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Alvierwerk II verdreifacht Leistung bei Ersatzneubau dank Ossberger-Durchströmer5 min read

7. Juni 2021, Lesedauer: 4 min

Alvierwerk II verdreifacht Leistung bei Ersatzneubau dank Ossberger-Durchströmer5 min read

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In Auftrag gegeben wurde das Projekt Alvierwerk II von der Betreibergesellschaft Getzner, Mutter ­& Cie., die den Ersatzneubau im Rahmen eines Gemeinde-Hochwasserschutzprojektes in die Wege geleitet hat.

Von der nun unmittelbar an den ­Oberlieger Alvier­werk I angeschlossenen Wasserfassung über die rund 800 m lange erdverlegte Druckrohrleitung bis hin zum eb­en­­­­­­­falls unterirdisch angelegten Krafthaus wurde die Anlage von Grund auf neu errichtet. Bei der elektromaschinellen Ausstattung setzen die Betreiber auf ein Komplettpaket vom deutschen Kleinwasserkraftexperten Ossberger. Unter Voll­last schafft die in einem breiten Betriebsband effektiv produzierende Maschine eine Engpassleistung von mehr als 440 kW – im Vergleich zum Altbestand kommt diese einer Fast-Verdreifachung gleich.

In der Gemeinde Bürs südwestlich vom Bludenzer Stadtgebiet befindet sich die Getzner Textil AG, die seit jeher zu den größten privaten Unternehmen und Arbeitgebern in der Region sowie ganz Vorarlbergs zählt. Das 1818 im „Ländle“ gegründete Traditionsunternehmen gehört zur international aktiven Holding Getzner, Mutter & Cie. (GMC) und ist durch das Tochterunternehmen Getzner Textil AG weltweit bekannt für seine hochwertig verarbeiteten Baumwollstoffe. Durch die Tochtergesellschaft Getzner Werkstoffe GmbH ist man zudem an kleineren Produktionsstandorten in Nordamerika und Asien vertreten. Neben dem Kerngeschäft der Textilverarbeitung gilt Getzner als kompetenter Spezialist in Sachen Schall- und Schwingungsdämmung – die von der Getzner Werkstoffe GmbH hergestellten „Sylomer“-­Matten sind im Bau- und Industriesektor gleichermaßen ein gängiger Begriff und weit verbreitet. Zur Deckung des eigenen Strombedarfs der Produktion setzt GMC in Bürs traditionell auf erneuerbare Energie, konkret die Wasserkraft. Mit zwei Laufwasserkraftwerken an der Ill sowie zwei Ausleitungskraftwerken am Alvierbach erzeugt man übers Jahr gesehen sogar mehr Strom, als die Textilproduktion insgesamt benötigt.

Von langer Hand geplant
Bereits vor etwa 11 Jahren gab GMC die Neuausführung der Druckleitung und die Revitalisierung der Maschinengruppen des 1910 fertiggestellten Alvierwerks I in Auftrag. Eine noch umfassendere Erneuerung hatte man im Anschluss mit dem Unterlieger ­Alvierwerk II im Sinn. Der geplante Ersatzneubau, für welchen während des Pro­jektierungszeit­raums mehrere Variantenstudien ent­standen sind, sollte im Rahmen eines Hochwasserschutzprojektes der Gemeinde realisiert werden. „Die beschlossene Variante brachte mehrere grundlegende Verbesserungen mit sich – sowohl was die Hochwasserthematik, also auch die Stromproduktion betrifft“, sagt der ehemalige Betriebsleiter Manfred Harrasser, der die Kraftwerkserneuerung als GMC-Projektmanager federführend konzeptioniert und bis zu seiner Pensionierung begleitet hat. Die im Ortskern situierte Wehr­anlage des Altkraftwerks wurde komplett rückgebaut, womit sich die Hochwassersituation in diesem Gewässerabschnitt erheblich entspannt. Die neue Wasserfassung kon­nte mit vergleichsweise wenig baulichem Aufwand an den Unterwasserbereich des Alvierwerk I angeschlossen werden. Außerdem ersetzt die nun zur Gänze unterirdisch verlegte Druckrohrleitung den zuvor oberirdischen Ausleitungskanal. Harrasser erklärt, dass die Neuausführung des nun etwa 800 m langen Kraftabstiegs eine wesentliche Projektherausforderung darstellte. „Ein beträchtlicher Teil der Rohrtrasse verläuft durch verbautes Gebiet, teilweise lag der Abstand zu den angrenzenden Gebäuden bei den Verlegearbeiten unter 5 m. In bau- und transportlogistischer Hinsicht galt es also einiges zu bedenken.“ Beim Rohrmaterial setzte man auf duktile Gussrohre DN1280, die von der Vorarlberger Hilti & Jehle GmbH im 3. und 4. Quartal 2019 verlegt wurden. Die angepasste Rohrtrasse orientierte sich auch an dem zuvor abschnittweise als Aquädukt verlaufenden Kanalbauwerk, dessen steinerner Hochbau komplett abgetragen wurde. Mit der Neuausführung der Ausleitungsstrecke wurde eine erzeugungstechnisch entscheidende Verbesserung erzielt. Weil der Durchfluss des alten Oberwasserkanals aus Sicherheitsgründen auf maximal 2 m³/s begrenzt war, konnte die konzessionierte Wassermenge von 2,5 m³/s nie zur vollen Gänze für die Stromproduktion genutzt werden. Darüber hinaus hat sich die nutzbare Fallhöhe mit der Verlegung des Krafthauses an einen neuen Standort fast verdreifacht.

Durchströmer statt Kaplan-Maschine
Das Krafthaus des Alvierwerk II wurde bei der kompletten Neuausführung ebenfalls unterirdisch errichtet. Entstehen sollte die Kraftwerkszentrale gleich neben einem noch weitaus größeren GMC-Projekt, einer neuen Lagerhalle der Getzner Werkstoffe GmbH. Beim Bau des Krafthauses hatte die Vermeidung von Schall- und Schwingungsemissionen durch die Turbine höchste Priorität. Gewährleistet wurde dies durch eine 2-schalige Ausführung des Gebäudes und der Verwendung von Getzner-eigenem Dämmmaterial. Bernhard Massimo, der im Juli 2019 Manfred Harrasser als Betriebsleiter des E-Werks gefolgt ist, weist darauf hin, dass sich beim neuen Alvierwerk II eine Durchström-Turbine aus mehrerlei Gründen angeboten hat. „Ursprünglich war eine Kaplan-Turbine vorgesehen, die einen etwas höheren Wirkungsgrad aufweist. Allerdings konnte unterm Strich mit dem Einsatz eines Durchströmers eine deutlich höhere Wirtschaftlichkeit erzielt werden. So liegen alleine die Anschaffungskosten einer Durchström-Turbine und dem dazugehörigen Equipment bei rund der Hälfte einer Kaplan-Maschine. Durch den funktionsbedingt einfachen Aufbau ist eine Durchström-Turbine auch aus weniger Teilen zusammengesetzt, wodurch in weiterer Folge weniger Wartungskosten entstehen. Außerdem konnte das Krafthaus dank der platzsparenden Abmessungen im Vergleich zu einer Kaplan-Maschine kleiner bemessen und somit komplett unterirdisch angelegt werden.“

Leistung und Erzeugung massiv erhöht
Bei der Ausschreibung erhielt der süddeutsche Wasserkraft-Allrounder Ossberger den Zuschlag zur Lieferung eines elektromechanischen und leittechnischen Komplettpakets. Dessen Herzstück bildet eine von oben gespeiste Durchström-Turbine, ausgelegt auf eine Bruttofallhöhe von ca. 21 m. Unter Volllast erreicht die über ein Stirnradgetriebe mit einem horizontalen Synchron-Generator gekoppelte Turbine eine Engpassleistung von 443 kW. Dies entspricht einer fast-Verdreifachung des vormals auf etwa 150 kW limitierten Altbestands. Zusätzlich bietet die mit einem 2-zelligen Gehäuse bestückte Maschine ein sehr zufriedenstellendes Verhalten im Teillastbereich. Der Ossberger-Lieferumfang beinhaltete zudem die Absperrklappe sowie sämtliche Hilfsgewerke der Anlage, die ausschließlich von namhaften Herstellern bezogen wurden. Bei der Anlagen-Leittechnik setzen die Deutschen auf die weltweit im Automatisierungssektor bewährte SPS-Steuerung SIMATIC S7-1500 von Siemens. Die Bedienung der Anlage erfolgt über ein in die Schaltschrankfront integriertes Touchpanel, darüber hinaus wurde für den Fernzugang eine Anbindung an die zentrale Leitwarte von GMC hergestellt. Wenige Monate nach der im März 2020 erfolgten Inbetriebnahme geben Harrasser und Massimo unisono ein positives Fazit über die Erneuerung des Alvierwerks II ab: „Die Umsetzung hat durchwegs sehr gut funktioniert, dies ist in erster Linie dem guten Zusammenspiel aller Projektbeteiligten zu verdanken.“ Naturgemäß sehr erfreut zeigen sich der neue und der alte Betriebsleiter über die enorme Leistungssteigerung der Anlage, die im Regeljahr nun durchschnittlich rund 3 GWh Öko­strom erzeugen kann.

 

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