Glarner Kraftwerk Luchsingen nach Modernisierung fit für die Zukunft9 min read
Lesedauer: 7 MinutenDas über 80 Jahre alte Wasserkraftwerk Luchsingen im Kanton Glarus hat nach einer umfassenden Generalerneuerung neue Leistungsdimensionen erreicht. Möglich wurde die enorme Leistungssteigerung von 3,6 auf 6 MW im Zuge der Modernisierung und Erweiterung der Anlageninfrastruktur durch die Technischen Betriebe Glarus (tb.glarus). Zu den zentralen Maßnahmen des Projekts zählten der Neubau der Kraftwerkszentrale inklusive der gesamten elektromechanischen Ausstattung, die Vergrößerung der Druckrohrleitung, der Bau eines zusätzlichen Speicherbeckens sowie die Errichtung einer neuen Pumpstufe. Durch das zusätzliche Becken verfügt die Anlage nun über ein Speichervolumen von insgesamt 30.000 m³. Damit kann die 4-düsige Pelton-Turbine in der Kraftwerkszentrale ohne weitere Zuflüsse 8 Stunden lang durchgehend Strom erzeugen. Nach der Modernisierung ist das Kraftwerk wieder fit für die kommenden Jahrzehnte und kann darüber hinaus dank der vergrößerten Speicherkapazität noch zielgerichteter sauberen Strom produzieren.
Zu Beginn des Jahres 2011 ereignete sich im Kanton Glarus ein kommunalpolitisches „Erdbeben“. Im Zuge der Glarner Gemeindereform wurden 25 Gemeinden zu den drei Einzelgemeinden Glarus Süd, Glarus Nord und Glarus zusammengefasst. Diese Fusion war auch gleichzeitig die Geburtsstunde der tb.glarus, die aus der Zusammenlegung der Elektrizitätswerke der vier ehemals eigenständigen Gemeinden Netstal, Riedern, Glarus und Ennenda entstanden ist. Grundsätzlich handelt es sich bei den tb.glarus um eine selbstständig öffentlich-rechtliche Anstalt mit eigener Rechtspersönlichkeit, die zu 100 Prozent im Besitz der Gemeinde Glarus steht. Man kann die tb.glarus aber auch als modernen regionalen Energiedienstleister bezeichnen, dessen Portfolio die Bereiche Elektrizität, Fernwärme, Wasser, Kommunikation sowie Gas- und Biogas umfasst.
Erneuerung und Effizienzsteigerung
Traditionell hoch im Kurs steht bei den tb.glarus die Stromgewinnung aus Wasserkraft. Mit den insgesamt sechs Kraftwerken (zwei davon sind Trinkwasserkraftanlagen) kann das Unternehmen im Durchschnittsjahr mehr als 30 Millionen Kilowattstunden Ökostrom erzeugen. Zu den älteren Anlagen der tb.glarus zählt das Speicherkraftwerk Luchsingen in der gleichnamigen Gemeindefraktion, das 1943 erstmals Strom produziert hat. Die Anlage befindet sich am Brunnenberg, dessen Namensgebung auf sein reichhaltiges Wasservorkommen hinweist. Als Hauptzubringer für das Kraftwerk Luchsingen dient der Bösbächibach, an dem das Triebwasser gefasst wird und danach über eine rund 650 m lange Hangrohrleitung zum Speicherbecken fließt. Noch vor der Einmündung speisen zehn weitere Seitenzuflüsse in das System ein. In der Kraftwerkszentrale waren vor der Erneuerung zwei Pelton-Turbinen mit jeweils 1,8 MW Engpassleistung im Einsatz. Nach einer Betriebsdauer von mehr als 80 Jahren starteten die Betreiber im Frühjahr 2022 schließlich die Modernisierung der Anlage, erklärt tb.glarus Geschäftsführer Martin Zopfi-Glarner, der auch die Rolle als oberster Projektleiter innehatte: „Das Projekt zielte sowohl auf die Erneuerung der technischen Infrastruktur als auch auf eine deutliche Effizienzsteigerung ab. So haben wir durch den Bau des zusätzlichen Speicherbeckens ein erhebliches Maß an Flexibilität gewonnen, was uns in weiterer Folge lukrative Erträge im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit des Kraftwerks beschert.“ Der Geschäftsführer betont, dass das Projekt mit erheblichen Bau- und Logistikaufwänden verbunden war: „Abgesehen vom bestehenden Speicherbecken und der Wasserfassung wurde im Prinzip die gesamte Infrastruktur des Kraftwerks von Grund auf erneuert. Für die erfolgreiche Umsetzung war eine koordinierte Zusammenarbeit der beteiligten Unternehmen und Fachkräfte unumgänglich. Die Planungen dauerten drei Jahre, viereinhalb Jahre nahmen die Bewilligungen in Anspruch. Um einiges schneller ging dann die bauliche Umsetzung, diese dauerte in etwa zweieinviertel Jahre. Im Hinblick auf die regionale Wertschöpfung lässt Martin Zopfi-Glarner nicht unerwähnt, dass im Rahmen der öffentlichen Ausschreibung über 60 Prozent der Aufträge an Unternehmen aus dem Kanton Glarus vergeben werden konnten. Bei der Projektplanung setzten die tb.glarus ebenfalls auf heimische Kompetenz: So wurde mit der Generalplanung die im Wasserkraftbereich vielfach bewährten Ingenieurbüros Jackcontrol AG und Runge AG, die beide in Glarus ansässig sind, beauftragt.
Komplexe Rohrverlegung
Zu den bautechnisch herausforderndsten Arbeiten des Projekts zählte definitiv die Erneuerung der über 1.000 m langen Druckrohrleitung im Steilgelände. Der zuvor in den Dimensionen DN550 und DN600 hergestellte Kraftabstieg verläuft nun durchgängig in der Dimension DN950. Der Verlauf der Druckrohrleitung lässt sich in drei Abschnitte einteilen. Der obere Abschnitt verläuft durch einen rund 300 m langen Bestandsstollen, in dem die Leitung mit glasfaserverstärkten Kunststoffrohren (GFK) in aufgeständerter Variante hergestellt wurde. Das Stollenende markiert gleichzeitig den Beginn der Steilstrecke, bei dem der Übergang von GFK-Material auf geschweißte Stahlrohre erfolgt. Auf diesem 475 m langen Abschnitt überwindet die Druckrohrleitung einen Höhenunterschied von 315 m. Die Arbeiten wurden aufgrund der extremen Steilheit mit Hilfe einer temporären, entlang der Rohrachse verlaufenden Bauseilbahn ausgeführt. Mit dieser konnten einerseits die erforderlichen Baumaschinen und Baugeräte, andererseits die Rohre angeliefert und alte abtransportiert werden. Die Fixpunkte an den Leitungsknickpunkten und die dazwischenliegenden Auflager aus Beton wurden nur so weit wie erforderlich abgetragen und dienten als Kern der neuen Auflager und Krümmer. Nach dem Steilstück folgt die abschließende Talstrecke, die auf 570 m Länge nochmals 105 m Höhendifferenz überwindet und bis zum Übergang in die Kraftwerkszentrale komplett unterirdisch verlegt wurde. Verantwortlich für die Erneuerung der Druckrohrleitung waren mehrere bewährte Unternehmen. So wurde für die Bauarbeiten beim Kraftabstieg die „ARGE Bauseilbahnen“ beauftragt, die sich aus der STRABAG AG Schweiz, Marti AG Matt und linth stz ag zusammensetzte. Die Herstellung der Stahlrohrleitung wurde im Auftrag der ARGE durchgeführt, wobei modernste Schweißverfahren zur Anwendung kamen. Für den Bau des neuen Speicherbeckens und die Kraftwerkszentrale war wiederum die Glarner Trümpi AG zuständig.
Neues Speicherbecken und Pumpstufe
Ebenfalls modernisiert wurde die hydromechanische Technik an der zentralen Wasserfassung am Bösbächibach. Den Zuschlag für die Ausführung des neuen Stahlwasserbauequipments ging an den Glarner Branchenspezialisten Fäh AG. Zum Auftrag zählten die Lieferung eines neuen Schutzrechens mit vertikalem Stabprofil für den Einlaufbereich sowie die dazugehörige Rechenreinigungsmaschine in Teleskoparmausführung mit hydraulischem Antrieb. Ebenfalls neu ausgeführt wurden die Einlauf-, Grundablass- und Kiesablassschützen an der Wasserfassung. Für das Speicherbecken lieferten die Stahlwasserbauexperten einen neuen, 2 m breiten sowie 8,4 m hohen Schutzrechen inklusive elektrisch betriebener Seil-Rechenreinigungsmaschine sowie einen neuen Grundablassschütz. Als Juwel des Kraftwerks bezeichnet Martin Zopfi-Glarner die neu gebaute Pumpstufe an der Fassung Felsenquelle. Diese rund 80 m unterhalb der Speicherbecken situierte Fassung war bereits in der alten Konzession enthalten. Allerdings scheiterte die Umsetzung damals an technischen Hürden und konnte nicht realisiert werden. Im Zuge der Anlagenoptimierung wurden zwischen März und August 2024 die Wasserfassung sowie die mit drei Pumpen bestückte Pumpstufe errichtet. Mit der Pumpstufe, die bei entsprechendem Wasserdargebot bis zu 200 l/s nach oben befördert, kann das Kraftwerk nun zusätzliches Wasser nutzen, was sich natürlich positiv auf die Leistungs- und Erzeugungskapazität auswirkt. Das neue Speicherbecken mit 21.000 m³ Fassungsvermögen wurde direkt neben dem 9.000 m³ fassenden Bestandsreservoir angelegt. „Da die beiden Becken in der Mitte und im unteren Bereich miteinander verbunden sind, gelten diese offiziell als einzelnes hydraulisches Gefäß. Diese Lösung brachte den Vorteil mit sich, dass nicht für jedes Becken separate Sicherheitsorgane wie Grundablass oder Spülmöglichkeiten geschaffen werden mussten“, erklärt Martin Zopfi-Glarner.
Südtiroler rüsten Zentrale aus
Die Kraftwerkszentrale wurde vom renommierten Wasserkraftallrounder Troyer AG mit einem leistungsstarken Komplettpaket ausgestattet. Als Herzstück der Anlage lieferten die Südtiroler eine vertikalachsige 4-düsige Pelton-Turbine mit direkt gekoppeltem Generator. Mit der mehrdüsigen Ausführung der Maschine sind sowohl unter Voll- als auch unter Teillast über ein breites Betriebsband hinweg hohe Wirkungsgrade gewährleistet. Beim vollem Wasserdargebot schafft die auf 1,4 m³/s Ausbauwassermenge und 498,2 m Nettofallhöhe ausgelegte Turbine 6.000 kW Engpassleistung. Die Stromerzeugung des Maschinensatzes übernimmt ein direkt mit Pelton-Laufrad gekoppelter Synchron-Generator in wassergekühlter Ausführung, der auf 6.800 kVA Nennscheinleistung und 6.300 V Spannung ausgelegt wurde. Ebenfalls im Troyer-Lieferumgang enthalten war das gesamte elektro- und leittechnische Equipment, wozu unter anderem die Mittelspannungsschaltanlage, der Generatorschutz und die Programmierung der Anlagensteuerung zählten. „Da sich die Kraftwerkszentrale in einem Siedlungsgebiet befindet, wurde hoher Wert auf die Schallschutzthematik gelegt, weswegen das Gebäude ohne Fenster gebaut wurde. Zudem wurden das Turbinengehäuse mittels dämpfender Sylomerschicht vom Bauwerk entkoppelt, um die Ausbreitung von Körperschall zu verhindern“, so der Geschäftsführer.
Fit für die Zukunft
Zwei Tage vor Weihnachten 2023 gab es für die tb.glarus einen vorgezogenen Grund zum Feiern: Am 22. Dezember wurde mit dem von Grund auf erneuerten Traditionskraftwerk erstmals wieder Strom produziert. Nach der Erstinbetriebnahme konnte die Anlage allerdings zunächst nur im Laufwasserbetrieb gefahren werden, denn die Bewilligung für den Einstau der Speicherbecken wurde den tb.glarus erst im September 2024 erteilt. „Dennoch konnten wir seit dem Beginn des Probebetriebs eine Menge Strom produzieren“, sagt Martin Zopfi-Glarner, der ein durchwegs positives Fazit über das Modernisierungsprojekt zieht: „Mit den neuen Leistungsreserven des Kraftwerks Luchsingen beträgt die regelfähige Produktionskapazität rund ein Drittel des ganzen Verbrauchs im Verteilgebiet der tb.glarus. Damit muss weniger teure Spitzen- und Regelenergie eingekauft werden. Das ist eine wichtige Vorbereitung auf die neue Energiewelt: Sogenannte Lastoptimierung und ‚Peak Shaving‘ werden mit dem Ausbau von Solar- und Windenergie immer wichtiger. Denn Lastspitzen bringen das Stromnetz an seine Kapazitätsgrenzen und verteuern den Strom insgesamt. Die vergrößerte Speicherkapazität bricht diese Spitzen und hilft bei der Stabilisierung des Stromnetzes. Zusätzlich reduziert sie die Beschaffungskosten der tb.glarus und damit den Strompreis für die Kundinnen und Kunden.“
Erschienen in zek HYDRO Ausgabe 5/2024
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