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Taschachhaus bezieht Strom aus dem eigenen Kraftwerk7 min read

31. Oktober 2019, Lesedauer: 5 min

Taschachhaus bezieht Strom aus dem eigenen Kraftwerk7 min read

Lesedauer: 5 Minuten

Dezentrale Energieversorgung im Hochgebirge ist vor allem eines: eine Herausforderung. Im Fall des Taschachhauses, einer traditionsreichen Schutzhütte des Deutschen Alpenvereins DAV in den Ötztaler Alpen,

setzt man seit Jahrzehnten auf Wasserkraft. Nun wurde im Juni dieses Jahres der alte Maschinensatz aus dem Jahr 1962 inklusive Steuerung erneuert. Die neue 2-düsige Peltonturbine aus dem Hause Tschurtschenthaler erreicht nun eine Engpassleistung von 73 kW. Das bedeutet eine Steigerung um rund 50 Prozent gegenüber dem Altbestand. Außerdem verfügt die neue Anlage jetzt auch über eine moderne Steuerung und Automatisierung, die in bewährter Manier vom Südtiroler Branchenexperten Electro Clara realisiert wurde. Kurz vor Sommerbeginn hat der neue Maschinensatz seinen Betrieb aufgenommen.

Bergsteigern, Hochgebirgswanderern und Alpinisten ist das Taschachhaus im Tiroler Pitztal ein Begriff. Die Schutzhütte, die auf 2.434 m Seehöhe zwischen den Zungen des Taschachferners und des Sexegertenferners liegt, blickt auf eine lange Geschichte zurück. Sie wurde als dritte Hütte des Deutschen Alpenvereins DAV bereits 1873/74 errichtet und kurz vor der Wende zum 20. Jahrhundert komplett erneuert. Über die Jahre und Jahrzehnte hinweg wurde das Gebäude immer wieder modernisiert und erweitert, die letzte Generalsanierung erfolgte in den Jahren von 2005 bis 2008, als man die Kubatur des Hauses verdoppelte und sogar einen Seminartrakt baute. Damit wurde das Taschachhaus auch zu einer zentralen Ausbildungsstätte des DAV. Mit 1. Januar 2010 ging die Hütte in den Besitz der DAV-Sektion München über.

DAV bleibt Wasserkraft treu
Seit Anfang der 1960er Jahre versorgte ein Kleinwasserkraftwerk die Schutzhütte mit Strom. Die Anlage nutzte das Wasser aus dem Sexegertenferner und war auf 50 kW Leistung ausgelegt. „Das Kraftwerk war von seinem Konzept her schon damals sehr gut angelegt worden. Leider fiel es zuletzt immer wieder aus, einige Maschinenkomponenten waren verschlissen. Hinzu kommt, dass es mit seiner mechanischen Regelungstechnik nicht mehr zeitgerecht war“, umreißt Thomas Gesell vom DAV Sektion München die Ausgangssituation. Es bestand Handlungsbedarf. An der Wasserkraftnutzung wollte man beim DAV jedoch weiterhin festhalten. Schließlich hätte eine Stromleitung, die über eine Entfernung von 11 Kilometer ins Tal verlegt hätte werden müssen, fast 1 Million Euro gekostet. „Entscheidend ist, dass die Wasserkraftnutzung eine CO2-neutrale Form der Energieerzeugung darstellt. Außerdem sind die Voraussetzungen für die Wasserkraft in diesem Gebiet sehr gut“, sagt Thomas Gesell und verweist auf das große Wassereinzugsgebiet des Sexegertenferners, der in den Sommermonaten eine Schüttung von über 1.000 l/s aufweist. Zudem seien einige Hauptbestandteile des Kraftwerks noch in tadellosem Zustand. Aus diesem Grund blieben das Einlaufbauwerk mit dem Tirolerwehr und den beiden nachgeschalteten Sandfängen, die 1,7 km lange Druckrohrleitung aus Guss aus dem Jahre 1962 sowie das Krafthaus unangetastet. Getauscht wurden dagegen Turbine und Generator, sowie der Transformator und die gesamten Steuerungs- und E-Technik-Einheit. „Darüber hinaus haben wir im Zuge der Arbeiten auch die Stromleitung zwischen Kraftwerk und Hütte erneuert. Dabei konnten wir zum Glück von der alten Trasse abweichen und einen direkten Verlauf wählen. Auf diese Weise betrug unsere Leitungslänge lediglich 750 m – im Vergleich zum Altbestand mit rund 1,7 km weniger als die Hälfte.“

Projektumsetzung innert 2,5 Jahren
Die Umsetzung des gesamten Projektes ging vergleichsweise rasch vonstatten. Nachdem die Sektion München im März 2017 erstmals ihre Pläne für die Modernisierung des Kraftwerks konkretisiert hatte und das Einreichprojekt bei den Behörden im August 2017 eingelangt war, konnte man sich noch im November des selben Jahres über die Genehmigung freuen. „Wir haben im Juni 2018 gleich mit den Grabungsarbeiten für die neue Stromleitung begonnen. Mit dem Einbau der Turbine ist es uns dann schon etwas zu knapp geworden. Man darf nicht vergessen: Auf über 2.400 ist die Bausaison von Juni bis Ende September, die auch mit der Hüttensaison zusammenfällt, sehr kurz“, erzählt Thomas Gesell. Daher wurde die maschinentechnische Neuausrüstung auf den Juni dieses Jahres verlegt – auf die kurze Zeitspanne unmittelbar vor der geplanten Hüttenöffnung. Bei der Wahl des Maschinensatzes vertrauten die Betreiber auf einen bewährten Partner: die Firma Tschurtschenthaler aus dem Südtiroler Sexten. Die Turbinenbauer aus den Dolomiten genießen einen ausgezeichneten Ruf in der Wasserkraftbranche, speziell die Hochdruckmaschinen werden aufgrund ihrer Robustheit und ihrer Effizienz geschätzt. „Wir haben bereits 2016 mit der Firma Tschurtschenthaler ein komplettes Kleinwasserkraftwerk für die Höllentalangerhütte realisiert – und wir waren mit der Abwicklung, dem Betrieb und der Zuverlässigkeit sehr zufrieden. Das gilt auch für die Steuerungstechnik der Firma Electro Clara. Die beiden Firmen bilden ein sehr gutes Team“, lobt Thomas Gesell.

Helikopter-Pilot extrem gefordert
Konkret kam nun eine horizontalachsige 2-düsige Peltonturbine zum Einsatz, die bei einer Fallhöhe von 145 Meter und einem Ausbaudurchfluss von 65 l/s auf eine Engpassleistung von 73 kW ausgelegt ist. Das bedeutet einen Leistungszuwachs gegenüber dem Altbestand (rd. 50 kW) von etwa 50 Prozent. Das ist insofern beachtlich, als weder an der Ausbauwassermenge noch an der Fallhöhe geschraubt wurde – und auch die Druckrohrleitung die selbe geblieben war.  Die Lieferung des neuen Maschinensatzes stellte dabei die wohl größte Herausforderung im Rahmen des Retrofitprojekts dar. Der Maschinentransport konnte nur mit dem Helikopter erfolgen. Thomas Gesell: „Die Anlieferung war für den Helikopter-Piloten eine spezielle Herausforderung, weil das Krafthaus exakt unter dem Seil der Materialseilbahn situiert ist. Mit Last unter einem Seilbahnseil zu fliegen und die Last dabei ruhig abzusenken – das verlangt schon gehobenes fliegerisches Können.“ Doch nach der erfolgreichen Anlieferung der Maschinenkomponenten sollte es sehr rasch gehen. Keine ganze Arbeitswoche benötigte das Montageteam der Firma Tschurtschenthaler und das Team von Electro Clara, um die neue Maschine zu montieren und in Betrieb zu setzen. „Am 13. Juni wurden Turbine und Generator hochgeflogen, am 17. Juni waren sie bereits montiert – und einen Tag später, am 18. Juni, lieferte der Maschinensatz den ersten Strom“, beschreibt Thomas Gesell den engen Zeitplan.

Überschussstrom fürs Warmwasser
Steuerungstechnisch wurde das Team von Electro Clara besonders hinsichtlich der Regelung des Überschussstroms gefordert. Immerhin liefert das Kraftwerk unter Volllast eine Leistung von 73 kW, die im Grunde kaum zur Gänze im Gebäude verbraucht wird. Wohin also mit dem Überschussstrom? „Im Haus war bereits ein Pufferspeicher mit 20.000 Liter Fassungsvermögen installiert. Der gesamte Überschussstrom wird einfach in die Heizpatronen für die Warmwasserbereitung geleitet. Dafür haben wir die entsprechende Steuerung programmiert“, erzählt Janpaul Clara von Electro Clara.
Um auch unter extremen Bedingungen wie im Hochgebirge eine dauerhaft funktionelle Steuerung garantieren zu können, setzt das Unternehmen aus Enneberg auf bewährte und zugleich moderne Systemkomponenten. Nur so sind die Flexibilität in der Ausführung sowie die Qualität im Betrieb zu gewährleisten. Entscheidend ist auch, dass man im Vorfeld eines derartigen Projektes ein solides Konzept für Ausführung, Installation und Inbetriebnahme der Steuerungsanlagen erarbeitet, um letztlich vor Ort keine unliebsamen Überraschungen zu erleben. Electro  Clara feiert in diesem Jahr bereits das 40-jährige Firmenjubiläum.

Zufriedener Hüttenpächter
Zuverlässigkeit und Robustheit waren zentrale Kriterien, die vom Betreiber auch an seine Turbine gestellt wurden. Neben den hohen Wirkungsgraden sind dies Merkmale, für die Maschinen aus der Fertigung der Firma Tschurtschenthaler bekannt sind. Die größte Belastung für das Turbinenlaufrad bringt der Gletscherschliff mit sich, der in den letzten Jahren zusehends mehr geworden ist. „Das Problem mit den Feinsedimenten aus dem Gletscher verschärft sich von Jahr zu Jahr durch den Gletscherschwund. Durch immer mehr ‚eisfreie‘ Flächen gelangt mehr Material in das Gletscherwasser“, gibt Thomas Gesell zu Bedenken. Das bedeutet auch eine erhebliche Abrasionsgefahr für die Becher am Peltonlaufrad.
Grundsätzlich ist die Anlage nur in den Sommermonaten in Betrieb. Um ein Einfrieren zu vermeiden, wird sie für den Winter entleert. Der Sommerbetrieb kann sich aber durchaus sehen lassen. Bereits im ersten Betriebsjahr produzierte die Anlage 85.000 kWh. „Ich denke, dass sich das in einer regulären Saison bei etwa 100.000 kWh einpendeln sollte“, zeigt sich Thomas Gesell zufrieden. Und nicht nur er freut sich über das neue Wasserkraftwerk: „Auch unser Pächter war extrem zufrieden mit den ersten Betriebserfahrungen. Die Anlage lief ruhig und effizient – ohne eine Störung.“ Das neue Kleinkraftwerk versorgt das Taschachhaus heute wieder klimaneutral mit grünem Strom aus Wasserkraft. Ein Umstand, der gerade dem Bestreben nach Klimaneutralität und Nachhaltigkeit des DAV entgegenkommt. Ein kleiner Grund zum Feiern für einen Jubilar, der in diesem Jahr bereits 150 Jahre alt wurde.

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