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Kössler rüstet „Hochgebirgs- Kraftwerk“ im Kaukasus aus7 min read

22. Juli 2019, Lesedauer: 5 min

Kössler rüstet „Hochgebirgs- Kraftwerk“ im Kaukasus aus7 min read

Lesedauer: 5 Minuten

Kurz vor dem Jahreswechsel hat unweit der nordgeorgischen Skiregion Gudauri im Kaukasus das neue Kleinwasserkraftwerk Aragvi 2 seinen Betrieb aufgenommen.

Innerhalb von zwei Bausaisonen wurde auf einer Seehöhe von über 1.800 m eine neue Anlage realisiert, die mit modernster Wasserkrafttechnik ausgestattet im Regeljahr rund 12 bis 14 GWh sauberen Strom erzeugt. Bei dem neuen Hochgebirgskraftwerk handelt es sich um die Oberlieger-Anlage zum Kraftwerk Aragvi 1, das bereits 2014 mit elektromaschineller Ausrüstung der Firma Kössler, einem Tochterunternehmen des Technologiekonzerns Voith, in Betrieb gesetzt wurde. Vier Jahre später lieferte der niederösterreichische Turbinenspezialist nun erneut das maschinelle Herzstück des neuen Kraftwerks: eine Francis-Spiralturbine, die eigens für die diffizilen Betriebsbedingungen am Standort konzipiert und gefertigt wurde. Das Betriebsverhalten und die Leistungsperformance überzeugten von Anfang an, wenngleich die großen Bewährungsproben noch bevorstehen, wenn in wenigen Wochen das Schmelzwasser kommt.

Heute kennt man den Ferienort Gudauri im Großen Kaukasus weit über die georgischen Grenzen hinaus. Besonders für seine Skipisten und Heli-Skiing wird das auf knapp 2.200 m Seehöhe gelegene kleine Dorf von Wintersportlern geschätzt und gerühmt. Dabei war Gudauri einst nur eine kleine Poststation, an der die Postkutschen, die im Grenzgebiet zwischen Russland und Georgien verkehrten, ihre Pferde wechselten. Mit der Errichtung der ersten Seilbahn in den 1970er Jahren schlug das Bergdorf nach und nach die Entwicklung in Richtung Wintersportort ein. 1988 traten österreichische und schwedische Investoren auf den Plan, die für rund 30 Millionen Euro das erste Vier-Sterne-Ski- und Sporthotel errichteten. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion verfiel Gudauri in einen Dornröschenschlaf, der erst in den 2000er-Jahren wieder endete, als die georgische Regierung den Ausbau zur Ski- und Ferienregion zu forcieren begann. Dank weiterer Oberklassehotels und moderner Aufstiegshilfen, die großteils von einem bekannten österreichischen Branchenspezialisten errichtet wurden, und nicht zuletzt aufgrund seiner Schneesicherheit gilt der kleine Ort mittlerweile als Top-Skigebiet im Kaukasus.

Pilotprojekt mit Folgewirkung
Natürlich naheliegend, dass ein aufstrebender Wintersportort auch großen Wert auf eine zuverlässige Stromversorgung legt. Bereits vor rund 20 Jahren erkannte die Investmentgruppe Energo Aragvi Ltd. die Zeichen der Zeit und vor allen Dingen das hydroelektrische Potenzial einer Region, die reich an natürlichen Gefällestufen und üppigen Gewässern ist. Das Unternehmen, das von österreichischen und georgischen Investoren gehalten wird, gab eine Machbarkeitsstudie in Auftrag, welche die Realisierbarkeit eines Wasserkraftwerks in unmittelbarer Nähe zu Gudauri prüfen sollte. Knapp zehn Jahre später lagen die erforderlichen Konzessionen vor. 2011 wurde ein Kraftwerk gebaut, das gleich in mehrfacher Hinsicht als Pilotprojekt für folgende Wasserkraftanlagen gilt. Zum einen in technischer: Das Kraftwerk wurde mit zwei effi- zienten Peltonturbinen mit 8,0 MW Eng- passleistung ausgerüstet, die vom nieder-i österreichischen Wasserkraftspezialisten Kössler geliefert wurden, sowie mit einer modernen Steuerungs- und Leittechnik, wie es in Georgien zuvor noch nicht realisiert wurde. Zum anderen in elektrizitätswirtschaftlicher: Der Staat Georgien hatte in seinen Energierichtlinien im Jahr 2006 festgeschrieben, dass man als „Hauptziel der Energiepolitik die vollständige Abdeckung des Strombedarfs durch nationale Ressourcen“ anerkenne. Im Regierungsplan „Renewable Energy 2008“ wurde dann explizit auf den Ausbau der Wasserkraftinfrastruktur verwiesen. In der Folge wurde eine komplette Liberalisierung des Sektors in die Wege geleitet. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Vorbildwirkung des Projektes nicht hoch genug einschätzen. Das Kraftwerk Gudauri, heute „Aragvi 1“, versorgt mit einem Regelarbeitsvermögen von rund 50 GWh circa 50.000 georgische Haushalte. Die Zeiten, als die Versorgung von russischer Seite nicht selten unterbrochen war, waren mit der Inbetriebnahme des Kraftwerks 2014 vorüber.

Potenzial für Oberlieger-Kraftwerk
„Schon bei der Umsetzung von Aragvi 1 war den Betreibern bewusst, dass einer der beiden Zubringerflüsse – der Tetri Aragvi, oder auf Deutsch: Weißer Aragvi – ein interessantes Potenzial für die Errichtung eines Oberlieger-Kraftwerks mitbringt“, erinnert sich der Key Account Manager der Firma Kössler, Ing. Karl Wieder. Die Idee für Aragvi 2 war geboren. Nach einigen Jahren der Vorverhandlungen und Planungen konnte sich die Energo Aragvi Ltd. im Jänner 2017 über die Unterzeichnung des Memorandums mit der georgischen Regierung zum Bau des Kraftwerks freuen. Der Auftrag für die elektromaschinelle Ausrüstung des neuen Kraftwerks ging erneut an die Firma Kössler, die bereits bei der Unterlieger-Anlage ihre Kompetenz unter Beweis stellen konnte. Nur waren es in diesem Fall keine Peltonturbinen, sondern vielmehr eine Francis-Spiralturbine, die der niederösterreichische Turbinenbauer in den Kaukasus lieferte.

High-tech im hochgebirge
Was das Kraftwerk unter anderem so besonders macht, ist seine Höhenlage. Die Bachfassung, als klassisches Tirolerwehr konzipiert, wurde im hochalpinen Gelände auf 1.930 m Seehöhe errichtet. Um dem stark geschiebeführenden und sedimentträchtigen Gewässer Rechnung zu tragen, wurden im Anschluss an das Entnahmebauwerk eine Schotterschleuse sowie ein 36 m langer Doppelkammerentsander angelegt. Auf diese Weise kann sich ein Großteil der Sedimente des „Weißen Aragvi“ absetzen, bevor er in den weiteren Triebwasserweg und zu den Turbinen gelangt.
Ausgebaut ist das gesamte Triebwassersystem auf eine Ausbauwassermenge von 2,0 m3/s, wobei die Jahreskennlinie des Gewässers als sehr günstig für die hydroelektrische Nutzung bewertet wurde. „Im Jahresverlauf sinkt die verfügbare Triebwassermenge kaum unter 1,0 m3/s ab. Aufgrund dieser verhältnis­mäßig ausgeprägten Beständigkeit hat sich der Einsatz einer Francis-Turbine mit ihren exzellenten Spitzenwirkungsgraden angeboten“, sagt der Projektleiter aus dem Hause Kössler, Florian Trost. Die maßgeschneiderte Francis-Spiralturbine wurde für eine Fallhöhe von 103 m und einen Nenndurchfluss von 2,0 m3/s ausgelegt und kommt damit auf eine Nennleistung von 1.950 kW. Im Hinblick auf die Performance im laufenden Betrieb wurde ein hydraulisches Design mit einer flachen Wirkungsgradkurve gewählt. Somit gewährleistet die Maschineneinheit auch im Teillastbereich noch sehr gute Wirkungsgrade.

Spezielles Design erforderlich
Doch die Effizienz der Turbine war in diesem Fall nicht der einzige Design bestimmende Faktor für die Ingenieure bei Kössler. Inwiefern dabei auch der Speichersee des Unter­liegerkraftwerks Aragvi 1 eine Rolle spielte, erklärt Karl Wieder: „Das neue Oberliegerkraftwerk speist ja direkt in den Speichersee von Aragvi 1, der eben zum einen als Absatzbecken für die Schwebstoffe im Triebwasser und zum anderen als Speicher für die Spitzenabdeckung dient. Aus diesem Grund variiert der Unterwasserpegel relativ stark – und zwar bis zu fünf Meter. Um die Turbine bei abgesenktem Unterwasser vor Kavitation zu schützen, wurde eine spezielle hydraulische Kontur mit niedriger Schnellläufigkeit und – damit verbunden – auch sehr engen Schaufelkanälen entwickelt. Diese Konturen sind dank unserer modernen CNC-Fertigung sehr gut herstellbar.“ Das heißt, dass nicht nur die exakte Einbauhöhe der Turbine, sondern auch deren hydraulisches Design bestmöglich an diese Bedingungen adaptiert werden musste. Darüber hinaus wurde der Maschinensatz von Kössler dahingehend konzipiert, dass auch eventuelle Druckstöße toleriert und abgefangen werden können. Die Pegelschwankungen im Unterwasser zogen noch eine weitere wichtige Modifikation nach sich: Da bei maximalem Wasserstand im Speichersee die Achskote der Turbine leicht überschritten wird, wurde eine spezielle Wellendichtung erforderlich. Zum Einsatz kam dabei ein neuartiges, weitgehend verschleißfestes System, mit dem Kössler bereits gute Erfahrungen gemacht hatte. Zusätzlich wurde die gesamte Turbine so konzipiert, dass sämtliche Bauteile, die einem Verschleiß ausgesetzt sind, leicht ausgetauscht werden können. Florian Trost: „Die ganze Maschineneinheit wurde auf möglichst geringe Wartung und zudem mit möglichst wenig Hilfsausrüstung ausgelegt. Aus diesem Grund wurden auch Wälzlager gewählt, um Schmier- und Kühlaggregate vermeiden zu können.“
Natürlich bestimmten die Hochgebirgslage und der Sedimentgehalt auch die Materialwahl der Turbine, deren Laufrad aus Edelstahl hergestellt wurde. Auf eine Beschichtung wurde bislang verzichtet, könne bei Bedarf aber jederzeit nachträglich noch erfolgen, so der Projektleiter.

Kaskade versorgt 60.000 Haushalte
Ein wichtiger Aspekt in der Umsetzung bestand auch in einer möglichst optimalen leittechnischen Integration des neuen Oberlieger-Kraftwerks in die Bestandsanlage. Um die Anlage im Zusammenspiel mit dem bestehenden Kraftwerk auch auf der elektrischen Seite zu optimieren, wurde ein Generator mit einer 10 kV-Nennspannung gewählt. Dadurch gestaltete sich in der Folge auch die Erweiterung der Mittelspannungsschaltanlage mit einem Einspeisefeld relativ einfach. Die Automatisierung wurde so gestaltet, dass auch im Hauptwerk Aragvi 1 sämtliche Daten und Parameter aus der Oberlieger-Anlage verfügbar sind. „Man kann Aragvi 1 und Aragvi 2 durchaus als Kaskaden-Anlage betrachten, die nach modernen elektrizitätswirtschaftlichen Kriterien betrieben wird“, so Florian Trost. Rund 12 bis 14 GWh Strom wird Aragvi 2 im Regeljahr ans Netz liefern. Gemeinsam mit Aragvi 1 kommt die gesamte Kaskade auf über 60 GWh, genug um mehr als 60.000 georgische Haushalte zu versorgen.
Aufgrund ungünstiger Witterungsverhältnisse gab es noch kleinere Verzögerungen im Bauablauf, doch noch vor dem Jahreswechsel konnte das neue Kraftwerk seinen Betrieb aufnehmen. Es ist nicht nur die ideale Ergänzung für das Unterliegerkraftwerk, das 2014 seinen Betrieb aufnahm, sondern darüber hinaus auch eine Musteranlage für kommende Projekte in der nächsten Zukunft. Potenzial ist vorhanden.

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