Studie: Klimawandel verstärkt die Bedeutung der österreichischen Wasserkraft7 min read
Lesedauer: 6 MinutenWas bedeutet der rasch fortschreitende Klimawandel für die Wasserkraft in Österreich? Dieser Frage ist das Beratungsunternehmen Afry im Auftrag der Interessensvertretung Oesterreichs Energie im Rahmen einer neuen Studie nachgegangen. Daraus geht hervor, dass die Wasserkraft entgegen vielfach geäußerten Befürchtungen in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen wird. Als Grund dafür geben die Autoren die zunehmende Verschiebung der Niederschläge in die Wintermonate an, wodurch die bislang bestehende Versorgungslücke in der Kälteperiode stärker kompensiert werden sollte. Darüber hinaus raten die Experten zu einem weiteren Ausbau der Speicher- und Pumpspeicherkraftwerke. Diese Anlagen dienen nicht nur dem Netzausgleich für die volatileren Energieformen Windkraft und Photovoltaik, sondern sind darüber hinaus in der Lage, regionale Extremereignisse zu dämpfen und Schwankungen des Wasserdargebots auszugleichen.
Mit rund 60 Prozent des im Land produzierten Stroms gilt die Wasserkraft zu Recht als Rückgrat der österreichischen Energieversorgung. Doch wie stabil ist dieses Rückgrat angesichts der ausgeprägten Dürreperioden, die wir in den Sommern der vergangenen Jahre miterleben mussten? Sind massive Einbußen zu befürchten oder sogar positive Effekte zu erwarten? Die umfassende Studie des Beratungsunternehmens Afry zeigt nun, dass die Wasserkraft auch im Zuge der Klimaerwärmung ihre wichtige Rolle beibehält und in einigen Aspekten sogar noch ausbaut. Aus den Beobachtungen der Vergangenheit und Gegenwart lässt sich bei den Jahres-Niederschlagsmengen in weiten Teilen Österreichs eine gleichbleibende oder sogar leicht ansteigende Tendenz erkennen. Gemäß der Studienergebnisse sollen auch die zukünftigen Jahresabflüsse auf Jahrzehnte hinaus stabil sein.
Positive Effekte im Winter
Mit den steigenden Temperaturen kommt bezüglich der zeitlichen Abflussverteilung über das Jahr gesehen ein interessanter Aspekt zum Tragen. „Im Jahresverlauf sehen wir bereits jetzt deutliche Verschiebungen“, erklärt Martin Fuchs, Head of Hydro Consulting bei Afry Österreich. „Im Sommerhalbjahr ist durch längere Trockenperioden in Summe ein Rückgang der Abflüsse erkennbar, allerdings verzeichnen wir im Winterhalbjahr in fast allen Regionen nennenswerte Zuwächse.” Angesichts des laufenden Ausbaus der erneuerbaren Energien seien das gute Nachrichten, sagt Karl Heinz Gruber, Sprecher der Sparte Erzeugung bei Oesterreichs Energie: „Mit der Transformation des Energiesystems in eine erneuerbare Zukunft nimmt der Strombedarf erheblich zu. Abschätzungen von Oesterreichs Energie gehen zum Erreichen der Klimaneutralität von einer Verdreifachung der erneuerbaren Erzeugung aus. Durch den massiven Ausbau im Bereich Photovoltaik und Wind werden wir zwar im Sommer künftig genug bzw. sogar zu viel Strom haben. Allerdings entsteht eine erhebliche Lücke im Winter. Dass sich die Stromerzeugung aus Wasserkraft zusehends in die kälteren Monate verschiebt, ist aus dieser Perspektive durchaus positiv.”
Es braucht zusätzliche Anlagen
Um die Wasserkraftwerke bestmöglich an diese neuen Bedingungen anzupassen, sind Modernisierungsmaßnahmen gefordert. Spezielle Turbinenkonfigurationen etwa bieten mit höheren Flexibilitäten die Möglichkeit, Verluste bei hohen Abflüssen zu verringern und gleichzeitig geringe Wassermengen effizient zu nutzen. „Zudem müssen die bestehenden Speicher- und Pumpspeicherkraftwerke bezüglich Flexibilität und Speicherfähigkeit ausgebaut und zusätzliche Anlagen errichtet werden”, erklärt Karl Heinz Gruber: „Durch ihr großes Speichervolumen könnten alpine Speicher zukünftig mit herangezogen werden, um Schwankungen des Wasserdargebots saisonal auszugleichen und negative Effekte von Trockenperioden auf den Wasserhaushalt und die Stromproduktion zu reduzieren.” Laut der neuen Studie hängen die zukünftigen Änderungen für Speicherkraftwerke von den lokalen Veränderungen im Niederschlag, von der Höhenlage und vom noch vorhandenen Gletschervolumen ab. In Gebieten mit noch relevanter Vergletscherung kann mit einer Zunahme der Erzeugung aufgrund des höheren Gletscherabflusses gerechnet werden, solange noch ausreichend Eisvolumen vorhanden ist. Saisonal kommt es zu früheren Schmelzzuflüssen im Frühling und geringeren Zuflüssen im Sommer, wobei diese Veränderung je nach Speichervolumen einen stärkeren oder geringeren Einfluss auf die saisonal für die Energieerzeugung verfügbaren Wassermengen hat.
Unerlässlich für den Netzausgleich
Außerdem erfüllen Speicher und Pumpspeicher eine wichtige, ja unerlässliche Rolle bei der Stabilisierung des in weiterer Zukunft vollständig erneuerbaren Stromsystems. „Neben dem Netzausbau bieten unsere Speicher- und Pumpspeicherkraftwerke die Voraussetzungen um die schwankenden Erzeugungsmengen aus den Wind- und PV-Anlagen im System zu glätten und so eine sichere und verlässliche Stromversorgung zu gewährleisten”, erklärt Barbara Schmidt, Generalsekretärin von Oesterreichs Energie. „Bei allen Ambitionen im Bereich Erneuerbare muss daher in jedem Fall ein kontinuierlicher und konsequenter Ausbau der Wasserkraft als planbarer Lieferant von CO2-freier heimischer Grundlast und als Bereitsteller nachhaltiger Speicher und Flexibilität mitgedacht werden”, so Schmidt.
Speicherkraftwerke tragen auf verschiedenen zeitlichen Skalen zur Flexibilität im Stromsystem bei, wobei in Bezug auf den Klimawandel sowohl kurzfristiger als auch längerfristiger Ausgleich relevant ist. Die Häufigkeit von Starkregenereignissen nimmt aufgrund des Klimawandels tendenziell zu. Kurze Starkregenereignisse im Einzugsgebiet der Speicher können durch die Speicher zurückgehalten werden, und das Wasser kann zu späteren Zeitpunkten abgearbeitet werden, beispielsweise bei geringer Wind- und Photovoltaik-Erzeugung.
Produktionsrückgang im Sommer
Die Vorhersage detaillierter Veränderungen in der Erzeugung in Laufkraftwerken aufgrund des Klimawandels ist, wie für den Abfluss, unsicher. In der näheren Zukunft können geringe Zunahmen oder Abnahmen im Bereich weniger Prozent nicht ausgeschlossen werden. Für die fernere Zukunft zeigen die verfügbaren Studien im Falle eines stärkeren Klimawandels tendenziell geringe Abnahmen der Erzeugung. Übereinstimmend zeigen alle Ergebnisse einen Anstieg der Produktion im Winter und einen Rückgang im Sommer.
Zukünftige Veränderungen im mittleren Jahresabfluss sind, aufgrund der hohen Unsicherheit bei Niederschlagsprojektionen, sehr unsicher. Tendenziell werden eher geringe Änderungen erwartet, da der Anstieg der Verdunstung durch höhere Niederschläge kompensiert werden kann. Viele Simulationen zeigen aber vor allem für die fernere Zukunft und für Gebiete im Süden Österreichs einen leichten Rückgang im Jahresabfluss. In den untersuchten Beobachtungsdaten zeigt sich bisher kein Hinweis auf eine stärkere Variabilität der Abflüsse von Jahr zu Jahr. An der Donau zeigen sich in den letzten Jahrzehnten aber erstmals Niederwasserphasen im Sommer und Herbst. Für die Zukunft kann im Sommerhalbjahr mit längeren Trockenperioden und langfristig auch mit längeren Niederwasserperioden im Sommer und Herbst gerechnet werden. Abgaben aus den großen alpinen Speichern können grundsätzlich, wie derzeit in den Niederwasserphasen im Winter, auch im Sommer eine Aufhöhung des Abflusses herbeiführen und dadurch eine ausreichende Stromerzeugung sicherstellen. Für die Donau ist der mögliche Einfluss der alpinen Speicher aber zeitlich limitiert – für substanzielle Abflusserhöhung während längerer, mehrere Wochen dauernde Niederwasserphasen wäre das verfügbare Speichervolumen zu gering.
Schneefall geht zurück
In den vergangenen Jahrzehnten wurde demnach nicht nur ein deutlicher Anstieg der Temperatur beobachtet, sondern auch im Hinblick auf die Niederschlagsmengen zeigte sich eine leichte Zunahme in vielen Teilen Österreichs, davon ausgenommen sind lediglich Regionen im Süden sowie in Vorarlberg. Hinzu kommt, dass gemäß der Studienautoren der Anteil an Schneefall im Winterniederschlag zurückgeht und die Schneedeckendauer und die Schneemengen sich reduzieren. Auffällig ist auch die Gletscherschmelze, Gletscherflächen gehen zurück und der Beitrag der Gletscherschmelze am Abfluss vergletscherter Einzugsgebiete nimmt zu. Im mittleren Jahresabfluss zeigen sich nur sehr schwache Trends, mit geringfügigen Zunahmen an Flüssen im Zentrum Österreichs und geringen Abnahmen im Westen, Norden und Süden. Der Effekt aus dem Zusammenwirken von weniger Schnee und mehr Regen im Winter wird gemäß der neuen Studie eine gleichmäßigere Verteilung der Stromproduktion aus Wasserkraft zur Folge haben. Die Bedeutung der Wasserkraft insgesamt wird daher mittelfristig nicht unter den Folgen der Klimaerwärmung leiden, sondern tendenziell sogar noch dazugewinnen.
Erschienen in zek HYDRO Ausgabe 1/2024
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