Kraftwerk Forstsee – mit zeitgemäßer Technik im alten Gewand in eine neue Ära13 min read
Lesedauer: 10 MinutenDas Schaukraftwerk Forstsee am Kärntner Wörthersee ist ein Industriedenkmal erster Güte. Es wurde als erstes Speicherkraftwerk Kärntens vor knapp 100 Jahren in Betrieb genommen und gilt als Wiege des Kärntner Energieversorgers Kelag. Zwischen 2019 und 2023 wurde die denkmalgeschützte Anlage nun im Rahmen eines aufwändigen Sanierungs- und Ertüchtigungsprogramms wieder auf den neuesten Stand der heutigen Wasserkrafttechnik gebracht. Der Clou dabei: Von der modernen Technik ist äußerlich so gut wie nichts erkennbar, sie hält sich dezent im Hintergrund der sehenswerten nostalgischen Maschinenoptik. In Summe investierte die Kelag rund 4 Millionen Euro in das Retrofitprogramm ihres vielleicht bedeutsamsten Traditionskraftwerks.
Das ließ sich keiner entgehen: Vom Bundespräsidenten der Republik Michael Hainisch und Kanzler Rudolf Ramek abwärts war alles vertreten, was Rang und Namen hatte, um der offiziellen Eröffnung des sensationellen neuen Kraftwerks an jenem Tag im Februar 1925 beizuwohnen. Die Bedeutung des Kraftwerks Forstsee, das von 1923 bis 1925 innerhalb von nur zwei Jahren realisiert wurde, war enorm und kann man auch aus heutiger Sicht nicht hoch genug einschätzen. In den frühen 1920er Jahren war der Strombedarf in Kärnten sukzessive angestiegen. Und das Angebot konnte auch deshalb nicht mehr mit der gestiegenen Nachfrage mithalten, weil die junge regionale Energiewirtschaft zuletzt auch unter wasserarmen Saisonen gelitten hatte. Vor diesem Hintergrund reifte der Entschluss, die bestehenden lokalen Netze zu einem zusammenhängenden Verbundnetz zusammenzuschalten und ein Kraftwerk zu realisieren, das über einen großen Speicher verfügt, der auch in wasserärmeren Monaten Stromerzeugung ermöglicht. Umsetzen sollte das die neu gegründete Elektrizitätsgesellschaft KÄWAG, aus der dann später die Kelag hervorgehen sollte.
Erstes Pumpspeicherkraftwerk Kärntens
Mit einer installierten Leistung von 1,5 MW zählte das Kraftwerk damals in Kärnten zu den stärksten seiner Zeit. Und das sollte es auch bleiben, als es 1926 um einen zweiten und 1937 um einen dritten Maschinensatz erweitert und damit zum Vollausbau geführt wurde. 1955 erfolgte der nächste Umbau in der Maschinenhalle: Der zweite Maschinensatz wurde ausgebaut und in das Kleinkraftwerk Arriach eingebaut, das vor drei Jahren bei einem schweren Hochwasser verheert worden war. Neben dem bis heute erhaltenen, historischen Maschinensatz aus 1937 sticht die massive Pumpe im Krafthaus dem Besucher ins Auge. Ursprünglich war bereits 1928 eine erste Pumpe installiert worden, die das Kraftwerk Forstsee zum ersten Pumpspeicherkraftwerk Kärntens und zu einem der ersten in Österreich machte. Diese wurde Anfang der 1940er Jahre durch ein leistungsstärkeres, fortschrittlicheres Modell ersetzt, das mit seiner eigenwilligen Konstruktion beeindruckt. In dieser Form und Funktion sei diese Pumpe in Österreich wohl einzigartig, bemerkt dazu Ing. Michael Kandutsch vom Kraftwerksteam der Kelag. „Ihre Besonderheit liegt vor allem in ihrer Anordnung. Sie ist so konzipiert, dass sie oberhalb des Unterwasserspiegels situiert ist. Das bedeutet, dass sie bei Stillstand komplett leer ist und vor dem Anfahren noch gefüllt werden muss. Das passiert über eine Strahlpumpe, die mittels Triebwasserdruck die Luft aus dem Pumpengehäuse saugt. Das so erzeugte Vacuum saugt somit das Wasser aus dem Wörthersee nach oben.“
Alte Technik am neuesten Stand
Aber natürlich ist auch der Maschinensatz aus 1937 historisch sehr interessant und „ein Kind seiner Zeit“. Bei der Turbine vom Fabrikat „Leobersdorfer“ handelt es sich um eine Zwillingspeltonturbine, bei der die Laufräder in einem Gehäuse untergebracht sind. Beide Laufräder werden über jeweils zwei Düsen beaufschlagt und übertragen ihre Energie über eine Welle auf den Generator, der aus den frühen 1960er Jahren stammt. Zwischen Generator und den Laufrädern ist ein großes, 3,8 Tonnen schweres Schwungrad für die Netzstabilisierung installiert. Für die Synchronisierung mit dem Netz sorgte bis vor kurzem ein manuell zu bedienender Fliehkraftregler. „Heute würde man einen Maschinensatz mit der 4-Lager-Anordnung, den beiden Laufrädern in einem Gehäuse und den strömungshydraulisch nicht ganz optimalen Turbinenzuläufen sicher nicht mehr so bauen. Aber damals war das Stand der Technik – und hat über Jahrzehnte auch hervorragend funktioniert“, sagt Michael Kandutsch. Heute sieht die museale Technik, die ja immer noch voll funktionsfähig ist, immer noch aus wie anno dazumal. Und das soll auch ganz bewusst so bleiben. „2020 haben wir den Maschinensatz und die Erregermaschine komplett saniert, Verschleißteile getauscht, auch den Generator in Revision genommen und zudem eine moderne Leit- und Sekundärtechnik eingebaut. Äußerlich lässt sich das nicht erkennen, aber das Kraftwerk ist heute auf dem Stand eines modernen Kleinwasserkraftwerks“, so der Fachmann der Kelag. Zu diesem Zweck wurden diverse Sensoren integriert und im Inneren der musealen Maschinen verborgen, außerdem wurden sämtliche Displays und alles, was man heute mit digitaler Technik verbindet, dezent in den Hintergrund verlegt. Dabei konnte das Kelag-Kraftwerksteam sein ganzes Know-how ausspielen, die gesamte automationstechnische Modernisierung wurde hausintern realisiert. „Zugegeben, wir mussten manchmal schon tief in die Trickkiste greifen“, räumt Michael Kandutsch ein. Mittlerweile lässt sich das Kraftwerk aus der Ferne steuern und anfahren. Dennoch wurde das Kraftwerk seiner historischen Fähigkeiten nicht beraubt: Noch immer ist es möglich, die Anlage komplett ohne Hilfsenergie anzufahren. Auch das ist speziell und ein weiterer Beleg dafür, dass man das Leitprinzip konsequent verfolgte: Der ursprüngliche Charakter der Anlage muss erhalten bleiben. Alles was belassen werden kann, darf auch bleiben.
Salz setzt alter Stahlleitung zu
2019 hatte das Kraftwerksteam der Kelag bereits mit den Planungen für den Umbau bzw. die Modernisierung begonnen. Dazu waren natürlich auch im Vorfeld eingehende Prüfungen des Status quo der Anlage vonnöten. Das betraf vor allem den Triebwasserweg vom rund 160 m höher gelegenen Forstsee bis hinunter zum Wörthersee. Bei dessen Überprüfung zeigte sich, dass die genietete Stahlrohrleitung DN1200 noch durchaus gut in Schuss war – vor allem was den oberen, annähernd horizontalen Abschnitt durch den rund 425 m langen Stollen betraf. Mängel zeigten sich dagegen im unteren Abschnitt, wo die Stahlrohrleitung oberirdisch verlegt war. „Mit den Belastungen aus dem Kraftwerksbetrieb ist auch dieser Abschnitt der Rohrleitung über fast 100 Jahre sehr gut zurechtgekommen. Womit die Erbauer damals allerdings nicht gerechnet haben, war der Umstand, dass ein halbes Jahrhundert nach dem Kraftwerksbau darüber eine Autobahn errichtet werden würde. Und dass in den Wintermonaten jede Menge salzhaltiges Wasser von der Autobahn auf die Außenoberfläche der Rohrleitung treffen würde. Das hat über die Jahrzehnte zu unübersehbaren Korrosionsschäden geführt. Vor diesem Hintergrund hat die Kelag dann den Entschluss gefasst, den gesamten oberirdischen Teil der Druckrohrleitung auszutauschen“, erläutert Dipl.-Ing. Florian Kopeinig vom Kelag-Kraftwerksteam die Ausgangssituation. Die genietete Stollenleitung wurde werkstofftechnisch und festigkeitsmäßig beurteilt und bis zur Panzertür, die den Zugang zum Stollen bildet, belassen. Ab dieser Stelle wurde der gesamte Triebwasserweg, bestehend aus Zwischenrohr und Absperrorgan in der Schieberkammer, der circa 335 m langen oberirdischen Druckrohrleitung inklusive Stopfbuchsen, neuer Rohrsättel und betonierter Fixpunkte, sowie der Verteilrohrleitung, erneuert. Der Ringkolbenschieber vor dem Turbineneinlauf wurde bereits kurz vor dem Umbauprojekt von dem bekannten Wasserkraftallrounder EFG aus dem Kärntner Feldkirchen saniert.
Thermische Ausdehnung relevant
Nach eingehenden Analysen beschlossen die Verantwortlichen der Kelag, den oberirdischen Teil der Druckrohrleitung durch eine neue spiralgeschweißte Stahlrohrleitung DN1200 zu ersetzen, die entlang der bestehenden Trasse neu verlegt werden sollte. Dabei sollte den beteiligten Ingenieuren ein spezielles Thema Nüsse zu knacken geben: die thermische Ausdehnung angesichts der beträchtlichen Länge der Hangleitung. Das sei im Prinzip hauptsächlich für die geleerte Leitung von Relevanz, betont Florian Kopeinig, da eine vom Triebwasser gefüllte bzw. durchströmte Leitung stets gekühlt sei und somit eine relativ konstante Temperatur aufweise. Dabei spiele, so der Fachmann, natürlich auch die Oberflächenfarbe der Rohre eine Rolle. „Die alte Leitung mit ihrer Nietkonstruktion war relativ weich und dementsprechend tolerant gegenüber thermischer Dilatation. Die neue Stahlrohrleitung ist im Vergleich wesentlich steifer. Daher mussten wir viel Gehirnschmalz investieren, um die Temperaturauswirkungen bestmöglich bei der Konstruktion, der Anordnung und beim Betonieren der Fixpunkte zu berücksichtigen“, erzählt Florian Kopeinig. Für eine optimale Umsetzung wurden jede Menge Informationen per Wärmebildkamera, aber auch umfangreichen Kontaktmessungen gesammelt. Auf Basis dieser Informationen wurden die Referenzpositionen der Dehnmuffen festgelegt. Insgesamt wurden entlang der Hangleitung vier Stopfbuchsen integriert, die heute den Ausgleich der thermischen Dilatation ermöglichen.
Übergangslösung mit Köpfchen
Ganz besonderes Augenmerk wurde in diesem Bereich auf die Arbeiten in der Apparatekammer gelegt – speziell auf jenen Punkt, wo die alte genietete Druckrohrleitung auf die neue Stahlrohrleitung übergeht. Zu diesem Zweck sollte ein Zwischenrohr eingesetzt werden, an dessen Ende eine neue Rohrbruchklappe angebracht werden sollte. Eine Aufgabe, die vom Kärntner Wasserkraftspezialisten EFG übernommen wurde. Dass es dabei sowohl konstruktiv als auch montagetechnisch einige Herausforderungen zu meistern galt, kann der Leiter des Sanierungsprojektes der Kelag, Peter Macher-Lepuschütz, nur bestätigen: „Alleine die Verbindung hin zur alten Rohrleitung gestaltete sich aufgrund der besonderen Schraubendimensionen, vor allem aber aufgrund der offenkundigen Winkelungenauigkeiten nicht ganz einfach. Die Ingenieure von EFG haben diese Ungenauigkeiten letztlich über eine Flachdichtung mit Passflansch ausgeglichen.“ Generell wurde das 3,5 Tonnen schwere und 5 m lange Zwischenrohr von EFG im Werk in Feldkirchen selbst gefertigt und das Konzept für die Einbindung in den Bestand entwickelt. Ein besonders wichtiger Punkt dabei war, dass keinerlei Kräfte aus dem Betrieb oder eventueller Längendilatation in den Altbestand der Leitung eingeleitet werden. Dazu der Projektleiter von EFG, Markus Obweger: „Aus diesem Grund haben wir das Zwischenrohr speziell gelagert, um es längenverschiebbar zu machen. Auftretende Kräfte werden über Festpunkte abgeleitet.“ Großes Lob für diese Lösungen findet Michael Kandutsch, der nicht nur das Know-how und die Kompetenz des Wasserkraftunternehmens aus Feldkirchen herausstreicht, sondern auch dessen Zuverlässigkeit und Flexibilität im Zuge der Umsetzung.
Grundablass über den Triebwasserweg
Am Ende des Zwischenrohrs, am Übergang zur Hangdruckleitung, wurde – ebenfalls vom Team der EFG – die neue Rohrbruchklappe installiert. Dabei handelt es sich um ein besonders kompaktes Verschlussorgan vom Typ HYsec PRO aus dem Hause VAG, das auf eine Durchflussmenge von 6 m3/s ausgelegt ist. Die Zwillingspeltonturbinen im Maschinenhaus selbst weisen eigentlich nur einen Ausbaudurchfluss von 2 m3/s auf. Der relativ hohe Nenndurchfluss der Rohrbruchklappe resultiert vor allem aus der festgelegten Durchflussmenge des Grundablasses, die für den ganzen Triebwasserweg ausgelegt ist. Was die Rohrbruchklappe der Dimension DN1200 und der Druckklasse PN16 auszeichnet, ist ihre höchst kompakte Bauweise. Dank der speziellen VAG-Konstruktion ist das Hydraulikaggregat direkt auf der Konsole des Fallgewichtsantriebs montiert. Das ermöglichte dem Team der EFG eine vergleichsweise effiziente Montage bei beengten räumlichen Bedingungen.
Verteilrohr mit drei Abgängen
Der Altbestand der Hangleitung war nicht zuletzt auch dadurch charakterisiert, dass sich die Leitung von der Übernahmestelle an der Apparatekammer bis zur alten Verteilrohrleitung markant verjüngte – und zwar stufenweise von DN1200 auf DN900. Das sollte sich mit der neuen Leitung ändern, die durchgehend in DN1200 hergestellt wurde. Erneuert sollte an ihrem unteren Ende auch die Verteilrohrleitung werden. Dabei wurde das Bauteil im Vorfeld durch das Ingenieurbüro HPW geplant und im Rahmen einer CFD-basierten Analyse strömungstechnisch optimiert. Das knapp 27 Tonnen schwere Verteilrohr, das ebenfalls vom Montage-Team der EFG eingebaut wurde, weist drei Abgänge auf: einen für den Grundablass mit Richtung Wörthersee, einen für die Speicherpumpe und einen für die Zwillingspeltonturbine. Es repräsentiert einen wichtigen Baustein für die erfolgreiche Adaption des Traditionskraftwerks zu einem modernen Speicherkraftwerk. Das gilt auch für den unmittelbar danach installierten, neuen handbetätigten Grundablass-Ringkolbenschieber, der ebenfalls von VAG geliefert und vom Team der EFG montiert wurde.
Arbeiten am Einlaufbauwerk
Bevor es an die Modernisierung der Maschinen- und Automationstechnik sowie die Erneuerung der Hangleitung ging, wurden in den Jahren 2020/2021 bereits einige wichtige Sanierungs- und Erneuerungsmaßnahmen an der Entnahme am Forstsee durchgeführt. Beim Speicher Forstsee handelt es sich um ein prinzipiell natürliches Gewässer, das vor Jahrzehnten mittels dreier Sperrenbauwerke für den Kraftwerksbetrieb aufgestaut wurde. Der 29 Hektar große See fasst rund 4,7 Millionen m3 Wasser. Während der Entnahmeturm – mit Schützen- und Lotschacht, sowie Einlaufrohr und Zulaufstollen – äußerlich unberührt blieb, wurde der Einlaufschacht erneuert und die alte stählerne Einlauftrompete im Speicher abgerissen und durch ein neues Einlaufbauwerk mit Grobrechen ersetzt. Zu diesem Zweck musste der Pegel des Forstsees für die Dauer der Arbeiten abgesenkt werden. Außerdem wurde im Zuge der Arbeiten ein horizontaler Blindstollen verfüllt, der in der Vergangenheit dafür konzipiert wurde, um den Speichersee intensiver zu bewirtschaften.
Weit mehr als ein Industriedenkmal
„Mit seinem Fassungsvermögen von rund 4,7 Mio. m3 Wasser stellt der Forstsee natürlich nahezu ideale Voraussetzungen für eine wirtschaftliche hydroelektrische Nutzung dar. Nachdem das Kraftwerk nun vollständig automatisiert wurde, lässt sich auch mit den ‚musealen Maschinen‘ ein effektiver Speicherbetrieb gewährleisten. Die Anlage wird heute dann in Betrieb genommen, wenn im Netz mehr Strom verlangt wird“, erklärt Michael Kandutsch, räumt aber auch ein, dass dabei auch auf zwei wichtige Parameter Rücksicht genommen werde: Zum einen vermeidet man große Pegelschwankungen des Sees im Hinblick auf die Bedeutung des Sees als Bade- und Naherholungsgebiet, und zum anderen nimmt man natürlich auch Bedacht auf das Alter der Maschinen. „Die Anlage wird nicht im Minutentakt rauf- oder runtergefahren. Das wäre nicht sinnvoll.“ Das Kraftwerk Forstsee hat in energiewirtschaftlicher Hinsicht natürlich nicht mehr den Stellenwert, den es einst hatte. Dennoch ist es weit mehr als nur ein schönes Industriedenkmal. Mit den erfolgreichen Modernisierungs- und Sanierungsmaßnahmen konnte die Maschinenleistung von bislang 1,8 MW auf 2,6 MW gesteigert werden. Im Regeljahr liefert das moderne Kraftwerk im alten Gewand immerhin noch rund 3 GWh aus natürlichem Zufluss. Für Wasserkraft-Interessierte empfiehlt sich ein Besuch des Schaukraftwerks auf jeden Fall.
Erschienen in zek HYDRO Ausgabe 3/2024
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