Happy End für Glarner Vorzeigeprojekt nach Stollenbaudrama12 min read
Lesedauer: 8 MinutenEs gibt Stimmen, die meinen, dass man das Aufatmen bei den Verantwortlichen der Kraftwerk Doppelpower AG im ganzen Glarnerland vernommen hätte.
Seit Dezember ist das neue Kleinkraftwerk am Netz, dessen Realisierung für so viel Kopfzerbrechen gesorgt hatte. Nachdem im Juli 2015 eine Tunnelbohrmaschine im Triebwasserstollen steckengeblieben war, kam es zu einer Bauverzögerung von über 3 Jahren, ehe die Maschine vergangenes Jahr geborgen und der restliche Teil des Stollens fertiggestellt werden konnte. Unangenehmer Begleiteffekt war eine Kosten- explosion auf nahezu das Doppelte der ursprünglich veranschlagten Bausumme. Heute überwiegt die Erleichterung darüber, dass das Projekt, das mit vielen Vorschusslorbeeren 2007 an den Start ging, letztlich doch erfolgreich realisiert werden konnte. Mit der modernen CAT-Kaplan-Rohrturbine aus dem Hause Andritz Hydro erzeugt das Kleinkraftwerk Doppelpower im Regeljahr genug Strom für rund 4.500 Glarner Haushalte.
Für Aufsehen hatte das Kraftwerksprojekt bereits im Jahr 2007 gesorgt, als es noch nichts anderes als eine Idee in den Köpfen von zwei – wie sie sich selbst bezeichnen – „Heimwehglarnern“ war. Die Idee war so gut, dass Kaspar Glarner und sein Neffe Andreas Bänziger mit dem renommierten, mit 50.000 Franken dotierten Swiss Mountain Water Award ausgezeichnet wurden. Ihr Grundkonzept für ein neues Kleinkraftwerk bestand im Wesentlichen in der Abkürzung einer natürlichen Flussschleife zwischen Schwanden und Mitlödi für ein Kleinwasserkraftwerk, das ohne die dafür ansonsten üblichen Aufwände für eine eigene Wasserfassung realisiert werden könnte. Auf ein offenes Ohr trafen sie damit bei Leo Meier, heute Geschäftsführer der Kraftwerk Doppelpower AG und Leiter Produktion bei SN Energie, einer Kraftwerksgesellschaft im Besitz der Stadt St. Gallen und sechs weiteren Ostschweizer Gemeinden, die sich vor allem der Nutzung erneuerbarer Energien verschrieben haben. „Hier in Schwanden fließt das Wasser aus dem Sernftal in die Linth und weiter in einem langgestreckten Bogen um einen Bergsturzkegel herum in Richtung Glarus. Die Idee der beiden Herren bestand nun darin, dieses natürliche Gefälle hydroelektrisch zu nutzen. Die technische Voraussetzung dafür sollte ein Stollen unterhalb des Dorfs Sool und dem Gebiet Föhnen bieten“, blickt Leo Meier an die Anfänge des Projektes zurück. Der bemerkenswerte Nebeneffekt, der den besonderen Reiz des damaligen Konzepts ausmachte, war der Umstand, dass man auf zusätzliche Bauwerke für die Fassung, für die Entsandung und die Fischpassierbarkeit verzichten konnte. „Das für den Turbinenbetrieb benötigte Wasser wird nicht dem natürlichen Flusslauf entnommen, sondern direkt aus dem Unterwasser der bestehenden SN-Zentrale Herren in den Stollen übergeleitet. Nach der energetischen Nutzung wird es fünf Flusskilometer weiter unten in die Linth zurückgeführt“, so Meier. Da das Wasser bei diesem Konzept gleich zweifach genutzt wird, erfanden die Projektinitianten den Namen „Kraftwerk Doppelpower“.
Ökologische Vorteile
Im März 2010 wurde die KW Doppelpower AG gegründet, an dem die SN-Energie die Mehrheit hält. Es folgten eingehende Konzessionsverhandlungen mit den Behörden sowie zahlreiche Gespräche mit Umweltverbänden, um auch sämtliche umweltrelevanten Vorbehalte auszuräumen. Nachdem auch die Verhandlungen mit dem Kanton in Bezug auf den Heimfall des Kraftwerks zu einem für beide Seiten positiven Ende geführt werden konnten, erteilte die damals neu gegründete Gemeinde Glarus Süd der Kraftwerk Doppelpower AG die Baubewilligung für den Bau des Kraftwerks. Dass die Ökologie einen hohen Stellenwert bei der Planung des Projekts einnahm, zeigte sich nicht zuletzt in der umfassenden Umweltverträglichkeitsprüfung, die es zu durchlaufen hatte. „Ein wesentlicher Punkt dabei ist sicher, dass durch dieses neue Konzept die Schwall-Sunk-Thematik in der Restwasserstrecke des Sernf fast gänzlich eliminiert werden konnte. Außerdem wurde in der Restwasserstrecke ein bestehendes Wehr rückgebaut – dieser gesamte Abschnitt erfuhr eine deutliche ökologische Aufwertung. Letztlich wurde dank dieses Projekts das letzte Hindernis für den Fischaufstieg entlang des Sernf aus dem Weg geräumt und den Fischen den Weg von der Linth in den Sernf und zurück ermöglicht“, erläutert Leo Meier die ökologischen Vorzüge des Projekts.
Kernelement – Stollenbau
Gemäß den Plänen für das neue Kraftwerk sollte das Maschinenhaus am nördlichen Ende eines lokalen Industrieunternehmens errichtet werden. Um die nutzbare Wassermenge auf ein wirtschaftlich sinnvolles Niveau zu steigern, wurde zudem letztlich beschlossen, mittels einer neuen Flusswasserfassung im Sernf im Gebiet Herren, Schwanden, auch das vorhandene Zwischeneinzugsgebiet zu nutzen. Konkret bedeutet dies den Bau einer länglichen Sammelkammer, die linksufrig vor die Auslauföffnungen der Stufen Sernf und Niederenbach der SN Energie situiert war. Das Kernelement des gesamten Projektes repräsentierte allerdings von Beginn an der Bau des 1,7 Kilometer langen Stollen. Dieser sollte plangemäß in der Technik des Rohrvortriebs auf einen Innendurchmesser von 3 m aufgefahren werden. Zu diesem Zweck sollten ab dem Startschacht in Mitlödi vorfabrizierte Rohrelemente aus Stahlbeton mit einer Wandstärke von 40 cm und einem Gewicht von 43 Tonnen pro Rohr eingepresst werden. Der Abbau des verdrängten Bodenmaterials würde mittels einer speziellen Tunnelbohrmaschine erfolgen. Zur Überwindung der sich über die gesamte Stollenlänge aufbauenden Mantelreibung war der Einsatz von 16 Zwischenpressstationen vorgesehen. Das fertige Druckrohr sollte letztlich von den eingepressten Betonrohren gebildet werden. „Wir haben uns für die Betonrohre entschieden, da die statischen Anforderungen bei dieser Dimension enorm waren“, erklärt Leo Meier. Am Ende des Stollenvortriebs sollte die TBM positionsgenau in den im Vorfeld erstellten Zielschacht bei der Zentrale der SN Energie in Schwanden einfahren. Das war der Plan – doch es sollte anders kommen.
Vor der Hacke ist es duster
Nach 7 Jahren Vorbereitungen und Planungsarbeiten war es schließlich soweit: Im Frühling 2014 konnten die Bauarbeiten mit der Baustelleninstallation und der Anlieferung der 130 Tonnen schweren Tunnelbohrmaschine, kurz TBM, beginnen. Am 13. April 2014 erfolgte der Anstich für die Ausbruchsarbeiten. Ein Rohr-Element nach dem anderen wurde mit einem Anpressdruck von 2000 Tonnen in den Berg hineingedrückt. Doch im Mai desselben Jahres tauchte bereits die erste unliebsame Überraschung auf. „Im Mai 2014, nach rund 200 m, mussten wir feststellen, dass das Gestein wesentlich härter ist, als wir uns das erwartet hatten“, erinnert sich Leo Meier ganz im Sinne jenes alten Bergbauspruches, der da lautet: Vor der Hacke ist es duster. Was nichts anderes heißt, als dass man sich im Bergbau nie ganz sicher sein kann, welche geologischen Eigenheiten einen erwarten. Es zeigte sich, dass sich der Bohrkopf viel schneller abnutzte als gedacht. Ein Tausch des Fräsrads wurde unumgänglich. Nachdem die TBM nun nicht mehr zurückgezogen werden konnte, war man gezwungen, einen Vertikalschacht von der Oberfläche zum Vorderteil der TBM zu erstellen. „Der Schacht mit einer Tiefe von 20 Meter war unerlässlich, um das abgenutzte Fräsrad nach oben aus dem Stollen zu ziehen und ein neues zu installieren“, erzählt Leo Meier. Der Zwischenfall sollte letztlich sechs Monate kosten, ehe die Arbeiten wieder fortgesetzt werden konnten.
Nichts geht mehr
Die unangenehme Verzögerung schien 2015 beinah schon wieder vergessen. So zügig und gut verliefen in weiterer Folge die weiteren Bohrarbeiten. Täglich wurden im Schnitt rund 5 der 43 Tonnen schweren und 4 m langen Rohre im 3-Schicht-Betrieb verlegt. Bis Kilometer 1.200, wo die TBM erneut in eine geologische Störzone vorstieß. Loses, sehr feines Gestein, verbunden mit einem starken Grundwasserdrang brachten die Vortriebsarbeiten ins Stocken. Leo Meier: „Letztlich stieg die Vortriebskraft auf 3.000 Tonnen, doch nach rund 1.300 m ging Mitte Juli 2015 nichts mehr. Die Maschine rührte sich keinen Zentimeter mehr und steckte hoffnungslos fest – für uns ein echter Gau. Die Gründe dafür sind bis heute nicht ganz klar. Die meisten Experten gehen davon aus, dass sich die schieferartigen Gesteinsplatten in diesem geologischen Bereich zwischen Fräsrad und der Stollenaußenwand festgeklemmt hatten.“ In der Folge wurde ein offizieller Stopp des Vortriebs beschlossen und ein Variantenstudium über die weiteren Optionen angestellt. So viel war klar: Es bedurfte einer neuen Lösung. „Die Experten empfahlen, die verbliebenen 400 m von Schwanden aus im konventionellen bergmännischen Vortrieb auszubrechen. Das bedeutete ein neues Bauprojekt im Gegenvortrieb mit einem neuen Planer und neuen ausführenden Unternehmen – und natürlich einer weiteren massiven Verzögerung“, so Meier. 100 Rohre galt es zur Fertigstellung noch zu verlegen.
Bergung im Gegenvortrieb
Ein erfahrenes Engineering Büro erstellte als Fachplaner Tunnelbau ein alternatives Vortriebskonzept für den noch fehlenden Teil des Druckstollens zwischen der Triebwasserfassung Herren und der festsitzenden Bohrmaschine. Die noch fehlenden ca. 350 m sollten nun in einer alternativen Bauweise mit einem Gegenvortrieb in fallender Richtung und die Querung unter dem Sernf in Tagbauweise erstellt werden. Das Konzept sah vor, dass der Gegenvortriebsstollen nördlich des Sernf aus einer neuen Startbaugrube errichtet werden sollte. Der Stollen selbst sollte gerade groß genug werden, um die festsitzende TBM herausziehen zu können. Nach deren Bergung sollten die bereits vorhandenen und ursprünglich für den Pressvortrieb vorgesehenen Rohrsegmente eingebaut werden. Der verbleibende Raum zwischen Ausbruchsicherung und Rohr sollte abschließend noch hinterfüllt werden.
Schwierige Geologische Bedingungen
Im Sommer 2016 war es schließlich soweit: Nachdem im Frühling bereits der Startschacht vorbereitet wurde, konnte der Beginn des Gegenvortriebs im August 2016 starten. „Wir waren uns dessen bewusst, dass die Geologie einer Restmoräne mit hohem Flyschanteil von dieser Seite her sehr schwierig wird. Doch der Vortrieb im Lockerstein mit der Kombination von hohem Wasseraufkommen erschwerte die Arbeiten noch mehr als befürchtet“, erinnert sich Leo Meier. Anfänglich benötigte man ein ganzes Monat für gerade einmal 8 Meter. Es zeichnete sich mehr und mehr ein wirtschaftlicher Supergau ab. „Zum Glück wendete sich 2017/2018 langsam das Blatt – die Geologie wurde für den Bau besser, und die Vortriebsarbeiten gingen kontinuierlich schneller voran“, erzählt Meier. Zur großen Erleichterung aller Beteiligten erreichte das Bohrteam am 23. März 2019 das Fräsrad – punktgenau. 980 Tage hatte es gedauert, bis man zu der TBM vorgedrungen war. Im Anschluss wurde die TBM demontiert und geborgen. Zu diesem Zweck wurden rund um das Fräsrad Auflockerungsbohrungen durchgeführt. Danach wurde die Maschine mit einer Zugkraft von 200 Tonnen aus ihrer „misslichen Lage“ befreit. In weiterer Folge wurden die verbliebenen 92 Betonrohre in den neuen Stollenteil transportiert. „Dies war ebenfalls eine Herausforderung. Aufgrund des gewaltigen Außendurchmessers der Rohre von 3,80 m brauchte es einen speziell dafür konstruierten Sattelschlepper, um die Rohre zu ihrem Bestimmungsort zu bringen – und wirklich gute Fahrer“, so Meier. Nachdem der Hohlraum zwischen Rohr und Stollen hinterfüllt war, konnten die Verlegearbeiten an der Rohrleitung zu einem Abschluss gebracht werden. Mitte Oktober 2019 war die Verbindung der Druckrohrleitung durchgehend hergestellt.
Start des Probebetriebs
Langsam sahen die Verantwortlichen doch Licht am Ende des langen Tunnels. Nach letzten Abschlussarbeiten an der Zentrale in Mitlödi konnte im November letzten Jahres mit den Trocken-Inbetriebsetzungsarbeiten mit sämtlichen Signaltests begonnen werden. Anfang Dezember war der große Moment gekommen: Erstmalig wurde das Triebwasser durch den Stollen zu den Turbinen im Maschinenhaus geführt. Dem Probebetrieb stand nichts mehr im Weg. Nach 13 Jahren Planungs- und Bauzeit mit all den Hindernissen und Herausforderungen konnte der Generator erstmals ans Netz geschaltet werden. Das Maschinenhaus wurde am nördlichen Rand des Industrieareals der Firma Seidendruckerei AG in Stahlbetonbauweise erstellt. Parallel zu den Vortriebsarbeiten waren bereits die Installation der Turbine-Generator-Einheit, sowie der Netzanschluss erfolgt. „In der Zeit der langwierigen Vortriebsarbeiten konnten zugleich auch das Vereinigungsbauwerk für das Wasser aus den Oberliegerkraftwerken Sernf und Niederenbach, sowie die Wasserfassung Schwanden mit dem Entsandungsbauwerk errichtet werden. Außerdem wurde der gesamt Stahlwasserbau realisiert und die Installation der Steuerungs- und Leittechnik erledigt“, fasst der Geschäftsführer der Kraftwerk Doppelpower AG zusammen.
Kaplanturbine für größere Fallhöhen
Das Herz des Kraftwerks bildet eine so genannte Compact Axial Turbine (CAT). Dabei handelt es sich um eine spezielle horizontale Version der Kaplan-Rohr-Turbine, designt, gefertigt und geliefert vom Weltmarktführer in Sachen Rohrturbinen, Andritz Hydro. Die Maschine wurde eigens für Fallhöhen bis 35 Meter für eine wirtschaftliche und effiziente Wasserkraftnutzung entwickelt. Als Besonderheit weist die Maschine ein wassergeschmiertes Lager auf und trägt damit den ökologischen Anforderungen Rechnung. Dank der ultrakompakten Bauform des CAT-Maschinensatzes, der modular aufgebaut ist, sinken der bauliche Aufwand und die Kosten für die Turbineninstallation. Genug Gründe, warum sich die Betreiber für diese Turbinenvariante entschieden hatten. Konkret ist die Turbine auf eine Ausbauwassermenge von 13 m3/s und eine Fallhöhe von 35 Meter ausgelegt. Dabei erreicht die CAT-Turbine eine Ausbauleistung von 4 MW. „Leider befinden wir uns aktuell gerade in der Niederwasserzeit. Das heißt: Wir hatten noch keine Gelegenheit, sie länger unter Volllast zu testen. Das wird dann im Frühling während der Schneeschmelze passieren“, sagt Leo Meier und verweist darauf, dass die Maschine im Probebetrieb bisher einen ausgezeichneten Eindruck hinterlassen hat.
Investition für Generationen
20 bis 22 GWh sauberen Strom wird das Kraftwerk Doppelpower in einem Durchschnittsjahr ans Netz liefern. Für die SN Energie AG, die als Hauptaktionär hinter der KW Doppelpower AG steht, eine wichtige Ökostromquelle, die etwa 15 Prozent ihrer Gesamterzeugung liefert. Das Kraftwerk ist durchaus als starkes Bekenntnis der SN Energie zum Ausbau erneuerbarer Ressourcen zu sehen, wie Leo Meier bestätigt: „Der Ausbau der erneuerbaren Energie zählt zu unseren absoluten Kern- interessen. Projekte wie das KW Doppelpower nehmen daher auch einen großen Stellenwert in unserem Leistungsportfolio ein.“ Das neue Kraftwerk wird Strom für rund 4.500 Haushalte liefern. Auf die Frage, ob man angesichts der gewaltigen Probleme beim Stollenbau auch einmal ans Aufgeben dachte, verneint Meier: „Natürlich wuchsen sich die baulichen Probleme zu einem wirtschaftlichen Gau aus. Schließlich haben sich die Projektkosten am Ende verdoppelt. Aber das Projekt stand nie wirklich in Frage. Alle unsere Partner sind an unserer Seite geblieben.“ Im Gespräch verweist er darauf, dass nicht nur die kurzfristige Rendite den Erfolg eines Projektes ausmacht und zeigt auf die Intarsien des mächtigen, schweren Holztisches im Besprechungsraum der SN Energie – diese lauten: 1932. „Damals wurde das erste Wasserkraftwerk der SN Energie errichtet. Auch damals lagen die finalen Projektkosten weit über den veranschlagten. Aber es war eine Investition in ein Kraftwerk, von dem wir als Enkelgeneration noch profitieren. Und genauso werden in Zukunft auch nachfolgenden Generationen von unserem neuen Kraftwerk Doppelpower profitieren.“
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