100 Jahre Strom aus Vorarlberg11 min read
Lesedauer: 8 MinutenDie Entwicklung der Elektrizitätswirtschaft in Vorarlberg hat zweifellos die Geschichte des westlichsten Bundesland Österreichs geprägt. Viel von seinem heutigen Wohlstand verdankt das Ländle der Weitsicht jener Pioniere, die schon vor 100 Jahren damit begonnen hatten, die Wasserkräfte für das Land und seine Menschen zu nutzen. Die Geschichte der Elektrizitätsversorgung in Vorarlberg ist auch die Geschichte der illwerke vkw AG, die in diesem Jahr auf ihre 100-jährige Historie zurückblickt.
Kraftwerksbau und Elektrifizierung waren die treibenden Kräfte des großen Modernisierungsprozesses im 20. Jahrhundert, der die Industrien zu bislang ungeahnten Höhenflügen führen und nach und nach auch den Wohlstand für die gesamte Gesellschaft bringen sollte. Wie in vielen anderen Regionen in Europa stand die Wasserkraftnutzung in Vorarlberg in einem technisch-gesellschaftlichen Spannungsfeld zwischen Elektrizitätsgesellschaften und deren Eigentümern sowie öffentlichen Institutionen auf Gemeinde-, Landes- und Bundesebene. Stromproduktion und -verbrauch hatten schon sehr bald grenzüberschreitenden Charakter und waren in große überregionale Netze eingebunden. Die Finanzierung der ersten großen Anlagen war nur mit ausländischer Beteiligung möglich. Für das rohstoffarme Ländle in der Peripherie eine wichtige Option. Nur so konnte es sich mit fortschreitendem Ausbau zum Exporteur von elektrischer Energie in städtisch-industrielle Zentren entwickeln.
Naturschatz Wasser
Obwohl ein erheblicher Teil Vorarlbergs von der Gebirgslandschaft geprägt ist, sind kaum nennenswerte Bodenschätze vorhanden. Die Region zählt jedoch zu den niederschlagsreichsten Gebieten Österreichs. Durch diesen natürlichen Wasserreichtum war die Wasserkraft seit Jahrhunderten von großer Bedeutung für das Wirtschaftsleben. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts erkannte der Textilfabrikant Friedrich Wilhelm Schindler das Potenzial des Wassers: Er versorgte die ersten Orte mit elektrischem Strom und legte damit den Grundstein für die Elektrifizierung, die besonders nach dem Ersten Weltkrieg ab 1918 an Bedeutung gewann. Die Industrie, aber auch die Politik überlegte, wie man das Land mit Strom versorgen könnte, um die brachliegende Wirtschaft anzukurbeln. Eine der zentralsten Schlüsselfiguren seitens der Politik war Dekan Barnabas Fink. Er bestieg einen Großteil der Gebirgszüge Vorarlbergs selbst und eignete sich so umfassende Kenntnisse über dessen Topografie an. Auf Basis dieses Wissens erstellte er erste Pläne zum Ausbau der Wasserkraft. Doch sowohl die geographische als auch die wirtschaftliche Lage Vorarlbergs bedingte eine überstaatliche Zusammenarbeit. Kraftwerke dieser Größe waren nicht zu finanzieren: Das Kraftwerk Vermunt kostete damals das Zehnfache des Landesbudgets. Trotz eines nahezu utopischen Plans ließ man in Vorarlberger Manier nicht von der Idee ab. „Wasserkraft war der einzige Bodenschatz über den Voralberg verfügte und man brauchte ausländische Investoren“, erläutert Dr. Ludwig Summer, Aufsichtsratsvorsitzender und ehemaliger Vorstandsvorsitzender der illwerke vkw.
Grenzüberschreitende Partnerschaft
Zeitgleich entstanden in Deutschland die ersten Kohlekraftwerke. Um Engpässe zu überbrücken, gab es ein Interesse der Deutschen an speicherfähigen Anlagen wie sie in Vorarlberg geplant waren: Mit den deutschen Unternehmen OEW und GROWAG fand man passende Partner. Mit diesen musste nun vertraglich eine Einigung getroffen werden. Bei all seinen Verhandlungen folgte Barnabas Fink immer einem Grundsatz: Dem Lande den Nutzen und dem Lande die Führung auf sicherem Boden. Es gelang ihm, vertraglich ein Recht festzuhalten, das später von großer Bedeutung sein sollte. Ein Werk, das sich um den Nutzen zukünftiger Generationen bemüht und ein Recht beinhaltet, dessen vertragliche Verankerung sich als Geniestreich entpuppen wird. Ein Recht, um das später noch bitterlich gestritten werden sollte: das Heimfallsrecht – das Zurückfallen eines Eigentums an die ursprünglich Berechtigten oder den Staat. Gemeinsam mit den deutschen Partnern OEW und GROWAG sowie einem Kapital von 2 Millionen Franken wurden am 5. November 1924 die Vorarlberger Illwerke gegründet.
Aufbau eines Stromversorgers
Mit der Gründung der Illwerke wurde der Ausbau weiter forciert und eine ganze Kraftwerkskette geplant. Begonnen wurde mit der Absenkung des Lünersees und dem Bau des Vermuntwerks in Partenen. Dieses nahm bereits 1930 den Betrieb auf und symbolisierte für die Illwerke den ersten bedeutenden Meilenstein im Kraftwerksbau. Mit seinen vier Maschinengruppen erreichte es eine Nennleistung von 90 MW und war damit eines der größten Wasserkraftwerke Europas. „Das Kraftwerk und die Leitung bis ins Rheinland haben hohe industriegeschichtliche Bedeutung, es war die Basis des europäischen Verbundnetzes“, unterstreicht Vorarlbergs Landeshauptmann Mag. Markus Wallner die Wichtigkeit des mit Kohlekraftwerken im Rheinland verbundenen Speicherkraftwerks.
Widerstand gegen das NS-Regime
Nachdem die Nationalsozialisten in Österreich die Macht übernommen hatten, wurden auch bei den Vorarlberger Illwerken Schlüsselpositionen mit politisch Gleichgesinnten besetzt. Um den Kraftwerksbau voranzutreiben, wurde bereits kurz nach Kriegsbeginn im September 1939 wichtiges Personal freigestellt und Kriegsgefangene als Hilfsarbeitskräfte eingesetzt. Auch politische Gegner wurden zwangsverpflichtet, um auf den Baustellen zu arbeiten. Dort herrschten aufgrund von Wetter und Höhenlage oft harsche Bedingungen, besonders während der Wintermonate. Je nach Nationalität und Volkszugehörigkeit konnte die Situation der Zwangsarbeiter stark variieren: So wurden sogenannte Westarbeiter meist anders behandelt als die sogenannten Ostarbeiter. Da man sie als rassisch minderwertig sah, untersagte man ihnen häufig den Kontakt zu ihren Angehörigen. Sie wurden zudem von Wachmannschaften begleitet und von anderen Gruppen isoliert. Während sich so manche fröhlich in den Bergen des Montafons vergnügten, kam es auf diversen Baustellen der Illwerke immer wieder zu polizeilichen Kontrollen, Arbeiter wurden in Konzentrationslager eingeliefert oder gar unmittelbar hingerichtet. Mit dem Tod Hitlers im April 1945 neigte sich der Zweite Weltkrieg dem Ende zu, doch viele seiner Anhänger wollten dies nicht kampflos hinnehmen. Im Falle einer Niederlage wollte man den Alliierten den Kraftwerkspark keinesfalls überlassen – lieber mache man alles dem Erdboden gleich, weshalb die Sprengung der Werke befohlen wurde. Doch eine Gruppe um den Kraftwerksleiter Romed Boss leistete Widerstand. Es stellten sich ihnen zwei wesentliche Aufgaben: Die Sprengung der Werkanlagen zu verhindern sowie die auf der Staumauer stationierte Flak auszuschalten. Bei Nacht und Schneegestöber machten sich vier Männer der Widerstandsbewegung auf den Weg hinauf nach Silvrettadorf, wo sie sämtliche Sprengkapseln aus dem Munitionsbunker holten. Anschließend machten sie sich auf den Weg zur Vermunt-Staumauer wo die Flak positioniert war. Mit dem Vorwand dringender Reparaturarbeiten überlisteten die vier Männer die Soldaten und warfen den gesamten Munitionsvorrat in den See.
Aufschwung nach dem Krieg
Nach Kriegsende beschlagnahmten die Alliierten deutsches Eigentum, auch die Illwerke und ihre Partner waren davon nicht ausgenommen. Im Zuge des zweiten Verstaatlichungsgesetzes 1947 gingen die Eigenkapitalsanteile der RWE und EVS an den Illwerken auf die Republik Österreich über. Eine bedeutende Schlüsselfigur zu dieser Zeit war Anton Amann, langjähriger Vorstandsdirektor der Illwerke. Über vier Jahrzehnte hinweg prägte er die Führungsverantwortung des Unternehmens, sein Pionierdenken kristallisierte sich vor allem in seiner vorausschauenden Planung über die Jahrzehnte hinweg heraus. So war die Versorgung in den 1950er Jahren zwar ausreichend, man war sich aber dennoch bewusst, dass der Strombedarf in Zukunft deutlich steigen würde. Das Lünerseewerk, zu seiner Zeit das leistungsstärkste Pumpspeicherkraftwerk der Welt, war daher ein weiterer Meilenstein in der Geschichte des Unternehmens und spielt noch heute eine bedeutende Rolle im europäischen Verbundnetz. In den folgenden Jahren wurde der Kraftwerkspark erheblich erweitert: In den 1960er-Jahren wurde die Kops-Staumauer erbaut, 1969 ging das Kopswerk in Betrieb. Das Rodundwerk II mit der leistungsstärksten Einzelmaschine der Illwerke nahm 1976 den Betrieb auf. Diese Periode des Kraftwerksbaus wurde 1984 mit der Inbetriebnahme des Walgauwerks abgeschlossen.
Geniestreich Heimfallsrecht
Anfang der 1970er Jahre begannen Auseinandersetzungen mit den deutschen Stromabnehmern RWE und EVS um die Verzinsung, die die Illwerke für das von ihr eingesetzte Kapital erhielt. 1988 verließ das RWE schließlich das bestehende Vertragsverhältnis und übergab 50 Prozent seiner Anteile an die Verbundgesellschaft. Trotz vieler Höhen und Tiefen war es gelungen, über die Jahrzehnte hinweg ein bedeutendes Unternehmen zu erschaffen. Doch eine der härtesten Herausforderungen, deren Ausgang sich als wegweisend herausstellen sollte, stand den Verantwortlichen der Illwerke noch bevor. Mit fortschreitender Zeit rückte das 1926 vertraglich vereinbarte Heimfallsrecht immer näher – der damalige Landeshauptmann Vorarlbergs Dr. Martin Purtscher sah dessen Umsetzung als oberste Priorität an. Doch auch die Verbundgesellschaft bekundete ihr Interesse am Kauf der Illwerke-Aktien. An der Spitze der Verbundgesellschaft und somit der größte Kontrahent der Illwerke war der Sozialdemokrat Walter Fremuth. Er bekundete, immer drei Prozent mehr zahlen zu wollen als das Land, zum Unmut der Vorarlberger. Die Stimmung erhitzte sich immer mehr, Verhandlungen zwischen dem Land Vorarlberg, der Verbund Gesellschaft und dem Bundesministerium für Finanzen dauerten an. Parteipolitische Erwägungen und Interessen standen im Vordergrund, es kam zu keiner Einigung. Zwar bestätigte ein Experte der Finanzprokuratur das Heimfallsrecht, kurze Zeit später intervenierte deren Präsident und erklärte das Heimfallsrecht für ungültig. „Die Alemannen gelten mit Recht als nüchterne, rational denkende Menschen, aber wenn man ihnen ein seit mehr als sechs Jahrzehnten unbestrittenes Recht plötzlich aberkennen will, dann können sie sehr emotionell werden“, zeigte sich der damalige Landeshauptmann Dr. Martin Purtscher enttäuscht. Der Höhepunkt der Auseinandersetzung war nahezu erreicht: Nach internen und politischen Querelen, der Absetzung des Vorstands Dipl.-Ing. Dr. Rainer Reich sowie der Neueinsetzung von Dr. Ludwig Summer und der Feststellungsklage des Landes Vorarlberg gegen die Illwerke bestätigte das Schiedsgerichts die hart umkämpfte Gültigkeit des Heimfallsrechts. Verhandlungen über den Preis des Aktienrückkaufs wurden endlich geklärt und der damalige Finanzminister Andreas Staribacher versprach Landeshauptmann Purtscher per Handschlag, die Illwerke an das Land Vorarlberg zu verkaufen. Nach langen Bangen und unzähligen Stunden zäher Verhandlungen stimmte auch die Verbundgesellschaft offiziell zu, die Anteile zu verkaufen. Als letzter entscheidender Schritt über den Verkauf fehlte nur noch die Abstimmung des Nationalrats – doch der wird just während dieser aufreibenden Situation aufgelöst. Doch die Handschlagqualität des Finanzministers hält: Im Nationalrat wird über den Verkauf der Illwerke-Bundesanteile an Vorarlberg abgestimmt, am 9.11.1995 kam es im Schlachtenbildersaal des Winterpalais zur Vertragsunterzeichnung.
Herausforderungen der Liberalisierung
Mit der Liberalisierung des Strommarktes begann für die Illwerke eine neue Ära. Der dadurch entstandene Konkurrenzkampf zwischen den Stromanbietern hatte zur Folge, dass die Strompreise teils drastisch sanken. Dadurch sah sich die Verbundgesellschaft nicht mehr imstande, die vereinbarten Preise für den Strom der Illwerke zu bezahlen. Mit ihrem Ausscheiden aus dem Vertrag musste ein passender Nachfolger gefunden werden. Für die Illwerke kam damals nur ein Partner in Frage: die Energie Baden-Württemberg AG (EnBW). Der Direktor Gerhard Goll der EnBW war ein großer Befürworter der Wasserkraft und daher an einer zukunftsorientierten Vereinbarung interessiert. Die Energiezukunft bewegt sich weiterhin in Richtung erneuerbarer Energien. Wind und Solarenergie bringen jedoch auch eine gewisse Instabilität mit sich, dadurch erhielten die Regelleistungen einen neuen Stellenwert. Aufgrund dieser Entwicklungen benötigte die EnBW zusätzliche Regelleistung und durchbrach damit ein jahrelanges Tabuthema: Der Bau eines neuen Kraftwerks.
Bau neuer Mega-Projekte
Einen Meilenstein in dieser Entwicklung setzte der Bau des Kopswerks II, ein ambitioniertes, jedoch riskantes Projekt. „Die drei wesentlichen Merkmale waren eine extrem große Kaverne mit sehr hohen Seitenwänden, die felsmechanisch nicht unproblematisch sind. Dann die Realisierung des hydraulischen Kurzschlusses bei Einsatz einer Peltonturbine und die daraus resultierende Notwendigkeit von Druckluftwasserschlosskammern in der Unterwasserführung, was auch Neuland war“, führt der ehemaliger Leiter Engineering der Illwerke, Dipl.-Ing. Dr. Ernst Pürer, die Herausforderungen aus. Mit dem Bau des Kopwerks II gingen die Illwerke ein großes Risiko ein, das sich als voller Erfolg entpuppte. Dadurch wurde der weitere Ausbau von Kraftwerken wie das Obervermuntwerk II möglich. Mit einer Leistung von 380 MW ist es bis heute eines der größten Kraftwerke des Unternehmens.
Zusammenführung zu illwerke vkw
Durch die Liberalisierung des Strommarkts Ende der 1990er Jahre wurde der Weg für die Zusammenführung der Illwerke und der VKW geebnet. Großprojekte wie das Kopswerk II oder auch das Obervermuntwerk II ermöglichten es, die zwei unterschiedlichen Unternehmenskulturen zu vereinen. Dank des geschickten Managements des Vorstands konnte die Fusion am 2. Juli 2019 erfolgreich durchgeführt werden. Der Baubeschluss für das Kopswerk II, die Tiroler Verträge, die Handhabungsvereinbarung mit der EnBW, der Baubeschluss für das Obervermuntwerk II und schließlich die gesellschaftsrechtliche Zusammenführung der Vorarlberger Illwerke AG und der Vorarlberger Kraftwerke AG zur illwerke vkw AG stehen so in einer logischen Reihe und folgen einer tiefen Überzeugung: Es ist vor allem Flexibilität in Form von Regelenergie notwendig, um die Energiezukunft hin zu einer Versorgung aus erneuerbaren Energiequellen zu erreichen und dabei die hohe Versorgungssicherheit auch weiterhin zu gewährleisten. Und die Pumpspeicherkraftwerke der illwerke vkw können diese Regelenergie so rasch, flexibel und effizient zur Verfügung stellen wie keine andere Technologie.
Erschienen in zek HYDRO Ausgabe 4/2024
Teilen: