Frauen in der Wasserkraft – unterschätztes weibliches Potenzial14 min read
Lesedauer: 10 MinutenBis 2050 wird die Wasserkraftindustrie weltweit voraussichtlich 3,7 Millionen Menschen beschäftigen, doch derzeit ist nur ein Viertel der Stellen von Frauen besetzt – nicht zuletzt in Zeiten des Fachkräftemangels ein massiv ungenutztes Potenzial. Obwohl frühere Studien gezeigt haben, dass eine gleichberechtigte Belegschaft von Männern und Frauen wirtschaftlich und sozial vorteilhaft ist, nutzt der Wasserkraftsektor noch immer die Talente und Fähigkeiten von weiblichen Fachkräften viel zu wenig.
Frauen fungieren als Randgruppe in der Wasserkraftbranche: Dabei bestätigen Untersuchungen großer Wirtschaftsberatungen, dass sich ein höherer Frauenanteil in der Führungsetage nicht nur gut für das Wachstum und den geschäftlichen Erfolg eines Unternehmens auswirkt. Frauen bereichern mit ihren Fähigkeiten, ihrer spezifischen Sichtweise und ihrem persönlichen Stil auch die Kultur und Arbeit im Unternehmen, berichtet die Studie „Frauen in Führungspositionen – Erfolgreiche Unternehmensführung im Mittelstand“. Eine Wasserkraftanlage erfordert neben dem Fachwissen in Bautechnik, Maschinenbau und Elektrotechnik, die Interessen zwischen den Beteiligten wie Anrainern, Ökologen, Fischern usw. bestmöglich auszuloten. „Hier können wir mit vernetztem Denken, Empathie und zukunftsorientierten Verstand für künftige Generationen punkten“, ist sich auch die Kraftwerksplanerin Dipl.-Ing. Petra Gegenleitner vom Ingenieurbüro für Kulturtechnik und Wasserwirtschaft KFD sicher. „Da in der Planung und Projektierung neben Fachwissen die soziale Komponente wichtig ist, bin ich davon überzeugt, dass uns Frauen mit technischem Know-how und den weiblichen Charakterzügen zukünftig eine wichtige Rolle in der Wasserkraft zukommt.“
Warum gibt es in der Wasserkraftbranche solche Geschlechterunterschiede?
Auch wenn Frauen in vielen technischen Berufen unterrepräsentiert sind, fällt der Frauenanteil in der Sparte Wasserkraft im Vergleich zu anderen erneuerbaren Technologien wie Wind- und Solarenergie besonders gering aus: Während im gesamten Sektor der erneuerbaren Energien 32 Prozent der Arbeitsplätze von Frauen besetzt sind, ist das in der Wasserkraft nur bis zu 25 Prozent der Fall. Zu diesem Resultat kam die Studie „Power With Full Force: Getting to Gender Equality in the Hydropower Sector“ vom Energy Sector Management Assistance Program (ESMAP) der Weltbank. Zusätzlich sind von den weiblichen Mitarbeitern in Wasserkraftunternehmen nur 21 Prozent in technischen Positionen wie Ingenieurinnen, Umweltwissenschaftlerinnen und Außendienstmitarbeiterinnen tätig, der Großteil in Verwaltung, Handel, Vertrieb, Marketing, Personalwesen und Finanzen. Kurz gesagt, es gibt fast viermal so viele Frauen in nichttechnischen wie in technischen Berufen. Doch genau diese führen am ehesten zu Leitungspositionen: Dies könnte eine Erklärung für die Unterrepräsentation von Frauen im mittleren und oberen Management sein. Ein Grund dafür könnten die oftmals starren und konservativen Unternehmensstrukturen in der alten und gut etablierten Branche Wasserkraft sein, die den Einstieg für Frauen schwerer macht als in jüngeren Sparten der erneuerbaren Energie.
Schwieriger Berufseinstieg
Aber auch die Arbeitsbedingungen in der Wasserkraft machen den Berufseinstieg für weibliche Arbeitskräfte vielfach schwieriger als für Männer: Technische Aufgaben während des Baus und Betriebs eines Wasserkraftwerks können häufige Reisen zu sehr abgelegenen Standorten und/oder längere Aufenthalte dort erfordern – teils mehrere Monate bis Jahre. Die Schaffung eines sicheren Arbeitsumfelds ist selbstredend Grundvoraussetzung für den Einstieg in die Branche. Einen längeren Zeitraum in abgelegenen Gebieten zu verbringen schafft eine vulnerable Situation: In der Wasserkraft arbeitende Frauen haben laut der Weltbank-Studie – insbesondere ohne weibliche Kolleginnen an ihrer Seite – in solch einer Arbeitssituation teils sogar begründete Sicherheitsbedenken.
Veraltete Rollenbilder
Aufgrund der vorherrschenden Geschlechternormen ist es für Frauen nach wie vor schwieriger, eine Karriere in der Wasserkraft mit dem Familienleben zu vereinbaren als für Männer. „Das äußert sich zum Beispiel in der Frage, wer sich um meine Kinder kümmert, während ich bei einem mehrtägigen Kongress bin“, berichtet Dr. Barbara Brinkmeier, Geschäftsführerin von HyFish, einem Unternehmen, das Lösungen für den Fischschutz bei Kraftwerken anbietet. „Das finde ich befremdlich, denn meinem Mann stellt niemand so eine Frage.“ Hier herrsche offensichtlich die Vorstellung, dass Frauen nach der Familiengründung zuhause bleiben sollten – was sich unter anderem in den fast ausschließlich von Männern besetzten Führungspositionen widerspiegle. „Um mehr Frauen für die Wasserkraft zu begeistern, benötigt es ein generelles Umdenken in der Gesellschaft: Die Erkenntnis, dass es keine geschlechterspezifischen Unterschiede gibt, deren zufolge Männer geeigneter für technische Berufe wären, sowie eine gerechtere Aufteilung der Care-Arbeit zwischen Männern und Frauen.“ Mit dem Sichtbarmachen der Arbeit von Frauen in der Wasserkraftbranche in Medien nennt die Bauingenieurin einen weiteren wichtigen Punkt.
Mädchen für technische Berufe begeistern
Um Berufe im Wasserkraftsektor für Frauen interessanter zu gestalten, muss bereits in der Bildung angesetzt werden. Die Tatsache, dass Frauen in MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) immer noch in der Minderheit sind, stellt nach wie vor ein großes Hindernis für die Gleichstellung in der Branche dar und erschwert es Wasserkraftunternehmen gleichzeitig, mehr Frauen einzustellen, wenn zu wenige über die erforderlichen Abschlüsse verfügen. „Frauen sind in der Branche daher indirekt benachteiligt, denn es gibt handfeste systemische und strukturelle Ursachen, die dafür verantwortlich sind, dass nach wie vor weniger Mädchen und junge Frauen als Buben und Männer sich für technische Berufsausbildungen entscheiden“, erläutert Dr.in Sophie Uitz, Landessprecherin Kleinwasserkraft Salzburg und selbst Betreiberin zweier Kleinwasserkraftanlagen. „Auch mein Einstieg in die Branche war dadurch erschwert, dass ich keine technische Ausbildung habe, hier hatte ich viel Aufholbedarf gegenüber den meisten männlichen Kollegen, die sich schon früher mit technischen Themen auseinandergesetzt haben.“ Noch werden technische Studienfächer als vorwiegend männlich dominiert betrachtet. Die Normalisierung des Studiums von MINT-Fächern für Frauen ist somit ein entscheidender Faktor, wenn die Zahl qualifizierter Frauen, die in den Wasserkraftsektor eintreten, steigen soll. Hier zeigt sich aber schon seit einigen Jahren eine positive Entwicklung: In technischen Studiengängen sind immer mehr Frauen zu verzeichnen. Um die topausgebildeten weiblichen Arbeitskräfte in die unterschiedlichen Bereiche der Wasserkraft zu integrieren, müssen jedoch die alten Rollenbilder in der bisweilen trägen Branche aufweichen.
Hinderliche Vorurteile abbauen
Bereits in der Wasserkraft etablierte Frauen – egal ob Ingenieurinnen, Betreiberinnen oder Außendienstmitarbeiterinnen – müssen sich trotz geleisteter harter Arbeit oftmals bei männlichen Kollegen oder Vorgesetzten beweisen – und erleben trotz allem vielfach Benachteiligungen. Die vorherrschenden Vorstellungen von Geschlechterrollen hindern viele Frauen daran, in die Wasserkraftbranche einzusteigen und/oder dort zu bleiben. Zu den gängigen Vorurteilen zählen die vermeintliche physische Schwäche von Frauen sowie das Fehlen einer als typisch männlich angesehenen analytischen Denkfähigkeit. „Als Frau in der Wasserkraft erfordere es gerade am Anfang einer großen Portion Energie, um von den männlichen Beteiligten akzeptiert zu werden“, berichtet die Kraftwerksplanerin Petra Gegenleitner: „Anfangs waren sie häufig verwundert, wenn ich eine fachliche Expertise äußerte, und es fiel ihnen schwer diese anzuerkennen. In eine fachliche Diskussion eingebunden zu werden erforderte Durchsetzungsvermögen und Beharrlichkeit.“ Heute erfolgen Gespräche auf Augenhöhe: „Den sachlichen und lösungsorientierten Umgangston bei der Zusammenarbeit mit männlichen Kollegen schätze ich sehr.“
Frauennetzwerk für fachlichen Austausch
Um sich gegenseitig zu unterstützen, gründeten Wasserkraft-Akteurinnen aus Deutschland, Österreich und Südtirol das interdisziplinäre Wasserkraft.Frauen.Netzwerk (www.wasserkraft-frauen.com). Dieses soll den fachlichen Austausch und die Zusammenarbeit unter Frauen in der Wasserkraftbranche fördern und Themen im Umfeld der Wasserkraft durch neue weibliche Perspektiven zukunftsfähig weiterentwickeln. Außerdem möchte das Netzwerk Frauen motivieren, in die Wasserkraftbranche einzusteigen. Frauen mit Vorbildfunktion haben einen gewichtigen Hebel, um mehr weibliche Fachkräfte für die Wasserkraft zu begeistern. Zu diesem Ergebnis kam auch die ESMAP-Studie der Weltbank: Mentoring ist demnach ein wirksames und zunehmend beliebtes Instrument zur Förderung der beruflichen Entwicklung von Frauen, indem es ihnen hilft, wichtige Soft- und Hard-Skills aufzubauen, ihre Netzwerke zu erweitern, mit Vorbildern zu interagieren, Akzeptanz und Bestätigung zu finden und letztendlich Karriereerfolg als Führungspersönlichkeiten oder Selbstständige zu erzielen. Dem Wasserkraft.Frauen.Netzwerk. geht es aber nicht nur darum, den Anteil von Frauen in der Wasserkraft zu erhöhen, sondern auch bereits agierende Akteurinnen dabei zu unterstützen, in die Diskussion einzusteigen und zu ihren Fähigkeiten selbstbewusst zu stehen.
Auch Männer profitieren von mehr Gleichberechtigung
Nicht nur die Frauen selbst, sondern auch ihre männlichen Kollegen können für mehr Gleichberechtigung und gegen Unvoreingenommenheit eintreten: Unter anderem schon dadurch, indem sie ihr Verhalten in konkreten Situationen reflektieren, etwa ob sie sich anders verhalten hätten, wäre ihr Gegenüber ein Mann gewesen. Da Männer das Arbeitsumfeld weiterhin überproportional beeinflussen, können ihr Erkennen geschlechtsspezifischer Vorurteile und die Förderung der Geschlechtergleichstellung einen starken Einfluss haben. Während es der Kraftwerksplanerin Petra Gegenleitner hohen Aufwand kostete, sich in der männerdominierten Kraftwerksbranche durchzusetzen, fand sie nämlich auch Fürsprache: „Hier spielte mein Bruder eine bedeutende Rolle, indem er an mich glaubte und mich immer wieder ermunterte meinen Weg zu gehen.“ Und auch Betreiberin Sophie Uitz kann Positives berichten: „Ich habe von Anfang an viel Unterstützung aus der ‚Männerdomäne‘ Kleinwasserkraft erfahren und mir so über die Praxis das nötige Grundwissen aneignen können.“ In ihrer Funktion als Landessprecherin habe sie zudem viele Betreiber kennengelernt, die sich wünschen, ihre Töchter für die Übernahme von den familienbetriebenen Kleinwasserkraftwerken begeistern zu können. „Das Vorurteil, dass sich Frauen in einer so technischen Branche wie der Wasserkraft nicht zurechtfinden würden, hält sich hartnäckig – wohl auch in Ermangelung von Vorbildern für junge Frauen.“ Noch sind diese zwar nicht zahlreich, dafür inspirierend und ermutigend.
Herausforderungen gemeinsam meistern
Die Wasserkraft hat große Herausforderungen zu bewältigen: Klimawandel, schwankende Strompreise und sich ändernde Auflagen, um nur einige zu nennen. Darum ist es umso wichtiger, dass die gesamte Branche enger zusammenrückt – egal ob männlich oder weiblich, denn die Technik selbst ist geschlechterneutral.
Erschienen in zek HYDRO Ausgabe 1/2024
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