Tiroler Großprojekt Kraftwerk Kirchbichl: Erweiterung schreitet planmäßig voran6 min read
Lesedauer: 4 MinutenWeit fortgeschritten sind die Arbeiten bei der großangelegten Erweiterung des TIWAG-Kraftwerks Kirchbichl im Tiroler Unterland. Der Umbau des 1941 erstmals in Betrieb genommenen Kraftwerks an der markanten Innschleife bringt zahlreiche Verbesserungen mit sich.
Dazu zählen in erster Linie die generelle Erhöhung der Hochwassersicherheit, die Herstellung ökologischer Durchgängigkeit durch die Errichtung eines Fischaufstiegs, die Schwalldämpfung in der Innschleife sowie die Leistungserhöhung des Kraftwerks durch den Einbau einer zusätzlichen, auf 200 m³/s ausgelegten Turbine. Nach dem Baustart im Sommer 2017 konnten im Mai 2018 bereits die Arbeiten an der Innschleife abgeschlossen sowie deren von 0 auf 15 m³/s erhöhte Dotierung vermeldet werden. Darüber hinaus wurden auch der erste, als Schlitzpass ausgeführte Abschnitt des Fischaufstiegs sowie die Betonarbeiten zur Errichtung des Dotierkraftwerks noch im Vorjahr fertiggestellt. Im Februar 2019 nahm das mit einer 752 kW Kaplan-Turbine ausgerüstete Dotierkraftwerk seinen Betrieb auf. Aktuell sind die Arbeiten zur Erweiterung des bestehenden Krafthauses voll im Gange, die riesige Baugrube mit einer Tiefe von 19 m zeugt vom enormen Aufwand, der für das Projekt betrieben wird. Umgesetzt werden die kompletten Bauarbeiten vom Tiroler Hoch- und Tiefbauspezialisten Bodner. Noch im heurigen Jahr soll das als Zubau konzipierte Krafthaus 2 hochgezogen und dessen Innenausbau gestartet werden. Der Projekt-Fahrplan sieht vor, dass im Zuge einer Werksabstellung von November 2019 bis April 2020 der Triebwasserweg saniert und beim Einlaufbereich sowie beim Krafthaus aufgrund der erhöhten Einzugsmenge erweitert wird. Darüber hinaus wird neben dem erweiterten Krafthaus zur Gewährleistung der Hochwassersicherheit ein zusätzliches Entlastungbauwerk errichtet werden. Die Inbetriebnahme vom neuen Krafthaus 2 ist für den Herbst 2020 vorgesehen.
Von seinem Ursprung im Schweizer Engadin bis zu seiner Einmündung in die Donau beim Dreiländereck in Passau ist der Inn mit einer Länge von 517 km einer der mächtigsten Flüsse im Alpenraum. Als größte Wassertransversale Tirols dient der Inn entlang seines Verlaufs als wichtiger Energieträger für den Betrieb einer ganzen Reihe von leistungsstarken Kraftwerken. So auch für das Kraftwerk Kirchbichl, das auf dem Gebiet der gleichnamigen Gemeinde im Bezirk Kufstein zwischen 1939 und 1941 an der Omega-förmigen Innschleife gebaut wurde. Im Zuge der Vorschreibungen des Nationalen Gewässerbewirtschaftungsplans 1 (NGP 1), der die Herstellung ökologischer Durchgängigkeit an bestehenden Querbauwerken fordert, entwickelte Betreiber TIWAG den Plan einer umfassenden Erweiterung der Anlage. TIWAG-Projektleiter Martin Pfennig fasst die vier zentralen Punkte des 110 Millionen Projekts zusammen: „Erstens wird mit dem Umbau eine generelle Verbesserung der Anlage sowie ein erhöhter Hochwasserschutz erreicht. Die Baumaßnahmen werden unter anderem zur Sanierung des Triebwasserwegs genutzt. Zweitens werden damit die Auflagen des NGP1 durch den Bau einer Fischaufstiegsanlage sowie die Dotierung der Innschleife mit 15 m³/s gewährleistet. Als dritter Punkt wird durch die Erhöhung der Ausbauwassermenge und dem Bau eines zusätzlichen Kraftwerks eine deutliche Leistungssteigerung und Jahreserzeugung der Anlage erzielt. Viertens erhielt man mit dem Projekt eine vorzeitige Konsensverlängerung um 90 Jahre für die 2031 in absehbarer Zeit ablaufende Bewilligung.“
Baustart im Sommer 2017
Die Genehmigungsphase für das im Sommer 2013 eingereichte Projekt sollte rund vier Jahre in Anspruch nehmen, den rechtskräftigen Bescheid zur Projektdurchführung erhielt die TIWAG im Mai 2017. Im Anschluss an das Ausschreibungsverfahren konnte am 3. Juli 2017 mit der Erschließung der Baustelle schließlich die konkrete Umsetzungsphase beginnen. Den Auftrag für die Durchführung der kompletten Hoch- und Tiefbauarbeiten sicherte sich das Tiroler Bauunternehmen Bodner, das in der Vergangenheit seine Kompetenz bei der Umsetzung einer ganzen Reihe von Großprojekten unter Beweis stellen konnte. Der Spezialtiefbau wurde von der als Sub-Unternehmen beauftragen Keller Grundbau GmbH ausgeführt. Um die Verkehrsbelastung für die Gemeinde möglichst gering zu halten, wurde für den Baustellenverkehr ein temporärer Autobahnanschluss an die A12 hergestellt. Als erste große Baumaßnahme wurde die Aufweitung der im Hochwasserfall problematischen ersten linken Innbiegung nach der Wehranlage in Angriff genommen. Aufgrund der Veränderung der hydrologischen Kennwerte am Anlagenstandort – das HQ 100 hat sich im Lauf der Jahrzehnte von ursprünglich 1.800 m³/s auf 2.354 m³/s um 32 Prozent erhöht – musste diese Engstelle entsprechend entschärft werden. Pfennig ergänzt, dass die Hochwasserabfuhr bei einem HQ 100 auch beim Ausfall eines der vier Wehrfelder jederzeit sichergestellt werden muss. „Um dieser Anforderung erfüllen zu können, wird neben dem neuen Krafthaus ein sogenanntes Entlastungsbauwerk errichtet. Dabei handelt es sich im Prinzip um ein zusätzliches Wehrfeld mit Zugsegment und aufgesetzter Klappe, das im Anlassfall zur Hochwasserabfuhr dient. Da für die Krafthaus-Erweiterung ohnehin eine große Baugrube ausgehoben wird, erspart man sich durch diese Variante eine separate Erweiterung der bestehenden Wehranlage.“
Dotierkraftwerk seit Februar in Betrieb
Bis zum Frühjahr 2018 konnten bereits mehrere wichtige Bauetappen erfolgreich abgeschlossen werden. Neben der Entschärfung der Engstelle wurde in der Innschleife ein zur Pegelregelung dienendes Messwehr errichtet, mit der die neue Restwasserabgabe entsprechend dokumentiert wird. Bis zum aktuellen Umbau war die Innschleife nur durch den Rückstau des Unterliegerkraftwerks Langkampfen sowie den natürlichen Grundwassereintritt bewässert worden. Die neue Bewilligung sieht nun eine verpflichtende Mindestdotierung von 15 m³/s vor, die die Schotterbänke und Stillwasserzonen entlang der rund drei Kilometer langen Schleife permanent mit Wasser beaufschlagt. Damit diese Restwasserabgabe ebenfalls zur Stromerzeugung genutzt werden kann, wurde nach der Wehranlage ein Dotierkraftwerk errichtet. Dessen rund 11 m tiefe Baugrube zwischen der Innschleife und der Triebwasserstrecke erforderte aufwändige Wasserhaltungsmaßnahmen. Der Anschluss des Dotierkraftwerks an den Triebwasserwerg erfolgte während einer rund dreiwöchigen Werksabstellung im November 2018. Im Anschluss an die mechanischen und elektrotechnischen Installationsarbeiten konnte das Dotierkraftwerk im heurigen Februar seinen Betrieb aufnehmen. Die elektromechanische Ausstattung der Anlage lieferte der Tiroler Hersteller Geppert GmbH. Zur Stromerzeugung dient eine Kaplan-Rohrturbine in Bulb-Ausführung mit permanenterregtem Synchron-Generator. Bei einer Nettofallhöhe von 5,5 m kann die auf 752 kW Engpassleistung ausgelegte Turbine jährlich rund 6 GWh Strom produzieren. Der erste Abschnitt des Fischaufstiegs in Form eines technischen Schlitzpasses, der von konstant 550 l/s versorgt wird, verläuft entlang des Dotierkraftwerks und wurde noch 2018 für funktionsfähig erklärt. Das abgearbeitete Wasser des Dotierkraftwerks wird in den Einstiegsbereichs der des Fischaufstiegs geleitet und erzeugt somit die Lockströmung für die Fische. Momentan verlassen die Fische den Aufstieg im Stauraum des Kraftwerks, der Anschluss an ein bereits fertig gestelltes langes Umgehungsgerinne im Oberwasser erfolgt kommendes Jahr.
Krafthaus 2 geht 2020 in Betrieb
Aktuell konzentrieren sich die Arbeiten auf der Großbaustelle auf die Errichtung von Krafthaus 2, das nach seiner Fertigstellung direkt an das bestehende Krafthaus anschließen wird. Der Aushub der 19 m tiefen Baugrube startete im August 2018, bereits Anfang Februar 2019 wurden mit der Saugrohrpanzerung die ersten Teile der horizontal durchströmten Kaplan-Turbine montiert. Die neue, vierte Turbine mit einem Schluckvermögen von 200 m³/s liefert der Großwasserkraft-Spezialist Voith Hydro. Noch vor dem kommenden Jahreswechsel soll das neue Krafthaus hochgezogen werden, danach beginnt die Erstellung des Entlastungsbauwerks neben dem Krafthaus. Mit der Werksabstellung im kommenden November steht laut Projektleiter Pfennig eine spannende Projektphase bevor, in der mehrere zentrale Baulose untereinander koordiniert werden müssen. In einem Zeitraum von fünf bis sechs Monaten werden unter anderem die Betonoberfläche der Triebwasserstrecke saniert, der Einlaufbereich für die erhöhte Ausbauwassermenge erweitert sowie eine Brücke über den erweiterten Triebwassereinlauf hergestellt. Gemeinsam mit den drei bestehenden Maschinen, deren Ausbauwassermenge im Zuge des Umbaus von 250 auf 284 m³/s erhöht wurde, schafft die Anlage zukünftig eine gesamte Engpassleistung von 37,9 MW. Das durchschnittliche jährliche Regelarbeitsvermögen wird sich um rund 25 Prozent auf 165 GWh steigern. Seinen Probebetrieb soll das erweiterte Kraftwerk Kirchbichl im Herbst 2020 aufnehmen und noch vor Jahresende in den Regelbetrieb übergehen.
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