Türnitzer Traisen treibt zwei neue Kleinwasserkraftwerke in Niederösterreich an8 min read
Lesedauer: 6 MinutenGleich zwei neue Kleinwasserkraftwerke sind in der niederösterreichischen Gemeinde Türnitz innerhalb von zwei Jahren ans Netz gegangen, das jüngste erst im heurigen Februar. An beiden Standorten wurde die vorgeschriebene Herstellung der Fischdurchgängigkeit mit dem Bau von Ökostromanlagen kombiniert. Die fast baugleichen Kraftwerke stauen die Türnitzer Traisen mittels hydraulisch betätigter Wehrklappen und nutzen zur Stromproduktion vertikalachsige Kaplan-Turbinen mit einer gemeinsamen Engpassleistung von knapp 350 kW. Im Regeljahr können die zwei Anlagen als zentrale Eckpfeiler der lokalen Energiegemeinschaft rund 1,4 Millionen kWh Ökostrom für Türnitz und die umliegenden Gemeinden erzeugen.
Mit einer Fläche von ca. 145 km² ist die niederösterreichische Marktgemeinde Türnitz im Bezirk Lilienfeld nur etwas kleiner als das Fürstentum Liechtenstein. In etwa 85 Prozent des Gemeindegebiets im südwestlichen Traisental sind bewaldet, was hinsichtlich der Fläche einen der höchsten Waldanteile in ganz Österreich darstellt. Das namensgebende Gewässer des Tals ist die Türnitzer Traisen, die bei Türnitz aus der Vereinigung von Traisenbach und Türnitz entsteht und auf ihrem Verlauf eine ganze Reihe von Kleinwasserkraftwerken antreibt. Während der Fluss in früheren Zeiten durch mechanische Wasserräder genutzt wurde, erfolgte mit der Einführung der Elektrizität die Umrüstung auf die Produktion von elektrischem Strom. Erst im heurigen Februar wurde das neueste Wasserkraftwerk an der Türnitzer Traisen fertiggestellt, davor ging ca. 2 Kilometer flussaufwärts im November 2021 ein weiteres Kraftwerk erstmals in Betrieb.
Energiegemeinschaft mit Ressourcenmix
Bürgermeister Christian Leeb erklärt beim zek HYDRO Lokalaugenschein in Türnitz, dass die Wasserkraftnutzung den Eckpfeiler der im Jahr 2022 gegründeten Erneuerbare Energie Gemeinschaft Türnitz (EEG) bilden: „Im Kern der EEG geht es darum, Türnitz und den umliegenden Gemeinden kostengünstigen Strom anzubieten, der lokal und nachhaltig erzeugt wird. Dazu nutzen wir neben der Wasserkraft, die rund um die Uhr Strom liefert, auch Photovoltaik und ein Biomasseheizwerk für die Fernwärmeversorgung. In Österreich sind wir die erste von über 200 Energiegemeinschaften, deren Strom auch aus Wasserkraft stammt.“ Einen gewichtigen Anteil an der Realisierung der neuen Kraftwerke hatte der in Oberösterreich ansässige Baumeister Ing. Karl Fürholzer. Mit seinem mittelständischen Unternehmen hat sich Fürholzer auf den Leitungsbau im Kanal- und Wasserleitungssektor spezialisiert. Hinzu kommen der Straßenbau, Hochbauprojekte sowie die Errichtung von Wasserkraftwerken. Mehr als 20 Kleinwasserkraftwerke hat Fürholzer bis dato realisiert, mehrere davon betreibt er selbst bzw. gemeinsam mit Partnern. „Die Gemeinde Türnitz war mir bereits von früheren Kanalarbeiten und anderen Baustellen bekannt. Dabei hatte ich auch schon ein Auge auf eine ungenutzte Sohlstufe am Rand des Ortszentrums geworfen, die sich für ein neues Wasserkraftwerk angeboten hat“, erklärt Karl Fürholzer. Auf die Anfrage beim Land Niederösterreich, ob an diesem Standort der Bau eines Kraftwerks möglich wäre, bekam der Baumeister die Antwort, er müsse diesbezüglich schnell aktiv werden, da in dem Gebiet bereits an einem Hochwasserschutzprojekt gearbeitet werde. „Schlussendlich habe ich mich 2018 mit dem Bürgermeister Christian Leeb in Verbindung gesetzt, bei dem ich mit dem Wasserkraftprojekt auf offene Ohren gestoßen bin, da an dem Standort ohnehin die Herstellung eines neuen Fischaufstiegs angestanden wäre. Wir wurden uns innerhalb kürzester Zeit einig, dass wir gemeinsam das Wasserkraftprojekt realisieren wollen“, so Karl Fürholzer.
Gemeinde und Baumeister beteiligt
Christian Leeb lässt nicht unerwähnt, dass das Genehmigungsverfahren für das geplante Projekt mit einigem bürokratischen Aufwand verbunden war, um die behördlichen Auflagen bzw. die Anforderungen an die ökologischen Belange zu erfüllen. Darüber hinaus musste der Bau des Wasserkraftwerks mit den Maßnahmen für den Hochwasserschutz gekoppelt werden. Als Generalplaner des Projekts wurde mit der InterTechno Engineering GmbH aus dem steirischen Gleisdorf ein kompetenter Partner engagiert, deren Kompetenz Karl Fürholzer schon von früheren Projekten bekannt war. Den wirtschaftlichen Rahmen des Wasserkraftprojekts bildet die Kleinwasserkraft Türnitz GmbH, an der Karl Fürholzer über eine Beteiligungsgesellschaft 70 Prozent der Anteile hält, die Gemeinde Türnitz steht ebenfalls über eine Gesellschaft im Besitz der restlichen 30 Prozent. In die Umsetzungsphase ging das Projekt nach dem Erhalt der finalen Genehmigung schließlich im Oktober 2020 während der herbstlichen Niederwasserperiode.
Schwieriger Untergrund
Die grundlegenden Herausforderungen des Projekts stellten die beschränkten Platzverhältnisse im Siedlungsgebiet sowie die geologische Situation dar. Ursprünglich war es geplant, im Bereich der Fischaufstiegshilfe für die Baugrubenbegrenzung Spundbohlen zu verwenden. Dieses Verfahren konnte aufgrund der felsigen Gegebenheiten im Untergrund allerdings nicht angewandt werden. Stattdessen wurde eine selbsttragende, mit Ankern abgesicherte Mauer aus Spritzbeton errichtet. Diese Methode bedeutete wegen der beengten Gegebenheiten zwischen der angrenzenden Straße und dem Flussbett nicht nur in baulogistischer Hinsicht eine Herausforderung, sondern war auch mit höheren Kosten verbunden. „Glücklicherweise standen die Anrainer hinter dem Projekt und hatten Verständnis für die diversen Umstände und Einschränkungen während der Bauphase“, so Karl Fürholzer. Für die gewässerökologische Durchgängigkeit am Kraftwerk sorgt ein technischer Fischaufstieg in Form eines Vertical-Slot-Pass. Dieser wird ganzjährig konstant mit 156 l/s dotiert und führt die Gewässerbewohner sicher ins Oberwasser. Für das Aufstauen der Türnitz und das Hochwassermanagement sorgt eine Wehrklappe in Fischbauchausführung mit einseitigem hydraulischem Antrieb. Die Ausleitung von maximal 5,2 m³/s Triebwasser erfolgt über einen seitlichen Einlauf, der von einem horizontalen Feinrechen geschützt wird. Angeschwemmtes Treibgut wird von einer pegelgeregelten Rechenreinigungsmaschine vom Schutzrechen entfernt und über eine Spülklappe ins Unterwasser abgegeben.
Herzstück von WATEC-HYDRO
Das auf der orographisch linken Gewässerseite errichtete Maschinengebäude wurde von der süddeutschen WATEC-Hydro GmbH mit einem leistungsstarken Technikpaket ausgerüstet. Das Herzstück der Anlage bildet eine doppeltregulierte Kaplan-Turbine in vertikalachsiger Bauform mit direkt gekoppeltem Synchron-Generator in permanenterregter Ausführung. Die doppelte Regulierfähigkeit der Kaplan-Maschine gewährleistet durch verstellbare Leitschaufeln und Laufradflügel auch bei schwankenden Zuflüssen einen effektiven Betrieb. Bei vollem Wasserdargebot erreicht die auf 4,18 m Bruttofallhöhe und 272 U/min Drehzahl ausgelegte Turbine 176 kW Engpassleistung. Vervollständigt wird der Maschinensatz durch den Generator, dessen Permanentmagnet-Technologie vor allem im Windkraftsektor verbreitet ist. Der von WATEC-Hydro in Kooperation mit einem Institut für elektrische Anlagen entwickelte Generator sorgt für eine äußerst hohen Gesamtwirkungsgrad der Maschinengruppe und gewährleistet darüber hinaus einen sehr leisen Betrieb – ein wichtiger Punkt des Projekts, da das Kraftwerk an das Siedlungsgebiet angrenzt, betont Christian Leeb. Die Stromproduktion der Anlage bzw. die Betriebsführung erfolgt dank moderner Steuerungstechnik natürlich vollautomatisch. Mit der Ausführung der gesamten Elektro- und Leittechnik wurde ein Kärntner Unternehmen beauftragt. Zugriff auf die Steuerung hat das Betriebspersonal durch ein Bedienpanel im Krafthaus sowie aus der Ferne via PC oder Smartphone.
Zweites Kraftwerk gebaut
Noch während der Bauphase wurden Pläne geschmiedet, ein weiteres Kleinkraftwerk rund zwei Kilometer flussabwärts zu realisieren. „Auch an diesem Standort hätte wegen einer bestehenden Sohlstufe ein Fischaufstieg errichtet werden müssen. Diese Gelegenheit haben wir genutzt, und um die Errichtung eines Wasserkraftwerks inklusive der Herstellung der ökologischen Durchgängigkeit angesucht. Zudem konnte das Bauprojekt mit den ohnehin anstehenden Hochwasserschutzmaßnahmen kombiniert werden“, sagt Karl Fürholzer. Die Projektierung für das Kraftwerk Türnitz 2, mit der als Generalplaner erneut die Intertechno Engineering GmbH beauftragt wurde, startete während der Inbetriebnahmephase der ersten Anlage im Spätherbst 2021. Erlangt wurde die Baubewilligung innerhalb kürzester Zeit, wodurch die Bauarbeiten bereits im August 2022 beginnen konnten. Anders als beim oberen Kraftwerk stellten sich die Bodenbedingungen für das Projekt, das natürlich wieder von Karl Fürholzers Bauunternehmen umgesetzt wurde, vergleichsweise günstig dar. Das neuere Kraftwerk gleicht in seiner Konzeption als Laufwasserkraftwerke von der baulichen Ausführung her sehr stark der Oberliegeranlage. Der ebenfalls mit 156 l/s dotierte Fischaufstieg wurde erneut mit einer technischen Vertical-Slot-Variante hergestellt. Aufgrund der örtlichen Gegebenheiten wurde der untere Abschnitt des Beckenpasses in Form einer dreireihigen Kaskade ausgeführt. Zum Aufstauen des Gewässers kommt wieder eine Wehrklappe zum Einsatz, die Ausleitung erfolgt ebenso über einen Seiteneinlauf inklusive horizontalem Schutzrechen und dazugehörigem Rechenreiniger. Geliefert wurde der gesamte Stahlwasserbau von der oberösterreichischen WWS Wasserkraft GmbH, die im gleichen Zug auch mit der elektromechanischen Ausstattung für das Krafthaus beauftragt wurden. Wie beim Oberlieger erzeugt auch beim Kraftwerk Türnitz 2 eine vertikalachsige Kaplan-Turbine mit direkt gekoppeltem Synchron-Generator sauberen Strom. Die ebenfalls doppeltregulierte Turbine wurde von WWS auf 5,2 m³/s Ausbauwassermenge und 3,85 m Bruttofallhöhe ausgelegt. Der luftgekühlte Generator mit 200 kVA Nennscheinleistung stammt vom Linzer Branchenspezialisten Hitzinger und dreht wie die Turbine mit 300 U/min.
Gelungene Ökostromprojekte
Nach einer Bauzeit von rund neun Monaten ging das Kraftwerk Türnitz 2 im Februar 2023 erstmals in Betrieb, die Anlage Türnitz 1 produziert bereits seit November 2021 sauberen Strom. Im Regeljahr wird Türnitz 1 rund 700.000 kWh Strom erzeugen, bei Türnitz 2 liegt die errechnete Erzeugungsprognose bei ca. 670.000 kWh. Bürgermeister Christian Leeb und Baumeister Karl Fürholzer zeigen sich unisono zufrieden mit dem Ergebnis der beiden Wasserkraftprojekte im Traisental: „Trotz der geringen Niederschläge während der vergangenen beiden Jahre haben wir eine positive Bilanz in Sachen Stromproduktion erzielt. Erwähnenswert ist definitiv die gute Zusammenarbeit mit den zuständigen Personen bei den Behörden, Fischereiberechtigen und der Abteilung Hochwasserschutz, die allesamt bestrebt waren, das Projekt möglichst gut und ausgewogen umzusetzen“, resümiert Karl Fürholzer. Christian Leeb bestätigt dieses Fazit und freut sich als Obmann der Türnitzer Energiegemeinschaft über zwei gelungene Ökostromprojekte in seiner Gemeinde.
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