Südtiroler vervielfachen Kraftwerksleistung bei Ersatzneubau im Ahrntal9 min read
Lesedauer: 7 MinutenTradition und Moderne gehen in der Wasserkraft nicht selten Hand in Hand: In St. Johann im Südtiroler Ahrntal gelang es den Betreibern, einen alten Traditionsstandort im Ortszentrum mithilfe modernster Wasserkrafttechnik aus dem Dorn- röschenschlaf zu wecken und eine Ökostromanlage am Puls der Zeit zu verwirklichen. Nach den Plänen des Brunecker Planungsbüros Studio G wurde das alte Kraftwerk Schmied, das zuvor gerade noch eine Leistung von 15 kW erbrachte, komplett erneuert, sodass der Neubau heute über eine Leistung von 340 kW verfügt und damit rund 1,3 GWh sauberen Strom im Jahr liefert. Auch in gewässerökologischer Hinsicht erfuhr der Standort damit eine enorme Aufwertung. Seit August dieses Jahres ist das neue Kraftwerk im Regelbetrieb.
Kaum ein anderes Tal in Südtirol darf sich eines derartigen Wasserreichtums rühmen wie das Ahrntal. Nicht weniger als 38 kleinere Gletschergebiete in den umliegenden Dreitausendern sorgen dafür, dass das Ahrntal und seine Seitentäler von jeder Menge Wasser durchflossen werden. Für den landwirtschaftlichen Nutzen wurde es früher noch über Waale, die bekannten oberirdischen Freispiegelgerinne, in die Felder geführt. Aber natürlich wurde es auch für den Antrieb diverser Gewerke – Mühlen, Schmieden, Sägen und vieles mehr – genutzt. Seit dem letzten Jahrhundert dient es in zahlreichen Kraftwerken der Stromerzeugung. Moderne Kleinwasserkraftwerke wie das KW Göge, KW In der Klamme, KW Luttacher Wiere oder das KW Weitfeld, die in den letzten 20 Jahren errichtet wurden, stehen sinnbildlich für die effektive Nutzung der Wasserkraft im Ahrntal mittels neuester Kleinkraftwerkstechnik.
Wo Schmiedetradition gepflegt wurde
Weit weniger modern präsentierte sich bis vor einigen Jahren noch das alte Kraftwerk Schmied im Ortszentrum von St. Johann im Ahrntal. Der Altbestand entsprach weder in technischer noch in fischökologischer Hinsicht den Standards und Anforderungen heutiger Wasserkraftanwendungen. Gerade einmal 15 kW Leistung war die alte Turbine noch in der Lage zu liefern. Es bestand Handlungsbedarf für einen Standort, dem eine lange Tradition zugrunde liegt. „Die Wasserkaftnutzung der Ahr beim ‚Schmied‘ in St. Johann geht bis in das 18. Jahrhundert zurück. Nach vielen Jahrzenten, in denen mithilfe von mechanischem Antrieb die Maschinen der Schmiede über Riemen angetrieben wurden, hatte man im 20. Jahrhundert damit begonnen, die Kraft der Ahr mittels Turbine und Generator in elektrischen Strom umzuwandeln. Die Schmiedetätigkeit wurde von den Vorfahren der heutigen Besitzer bis Mitte des vorigen Jahrhunderts ausgeübt. Sie stellte in der Vergangenheit die wirtschaftliche Lebensgrundlage für mehrere Generationen dar“, erzählt Dipl.-Ing. Adolf Dengg, der für das Ingenieurbüro Studio G aus Bruneck die Planung des neuen Kraftwerks innehatte und der die Anlage daher auch bis ins Detail kennt. Er verweist darauf, dass die zahlreichen Maschinen, Geräte und Werkzeuge aus der alten Schmiede keineswegs zum alten Eisen geworfen wurden. Vielmehr kann man sie heute im Privatmuseum von Herrn Paul Gruber in St. Johann noch bestaunen und viel von den alten Schmiedetraditionen lernen.
Mit mehr Wasser zu mehr Ertrag
Gemeinsam mit mehreren Interessenten haben sich die heutigen Besitzer der „Schmiede“ vor einigen Jahren in einer Gesellschaft zusammengeschlossen, um den Wasserkraftstandort wiederzubeleben, oder – wie es Adolf Dengg ausdrückt – „die Tradition der Wasserkraft an Ort und Stelle in optimierter Form weiterzuführen“. Mit dieser Zielsetzung beauftragte die neugegründete Kraftwerk Schmied GmbH das renommierte Planungsbüro Studio G, das in Südtirol in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Wasserkraftprojekte erfolgreich umsetzen konnte. Wesentliche Eckpunkte des Ersatzneubaus umfassten zum einen die intendierte Erhöhung der Ausbauwassermenge, die Modernisierung in Sachen Gewässerökologie sowie den Einsatz modernster elektromechanischer Komponenten, um im Ortskern von St. Johann ein modernes Kleinkraftwerk zu realisieren. „Zusätzlich werden im gesamten Anlagenbereich laut Vorschlag des Landesamtes für Wildbachverbauung die Hochwasserschutzbauten erneuert und verstärkt“, ergänzt Adolf Dengg.
Herausforderungen im Bauablauf
Anfang September 2023 konnte mit den Bauarbeiten begonnen werden, wobei als Generalunternehmen für die Bauarbeiten die Baufirma Brunner&Leiter aus dem Ahrntal zuständig war, für die Baumeisterarbeiten und den Betonbau die Baufirma Gasser Markus und für den Spezialtiefbau die Baufirma Keller verantwortlich zeichneten. Aufgrund der extrem engen Platzverhältnisse zwischen Wohnhaus und Flussbett musste die bis ca. 4 m unter die Bachsohle reichende Baugrube im Jet-Grouting-Verfahren rundherum abgedichtet werden. Dieses Verfahren, das auch als Hochdruck-Bodenvermörtelung (HDBV) bekannt ist, ist eine Anwendungsform der Baugrundinjektion zum Erstellen von Zement-Bodengemisch-Körpern im Erdreich. Hierbei wird anstehender Boden unter Hochdruck mit einer zementhaltigen Bindemittelsuspension vermischt. In der wasserarmen Zeit wurden die Quer-, und Längsschwelle im Bachbett realisiert, wobei die Querschwelle für die Restwasserdotation und den Einstieg zum Fischpass dimensioniert wurde“, erklärt Kraftwerksplaner Adolf Dengg. Darüber hinaus wurde das Bachbett mittels Erddamm von der Baugrube abgetrennt, um die Betonarbeiten von Fassung, Zulaufkanal, unterirdischem Krafthaus mit Übergabekabine und Rückgabekanal in trockener Umgebung realisieren zu können.
Sicherheit mit hochwertigem Stahlbau
An der Fassung wurde dem Spülkanal vorgelagert ein Absperrschütz mit 9,0 m Breite und 2,5 m Höhe installiert, das – um ein sicheres Schließen mittels Eigengewicht auch ohne Strom zu gewährleisten – aus Beton gefertigt wurde. Die gesamte stahlwasserbauliche Ausrüstung der Wasserfassung wurde dabei von einem der bekanntesten Branchenspezialisten realisiert, von der Firma Wild Metal aus dem Südtiroler Ratschings. Zum Leistungsumfang von Wild Metal zählte daher auch der Einlaufschütz, der für den Verschluss des dahinter positionierten Spülkanals sorgt.
Der obere Teil der Stahlkomponente kann abgesenkt werden, wenn der Rechenreiniger das Treibgut in Fließrichtung aus dem Horizontalrechen geschoben hat. Bei dem Rechenreiniger handelt es sich um die elektromechanisch betriebene, vollautomatische Variante einer Horizontal-Rechenreinigungsmaschine (RRM), die gerade im Hinblick auf einen fischfreundlichen Kraftwerksbetrieb immense Vorteile bietet. Geringe Stababstände und niedrigere Strömungsgeschwindigkeiten am Horizontalrechen reduzieren markant die Gefahr für die Fische in der Ahr. Was RRM aus dem Hause Wild Metal darüber hinaus auszeichnet, ist, dass die Ingenieure des Südtiroler Branchenspezialisten schon bei der Grundkonzeption höchsten Wert auf eine möglichst einfache Zugänglichkeit zu Ersatz- bzw. Verschleißteilen oder Bauteilen mit Wartungsbedarf legen. Dank der höchst robusten Ausführung weisen die RRM von Wild Metal auch unter widrigsten Betriebsbedingungen eine lange Lebensdauer und hohe Betriebssicherheit auf.
Stromerzeugung im Tauch-Modus
Am seitlichen Einzug der neuen Wasserfassung wird das Triebwasser durch den 4,5 m breiten Zulaufkanal geleitet. Dieser senkt sich auf den letzten Metern schräg bis zum Maschinensatz ab, der aus einer doppeltregulierten Kaplan-Rohr-Turbine und einem direkt gekoppelten Tauchgenerator besteht. „Das Maschinengespann wurde ebenfalls mit einer schrägen Achse eingebaut, um den Wasserstrom mit möglichst wenig Umlenkungen effektiv auf die Flügel der Kaplanturbine zu lenken. Dabei ragt der Tauchgenerator in das Oberwasser, wodurch er wassergekühlt wird“, erklärt Adolf Dengg. Der Vorteil der Kaplan- Rohr-Turbine liegt einerseits darin, dass Einlaufschacht, Turbine und Saugrohr ohne Richtungsänderung angeordnet sind, somit weisen diese Turbinentypen einen sehr hohen Wirkungsgrad auf. Andererseits ist die Bauweise hoch kompakt. Ausgelegt ist die moderne Turbine, die vom Südtiroler Turbinenspezialisten Sora konzipiert, gefertigt und geliefert wurde, auf ein Schluckvermögen von 13 m3/s. Bei einer Nettofallhöhe von 3,20 m bei Qmax erreicht die Kaplan-Turbine eine Maximalleistung von 340 kW. Im Vergleich zu den 15 kW des Altbestands ein echter Quantensprung. Für die Turbinenbauer von Sora ein Referenzprojekt mit Außenwirkung: Schließlich konnte man damit unter Beweis stellen, dass man auch im Niederdrucksektor leistungsstarke Turbinen anbieten kann. Gleiches gilt außerdem für den Mitteldruckbereich, für den Sora kürzlich auch die Diagonalturbine in sein Produktportfolio hochgezogen und diese bereits erfolgreich in den Praxiseinsatz gebracht hat.
Kraftwerk ohne Schallemissionen
Betrachtet man den weiteren Verlauf des abgearbeiteten Triebwassers, so befindet sich nach dem einbetonierten Saugrohr aus Stahl, das direkt an die Turbine anschließt, das große Auslaufschütz mit Dammbalkennuten für den Revisionsfall. Danach steigt der Rückgabekanal schräg bis zur 17 m langen Auslaufschwelle nach oben an. Oberhalb von der Turbine ist der Steuerraum angeordnet. Seitlich daneben musste nach Vorgabe des örtlichen Netzbetreibers die Übergabekabine situiert werden, so dass eine Zufahrtsmöglichkeit gegeben ist. Dieser gegenüber befinden sich die kleinen Räume für Transformator und Mittelspannung. Dieser Bereich und die ersten Meter des Rückgabekanals wurden außen mit einer Schallschutzdämmung ausgestattet, weil die Anlage in diesem Bereich direkt an das angrenzende Wohnhaus angebaut wurde. Die Maßnahme war erfolgreich: Im Betrieb sind jetzt keine Vibrationen am Bestand zu spüren, und keine Übertragung von Körperschall ist feststellbar.
1,3 GWh im Regeljahr
In einem knappen Jahr ist es den Betreibern des neuen Ahrn-Kraftwerks in St. Johann gelungen, ein betagtes, ineffizientes Kleinkraftwerk durch eine moderne leistungsstarke Anlage zu ersetzen, die heute in jeder Hinsicht am jüngsten Stand der Technik arbeitet. Nach einer kurzen Probephase im Juli dieses Jahres konnte das neue Kraftwerk Schmied Ende August in den Regelbetrieb übernommen worden. Die neue Ökostromanlage steht nicht nur in der Tradition einer Generationen übergreifenden Nutzung der Wasserkraft am Standort, sondern generell auch in der Tradition der zahlreichen modernen Kleinwasserkraftwerke im wasserreichen Ahrntal. Im Durchschnitt wird die neue Niederdruckanlage von nun an im Regeljahr rund 1,3 GWh sauberen Strom liefern und damit einen wichtigen Beitrag zur lokalen Energieversorgung leisten. Damit repräsentiert das Projekt nicht zuletzt auch einen wichtigen Baustein in der Südtiroler Energiestrategie, wonach bis 2050 etwa 100 Prozent des Südtiroler Strombedarfs (Verkehr nicht eingerechnet) aus erneuerbaren Energiequellen gedeckt werden sollen.
Erschienen in zek HYDRO, Ausgabe 5/2024
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