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Neues Leittechnikpaket für Grabs legt Fokus auf Bewirtschaftungsoptimierung11 min read

28. Jänner 2019, Lesedauer: 7 min

Neues Leittechnikpaket für Grabs legt Fokus auf Bewirtschaftungsoptimierung11 min read

Lesedauer: 7 Minuten

Als die Wasserversorgung Grabs und das E-Werk Grabs 2013 zu den „Technischen Betrieben Grabs – TBG“ fusionierten, waren diese mit einem jeweils eigenen Leitsystem ausgerüstet.

Den heutigen Anforderungen genügten mittlerweile beide nicht mehr. Darum entschloss man sich in der St. Galler Gemeinde zum Umbau auf ein neues, umfassendes Leitsystem, das heute sämtliche Bereiche steuert, regelt und einen hohen Automationsgrad gewährleistet. Umgesetzt wurde das komplexe Projekt vom Branchenspezialisten Rittmeyer AG aus Baar, der mit seiner Optimierungssoftware RITUNE Power das ideale Instrument für eine Optimierung der Spitzendeckungsregelung beisteuern konnte. Eine willkommene Kostenbremse für den Energieversorger aus dem Rheintal.

Erneuerbare Energien nehmen einen zentralen Stellenwert in der Gemeinde Grabs im Kanton St. Gallen ein. Das Rückgrat der eigenen Stromerzeugung bilden jene Kleinwasserkraftwerke, die den Walchenbach in drei Stufen nutzen. „Die beiden Oberstufen-Anlagen KW Bannwald und KW Löchli sind im Besitz der TBG, die dritte Stufe gehört einem privaten Betreiber. Darüber hinaus betreiben wir noch sechs Trinkwasserkraftwerke mit Leistungen zwischen 25 und 95 kW, wodurch wir mit unseren Anlagen rund 1.750 kW an Erzeugungsleistung erreichen. Hinzu kommen noch einige Photovoltaikanlagen“, sagt Marco Gantenbein, Leiter Technische Betriebe Grabs. Zudem unterhalten die TBG ein circa 210 Kilometer langes Leitungsnetz, über das rund 4.500 Messpunkte versorgt werden. Um eine zuverlässige Versorgung zu jeder Zeit sicherzustellen, investiert das Unternehmen, das sich in öffentlicher Hand befindet, kontinuierlich in Ausbau und Instandhaltung seiner Stromnetze. „In unserer Trinkwasserversorgung sind rund 2.400 Messpunkte installiert. Wir betreiben verschiedene Reservoirs, ein Grundwasserpumpwerk, verschiedene Aufbereitungsan- lagen, eine Löschwasserversorgung, sowie einen Wasseraustausch mit den umliegenden Gemeinden über Druckausgleichspumpwerke“, umreißt Marco Gantenbein die Infrastruktur des Trinkwassersystems.

Zwei Betriebe – zwei Leitsysteme
2013 wurden das gemeindeeigene E-Werk und die Wasserversorgung Grabs in das öffentlich-rechtliche Unternehmen TGB „Technische Betriebe Grabs“ zusammengeführt. Zu diesem Zeitpunkt waren beide Betriebe mit einem eigenen, autonomen Leitsystem ausgestattet. „Beide Leitsysteme waren ungefähr um das Jahr 2000 installiert worden, jenes für das E-Werk sogar 2005 noch einmal aufgerüstet. Es umfasste die Kraftwerke am Walchenbach, ein Trinkwasserkraftwerk, sowie die Trafostationen mit den Mittelspannungsschaltanlagen und den Erdschlussüberwachungen“, so Marco Gantenbein. Die kleineren Trinkwasserkraftwerke waren im alten Leitsystem der Wasserversorgung eingebunden. „So gut sie für damalige Verhältnisse auch waren, den modernen Anforderungen genügten beide Leitsysteme nicht mehr. Außerdem waren die Betriebssysteme der Server veraltet und hätten auf aktuelle Versionen umgeschrieben werden müssen.“

Ersatz für alte Systeme
Grund genug für die TBG zu prüfen, ob und in welchem Ausmaß Erneuerungsarbeiten in die Wege geleitet werden müssten. Als zweiten Schritt ging man daran, die bestehenden Leitsysteme genauestens zu prüfen. Das Ergebnis war aufschlussreich: „Die Steuerschränke samt aller Komponenten für die beiden Maschinensätze im Kraftwerk Löchli waren eindeutig über ihre technische Lebensdauer hinaus und mussten ersetzt werden. Zudem wiesen verschiedene Wasserbauwerke veraltete Steuerungskomponenten auf, und die Wasseraufbereitungsanlage bedurfte einer Aufrüstung. Generell war das bestehende Leitsystem für die Wasserversorgung ein veraltetes Programm, das schon in absehbarer Zeit nicht mehr unterstützt würde. Im Gegensatz dazu hätte das bestehende Leitsystem des E-Werks noch weiterbetrieben werden können – dies allerdings nur mit einem kostspieligen Update. Aufgrund dieser gesammelten Erkenntnisse und den damit verbundenen Kosteneinschätzungen beschlossen die TBG, dass ein neues, komplettes Leitsystem für sämtliche Gewerke ausgeschrieben werden sollte“, erläutert Marco Gantenbein die Rahmenbedingungen. Bei der folgenden Ausschreibung erfolgte zuerst im Rahmen einer Präqualifikation die Auswahl jener Unternehmen, die sämtliche geforderte Bereiche abzudecken in der Lage sind und adäquate Referenzen vorweisen können. Damit wurde das Teilnehmerfeld auf vier Firmen eingegrenzt, die sich der eigentlichen Ausschreibung stellten. Nach einem aufwändigen Auswahlverfahren fiel die Wahl auf das Angebot der Firma Rittmeyer, die nicht nur mit dem wirtschaftlich attraktivsten Offert punkten konnte. „Das Programm der Firma Rittmeyer weist eine sehr klare Architektur auf und hat uns besonders aufgrund der einfachen, selbsterklärenden Bedienung gut gefallen, welche die Arbeiten für unsere Mitarbeiter im Pickett-­Dienst erleichtert“, so der technische Leiter der TBG. Am Ende umfasste der Auftrag für die Firma Rittmeyer die Erneuerung des gesamten Leitsystems für Wasserver­sorgung, Stromversorgung, die Kraftwerke inklusive aller Prozessstationen in den Außenbauwerken und dem redundanten Prozessbediensystem mit den Arbeitsplätzen. Als integraler Bestandteil des Leitsystems wurde auch die Regelung des Spitzenlastbezugs, also die Bewirtschaftung, vollständig erneuert. Zu diesem Zweck wurde mit Rittmeyers RITUNE Power ein neues Softwaretool erstmalig zum Einsatz gebracht.

Bewirtschaftung wird automatisiert
„Gemeinsam mit den Verantwortlichen der TBG und dem begleitenden Planer haben wir im Rahmen eines Workshops den Arbeitsprozess des Energieversorgers im Hinblick auf die Bewirtschaftung analysiert und am Ende das Optimierungspotenzial definiert“, erinnert sich Patrick Büchel, Projektleiter aus dem Hause Rittmeyer. Als größter Kostentreiber in Grabs wurde die maximale Bezugsleistung, also die Spitzenleistung, identifiziert. In Hinkunft, so das erklärte Ziel, sollte die Bewirtschaftung stärker automatisiert werden, wobei selbige „selbstlernend“ auf Veränderungen reagieren können sollte. Auf diese Weise sollte der Arbeitsaufwand für das Energieversorgungsunternehmen reduziert und darüber hinaus die Problematik mit Urlaubsabsenzen eliminiert werden. Basierend auf den Erkenntnissen aus dem Workshop und den Erfahrungen aus der alten Bewirtschaftung, die bereits verhältnismäßig gut funktioniert hatte, wurde ein neues Konzept entwickelt. Als Prämisse dafür wurde proklamiert, dass die maximale Bezugsleistung durch den gezielten Einsatz der Produktionsanlagen optimiert werden müsse. „Für eine gezielte Maschineneinsatzplanung fehlten uns allerdings noch ein paar Informationen. Um eine Netzverbrauchsprognose zu erstellen, stellte sich die Frage: Wie und aufgrund welcher Parameter entwickelt sich der Netzverbrauch? Und im Hinblick auf die erforderliche Produktionsleistung galt es die Frage bezüglich der ­Zuflussprognose akkurat zu beantworten. Grund­sätzlich soll eine Online-Regulierung ja möglichst einfach und für den Kunden nachvollziehbar sein. Die Bezugsleistung wird auf diese Weise begrenzt, indem die Produktionsanlagen entsprechend betrieben werden“, erklärt Patrick Büchel.

Der Weg zur automatisierten Prognose
Um den Netzverbrauch und den Zufluss zu prognostizieren, sah sich das Team von Rittmeyer Archivdaten des alten Systems genauer an. Diese lieferten einen ersten Ansatz, wie man daraus Zusammenhänge zu prognostizierbaren Größen ableiten kann. „Unsere Analysen belegten, dass der Tagesmittelwert des Netzverbrauchs entscheidend von der Außentemperatur abhängig ist. Eine Prognose der Außentemperatur wird ja von diversen Online-Diensten zur Verfügung gestellt. Weiters konnte festgestellt werden, dass der Netzverbrauch charakteristischen Tagesgangkurven folgt. Aus dem Tagesmittelwert und der charakteristischen Tagesgangkurve kann somit die Prognose erstellt werden. Im Hinblick auf die Zuflussprognose kann man im Grunde auf umfangreiche und fast beliebig komplexe Modelle zurückgreifen. Unsere Datenanalyse hat aber in diesem Fall gezeigt, dass in Grabs der Zufluss ins hydraulische System sich nur sehr langsam ändert. Ausreißer, wie etwa Zuflussspitzen nach einem Gewitter, sind aber auch mit hochkomplexen Modellen nur sehr schwer prognostizierbar. Aus diesem Grund wird als Zuflussprognose der gemittelte, aktuelle Zufluss herangezogen“, so der Projektleiter der Firma Rittmeyer, der in diesem Zusammenhang auch die größten Herausforderung in der Planung und Abwicklung des Leittechnikprojekts in Grabs erläutert: „Für uns stellt sich bei einem derartigen Projekt natürlich die wesentliche Frage: Wie arbeitet der Kunde? Arbeitet er auf diese Weise, weil es sinnvoll ist, oder weil es durch das alte System so vorgegeben war? Zusätzlich müssen wir uns stets die Frage nach dem eigentlichen Ziel stellen: Was kann optimiert werden? Aus welcher Optimierung zieht der Kunde den größtmöglichen Nutzen?“
Für das hydroelektrische Modell konnte letztlich eine einfache und zugleich funktionelle Lösung gefunden werden. Schließlich sind in Grabs die Kleinwasserkraftwerke in einer Kaskade am Walchenbach angeordnet. Somit besteht eine direkte Abhängigkeit zwischen allen Maschinen. Auf Basis dieses Umstands konnte ein relativ einfaches mathematisches Modell für den Zusammenhang zwischen Durchfluss und gesamter Produktionsleistung erstellt werden.

Premiere für Software RITUNE Power
Als ideales Werkzeug für die Optimierung der Bewirtschaftung sollte sich die Software RITUNE mit dem neuen Paket Power aus dem Hause Rittmeyer erweisen. Schließlich ist RITUNE in der Lage, auf Online-Dienste, wie etwa eine Wetter-App, zuzugreifen. Die von dem Programm erstellte Prognose basiert dabei auf den Werten der näheren Vergangenheit. Auf diese Weise ist RITUNE auch selbstlernend – und passt sich permanent an neue Gegebenheiten an. Was die Optimierungssoftware darüber hinaus auszeichnet: Mit ihr können große Datenmengen einfach visualisiert und auch analysiert werden. Dies trägt dazu bei, Zusammenhänge, oder bisher ungenutzte Optimierungspotenziale erkennbar zu machen.
RITUNE wurde auf einem separaten Desktop-PC installiert und kommuniziert mit dem Prozessleitsystem RITOP. Die Bedienung von RITUNE erfolgt vom Bedienarbeitsplatz aus. Nachdem das Team um Patrick Büchel bereits im Mai dieses Jahres mit dem Teilprojekt Bewirtschaftung an den Start gegangen war, konnten sämtliche Arbeiten bis zu dessen Inbetriebnahme Ende August abgeschlossen werden. Bis Ende Oktober lief die Optimierungsphase.

Algorithmus ersetzt Bauchgefühl
Da das bestehende Konzept der Altanlage für die Bewirtschaftung für damalige Verhältnisse relativ gut funktioniert hatte, konnten viele Aspekte davon übernommen und punktuell verbessert und erweitert werden. „Die alte Bewirtschaftung war auf fundierte Anlagenkenntnisse und ein gutes Bauchgefühl des Betriebspersonals angewiesen. So musste der Diensthabende die maximale Bezugsleistung für die kommende Woche abschätzen und dies an das Bewirtschaftungssystem übergeben. Diese ‚Abschätzung‘ übernimmt nun die Software RITUNE, wobei das RITUNE Power Paket eine fundierte Prognose für den Netzverbrauch der Gemeinde Grabs erstellt. Aus dem aktuellen Zufluss in die Kraftwerkskaskade Bannwald-Löchli-Stricker wird die mögliche Produktion und daraus wiederum die maximal erforderliche Bezugsleistung errechnet“, sagt Patrick Büchel.
Er verweist darauf, dass mithilfe der neuen Bewirtschaftung nun die bezogene Spitzenleistung reduziert wird und damit allfällige Kosten für den Energieversorger gesenkt werden. Ein Projekterfolg, den auch TBG-Leiter Marco Gantenbein bestätigt: „Dadurch, dass unser Lastgang nun so optimiert wird, können wir die teuren Bezugsspitzen besser vermeiden.“ Es ist zudem mit einer deutlichen Zeitersparnis für den Betreiber verbunden, wenn RITUNE heute vollautomatisch die maximale Bezugsleistung berechnet. Hinzu kommt ein weiterer wichtiger Aspekt: Durch ihren einfachen Aufbau und die Bedienerfreundlichkeit kann die neue Bewirtschaftungssoftware auch von Mitarbeitern mit wenig Betriebserfahrung bedient werden.

Ablauf im Betrieb vereinfacht
Mit dem Umbau auf das umfassende neue Leitsystem wurden nun alle alten Leitsysteme der TBG ersetzt. Heute werden sämtliche Bereiche – Stromnetz, Wassernetz, Produktionsanlagen und der Mühlbach – über ein einziges Leitsystem gesteuert. Mittels einer übersichtlichen Visualisierung sind die bereits angeschlossenen Stationen im Stromnetz ersichtlich, sämtliche Daten werden aufgezeichnet und archiviert. Im Wassernetz wird der Abschöpfbetrieb der verschiedenen Reservoirs geregelt, inklusive der Wasseraufbereitung und der Wasseraustausch zwischen den Partnergemeinden, ebenso wie der Betrieb der Trinkwasserkraftwerke. „Unsere eigenen PV-Anlagen werden fortlaufend bei Anpassungen automatisch aufgeschaltet. Dem Museum am Grabser Mühlbach, das verschieden Wasserkraftgewerke vergangener Zeiten beherbergt, kann bei Führungen automatisch Wasser in ausreichender Menge zugeführt werden, ohne dass unsere eigene Lastführung dadurch beeinträchtigt wird“, erklärt Marco Gantenbein. Er verweist überdies auf eine weitere Innovation im Hinblick auf die Alarmierung: Diese könne nun über sämtliche Bereiche den jeweils zuständigen Personen zugeteilt werden. Damit ist eine exakte Kompetenzzuordnung sichergestellt. „Für uns als Betreiber wurden diverse Schnittstellen eliminiert. Wir haben somit bis auf wenige Ausnahmen nur noch einen Ansprechpartner. Durch diese Gegebenheit vereinfacht sich der Ablauf im Betrieb sehr, auch der Ablauf im Störungsfall ist dadurch einfacher geworden.“

„Lösungsorientiert und Flexibel“
Auch wenn das gesamte Umbauprojekt noch nicht zur Gänze abgeschlossen ist, kann Marco Gantenbein zufrieden Bilanz ziehen. Was für ihn den Schlüssel für eine erfolgreiche Umsetzung ausmacht, sei – so der Technische Leiter der TBG –, dass bei einem derart komplexen Leitsystemprojekt, in dem gleich mehrere Abteilungen betroffen sind, eine zielgerichtete und professionelle Koordination erfolgt. „Als Projektleiter lag die Koordination in den Händen von Patrick Büchel, der diese Herausforderung perfekt gemeistert hat. Generell muss man zum Auftreten der Firma Rittmeyer sagen: Die Abläufe werden klar kommuniziert, und auch bei unvorhersehbaren Ereignissen sind in kürzester Zeit die richtigen Personen erreichbar und schnell vor Ort. Die Rittmeyer AG bewies bei diesem Projekt, dass ihre Teams lösungsorientiert und sehr flexibel arbeiten. Dadurch konnten unsere individuellen Anforderungen bestmöglich in das neue Leitsystem integriert werden“, streut Marco Gantenbein dem Branchenspezialisten aus Baar Rosen.
Ein Großteil der Anlagen in Grabs ist mittlerweile in Betrieb, und das neue Leitsystem bewährt sich bereits im täglichen Einsatz. Bis Ende Oktober sind nun alle Teilbereiche soweit abgeschlossen, dass die Anlage in den Testbetrieb überführt werden kann. „Derzeit sehen wir überhaupt keine Probleme bei der Feinabstimmung und sind deshalb auch sehr zuversichtlich, dass der Probebetrieb bis Anfang Dezember abgeschlossen werden kann“, so Marco Gantenbein, der zum Abschluss der Firma Rittmeyer noch ein sehr schönes Kompliment macht: „Aus unserer Sicht würden wir die Firma Rittmeyer jederzeit wieder mit dem Leitsystem und den Steuerungskomponenten beauftragen.“


 

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