Trinkwasserkraftwerk Auli schafft Symbiose aus Wasserversorgung und Ökostromgewinnung7 min read
Lesedauer: 5 MinutenDie notwendige Sanierung von zwei Quellfassungen für die regionale Trinkwasserversorgung nutzten die Technischen Betriebe Glarus (tb.glarus) als Ausgangspunkt für ein symbiotisches Ökostromprojekt. Dabei wurde im Zuge der Erneuerung der beiden Brunnenstuben Löntschbord und Faulenkopf und den dazugehörigen Rohrleitungen auf dem bestehenden Trinkwasserreservoir Auli ein neues Kleinwasserkraftwerk errichtet. Das hydroenergetische Potential von ca. 130 m Fallhöhe und 100 l/s Wasser wird nun zur Produktion von grünem Strom verwendet. Im Regeljahr kann das Trinkwasserkraftwerk Auli mit seiner auf knapp 150 kW Engpassleistung ausgelegten Pelton-Turbine ausreichend Strom für ca. 250 Haushalte erzeugen.
Im Kanton Glarus hat die Nutzung von Trinkwasser-Infrastruktur zur Stromproduktion eine lange Tradition. So wurde bereits 1937 das Trinkwasserkraftwerk Bleiche, das von den äußerst ertragreichen Brunnenstübli-Quellen mit einer jährlichen Schüttung von ca. 9 Millionen m³ gespeist wird, in Betrieb genommen. Zu diesem Zeitpunkt zählte das Kraftwerk Bleiche zu den ersten Anlagen dieser Art in der Schweiz. Weil dessen Wasserfassung und das Leitungsnetz nach einer Betriebsdauer von knapp 80 Jahren nicht mehr den aktuellen Anforderungen gerecht wurden, starteten die Betreiber tb.glarus vor acht Jahren ein umfassendes Revitalisierungsprojekt. Dabei wurden zwischen 2015 und 2016 die Brunnenstube saniert, die Versorgungsleitungen ausgetauscht und ein zusätzliches Reservoir für das komplett erneuerte Trinkwasserkraftwerk Bleiche errichtet. Ihr zweites Trinkwasserkraftwerk, das nun auf dem bestehenden Reservoir Auli errichtet wurde, nahmen die tb.glarus Anfang 2023 erstmals in Betrieb.
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Gemeindefusion eröffnet Möglichkeiten
Im Gespräch mit zek HYDRO erörtert Martin Zopfi-Glarner, der Geschäftsführer der tb.glarus, die Entstehungsgeschichte des neuesten Trinkwasserkraftwerks im Kanton: „Mit der 2011 erfolgten Gemeindefusion in Glarus, bei der 25 Ortsgemeinden zu drei Einzelgemeinden zusammengefasst wurden, wurde auch die Grundvorrausetzung für den Bau des neuen Kraftwerks geschaffen. Bei der Fusion wurden die zuvor eigenständigen Gemeinden Netstal, Riedern, Glarus und Ennenda in das Versorgungsgebiet der tb.glarus aufgenommen. Damit eröffnete sich für die tb.glarus die Möglichkeit, die notwendige Sanierung der beiden Quellfassungen Löntschbord und Faulenkopf, die sich zuvor auf dem Gebiet von zwei eigenständigen Gemeinden befanden, mit der Errichtung eines neuen Trinkwasserkraftwerks zu kombinieren.“ In wirtschaftlicher Hinsicht war durch die Zusage des Einspeisevergütungssystems (EVS), bei der die Stromproduktion der Anlage für einen Zeitraum von 15 Jahren einen geförderten Tarif erhält, auch die finanzielle Absicherung des Projekts gewährleistet. Mit der Generalplanung des Projekts wurde die in Glarus ansässige Runge AG beauftragt, die einmal mehr ihre Kompetenz im Wasserkraftsektor unter Beweis stellen konnte. Die Runge AG beschreibt das Projekt als hochinteressantes Bauvorhaben, bei dem es die Anforderungen aus Trinkwasserversorgung und Stromerzeugung zu vereinen galt. Außerdem mussten bei der Ausführung sowohl auf die örtliche Geologie und die räumlichen Begebenheiten sowie die durchgängig freie Befahrbarkeit der Zufahrtsstraße ins Projektgebiet Bedacht genommen werden. Für die Umsetzung der gesamten Hoch- und Tiefbauarbeiten inkl. der Verlegung der neuen Trinkwasserleitung sorgte die ebenfalls aus Glarus stammende Trümpi AG.
Umfassende Erneuerung
„Die Trassenführung der neuen Trinkwasserleitung war ein zentraler Punkt während der Planungsphase. In enger Absprache mit dem Kanton wurde eine Leitungsführung gewählt, die eine durchgängige Befahrbarkeit der Straße ins Klöntal möglich machte. Glücklicherweise konnten weite Leitungsabschnitte über Wald- und Wiesenland geführt werden, was im Hinblick auf das Verkehrsmanagement eine große Erleichterung darstellte. Da entlang der Straße vor allem während der Frühlings- und Herbstmonate verstärkt Steinschläge auftreten, waren auch die Arbeitssicherheit und der Objektschutz zentrale Punkte des Projekts“, betont Martin Zopfi-Glarner. Im Zuge der Bauarbeiten wurden die jeweils ca. 80 bzw. 110 Jahre alten Trinkwasserleitungen, abgehend von den Brunnenstuben Löntschbord und Faulenkopf vollständig erneuert. Bei der Materialauswahl setzte die tb.glarus auf duktile Gussrohre mit Zinküberzug und Faserzementmörtel-Umhüllung (FZM) sowie einer Zementmörtel-Auskleidung (ZMA), die von einem Schweizer Unternehmen geliefert wurden. In Summe wurden rund 2.050 m Rohre mit Steckmuffenverbindungen in der durchgängigen Dimension DN400 verlegt, wobei der gesamte Leitungsstrang in schub- und zuggesicherter Ausführung hergestellt wurde.
Gut geschützte Sammelstube
Das Grundkonzept des Trinkwasserkraftwerks bestand darin, die beiden Leitungsstränge von den Brunnenstuben Löntschbord und Faulenkopf in einem Vereinigungsbauwerk zusammenzuführen, und von dort eine einzelne Leitung zum neuen Maschinengebäude zu verlegen. „Die Herausforderung bestand darin, einen geeigneten Platz für die zentrale Quellsammelstube zu finden. Da aufgrund der Permafrost-Thematik im Projektgebiet vermehrt Steinschläge auftreten, musste der Standort einen entsprechenden Schutz bieten. Gemeinsam mit dem Kanton wurde eine Lösung gefunden, bei der die Quellsammelbrunnenstube geschützt unterhalb eines neu gebauten Straßenabschnitts errichtet wurde“, so der Geschäftsführer. Vom zentralen Sammelbecken aus, das auch als Wasserschloss bezeichnet werden kann, verläuft die Trinkwasserleitung entlang eines längeren Flachstücks, danach führt die Rohrtrasse über wesentlich steileres Gelände ins Tal. Um das notwendige Gefälle im Bereich der Flachstrecke sicherzustellen, waren genaue Höhenvermessungen unabdinglich. Da es in der abgelegenen Gegend keinen GPS-Empfang gibt, wurden die Höhenbestimmungen mit klassischen Tachymetern durchgeführt.
Pelton-Turbine sorgt für effektive Stromgewinnung
Das Maschinengebäude der Anlage wurde auf dem namensgebenden Trinkwasserreservoir Auli aufgesetzt, welches für das neue Kraftwerk baulich adaptiert wurde. Als Herzstück der neuen Anlage kommt eine 2-düsige Pelton-Turbine in horizontalachsiger Bauform von ANDRITZ Hydro zum Einsatz. Der Weltmarktführer im Kleinwasserkraftsektor hatte zuvor bereits das Trinkwasserkraftwerk Bleiche für die tb.glarus mit einem leistungsstarken Maschinensatz ausgerüstet. Dank ihrer mehrdüsigen Ausführung deckt die Turbine auch bei verringertem Wasserdargebot ein breites Betriebsband ab und gewährleistet somit eine durchgängig effektive Stromproduktion. Ausgelegt wurde die Turbine für ca. 130 m Bruttofallhöhe und 100 l/s Ausbauwassermenge, womit diese unter Volllast 146 kW Engpassleistung erreicht. Dem Einsatzweck entsprechend bestehen sämtliche wasserberührten Teile der Pelton-Maschine aus lebensmitteltauglichem Edelstahl. Um die Trinkwasserversorgung auch im Störfall bzw. bei Wartungsarbeiten sicherzustellen, wurde vor der Turbine ein Bypass installiert. Komplettiert wird der Maschinensatz durch einen direkt mit dem Pelton-Laufrad gekoppelten Synchron-Generator in luftgekühlter Ausführung. Der Generator dreht wie die Turbine mit 1.000 U/min und wurde auf eine Nennscheinleistung von 170 kVA ausgelegt. Die elektro- und leittechnische Ausstattung des Kraftwerks stammt von der Schweizer Rittmeyer AG. Diese lieferten das komplette elektrotechnische Equipment und sorgten für die Programmierung der Anlagensteuerung. Der vom Maschinensatz erzeugte Strom wird zunächst zu einer ca. 200 m vom Maschinengebäude entfernten Mittelspannungsschaltanlage geleitet. Ins öffentliche Netz gelangt der Strom an der nahegelegenenTrafostation Auli, wo dieser auf 16 kV-Netzspannung umgewandelt wird.
Wasserkraftausbau schreitet voran
Nach dem Baubeginn im Herbst 2021 erzeugte das Trinkwasserkraftwerk im Januar 2023 erstmals sauberen Strom. Rund ein Jahr nach der Inbetriebnahme zieht Martin Zopfi-Glarner ein durchwegs positives Fazit über das symbiotische Ökostromprojekt. „Mit den erneuerten Brunnenstuben und Trinkwasserleitungen erfüllt die Trinkwasserversorgung aus dem Klöntal die höchsten lebensmittel- und sicherheitstechnischen Standards. Das neue Kraftwerk hat sich seit der Fertigstellung sehr gut bewährt und erzeugt zuverlässig Strom ohne nennenswerte Probleme. Besonders freut uns, dass wir das Projekt mit vorwiegend einheimischen Unternehmen umsetzen konnten, wodurch auch die Region von der Wertschöpfungskette profitiert hat.“ Im Regeljahr kann das Trinkwasserkraftwerk Auli ca. 1,1 GWh Strom erzeugen, dies entspricht umgerechnet dem Jahresbedarf von ca. 250 Glarner Haushalten. Aktuell treiben die tb.glarus den Ausbaugrad des Wasserkraftpotentials im Kanton weiter voran. Dabei wird das über acht Jahrzehnte alte Kraftwerk Luchsingen einer Generalsanierung bzw. Erweiterung unterzogen. Durch den Einbau einer neuen Pumpstufe, die sich ca. 80 m unterhalb der Wasserfassung befindet, kann zusätzliches Triebwasser mit einer Fallhöhe von mehr als 500 m zur Stromgewinnung genutzt werden. Die Ausbauleistung der Traditionsanlage, deren Erweiterung im Sommer 2024 abgeschlossen sein wird, steigt somit künftig von 3,8 auf 5,6 MW. Über dieses hochinteressante Projekt wird zek HYDRO in einer der kommenden Ausga-ben ausführlich berichten.
Erschienen in zek HYDRO Ausgabe 1/2024
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