Nach vierjähriger Bauzeit nimmt Kraftwerk Robbia wieder den Regelbetrieb auf12 min read
Lesedauer: 9 MinutenMit dem Baubeginn im Sommer 2020 startete die Schweizer Energieversorgerin Repower AG eines der größten Erneuerungsprojekte ihrer Unternehmensgeschichte: Um rund 125 Millionen Franken wurde das seit 1910 bestehende Kraftwerk Robbia im Kanton Graubünden einer Totalerneuerung unterzogen. Lediglich die Hülle der Maschinenzentrale blieb dabei bestehen. Seit Anfang Juni dieses Jahres sind nun die drei neuen Maschinensätze im Regelbetrieb und bewähren sich im täglichen Einsatz. Mit den drei 4-düsigen Peltonturbinensätzen aus dem Hause Troyer erzeugt das Kraftwerk heute im Durchschnittsjahr rund 120 GWh grünen Strom, was einer Steigerung von etwa 10 Prozent gleichkommt.
Um den Cavagliasco-Wasserfall, der durch die gleichnamige Schlucht im Süden des berühmten Berninapasses talwärts stürzt, für die Stromproduktion zu nutzen, wurde bereits 1909 mit dem Bau eines Wasserkraftwerks begonnen. Unweit des Berninapasses legten die Erbauer dafür ein Speicherbecken an, um den rund 600 Meter tiefer gelegenen Turbinen ausreichend Wasser zur Verfügung stellen zu können. Gefasst wurde das Triebwasser in Puntalta bei Cavaglia, von wo es über eine Druckrohrleitung bis zur Zentrale des Kraftwerks Robbia geführt wurde. Realisiert wurde das richtungsweisende Kraftwerk von der Kraftwerke Brusio AG (KWB), aus der später die Repower AG – die heutige Betreiberin der Anlage – hervorgehen sollte. Der hier erzeugte Strom wurde damals größtenteils in die Industriemetropole Mailand geliefert, wo der Stromhunger sehr groß war. „Beim Kraftwerk Robbia handelt es sich um das zweite Kraftwerk in der Geschichte der Repower AG. Es markiert den Auftakt für den Ausbau der Wasserkraftnutzung im oberen Puschlavertal und wurde zugleich zur Grundlage für die später im Oberstufenbereich errichteten Kraftwerke Palü und Cavaglia. Noch immer ist das Kraftwerk ein zentraler Bestandteil der Gesamtkaskade Puschlaver Werke und gehört zu den größten Wasserkraftanlagen der Repower AG im Kanton Graubünden“, erläutert Marco Roner, der für Repower als stellvertretender Gesamtprojektleiter beim kürzlich erfolgten Neubau der Anlage fungierte, die nach wie vor hohe Bedeutung des Kraftwerks für das Energieunternehmen.
Unterschiedliche Maschinengenerationen unter einem Dach
Im Lauf der Zeit wurde die Anlage mehrmals adaptiert und modernisiert, am grundlegenden Konzept wurde dabei aber nichts geändert. Die Kraftwerksstufe Robbia ist Teil der Kaskade im oberen Puschlav und besteht aus einem weitläufigen Oberwassersystem, das Wasser aus verschiedenen Seitentälern nutzt und mittels Überleitungen und Stollen dem Kavernenreservoir Puntalta zuführt. Von hier erstreckt sich die Druckrohrleitung bis zur Maschinenzentrale auf knapp 1.080 m Seehöhe. Bis zum Totalumbau in der Zentrale im Jahr 2022 waren drei Maschinensätze installiert, die sich sowohl vom Baujahr als auch ihrer Leistung stark unterschieden. Der älteste Maschinensatz 3 mit 5 MW Leistung stammte aus dem Jahr 1921. Der nächstälteste, Maschinensatz 1, ist Baujahr 1942. Er wurde im Rahmen der Erweiterungen der Triebwasserwege in den Jahren 1940 bis 1945 eingebaut. Dabei wurde die zusätzliche Nutzung der Zuflüsse aus dem Val di Campo und dem Poschiavino mit dem Bau der zugehörigen Überleitungen, des Kavernenreservoirs Puntalta und der zweiten Druckrohrleitung realisiert. Maschinengruppe 1 war auf eine Nennleistung von 12 MW ausgelegt. Der jüngste der drei Maschinensätze, Maschinengruppe 2, wurde 1956 installiert. Sie ersetzte den ersten Maschinensatz aus dem Jahr 1910 und war ebenfalls auf 12 MW Leistung ausgelegt. „Alle drei Maschinen waren Peltonturbinen, die im Gegensatz zur heutigen Konfiguration horizontalachsig und nur mit einer Düse ausgerüstet waren. In Summe betrug die installierte Kraftwerksleistung also 29 MW“, erläutert Marco Roner den Altbestand in der Maschinenzentrale.
Ausfallsrisiko wurde hoch
Die Maschinensätze waren in Auslegung und Disposition seit 1956 unverändert geblieben. Seither waren nur punktuell Anpassungen an der Anlage vorgenommen worden, etwa für die Modernisierung der Steuerung und Leittechnik und einige instandsetzungsbedingte Maßnahmen der Hauptkomponenten, die allesamt noch original aus den jeweiligen Einbaujahren stammten. „Die technische Lebensdauer der Hauptkomponenten war überschritten, und damit war auch das Ausfallsrisiko hoch. Die gesamte Kraftwerksstufe war also stark erneuerungsbedürftig, und die betriebliche Verfügbarkeit von Maschinen und Komponenten des Triebwasserwegs war als kritisch einzustufen. Nur durch gute, intensive, aber auch aufwändige Zustandsprüfungen und Wartungen wurde die Betriebsfähigkeit aufrechterhalten“, erklärt Marco Roner.
Auftakt für die Bauarbeiten 2020
Dass ein Um- beziehungsweise Neubau unumgänglich werden würde, stand demnach schon seit einiger Zeit fest. Wie dies nun genau umgesetzt werden sollte, war zu Anfang weniger klar. In den vergangenen zwei Jahrzehnten wurden mehrere Ausbau- und Erneuerungsprojekte für die Kaskade im Puschlav geprüft und schließlich mit dem Projekt Pumpspeicherwerk Lagobianco bis zur Projektgenehmigung 2016 konkretisiert. In der Einreichung des Genehmigungsgesuchs für die Umsetzung des PSKW Lagobianco war demnach schon die Erneuerung der Kraftwerksanlage Robbia integriert und dokumentiert. Allerdings war man sich von Betreiberseite bewusst, dass im aktuellen wirtschaftlichen Umfeld die Realisierung des PSKW-Projektes nicht zu verantworten ist und dass deshalb Teilprojekte des großen Projektes Lagobianco vorgezogen werden müssen. Ebenfalls war klar, dass für die definitive Projektrealisierung ein weiterer Detaillierungsdurchgang notwendig sein würde. Diese Detailplanung für das Bauprojekt erfolgte schließlich im Zeitraum von 2017 bis 2019. Im August 2019 genehmigte der Verwaltungsrat der Repower AG den nötigen Kredit, womit der Entschluss für die Erneuerung endgültig feststand. Nachdem von Behördenseite sämtliche Genehmigungen vorlagen, konnte im Sommer 2020 mit den ersten Arbeiten, konkret Baustelleninstallationen und Rodungs- sowie Sicherungsarbeiten, begonnen werden. „Ab Frühling 2021 wurden die Fassungen Salva und Braita stillgelegt und die Bautätigkeit aufgenommen. Mit dem Wasser aus der Fassung Puntalta und dem Unterwasser aus dem Kraftwerk Cavaglia blieb das Kraftwerk Robbia aber weiterhin in Betrieb, ehe es Mitte Juni 2022 komplett stillgelegt und vom Netz genommen wurde. Daraufhin konnten auch in diesen Kraftwerksbereichen die Umbauarbeiten starten“, umreißt Marco Roner die zeitliche Abfolge.
Nahezu vollständige Rundum-Erneuerung
Circa 95 Prozent der bestehenden Kraftwerksstufe sollten im gegenständlichen Projekt erneuert werden. Das Renovierungsprojekt umfasste sämtliche Wasserfassungen, die Überleitungen, die Druckrohrleitung, alle Einrichtungen in der Kraftwerkszentrale, die gesamte Energieableitung und den Unterwasserkanal. In diesem Zuge wurden sämtliche baulichen, stahlwasserbaulichen, mechanischen und elektrotechnischen Einrichtungen, sowie die gesamte Gebäude-, Kommunikations- und Sekundärtechnik ersetzt. Darüber hinaus wurde der Querschnitt des bestehenden Stollensystems zwischen Asciali und Puntalta vergrößert, wodurch das Speichervolumen, inklusive Reservoir Puntalta von bislang 8.000 m3 auf nunmehr 15.000 m3 nahezu verdoppelt werden konnte. „Belassen wurde einzig und allein die Kraftwerkszentrale in Robbia. Das Gebäude musste aber für die neuen Einrichtungen komplett entkernt werden. Es wurde umfassend saniert und zudem um einen Anbau erweitert“, so Marco Roner. Für den erfahrenen Techniker lagen die größten Herausforderungen planerischer und technischer Natur vor allem in der Komplexität und Weitläufigkeit des Projekts mit vielen verschiedenen Lieferanten, Schnittstellen und Abhängigkeiten. Dazu gesellten sich unvorhersagbare Herausforderungen, die aus der Corona-Pandemie und dem Ukraine-Krieg resultierten. „Das hat unser Projektteam stark gefordert. Umso erfreulicher, dass wir trotz dieser schwierigen Bedingungen die eng gesteckten Termine sowie das Budget einhalten konnten“, sagt Marco Roner.
Turbinen aus Südtirol
In baulicher Hinsicht stellte vor allem der Druckrohrleitungsbau die beauftragten Unternehmen vor die größten Herausforderungen. Die Steilheit und teilweise Ausgesetztheit des Trassengeländes erschwerten sowohl den Rückbau der alten als auch die Errichtung der neuen Rohrleitung, zudem die gesamte Baustellenlogistik und die Umsetzung der nötigen Sicherheitsmaßnahmen. Das Projekt wurde mit einer Vielzahl von Auftragnehmern, bestehend aus Bauunternehmen und Lieferanten, oder als ARGE, sowie teilweise in Eigenleistung durch die Repower AG selbst umgesetzt. „Die Planung wurde größtenteils in Eigenleistung von der Repower AG mit punktueller Unterstützung von externen Ingenieurbüros abgewickelt. Das Gros der Bauarbeiten konnte an lokale Firmen vergeben werden. Während der intensivsten Phase waren bis zu 100 Personen gleichzeitig im Einsatz“, erzählt Marco Roner. Mit der elektromaschinellen Ausrüstung des Kraftwerks wurde der bekannte Südtiroler Wasserkraftallrounder Troyer betraut, dessen Lieferumfang nicht nur die drei neuen 4-düsigen Peltonturbinen und deren Hilfsaggregate, sondern auch die neue Verteilrohrleitung, Kugelschieber sowie die drei direkt gekoppelten Synchrongeneratoren umfasste. Das Wasserkraftunternehmen setzte sich im Rahmen einer internationalen Ausschreibung als Bestbieter durch. Es habe, so der stv. Projektleiter Marco Roner, die hohen gestellten Anforderungen der Ausschreibung vollumfänglich erfüllen können, und sein Angebot habe sich als das vorteilhafteste erwiesen.
Einbau der Maschinensätze
Die Projektumsetzung blieb dabei nicht von den Auswirkungen des Ukrainekriegs verschont. Gestörte Lieferketten und rasant gestiegene Rohstoffpreise waren die Folge. „Die sehr angenehme Zusammenarbeit mit Troyer wurde in diesen schwierigen Phasen auf die Probe gestellt. Aber dank eines offenen Austauschs und Flexibilität auf beiden Seiten konnten auch diese Herausforderungen gemeistert werden. Aufgrund der Größe und der Firmenstruktur sind bei Troyer rasche und unkomplizierte Entscheidungen möglich, was für die Zusammenarbeit in dieser Zeit ein großer Vorteil war “, sagt Marco Roner. Troyer zeigte sich im Zuge der Umsetzung als zuverlässiger Partner mit Handschlagqualität. Als erstes lieferten die Südtiroler Mitte Oktober 2022, vier Monate nach der Stilllegung des Kraftwerkes, die Schachtpanzerungen aller drei Maschinensätze. Im November 2022 folgte die Verteilrohrleitung. Die Lieferungen der restlichen Maschinenkomponenten erfolgte dann sequenziell pro Maschinengruppe, zuerst für die wasserbenetzten Bauteile und anschließend für die Generatoren, sowie die Schmier- und Hydraulikaggregate. So wurden Ende Januar 2023 das Turbinengehäuse, die Ringleitung und der Kugelschieber für die Maschinengruppe 1 geliefert und anschliessend montiert. Die enstprechenden Kom- ponenten der beiden anderen Maschinengruppen kamen im März und April 2023. Ab Ende Mai 2023 waren die Generatoren an der Reihe, die im Auftrag von Troyer aus dem ELIN-Werk in Weiz im Wochenrhythmus angeliefert und platziert wurden. „Parallel dazu starteten unsere internen Mechaniker und Elektriker sequenziell pro Maschinengruppe mit den umfangreichen Verrohrungs- und Verkabelungsarbeiten, die neben der Erstellung sämtlicher Sekundärschränke in Eigenleistung umgesetzt wurden. Für die Maschinengruppe 1 folgten ab Herbst 2023 die Signal- und Funktionsprüfungen, gefolgt von der Inbetriebsetzung, welche vor dem Jahreswechsel erfolgreich abgeschlossen werden konnte“, blickt Marco Roner zurück.
Maschinen gehen in Regelbetrieb
Am 12. Dezember 2023 war es schließlich soweit: Die erste Maschinengruppe wurde mit Wasser beaufschlagt und mit dem Stromnetz synchronisiert. Das neue Kraftwerk Robbia produzierte erstmals nach fast anderthalbjährigem Stillstand wieder Strom. Marco Roner: „Es war für alle Beteiligten ein sehr wichtiges Ereignis und ein emotionaler Moment. Mit dem erfolgreich durchgeführten Test hatten wir die Gewissheit, dass die ganze Kraftwerksstufe, von der Wasserfassung, über die Druckrohrleitung bis zum Transformator und der Netzeinspeisung, funktioniert. Anfang Juni dieses Jahres wurde nun der Probebetrieb des letzten der drei Maschinensätze erfolgreich beendet. Damit konnte das neue Maschinentrio komplett in den Regelbetrieb übergeben werden. Dank modernster Geometrien bieten die Turbinensätze aus dem Hause Troyer nicht nur markante Vorteile im Hinblick auf den Wirkungsgrad, sondern stellen durch das 4-düsige Maschinenkonzept auch in steuer- und regeltechnischer Hinsicht einen Quantensprung gegenüber dem Altbestand dar. Bei einer Fallhöhe von 606 Meter sind die Turbinen auf einen Ausbaudurchfluss von 2,2 m3/s ausgelegt und erreichen eine Nennleistung von je 11,7 MW. Mit den neuen Maschinensätzen wurde die installierte Leistung von 29 MW auf 35,1 MW erhöht. Dieser Leistungssprung und die damit verbundene Produktionssteigerung lässt sich in erster Linie auf die Erhöhung der Triebwassermenge von bislang 5,7 m3/s auf nunmehr 6,2 m3/s zurückführen, sowie auf das größere Speichervolumen, die Verlustoptimierungen in der Druckrohrleitung und auf die Effizienz der neuen Turbinensätze.
Flexibilität und Verfügbarkeit gesteigert
Mit den neuen Maschinensätzen wird das rundumerneuerte Kraftwerk Robbia im Regeljahr circa 120 GWh an elektrischer Energie produzieren. Das entspricht einer Steigerung gegenüber dem Altbestand von rund 10 Prozent. Doch neben der erhöhten Erzeugungskapazität und der nun stark verbesserten Betriebssicherheit gaben die Verantwortlichen für die neue Anlage auch noch weitere Richtlinien vor. Gefordert waren Qualitäten, die für einen modernen Wasserkraftbetrieb heute unerlässlich sind. „Bereits bei der Ausschreibung wurden diesbezüglich besondere Anforderungen gestellt. Unter anderem hinsichtlich des Betriebskonzepts, das einen möglichst flexibel einsetzbaren Kraftwerkspark verlangte, mit dem die saisonal bedingten variablen Wasserzuflüsse optimal genutzt werden können. Die Flexibilität konnte einerseits durch die Erhöhung des Speicher- volumens gesteigert werden. Andererseits wurde das gesamte System auch für die Erbringung von Systemdienstleistungen am Regelleistungsmarkt ausgelegt, was hohe Anforderungen an die Regelzeiten und die Dauerfestigkeiten bedeutete“, erklärt Marco Roner. Durch den Einsatz von drei baugleichen Maschinensätzen und der Energieableitung in Blockschaltung wird die Verfügbarkeit erhöht und sichergestellt, dass nur ein Drittel der installierten Leistung bei einer Störung, oder bei einer geplanten Wartung wegfällt. Dadurch wird die Instandhaltung und die Ersatzteilhaltung stark vereinfacht. Weiter konnten auch notwendige Interventionszeiten für die Wartung gesenkt werden, da Vorgaben an die Wartungsfreundlichkeit, etwa für den Laufradwechsel, bereits bei der Ausschreibung vorgegeben wurden.
Weitere Projekte in der Valposchiavo
Mit Stand Mitte Juli 2024 laufen noch Abschluss- und Restarbeiten am Projekt Robbia, bis Ende des Jahres sollen sie plangemäß abgeschlossen sein. Die offizielle Eröffnung des neuen Kraftwerks ist längst terminiert, sie wird Ende August stattfinden. Das erfolgreiche Erneuerungsprojekt wurde mit einem Investitionsvolumen von 125 Millionen Franken umgesetzt. Damit handelt es sich um die bisher größte Erneuerungsinvestition in der Geschichte der Repower AG. Mittlerweile hat das Unternehmen schon wieder den Blick nach vorne gerichtet. Aktuell arbeitet die Repower AG an weiteren Erneuerungs- und Optimierungsstudien für die gesamte Kraftwerkskaskade in der Valposchiavo. Das betrifft sowohl die Stufen Lago-Bianco- Palü-Cavaglia im oberen Puschlav als auch die Stufe Lago di Poschiavo-Campocologno im unteren Puschlav. Ziel ist es, die Flexibilität, Verfügbarkeit und Wirtschaftlichkeit der Maschinengruppen an die zukünftigen Marktanforderungen anzupassen.
Erschienen in zek HYDRO Ausgabe 2/2024
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