Schneckenkraftwerk an wiederbelebtem Standort in Salzburg liefert Ökostrom für 200 Abnehmer9 min read
Lesedauer: 6 MinutenEin richtungsweisendes Wasserkraftprojekt in der Stadt Salzburg erzeugt seit Anfang Juni am Almkanal sauberen Strom. Die Wasserkraftschnecke des Kleinwasserkraftwerks Sinnhub, das der gemeinnützige Verein Ökostrombörse Salzburg vom Herbst 2022 bis zum Sommer 2023 realisierte, liefert im Regeljahr mehr als 300.000 kWh Ökostrom für 200 Salzburger Haushalte. Den herausforderndsten Teil bei der Projektumsetzung stellte die Umsetzung der Tiefbauarbeiten dar, die im knappen Zeitfenster von lediglich drei Wochen während der alljährlichen „Almabkehr“ bei widrigen Witterungsbedingungen bewerkstelligt werden mussten. Nach der Inbetriebnahme freuen sich die Initiatoren und Vereinsmitglieder über ein erfolgreiches Projekt, dessen vorbildlicher Charakter in der Öffentlichkeit äußerst positiv wahrgenommen wird.
Der Almkanal in Salzburg gehört zu den ältesten Wasserversorgungssystemen Mittteleuropas und wird seit vielen Jahrhunderten von den Bewohnerinnen und Bewohnern der Landeshauptstadt für unterschiedliche Zwecke genutzt. Die ersten Abschnitte des kontinuierlich ausgebauten Kanalnetzwerks wurden nach urkundlichen Aufzeichnungen bereits im 8. Jahrhundert angelegt. Während das künstlich geschaffene Gerinne in früheren Zeiten für die Nutz- und Trinkwasserversorgung sowie den Antrieb von mechanischen Wasserrädern diente, findet der Almkanal in der Gegenwart als Erholungs- und Bademöglichkeit, aber auch für eine Vielzahl von Kleinwasserkraftwerken Verwendung. Das neueste Wasserkraftwerk am Almkanal, der sich im inneren Stadtbereich fächerförmig in sieben Richtung Salzach orientierende Arme aufteilt, hat im heurigen Juni im Stadtteil Riedenburg den Probebetrieb aufgenommen.
Hoher Andrang für Ökostromprojekt
Ursprünglich initiiert wurde das Projekt von Johannes Lugstein, dem Obmann der Wasserwerksgenossenschaft Almhauptkanal. Dieser plante einen in den 1970er Jahren von einem ehemaligen Sägewerk aufgelassenen Kraftwerksstandort an der Sohlstufe Sinnhub zu reaktivieren. Da sich der Bau der Anlage aus wirtschaftlichen Gründen für den Obmann nicht darstellen ließ, veräußerte dieser das bereits genehmigte Projekt Anfang 2022 an die Ökostrombörse Salzburg. Bei der Ökostrombörse handelt es sich um einen 2005 gegründeten gemeinnützigen Verein, der es sich zum Ziel gesetzt hat, die Förderung erneuerbarer Energien in Salzburg voranzutreiben und damit einen Beitrag zur Energiewende zu leisten. Zur Realisierung des Kleinwasserkraftwerks Sinnhub gründete die Ökostrombörse die 100-prozentige Tochtergesellschaft Gemeinschafts-Energie-Anlagen GmbH. „Die Finanzierung zur Errichtung der Anlage erfolgte über den Verkauf von Strombezugsrechten, wobei die 200 Teilnehmenden für eine Vorauszahlung von knapp 6.000 Euro den Anspruch auf die Lieferung des vom Kraftwerk erzeugten Stroms für einen Zeitraum von 30 Jahren erhielten,“ erklärt der technische Projektleiter Josef Pichler, der bei der Ökostrombörse auch als Kassier tätig ist: „Die Bezugsrechte waren innerhalb kürzester Zeit verkauft, viele potentielle Interessenten mussten auf die Warteliste gesetzt werden. Damit die Verteilung der erzeugten Energie fair abläuft, haben alle Teilnehmer während ihres 30-jährigen Bezugszeitraums ein Anrecht auf die Lieferung von jeweils 45.000 kWh Strom. Über die gesamten 30 Jahre gerechnet, kann ein durchschnittlicher Haushalt somit in etwa die Hälfte des jeweiligen Jahresstrombedarfs abdecken.“
Enges Zeitkorsett für Bauarbeiten
Die Bauarbeiten zur Herstellung des Betonbaus mussten gezwungenermaßen während der sogenannten Almabkehr im Herbst umgesetzt werden. Bei der Almabkehr wird der Kanal alljährlich in einem dreiwöchigen Zeitraum im September zur Durchführung von Reinigungs- und Instandhaltungsarbeiten komplett entleert. Dieses Zeitfenster stellt für Anlagenbetreiber üblicherweise die einzige Möglichkeit dar, größere Bau- bzw. Revitalisierungsprojekte am Almkanal umzusetzen. Zuständig für die Ausführung der gesamten Hoch- und Tiefbauarbeiten sowie die Wasserhaltungsmaßnahmen war die Spiluttini Bau GmbH aus St. Johann im Pongau. „Die Errichtung des Wasserkraftwerks Sinnhub war unser zweites Projekt am Almkanal innerhalb kurzer Zeit. Während der Almabkehr 2021 haben wir für die Erzdiözese Salzburg bei der Reaktivierung eines alten Kraftwerksstandorts in der Festungsgasse die Bauarbeiten umgesetzt“, sagt Spiluttini-Projektleiter Christoph Hettegger: „Das knappe Zeitfenster stellte für uns als Bauunternehmen die größte Herausforderung dar. Vor der Entleerung des Kanals wurden die Baustelleneinrichtung und diverse Vorbereitungsarbeiten durchgeführt. Obwohl der Baubereich mit einem Damm abgedichtet wurde, kam es während der Tiefbauarbeiten mehrfach zu Starkregenereignissen und damit einhergehenden kleineren Überflutungen. Diese Wassereintritte mussten mit dem Einsatz von Pumpen schnellstmöglich beseitigt bzw. provisorisch abgeleitet werden.“ Für die Generalplanung des Projekts sorgte die GEOWASSER Ingenieurbüro GmbH aus der westlich der Landeshauptstadt gelegenen Gemeinde Wals-Siezenheim. Die Experten für Planungs- und Beratungsleistungen im Wasserbausektor waren auch am Kraftwerksprojekt der Erzdiözese Salzburg beteiligt. Darüber hinaus kann GEOWASSER auf eine ganze Reihe von Wasserkraftprojekten in Stadt und Land Salzburg verweisen, beispielsweise auf den Bau des Kleinwasserkraftwerks vom Augustinerbräu Salzburg, das ebenfalls eine Wasserkraftschnecke am Almkanal für die Stromgewinnung nutzt. Die Formgebung des Krafthauses stammt von den Salzburger Architekten Mayer + Seidl, wobei die Gestaltung in Form eines Fisches die ökologische Relevanz des Projekts zum Ausdruck bringt. „Die Gebäudeform bewirkt einen weiteren Vorteil. Die geschwungene Rückenpartie des Fischs befindet sich nahe an der Wasserkraftschnecke im Inneren und minimiert dadurch die Schallausbreitung“, erklärt Josef Pichler.
Generalauftragnehmer aus OÖ
Für die Ausführung des gesamten Stahlwasserbauequipments war der Branchenexperte Danner Wasserkraft GmbH aus dem oberösterreichischen Almtal zuständig. Ebenfalls im Danner-Lieferumfang enthalten waren die Wasserkraftschnecke und die elektro- und regelungstechnische Ausrüstung von den Sub-Auftragnehmern Spaans Babcock und Schubert CleanTech GmbH. „Der Salzburger Almkanal ist Danner bestens bekannt, in den vergangenen Jahren haben wir mehr als sechs Projekte am Kanal begleitet“, sagt Danner-Projektleiter Clemens Kaltenböck. Zu den von Danner gelieferten hydromechanischen Komponenten zählte ein vor dem Kraftwerkseinlauf positionierter Schutzrechen in vertikaler Ausführung, der größeres Schwemmgut wie Äste oder Zivilisationsmüll von der Schnecke fernhält sowie ein maßgefertigter rollengelagerter Einlaufschütz mit Notschlussfunktion. „Durch das erhöhte Eigengewicht des Schützes wird der Zulaufkanal im Störungsfall binnen Sekunden geschlossen und die Wasserkraftschnecke sowie das dazugehörige Übersetzungsgetriebe und der Generator vor Überlastung geschützt“, so Kaltenböck. Zur Umleitung des Triebwassers wurden eine Leerschussklappe und ein ohne Fremdenergie arbeitender Notschwimmer montiert. „Neben den hydraulisch betriebenen Komponenten, die in die Kraftwerkssteuerung eingebunden wurden, wurde der alte hölzerne Einlaufschütz zum ‚Neutorarm‘ des Almkanals durch einen Doppelplattenschütz aus feuerverzinktem Stahl ersetzt. Dieser dient zudem für die Regulierung der ausdrücklich gewünschten Geräuschkulisse durch den Wasserüberlauf. Das Rauschen des Wassers, das einigen Anwohnern sehr am Herzen liegt, wurde somit bestmöglich erhalten,“ betont Kaltenböck und ergänzt, dass durch die Verlegung der Ableitung „Neutorarm“ in den Unterwasserbereich der Anlage die komplette Wassermenge vom oberwasserseitig zufließenden Kanalarm genutzt werden kann. Für die exakte Aufteilung der Wassermenge zwischen den beiden abfließenden Armen „Mülln“ und „Neutor“ im Unterwasserbereich sorgt eine verstellbare Verteilzunge. Einen von Danner angestoßenen Optimierungsvorschlag lässt Kaltenböck nicht unerwähnt: „Die ursprünglich vorgesehene elektrisch öffnende Notfallbremse am Getriebe wurde durch eine hydraulische Ausführung ersetzt. Damit muss die Federkraft der Bremseinrichtung nicht konstant mittels Elektromagnet überwunden werden. Mit dieser Variante konnte der Eigenstromverbrauch des Kraftwerks um ca. 2.500 kWh pro Jahr reduziert werden. Umgerechnet entspricht dies in etwa dem Jahresstrombedarf eines durchschnittlichen Haushalts.“
Fischfreundliche Schnecke liefert Strom
Das punktgenaue Einheben der tonnenschweren Wasserkraftschnecke im November des Vorjahres bedurfte wegen der beschränkten Platzverhältnisse inmitten des verbauten Stadtgebiets viel Fingerspitzengefühl. Gefertigt wurde die Schnecke vom holländischen Marktführer Spaans Babcock, der bis dato mehr als 180 Wasserkraftschnecken an über 140 Standorten mit einer installierten Gesamtleistung von mehr als 20 MW realisiert hat. Die Leistungsbereiche der Wasserkraftschnecken von Spaans Babcock an den einzelnen Standorten liegen zwischen 8 kW bis hin zu 1,1 MW. Für das Wasserkraftwerk Sinnhub lieferten die Holländer eine auf 4,1 m³/s Ausbauwassermenge und 1,4 m Nettofallhöhe ausgelegte Schnecke, die unter Volllast 43 kW Engpassleistung erreicht. Ein wesentlicher gewässerökologischer Vorteil der Wasserkraftschnecke liegt in ihrer erwiesenen Fischfreundlichkeit. Die mit nur rund 27 U/min langsam drehende Schnecke ermöglicht den aquatischen Lebewesen im Almkanal eine sichere Passage vom Ober- in den Unterwasserbereich der Anlage. Als Verbindung zu dem mit 1.520 U/min rotierenden Asynchron-Generator mit 55 kVA Nennscheinleistung dient ein Getriebe mit dem Übersetzungsverhältnis 1 : 55,86. Das elektro- und leittechnische Equipment des Kraftwerks stammt vom niederösterreichischen Automatisierungsspezialisten Schubert CleanTech GmbH. Der Lieferumfang von Schubert umfasste unter anderem den Frequenzumrichter vom Hersteller ABB, die Siemens-SPS-Steuerung 1512SP CPU sowie das Siemens-Messsystem PAC3220. Die Kommunikation zwischen Frequenzumformer, SPS-Steuerung und dem Messsystem erfolgt via ProfiNet und Modbus TCP. „Bei der Programmierung der Anlagensteuerung galt es zwei zentrale Bedingungen zu erfüllen. Um den Vorgaben des Netzbetreibers gerecht zu werden, muss das Kraftwerk mit einer gewissen Geschwindigkeit arbeiten. Gleichzeitig war aber auch eine bestimmte Trägheit gefordert, damit im Ober- und Unterwasserbereich weder Schwall noch Sunk entstehen können, da die Regelreserven der Wasserführung im Almkanal sehr gering sind“, so Schubert-Projektleiter Andreas Griessler.
Richtungsweisendes Projekt
Erstmals in Betrieb genommen wurde die Wasserkraftschnecke im heurigen April – allerdings währte der Probelauf nur wenige Stunden. Wegen eines technischen Gebrechens am Zylinderkolben für die Steuerung der Leerschlussklappe musste die Anlage kurz darauf wieder deaktiviert werden. „Bis das Ersatzteil geliefert werden konnte, vergingen mehrere Wochen. Die Lieferthematik diverser Kraftwerkskomponenten war generell eine zentrale Projektherausforderung, die auf globale Logistikprobleme durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie zurückzuführen war“, merkt Josef Pichler an. Nichtsdestotrotz konnte die Anlage schließlich Anfang Juni den Probebetrieb aufnehmen. Die ersten Betriebserfahrungen des jüngsten Ökostromkraftwerks verliefen sehr positiv. Beim zek HYDRO-Lokalaugenschein am Almkanal Ende Juni waren am Standort noch diverse Renaturierungsmaßnahmen und kleinere Restarbeiten ausständig. „Aktuell fahren wir aus schalltechnischen Gründen mit etwa zwei Drittel der Maximalleistung. Nach dem Einbau einer zusätzlichen Gummischürze am Kraftwerksauslauf zur Minimierung des Betriebsgeräuschs der Schnecke wird die Anlage in den Vollbetrieb übergehen. Alles in allem freuen wir uns über ein erfolgreiches Projekt, bei dem ein stillgelegter Kraftwerksstandort vorbildlich reaktiviert wurde, der 200 Salzburger Haushalte mit nachhaltig erzeugter Energie versorgt“, bekräftigt Josef Pichler.
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