Hochdruck-Anlage Fully in Kaskaden-Kraftwerk mit fast 1.600 m Gefälle umgewandelt8 min read
Lesedauer: 5 MinutenIn der Walliser Gemeinde Fully im Südwesten der Schweiz konnte Anfang 2017 ein in vielerlei Hinsicht bemerkenswertes Wasserkraftprojekt abgeschlossen werden.
Mit einem Gefälle von 1.643 m war die Anlage bei ihrer Inbetriebnahme im Jahr 1915 Weltrekordhalter in Sachen Fallhöhe. Rund 100 Jahre nach ihrer Fertigstellung wurde die Anlage nun in 3-stufiger Ausführung als Kaskaden-Kraftwerk von Grund auf neu errichtet. Durch den Neubau mit drei separaten Kraftwerksstufen kann das Einzugsgebiet um den Speichersee Lac Supérieur de Fully auf einer Höhe von 2.125 m.ü.M. nun ganzjährig zur Stromgewinnung genutzt werden. Zusammen erreichen zwei jeweils 2-düsige sowie eine 3-düsige Pelton-Turbine eine Engpassleistung von mehr als 3.300 kW. Die unterste Kraftwerksstufe „Verdan“ nutzt eine weiterhin beachtliche Fallhöhe von 1.039 m, wodurch unter Volllast eine Maximalleistung von 2.236 kW ermöglicht wird. Die gesamte elektromechanische Kraftwerksausrüstung lieferte der im Hochdrucksektor vielfach bewährte Tiroler Turbinenbauer Geppert GmbH. Dank optimaler Zusammenarbeit der ausführenden Unternehmen und günstiger Wetterverhältnisse konnte die Anlage bereits nach einer vergleichsweise kurzen Bauphase von 1,5 Jahren in Betrieb gehen.
Die im französischsprachigen Teil des Wallis gelegene Gemeinde Fully ist in der Schweiz vor allem als namhaftes Weinbaugebiet bekannt. Dass das 1915 in Betrieb genommene Wasserkraftwerk Fully, dessen historische Zentrale sich inmitten von malerischen Weinbergen befindet, bis 1934 die Anlage mit der weltweit größten Gefällestufe darstellte, dürfte hingegen weniger Zeitgenossen bekannt sein. Der eigentliche Baubeginn datiert auf das Jahr 1912, in welchem die Errichtung einer Staumauer beim Lac Supérieur de Fully auf 2.128 m.ü. M startete. Obwohl moderne Transportmöglichkeiten via Helikopter damals nicht verfügbar waren und sich die Bauphase auf die Sommermonate beschränkte, konnte das als Gewichtsstaumauer mit einer Kronenlänge von 113 m und einer Höhe von 14 m ausgeführte Bauwerk innerhalb von zwei Jahren fertiggestellt werden. Das Fassungsvermögen des Naturspeichersees erhöhte sich durch die Errichtung der Staumauer auf insgesamt 4,2 Millionen m³. Zur Stromgewinnung kamen in der Erstausstattung der Anlage vier Pelton-Turbinen mit einer Maximalleistung von jeweils 2,2 MW zum Einsatz. Rund 45 Jahre später wurden die vier Turbinen schließlich gegen eine einzelne Maschinengruppe mit einer Engpassleistung von 6 MW ersetzt. Im Zuge der Konzessionserneuerung wurde 2005 die Aktiengesellschaft Forces Motrices de Fully (FMdF) gegründet. Die FMdF steht mit 72% mehrheitlich im Besitz der Gemeinde, 28% der Gesellschaftsanteile wurden 2016 durch den Walliser Energie- und Kommunikationsdienstleister SEIC-Télédis von der Alpiq Gruppe übernommen.
Ersatzneubau als Kaskaden-Kraftwerk
Im Verlauf der vergangenen zwei Jahrzehnte musste die Anlage aufgrund schwerer Schäden wie dem Bruch der Druckrohrleitung für mehrere Jahre den Betrieb einstellen. „2013 schließlich beschleunigte sich durch den Defekt eines Pelton-Bechers und die erneute Betriebseinstellung die schon länger geplante Komplettsanierung der Anlage“, sagt Olivier Studer, Chef de Service beim Energieversorger „SI Fully“, der das Projekt von Beginn an begleitet hat. Im Zuge der Neukonzessionierung wurden insgesamt 16 Varianten in Erwägung gezogen. Die Umsetzung eines 3-stufigen Anlagenkonzepts stellte sich laut Studer sowohl energietechnisch als auch wirtschaftlich als beste Lösung heraus. Ein zentraler Punkt beim Auswahlverfahren war darüber hinaus die zukünftige Einbindung der Kraftwerksanlage in die Trinkwasserversorgung der Gemeinde. Eine zusätzliche Kostenersparnis ergab sich dadurch, dass mit der Errichtung der neuen Mittelstufe der untere Abschnitt der bestehenden Druckleitung nicht erneuert werden musste. Zudem wurde durch den Neubau in 3-stufiger Ausführung eine effektivere Stromerzeugung abseits der Schneeschmelze ermöglicht. Gleichzeitig konnten durch die baulichen Maßnahmen die generellen Sicherheitsstandards der Hochdruck-Anlage erhöht werden.
Oberste Stufe Sorniot
Vom Neubau weitgehend unberührt blieb die Staumauer des Lac Supérieur de Fully. Um den technischen Richtlinien und gesetzlichen Anforderungen zu entsprechen, musste lediglich eine neue Sicherheitsvorrichtung zur Speicherentleerung installiert werden. Gleichzeitig ersetzte man die Hauptabsperrorgane des Speichers. Völlig erneuert wurde zudem der obere Abschnitt der Druckrohrleitung, die das Triebwasser über ein Bruttogefälle von 128 m zur ersten Turbinierung in die Kraftwerksstufe „Sorniot“ leitet. Die Zentrale Sorniot liegt unmittelbar am namensgebenden Lac de Sorniot, einem rund 35.000 m³ fassenden Speichersee. Im bestehenden Gebäude, einer in den 1990er Jahren eingebauten Hebepumpenanlage, mit welcher das Wasser wieder nach oben befördert wurde, befindet sich nun eine 3-düsige vertikale Pelton-Turbine. Dieser obersten Kraftwerksstufe kommt vor allem während der Schneeschmelze große Bedeutung zu. Bei optimalen Zuflussbedingungen schafft die auf eine Ausbauwassermenge von 150 l/s ausgelegte Turbine eine maximale Leistung von 177 kW. Die Maschine dreht mit 1.020 U/min und treibt einen luftgekühlten Asynchrongenerator mit Wälzlager an. Das abgearbeitete Triebwasser wird nach der Turbinierung in den Lac de Sorniot geleitet und fließt im Anschluss direkt weiter zur Zwischenstufe.
Lastentransport via Helikopter
Die Errichtung der obersten Kraftwerksstufe auf über 2.000 m.ü.M. gestalte sich wegen der abschüssigen und für Fahrzeuge unzugänglichen Lage logistisch hoch anspruchsvoll. Das gesamte Baumaterial, die Werkzeuge sowie die tonnenschweren Elemente wie Turbine, Generator und Druckrohre wurden allesamt auf dem Luftweg via Helikopter zur Baustelle transportiert. Nachdem bereits im Mai 2016 die Arbeiten an der Zentrale Sorniot begonnen hatten, wurde die Erneuerung der Druckleitung zwischen dem Lac de Sorniot und dem Lac Supérieur de Fully ab dem darauf folgenden Oktober durchgeführt. Nach der Fertigstellung lässt sich die oberste Stufe nur mehr durch einen Fußweg erreichen, bei dem ein Höhenunterschied von rund 500 m bewältigt wird. Olivier Studer lobt ausdrücklich die beteiligten Unternehmen und betont, dass das Projekt trotz der herausfordernden Bedingungen einer Gebirgsbaustelle in einer vergleichsweise kurzen Zeit umgesetzt werden konnte.
Zwischenstufe Garettes
Der Baubeginn an der Zwischestuffe „Garettes“ im September 2015 markierte den Beginn der Umsetzungsphase des Projekts. Der Druckleitungsabschnitt vom ehemaligen Pumpengebäude bis zur neuen Zwischenstufe war bereits 2005 komplett erneuert worden. Dieser nun neu gebauten Kraftwerksstufe stehen eine erhöhte Ausbauwassermenge von 250 l/s sowie 427 m an Fallhöhe zur Verfügung. Zur Stromgewinnung kommt eine 2-düsige vertikale Pelton-Turbine zum Einsatz, die bei vollem Zufluss eine Engpassleistung von 935 kW erreicht. Als Energiewandler dient ein direkt mit der Turbinenwelle gekoppelter Synchron-Generator mit Wälzlager in luftgekühlter Bauweise. „Sämtliche Düsen und Strahlablenker wurden dem Kundenwunsch entsprechend, den Einsatz von Öl im Krafthaus weitestgehend zu reduzieren, mit Elektroantrieben ausgeführt. Der Antrieb der von Geppert in Eigenentwicklung konstruierten Kugelhähne erfolgt über eine Wassersteuerung“, beschreibt Geppert-Projektleiter Thomas Gruber ein Detail des Lieferumfangs. Neben der Lieferung der gesamten elektromechanischen Ausrüstung gehörte außerdem die Anbindung der einzelnen Kraftwerksstufen zum Leistungsumfang der Österreicher. Dazu wurden die bestehenden Leitungen abgeschnitten, vor Ort angepasst und durch Schweißverbindung wieder zusammengefügt.
Hochdruckstufe Verdan
Vom Unterwasserbecken der Stufe Garettes beginnt der abschließende und gleichzeitig längste Teil der Druckrohrleitung. Die ebenfalls neu errichtete Zentrale „Verdan“ im Tal, die mit der Zwischenstufe in Reihe geschaltet ist, nutzt insgesamt 1.039 m Bruttofallhöhe. Im Fall einer Betriebsunterbrechung der Stufen Sorniot oder Garettes sorgt ein regulierbares Bypasssystem für die automatische Umleitung des Triebwassers. Jede Kraftwerksstufe kann somit völlig unabhängig Energie erzeugen. „Bei derart großen Fallhöhen muss ein Hauptaugenmerk auf die Festigkeit des Laufrades gelegt werden, da die Becherwurzel und das Bechermaul höchsten Beanspruchungen ausgesetzt sind. Um Rissbildung zu vermeiden, werden die auftretenden Spannungen mittels Finite-Elemente-Methode unter Berücksichtigung des dynamischen Systems berechnet. Dabei werden schon im Vorfeld der Laufrad-Entwicklung für alle auftretenden Lastfälle die Verformungen und Spannungen (Hauptspannungen, Mises-Spannungen) ausgewertet“, erklärt Projektleiter Gruber und führt noch weiter aus, dass das Turbinengehäuse der Unterstufe doppelwandig ausgeführt ist und mit Beton befüllt wurde. Dies führt zu Vorteilen sowohl im Hinblick auf die Dämpfung von Betriebsgeräuschen als auch auf die Stabilität der Maschine. Speziell war laut Gruber zudem die Materialauswahl aller mit Wasser beaufschlagten Bauteile. Diese bestehen – bei Anlagen dieser Größenordnung nicht alltäglich – zur Gänze aus Edelstahl und eignen sich somit für den Einsatz im Trinkwasserbereich.
Nachdem im Juni 2016 die Fundamente der neuen Kraftwerkszentrale gesetzt wurden, erfolgte rund ein halbes Jahr später im Dezember die Maschinenmontage. Dank der immensen Fallhöhe erreicht die in 2-düsiger horizontaler Ausführung gefertigte Pelton-Turbine bei einer Ausbauwassermenge von 250 l/s eine Engpassleistung von mehr als 2,2 MW. Das Laufrad DN890 mm dreht mit 1.500 U/min und treibt einen Synchron-Generator mit Gleitlagern und externem Schmieraggregat an. Die Regelung der Betriebstemperatur des direkt gekoppelten Energiewandlers erfolgt mittels Wasserkühlung.
Inbetriebnahme nach 1,5 Jahren Bauzeit
Neben der hydromechanischen Ausstattung der drei Kraftwerksstufen lieferte Geppert die gesamte elektro- und leittechnische Anlagenausrüstung. Bereitgestellt wurden die Transformatoren, die Mittelspannungsanlage sowie die Leittechnik vom Schweizer Automatisierungsspezialisten Costronic SA aus Lausanne. Die Steuerung des Kaskaden-Kraftwerks erfolgt grundsätzlich durch Pegelregelung. Eine intelligente Software sorgt für eine vollautomatische Stromproduktion und die ideale Abstimmung der einzelnen Kraftwerksstufen. Zudem wurden bereits leittechnische Vorkehrungen getroffen für die zukünftige Einbindung der Wasserkraftanlage in die Trinkwasserversorgung der Gemeinde. Im Gegensatz zum Altbestand, welcher die erzeugte Energie in das regionale 65 kV-Netz einspeiste, leitet man nun den Strom direkt in das lokale 16 kV-Mittelspannungsnetz.
Rund 1,5 Jahre nach Beginn der Bauarbeiten startete im Februar 2017 schließlich der Probetrieb des neuen Kraftwerks. Im Regeljahr kann die Anlage durchschnittlich 9 GWh Strom erzeugen, womit sich umgerechnet mehr als ein Viertel des Energiebedarfs der Gemeinde Fully abdecken lassen. Rund 8,6 Millionen CHF wurden in die Umsetzung des Projekts investiert.
Teilen: