Potenziell tödliches Problem drängt durch den Klimawandel in den Vordergrund6 min read
Lesedauer: 4 MinutenDie Zukunft der Wasserkraft in Zeiten eines sich immer schneller ändernden Klimas wird stark von den damit einhergehenden Änderungen und der Verlagerung von Niederschlag abhängen (IPCC, 2013). Dies wird Auswirkungen auf die Ökologie und Nutzungsmöglichkeiten von Flüssen haben. Mit immer genaueren Modellen lassen sich Prognosen sowohl für die globale als auch regionale Verfügbarkeit von Wasser erstellen. Übereinstimmend wird dabei von einer Zunahme von Extremwetterereignissen wie Starkregen berichtet (Jjunju et al., 2022). Neben bekannten Folgen wie Überschwemmungen oder Erdrutschen kann bei Wasserkraftwerken auch eine wenig beachtete Gefahr für Fische und aquatische Wirbellose entstehen: Gasübersättigung.
Mit Gas übersättigte Flüssigkeiten sind uns vor allem von Getränken bekannt, wo meist CO2 unter Druck in der Flüssigkeit gelöst wird. So entsteht zum Beispiel Kohlensäure in Mineralwasser. Durch den Druckabfall beim Öffnen der Flasche oder Dose entweichen in der Folge Gasblasen, was eine natürliche Entgasung darstellt. An diesem Beispiel lässt sich gut das Prinzip von Gasübersättigung ablesen, welches dem Henry-Gesetz folgt: Die Löslichkeit von Gasen in Flüssigkeiten ist direkt proportional zum Druck in der Flüssigkeit. Eine Übersättigung ist also vorhanden, wenn in einer Flüssigkeit im Verhältnis zum Druck zu viel Gas gelöst ist. Einen hier weniger relevanten Einfluss auf die Löslichkeit von Gasen hat außerdem die Temperatur.
Turbinentyp spielt wichtige Rolle
Der bekanntermaßen wichtigste Parameter für die Energieerzeugung in Wasserkraftwerken ist neben der Durchflussmenge die Fallhöhe, welche den Druck bestimmt. Wird nun Luft in das Wasser eingebracht und dort hohem Druck ausgesetzt, löst sie sich im Wasser. Das kann in Mittel- oder Hochdruckkraftwerken der Fall sein, wenn zum Beispiel durch Verstopfung oder nicht ausreichende Dimensionierung von Kraftwerkseinläufen Luft in das System eingebracht wird. Dies kann bei Starkregenereignissen und anderen hohen Abflüssen wie z.B. Schneeschmelzen vorkommen, tritt aber auch bei zu seicht liegenden oder unterdimensionierten Einläufen auf.
Wichtig für die Entstehung von Gasübersättigung ist hierbei der Turbinentyp. Bei den meisten Pelton-Turbinen wird das Wasser beim Auftreffen auf die Turbinenschaufeln ausreichend entlüftet, während bei Kaplan- und Francis Turbinen kaum eine Entgasung stattfindet. In anderen Fällen kann Gasübersättigung bei hohen Dämmen an großen Flüssen entstehen, wenn dort bei Hochwasserentlastung Luft in große Wassertiefen unterhalb des Dammes eingebracht wird. Im Rahmen von Messungen konnten Gassättigungen bis zu 120 Prozent auch im Zusammenhang mit Turbinenbelüftung zum Betrieb im Grenzlastbereich nachgewiesen werden (Pulg et al. 2018).
Gefährdung von Organismen
Gasübersättigung kann potenziell gravierende Folgen für Fische und aquatische Wirbellose im Gewässer stromab haben. Werden Fische einer erhöhten Gassättigung ausgesetzt, so kann die sogenannte Gasblasenkrankheit auftreten, welche Ähnlichkeiten mit der Taucherkrankheit bei Menschen hat. Dabei fallen aufgrund einer Erhöhung der Gaskonzentration im Organismus Gasblasen aus, bei Fischen häufig in den Flossen oder den Augen. Die Ausprägung der Krankheit hängt von der Höhe der Gasübersättigung, der Aussetzungsdauer, der Tierart und dessen Größe ab. Akute Ausprägungen führen meist zu Gas- embolien innerhalb der Blutbahnen oder lebenswichtigen Organe und damit zum Tod. Bei weniger akuten Ausprägungen ist die Krankheit reversibel, kann jedoch zu sekundären Schädigungen wie Pilzbefall und Stress führen. Die Gasblasenkrankheit tritt bereits bei geringer Übersättigung auf und kann ab 110 Prozent Gassättigung tödlich sein (wobei 100 Prozent Sättigung der Normalzustand ist). Dieser Wert ist auch als Grenzwert in manchen Staaten der USA und in Kanada in Flüssen mit einer Wassertiefe von mehr als 1 m festgeschrieben (Weitkamp & Katz, 1980). Studien in Nordamerika, China und Norwegen zeigen, dass durch Wasserkraft verursachte Gasübersättigung ein weit verbreitetes und unterschätztes Problem ist. In den USA und Kanada wurden die ersten Untersuchungen zur von Wasserkraft verursachten Gasübersättigung bereits in den 1960er Jahren durchgeführt. Dort sowie in China treten vor allem an hohen Dämmen Gasübersättigungen auf. Anders in Norwegen, wo das Problem im Zusammenhang mit den vornehmlich eingesetzten Francis-Turbinen bei mittleren und hohen Fallhöhen auftritt. Das internationale Forschungsprojekt SUPERSAT unter Leitung des Norwegian Research Centre (NORCE) hat in den letzten Jahren unter anderem zur Verbreitung von Gasübersättigung in Norwegen, Deutschland und Österreich geforscht. Für die österreichische Forschung ist das Institut für Wasserbau, Hydraulik und Fließgewässerforschung der BOKU Wien zuständig, in Deutschland die Universität Koblenz-Landau. Vorläufige Ergebnisse zeigen, dass ein beträchtlicher Teil der großen norwegischen Kraftwerke eine hohe bis sehr hohe Gefahr für Gasübersättigung aufweist. Nun wird an einer flächendeckenden Überwachung der stromab liegenden Gewässer gearbeitet (Pulg et al., 2020).
Technische Lösungen gesucht
Das Entstehen von Gasübersättigung kann durch das Vermeiden von Lufteintrag in unter Druck stehendes Wasser vermieden werden. Dies kann zum Beispiel durch Leitbauwerke und Dämme oder ausreichende Dimensionierung von Kraftwerkseinläufen gewährleistet werden. Ist die Entstehung unvermeidbar, so lässt sich durch Lüften des Wassers an Über- fällen, Schwellen oder mittels Deflektoren die atmosphärische Entgasung beschleunigen (Pulg et al., 2018). In Kanada wurde der Einsatz von Skisprung-Hochwasserentlastungsbauten zur Entgasung erfolgreich getestet (Kamal et al., 2020). Im norwegischen DeGas Projekt wird an weiteren technischen Lösungen zum schnellen Ausgasen der gelösten Luft gearbeitet. Dort stehen vor allem der Einsatz von Ultraschall und Blasenschleiern im Fokus (Rognerud et al., 2020).
Das Vermeiden von Gasübersättigung in Gewässern stromab von Wasserkraftwerken wird durch den Klimawandel mehr Relevanz bekommen. Die eingangs genannte Zunahme an Starkregenereignissen wird vor allem in Bergregionen mit Speicherkraftwerken, Francis- Turbinen und Sekundäreinläufen zu mehr Übersättigungsereignissen führen können. Deshalb sollte bei Verdacht auf Gasübersättigung ein Messsystem zur kontinuierlichen Überwachung des gelösten Gasgehalts am Kraftwerksauslauf installiert werden. In Kombination mit Daten aus dem Kraftwerksbetrieb können damit mögliche Ursachen für Gasübersättigung identifiziert und Fischsterben verhindert werden. Dies trägt zu Erreichung der Kriterien von Umweltauflagen, Tier-, Natur- und Artenschutz, sowie der Wasserrahmenrichtinie und der EU Taxonomie bei.
Autoren: Wolf Ludwig Kuhn & Dr. Ulrich Pulg & Sebastian Franz Stranzl
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