Hartnäckigkeit und langer Atem lassen Kraftwerk Fotscherbach Realität werden8 min read
Lesedauer: 6 MinutenDas nach einem langwierigen Genehmigungsverfahren innerhalb von nur 14 Monaten Bauzeit realisierte Kleinwasserkraftwerk Fotscherbach in der Tiroler Gemeinde Sellrain speiste im Dezember 2022 erstmals ins Netz ein. Realisiert wurde die zu 100 Prozent im Gemeindebesitz stehende Anlage nach dem klassischen Ausleitungsprinzip, wobei 1.000 l/s Triebwasser durch einen ca. 2,2 km langen Kraftabstieg ins Maschinengebäude strömen. Die Wasserfassung wurde mit einem zum Großteil selbstreinigenden Coanda-System ausgerüstet, wodurch man sich die Errichtung eines Entsanderbauwerks ersparen konnte. Im Maschinengebäude sorgt eine wirkungsgradstarke Pelton-Turbine mit knapp 2,1 MW Engpassleistung für ein Höchstmaß an Effizienz und wird im Regeljahr fast 9 GWh Ökostrom erzeugen.
Die Realisierung des Kraftwerks Fotscherbach ist zu großen Teilen der Hartnäckigkeit des seit Ende 2022 als Tiroler Landeshauptmannstellvertreter amtierenden Dr. Georg Dornauer (SPÖ) zu verdanken. Beim zek HYDRO-Lokalaugenschein in der Gemeinde Sellrain, rund 30 Autominuten südwestlich von der Landeshauptstadt Innsbruck gelegen, erläutert Georg Dornauer, der von 2016 bis 2022 der Gemeinde als Bürgermeister vorstand, den mühseligen Weg des Ökostromprojekts. Die Sellrain/Fotsch Wasserkraft GmbH sei – so Dornauer – 2006 vom ehemaligen Bürgermeister Norbert Jordan gegründet worden, damals war an der GmbH auch noch ein privater Gesellschafter mehrheitlich beteiligt. Als Dornauer 2013 die Geschäftsführung der GmbH übernahm war einer seiner ersten Schritte, sich mit dem Mehrheitseigentümer zu arrangieren, um die Gesellschaft zu 100 Prozent in den Besitz der Gemeinde zu überführen. „Die notwendigen Projektbewilligungen zu erhalten bedeutete einen langwierigen Weg zu beschreiten, der mehr als zehn Jahre in Anspruch genommen hat. Von der Umweltabteilung des Landes Tirol wurde die Bewilligung zweimal verweigert. Und zweimal wurden die Negativbescheide vom Verwaltungsgerichtshof in Wien aufgehoben mit der ganz klaren Erkenntnis, dass Kleinwasserkraftwerke erstens im öffentlichen Interesse stehen und zweitens auch einen wichtigen Beitrag für die geplante Tiroler Energieunabhängigkeit bis zum Jahr 2050 leisten“, betont Dornauer.
Umfassende Adaptierungen
Aufbauend auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs konnte die konsenswerbende Kraftwerksgesellschaft durch diverse Verbesserungen und ein ökologisches Maßnahmenpaket, das im Rahmen des Anlagenbaus umgesetzt werden sollte, letztendlich eine Einigung mit der Umweltabteilung erzielen. Die Umsetzungsphase startete nach der Beilegung der jahrelangen Rechtsstreitigkeiten schließlich im Herbst 2021. Als Generalunternehmen, das für die Umsetzung der kompletten Hoch- und Tiefbauarbeiten sowie die wesentliche Projektkoordinierung zuständig war, wurde die Tiroler HTB Baugesellschaft m.b.H. beauftragt. Die bei zahlreichen anspruchsvollen Projekten im In- und Ausland bewährten Spezialisten von HTB führten sämtliche Baulose an der Wasserfassung, dem Maschinenhaus und der Herstellung des Kraftabstiegs mit Eigenpersonal durch. Mit der Generalplanung des Projekts wurde die nicht nur im Kleinwasserkraftbereich renommierte breuß mähr bauingenieure GmbH aus Vorarlberg beauftragt. „Die ursprünglich von einem anderen Planer stammende Einreichplanung war sehr großzügig dimensioniert. An diesem Konzept sahen wir durch verschiedene Adaptierungen Optimierungspotential“, erklärt der auch als Gerichtssachverständiger tätige breuß mähr-Geschäftsführer Markus Mähr. Als zentrales Bindeglied zwischen dem während der Bauphase noch amtsführenden Bürgermeister und Geschäftsführer der Sellrain/Fotsch Wasserkraft GmbH Georg Dornauer und der Oberbauleitung fungierte Günter Pichler. Dieser war bis zu seiner Pensionierung lange Jahre als Betriebsleiter beim Elektrizitätswerk Kematen beschäftigt, das mit drei eigenen Kleinwasserkraftwerken Strom erzeugt. „Als mich Georg Dornauer gefragt hat, ob ich ihm beim Neubau am Fotscherbach beratend zur Seite stehen möchte, habe ich dem gerne zugestimmt und war seit dem Frühjahr 2021 an der Projektumsetzung beteiligt“, so Günter Pichler.
Südtiroler Grizzly reinigt sich selbst
Auch die Wasserfassung konnte durch die Umplanungen von breuss mähr optimiert werden. Anstelle eines ursprünglich geplanten Tiroler Wehrs mit einem nachgeschalteten Entsanderbecken wurde die Wehranlage mit dem nahezu selbstreinigenden Coanda-System „Grizzly Power Protec“ vom Südtiroler Branchenexperten Wild Metal GmbH ausgestattet. Die Oberseite des „Grizzly“ besteht aus einem robusten Schutzgitter aus feuerverzinktem Stahl, dessen Formgebung dem natürlichen Wasserfluss angepasst ist, und dem Schutz vor groben Steinen oder größerem Treibholz dient. Darunter befindet sich ein Feinsieb aus abriebbeständigem Edelstahl, das durch seine Form den namensgebenden Coanda-Effekt erzeugt und damit den Einzug von feinen Sedimenten verhindert. Beim Kraftwerk Fotscherbach wurde die Feinrechenfläche des Südtiroler „Grizzlys“ mit einer Spaltweite von 0,4 mm ausgeführt. Weiters lieferte Wild Metal auch das übrige Stahlwasserbauequipment wie die neben dem Coanda-System angeordnete Spül- und Dotationsklappe, diverse Schieber, den Rohrabgang für den Übergang zur Druckrohrleitung sowie das Hydraulikaggregat und die dazugehörigen Steuerölleitungen. Während der kalten Jahreszeit mit geringeren Zuflüssen erfolgt der Triebwassereinzug über einen separaten Wintereinlauf. Die ökologische Durchgängigkeit am Querbauwerk gewährleistet eine in technischer Vertical-Slot-Ausführung gebaute Fischaufstiegshilfe, die konstant mit 108 l/s dotiert wird. Generalplaner Markus Mähr merkt an, dass der Wasserstand in der Fischaufstiegshilfe 40 cm beträgt: „Im Leitfaden zur Errichtung von Fischaufstiegsanlagen sind eigentlich 50 cm Wasserstand vorgeschrieben. Allerdings konnte durch die Verringerung um 10 cm Wasserhöhe der Fischaufstieg mit acht Becken weniger hergestellt werden. Statt dieser acht Becken wurde im oberen Teil des Fischaufstiegs ein baulich weniger aufwändiges Fertigteil aus Beton eingesetzt. Selbstverständlich wurde diese Sonderausführung von der Behörde genehmigt. Sollte sich beim Monitoring des Fischaufstiegs herausstellen, dass diese Variante nicht funktioniert, können die acht Becken nachträglich ergänzt und der Wasserstand somit auf 50 cm angehoben werden.“
2,25 km lange Turbinenleitung
Nach dem Einzug durch das Coanda-System fließt das Triebwasser in ein Regelbecken, in dem sich die Sonde der pegelgeregelten Turbine befindet, und strömt im Anschluss durch die Apparatekammer mit der Rohrbruchsicherung in die Druckrohrleitung. Der Kraftabstieg hat eine Länge von 2.253 m und besteht zur Gänze aus duktilen Gussrohren DN800 von der Tiroler Rohre GmbH (TRM). Die robusten Eigenschaften der Turbinenleitungen von TRM kommen mit den oftmals extremen Bedingungen im alpinen Gelände bestens zurecht und gewährleisten optimale Fließbedingungen mit geringen Reibungsverlusten. „Der Trassenverlauf der Druckrohrleitung orientierte sich an einem vorhandenen Forstweg, der vom Krafthaus zur Wasserfassung führt. Eine bestehende Trinkwasserleitung der Gemeinde, die der Rohrtrasse des Kraftwerks abschnittweise im Weg war, wurde in Teilen ebenfalls neu verlegt“, so Markus Mähr. Dank des anwenderfreundlichen Muffensystems der TRM-Rohre und dem Einsatz der HTB-Monteure gingen die Verlegearbeiten schnell voran.
5-düsiges Kraftpaket im Maschinengebäude
Für die elektrohydraulische und regelungstechnische Ausstattung des Maschinengebäudes kamen zwei weitere Kleinwasserkraftexperten aus Südtirol zum Zug. Das Herzstück der Anlage, eine Pelton-Turbine in vertikalachsiger Bauform mit fünf elektrisch geregelten Düsen, lieferte die Sora GmbH. Die 5-düsige Ausstattung der Turbine ermöglicht auch bei stark verringertem Wasserdargebot eine höchst effizienten Stromproduktion über ein breites Betriebsband hinweg. Bei vollem Zufluss erreicht das für 1.000 l/s Ausbauwassermenge und 235 m Nettofallhöhe ausgelegte Kraftpaket knapp 2,1 MW Engpassleistung. Eine Besonderheit bei der Maschinenkonstruktion stellt das Turbinengehäuse dar, dessen innovative Bauweise den gleichzeitigen Einsatz als Wärmetauscher für den direkt mit dem Pelton-Laufrad gekoppelten Synchron-Generator ermöglicht. Üblicherweise wird ein separater Wärmetauscher im Unterwasserbereich positioniert und dort vom abgearbeiteten Triebwasser gekühlt. Der Generator stammt von der deutschen AEM Dessau GmbH und wird von der Turbine mit 750 U/min angetrieben. Ausgelegt wurde der wirkungsgradstarke Generator von den Experten für Sondermaschinenbau auf 690 V Betriebsspannung und 2.400 kVA Nennscheinleistung. Das elektro- und leittechnische Equipment lieferte das Unternehmen EN-CO (Energy Control), das gemeinsam mit seinem Partnerbetrieb Sora auf eine Vielzahl erfolgreicher Wasserkraftprojekte im In- und Ausland verweisen kann. Zum Lieferumfang von EN-CO zählten unter anderem die gasisolierte Mittelspannungsschaltanlage, die Generatorableitung sowie die Programmierung der Kraftwerkssteuerung mit intuitiver Visualisierungsoberfläche. Die Leittechnik sorgt für den vollautomatischen Anlagenbetrieb und ermöglicht dem für die Betriebsführung zuständigen Kraftwerkswärter via gesicherter Online-Verbindung umfangreiche Überwachungs- und Fernwirkoptionen.
Am Netz seit Ende 2022
Rund 14 Monate nach dem Beginn der Bauphase ging das Kraftwerk Fotscherbach im Dezember 2022 erstmals in Betrieb. Markus Mähr zieht nach der Fertigstellung ein rundum positives Fazit: „Die Projektumsetzung hat grundsätzlich tadellos funktioniert, was in erster Linie dem vorbildlichen Einsatz der beteiligten Unternehmen zu verdanken ist. Die zeitliche Komponente spielte eine wichtige Rolle, da die Anlage bis spätestens 28. Februar 2023 ans Netz gehen musste, um die von der Bundesregierung im Zuge der Corona-Pandemie initiierte „AWS“-Förderung für Ökostromprojekte in Anspruch nehmen zu können. In erzeugungstechnischer Hinsicht sind wir ebenso sehr zufrieden. Die Anlage erreicht sogar höhere Wirkungsgrade als prognostiziert und hat bis Ende Juni schon fast 4,5 GWh Strom erzeugt.“ Das durchschnittliche Jahresarbeitsvermögen des Gemeindekraftwerks liegt bei ca. 8,9 GWh. Landeshauptmannstellvertreter Dornauer zeigt sich ebenfalls sehr erfreut über das erfolgreiche Projekt und richtet im Hinblick auf den langwierigen Genehmigungsprozess einen deutlichen Appell an die Bundesregierung: „Wenn wir das von der EU vorgegebene Ziel der Klimaneutralität bis 2050 erreichen wollen, kann es nicht sein, dass sich die dafür notwendigen Bewilligungen derartig in die Länge ziehen. Es gilt, an allen Ecken und Enden legistisch und an der Exekutive zu schrauben, damit die Verfahren ungleich komprimierter und rascher über die Bühne gehen.“ Wenige Monate nach der Fertigstellung des Kraftwerks Fotscherbach ging ganz in der Nähe ein noch leistungs- bzw. erzeugungsstärkeres Gemeinschaftskraftwerk in Betrieb, an dem neben der Gemeinde Sellrain noch sechs weitere Ortschaften beteiligt sind. Für die von der Kraftwerk Sellrain GmbH errichtete Anlage wurden am Fotscherbach und an der Melach zwei Wasserfassungen errichtet. Die beiden Pelton-Turbinen mit einer kombinierten Engpassleistung von ca. 12,2 MW befinden sich unter Tage in einer Maschinenkaverne und können im Regeljahr rund 55 GWh nachhaltige Energie erzeugen. Über dieses Projekt wird zek HYDRO noch ausführlich berichten.
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