensätze aber sind noch immer die ursprüngliche Technik“, führt Betriebsleiter Joachim Exner aus. Mit umfangreichen Revitalisierungsmaßnahmen wurde in Mülheim schon zu Beginn der 60er-Jahre begonnen. Die Drehstrom-Schirmgeneratoren wurden dabei durch Neuwicklung auf 10,5 kV-Netzspannung umgerüstet. In den darauf folgenden Jahren zeigte sich, dass der personalintensive Betrieb der Anlage wirtschaftlich nicht mehr zu vertreten war, woraufhin mit der Firma Voith erste Pläne zur Teilautomatisierung der Turbinenanlagen erarbeitet wurden. 1975 schließlich wurden die Regelanlagen für die Beschickung der Turbinen mit elektronischen Reglern ausgerüstet und teilautomatisiert.
Vor der Jahrtausendwende kam es 1999 auch noch zu einer Erneuerung des Kupferdachs sowie einer aufwändigen Betonsanierung der Turbinenkammern in den Jahren 2004 bis 2007. Dank dem Einbau aktueller Steuerungstechnik im Zeitraum von 2008 bis 2011 läuft der Betrieb des KW Raffelberg seither völlig selbstständig. Von Menschenhand müssen nur mehr die obligatorischen Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten sowie Störungsbeseitigungen durchgeführt werden.
Oldies but Goldies
Gleich 4 originale, bestens erhaltene Turbinensätze des Herstellers Siemens-Schuckert verrichten seit der Inbetriebnahme 1926 in den altehrwürdigen Hallen des KW Raffelberg ihre Dienste. Bei der Dimensionierung des Maschinenparks ging man von einer wirtschaftlich verwertbaren Durchflussmenge aus, welche an mindestens 100 Tagen im Jahr anfallen sollte. Angestellte Messungen ergaben, dass diese Menge bei 105 m³/s lag. Beim Turbinentyp entschied man sich für den Einsatz von Francis-Turbinen mit senkrechter Welle, welche direkt an die Drehstrom-Schirmgeneratoren gekoppelt wurden. Die Berechnungen der planenden Ingenieure ergaben, dass 3 Turbinen auf eine Durchflussmenge von 30 m³/s Wasser sowie eine kleinere mit 15 m³/s Schluckvermögen ausgelegt werden mussten. In Betrieb ist diese Originaltechnik noch heute – und wird auch für Bildungswecke genutzt. Schulklassen erhalten bei den beliebten Exkursionen zum Kraftwerk durch die beeindruckende Mechanik der Maschinensätze einen anschaulichen Einblick in die Grundprinzipien der Nutzung von Wasserkraft.
Seit 2001 auch fischfreundlich
Von August 2001 bis Juli 2002 errichtete man auf einer Gesamtlänge von 130 m direkt neben dem Kraftwerk eine Fischaufstiegshilfe. Um auf dem relativ schmalen Geländestreifen eine möglichst große Gewässerlänge mit minimaler Höhenstufe zu erreichen, wählte man als Ausführung eine um 180 Grad geknickte Linienführung. „Die Fischtreppe simuliert die Bedingungen eines sauerländischen Gebirgsbach im Oberlauf und stellt einen repräsentativen Fischpass für ein Querbauwerk dar“, weiß Joachim Exner um die Bedeutung des ökologischen Schmuckstücks. Die Kosten für die Errichtung der Anlage beliefen sich auf etwa 1,05 Mio. D-Mark und wurden durch das Land Nordrhein-Westfalen großzügig bezuschusst. Da am Standort ein Höhenunterschied von 6,20 m besteht, wurden Gefälle sowie Strömungsgeschwindigkeit am Umgehungsbach durch Anlage von kaskadenartigen Ruhebecken minimiert. Somit können die Fische die Staustufe ohne größere Schwierigkeiten überwinden.
Ein Besuch lohnt sich
Als letzter großer Revitalisierungsschritt wurde beim Kraftwerk Raffelberg seit dem Jahr 2011 eine umfangreiche Fassadenrenovierung an Ober- und Unterwasserseite vorgenommen. Umwelteinflüsse durch Wind und Wetter sowie im 2. Weltkrieg durch Splittereinschläge entstandene Schäden am Mauerwerk des Bauwerks machten diese Maßnahme nötig. In aufwändigen Arbeiten wurden Steinblöcke aus dem Originalsteinbruch in Ettringen geschnitten, nach Mülheim transportiert und Schritt für Schritt von Denkmalkonservatoren behutsam in die historische Fassade eingebaut. Das Kraftwerk Raffelberg rühmt sich ebenfalls, Teil der „Route der Industriekultur“ zu sein. Dabei handelt es sich um eine insgesamt 400 km lange Strecke mit mehreren Standorten und Aussichtspunkten, an denen die industrielle Vergangenheit des Ruhrgebiets anschaulich gemacht wird. Mit seiner in neuem Glanz erstrahlenden Fassade sowie den bestens erhaltenen, eindrucksvollen Maschinensätzen ist die historisch überaus wertvolle Anlage sicherlich eine der sehenswertesten Stationen an der Route.
Teilen: