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Thurgauer Kraftwerk Papieri im End­spurt der ersten Sanierungsetappe9 min read

3. Mai 2021, Lesedauer: 6 min

Thurgauer Kraftwerk Papieri im End­spurt der ersten Sanierungsetappe9 min read

Lesedauer: 6 Minuten

Als erste von insgesamt vier Sanierungsetappen wurde zu Jahresbeginn 2020 die umfassende Modernisierung des um 1860 errichteten Krafthauses in Angriff genommen.

Das gesamte elektro- und leittechnische Equipment zur Regelung der neuen Gewerke stammt vom niederösterreichischen Branchenspezialisten Schubert Elektroanlagen GmbH. Trotz eines straffen Zeitplans und den mit der Corona-Pandemie einhergehenden Einschränkungen konnte die erste Etappe der großangelegten Kraftwerkserneuerung ohne nennenswerte Verzögerungen wunschgemäß umgesetzt werden. Dank der neuen doppeltregulierten Kaplan-Turbine von ANDRITZ Hydro steigern sich sowohl Wirkungsgrad als auch das durchschnittliche Regelarbeitsvermögen von vormals 3,3 auf rund 5 GWh/a erheblich.

Zu seinem 120-jährigen Bestehen wird das Thurgauer Wasserkraftwerk Papieri in der Gemeinde Bischofszell einer umfassenden Erneuerung unterzogen. Die 1860 an einem 1,9 km langen Ausleitungskanal der Thur errichtete Anlage versetzte ursprünglich mit Wasserrädern die mechanischen Transmissionen einer Weberei in Bewegung. 1887 entstand auf dem Werksgelände eine zusätzliche „Carton- und Papierfabrikation“, woher auch die Namensgebung des heute als Gewerbepark genutzten Areals stammt. Die Elektrifizierung des Kraftwerks Papieri erfolgte ca. 1910, bis 1924 wurden insgesamt fünf ­Francis-Turbinen installiert. Nachdem die Papierfabrik kurz vor der Jahrtausendwende endgültig den Betrieb eingestellt hatte, sollte der erzeugte Strom des Wasserkraftwerks ausschließlich ins öffentliche Netz eingespeist werden. Der Zahn der Zeit hatte natürlich auch nicht vor dem Kraftwerk Papieri halt gemacht, weswegen die langjährige Anlagenbetreiberin, das familiengeführte „Koch Generalunternehmen AG“, eine umfassende Erneuerung ins Auge gefasst hatte.

Umfassende Sanierung statt Neubau
Geschäftsführer Sacha Koch hält fest, dass der technische Altbestand trotz seiner durchschnittlich 100-jährigen Betriebsdauer bis zuletzt relativ problemlos seine Funktion erfüllte: „Die alten Turbinen schafften durch natürliche Abnützungen zwar nicht mehr die volle Leistung, grundsätzlich hatten wir aber nur wenige Ausfälle.“ Koch erklärt, dass ursprünglich eine komplette Erneuerung der Anlage geplant war, wobei sich die maximale Leistung im Vergleich zum Altbestand um das 4,5-Fache gesteigert hätte. Die Wasserfassung wäre dabei am vorhandenen Standort erneuert worden, das Krafthaus wäre mittels Anbindung durch eine unterirdische Druckleitung an anderer Stelle neu gebaut worden. Rund 12 Jahre hatte man sich schon mit der Projektierung und der Genehmigung des angedachten Neubaus beschäftigt. Aufgrund zahlreicher Widerstände, die von verschiedenen Seiten auf das Projekt einwirkten, musste die Neubauvariante allerdings aufgegeben werden. Stattdessen entschlossen sich die Betreiber für eine umfassende Erneuerung und Sanierung ihres historischen Kraftwerks. Umgesetzt wird diese Total-Revitalisierung zeitlich versetzt in insgesamt vier Etappen, wobei die Modernisierung des Krafthauses zuerst auf dem Plan stand. In Summe nahm die großangelegte Sanierung bis zur geplanten Wiederinbetriebnahme Mitte August rund acht Monate in Anspruch. Bereits Anfang Juli zeigte sich Koch im Telefon-Interview mit zek HYDRO sehr zufrieden über den Projektverlauf auf seinem Areal: „Das Schwierigste bei unserem Projekt war sicherlich die Genehmigungsphase. Bei der baulichen Umsetzung waren sehr fähige Unternehmen und Mitarbeiter am Werk, die allesamt eine zufriedenstellende Leistung abgeliefert haben. Glücklicherweise sind wir beim Corona-Ausbruch mit einem blauen Auge davon gekommen, mit der Einhaltung der geforderten Sicherheits- und Hygienemaßnahmen konnte der Baustellenbetrieb ohne längere Verzögerungen aufrecht erhalten werden.“ In zwei Jahren soll die Sanierung des Oberwasserkanals erfolgen, danach die Erneuerung von Wehranlage und Wasserfassung. Bei der abschließenden vierten Phase werden die kantonalen Auflagen hinsichtlich der Restwassersanierung und der Wiederherstellung der Fischdurchgängigkeit ausgeführt.

1 Kaplan-Turbine statt 5 Francis-Maschinen
Im Rahmen der Vergabe auf Basis der Ausschreibung kam eine ganze Reihe von renommierten Branchenvertretern zum Zug. Bedingt durch die relativ geringe Fallhöhe von rund 7 m und einer maximalen Ausbauwassermenge von 13 m³/s – die zentralen Kraftwerksparameter blieben unverändert – ersetzt nun eine einzige Kaplan-Turbine in vertikaler Bau­form das bislang installierte Maschinenquintett. Gefertigt wurde die auf eine Engpass­leistung von 820 kW ausgelegte Turbine beim erfahrenen Branchenführer für Kleinwasserkraftanlagen ANDRITZ Hydro. Sämtliche Stahlwasserbaukomponenten, konkret ein horizontaler Schutzrechen inklusive dazugehörigem Rechenreiniger sowie die entsprechenden Absperr- und Regulierorgane lie­ferte die in Baden-Württemberg ansässige Wiegert & Bähr Maschinenbau GmbH. Geschäftsführer Koch lässt nicht unerwähnt, dass er während des Projektvorfelds für die Aus­wahl der neuen Ge­werke eine ganze Reihe von Referenzanlagen besichtigt hat. Beim elektro- und leittechnischen Equipment ging der Zuschlag an die in­te­rnational renommierte Schubert Elektroan­lagen GmbH aus dem nieder­öster­reichischen Ober-Grafendorf aus gutem Grund. „Bei meiner ‚Kraftwerks-Recherche‘ haben die Schubert-Lösungen hinsichtlich Qualität und Funktionalität einen sehr guten Eindruck hinterlassen. Ausschlaggebend für die Auftragsvergabe war sicherlich auch das faire Preis-Leistungsverhältnis“, so Koch.

3 mm „Luft“ bei der Turbinenmontage
Prinzipiell setzte sich der Lieferumfang der E-Technikspezialisten für die Anlage Papieri aus der Kraftwerkssteuerung und der Generatorschaltanlage zusammen. Schubert-Projektleiter Benjamin Wagner sagt, dass die Projektdurchführung an einen straffen Zeitplan gekoppelt war. „Gleich nach der zu Jahresbeginn erhaltenen Auftragserteilung wurde mit dem Engineering der Generatorschaltanlage und der Erstellung der Stromlaufpläne begonnen, um den avisierten Liefertermin einhalten zu können.“ Wagner führt weiter aus, dass beim Design der Generatorschaltanlage auf eine zentrale funktionelle Eigenschaft des Generators der finnischen Marke Danfoss Bedacht genommen werden musste. Weil der Energiewandler auf Permanentmagnet-Technologie basiert und somit konstruktionsbedingt bei Überdrehzahl Spannungsspitzen von bis zu 2,3 kV erreicht, musste die Schaltanlage zum Schutz mit einem entsprechenden Mittelspannungs-Leistungsschalter ausgestattet werden. Laut Betreiber Koch fiel die Entscheidung zugunsten eines Permanentmagnet-Generators vor allem wegen des bekannt hohen Wirkungsgrads sowie den platzsparenden Abmessungen und seines äußerst geräuscharmen Betriebs. Da sich das Krafthaus in eine bestehende Gebäudestruktur einfügt, die von den Untermietern des Gewerbeparks genutzt wird, hatte die Minimierung von Schall und Vibrationen oberste Priorität. Die Platzthematik stellte außerdem eine wichtige Rolle bei der großangelegten Revitalisierung dar. Sowohl das Gebäude als auch die fünf ausgedienten Turbinen stehen unter Denkmalschutz. Weil die alten Maschinen keinesfalls entfernt werden durften, musste für die neue Kaplan-Turbine eine geeignete Einbauposition neben dem Altbestand gefunden werden. Richtig knapp wurde es bei der Anlieferung der Turbine, wie das obige Bild zeigt. Zwischen Raumdecke und Maschinengehäuse passte bei der Einbringung nur mehr ein ca. 3 mm breites Blatt eines Zollstocks. Dies bestätigt ANDRITZ Hydro-Projektmanager Kevin Brodd: „Eine zentrale technische Herausforderung bestand während der Konstruktion und der Montage darin, die Turbine weitestgehend vormontiert auf die Baustelle zu transportieren. Die ausgelieferte Baugruppe bestand schließlich aus dem kompletten Leitapparat inklusive den Leitschaufeln, dem Stützschaufelring, dem oberen Leitapparatdeckel, dem Laufradmantel und der Turbinenwelle.“

Leittechnik von den Profis
Neben ihrer Hauptaufgabe – der vollautomatischen Regelung der Stromproduktion und aller damit in Verbindung stehenden Gewerke – wartet das Anlagen-Leitsystem von Schubert mit einer ganzen Reihe von zusätzlichen Features und Funktionen auf. Die Steuerung basiert auf dem zum weltweiten Industriestand zählenden SPS-Controller SIMATIC S7-1500, als Leitsystem kommt das ebenfalls von Siemens stammende WinCC zum Einsatz. Projektleiter Wagner sagt, dass die leittechnische Anbindung der sowohl mit elektrischen als auch mit hydraulischen Antrieb­en ausgeführten Rechenreinigungsmaschine durch­aus eine Herausforderung darstellte. Die mit einem Zahnradantrieb bewegte Maschine ist in der Lage, den Reinigungsvorgang am Schutzrechen individuell anzupassen. Wenn ein Abschnitt des 11 m langen und 3 m hohen Rechens von einem sperrigen Hindernis blockiert wird, das von der Putzharke nicht eigenständig entfernt werden kann, wird dieser Sektor während der Blockade von der Maschine bewusst nicht bearbeitet. Mittels automatischer Alarmierung wird das Betriebspersonal sofort nach Auftreten einer solchen Betriebsstörung informiert, um die notwendigen Maßnahmen zur Fehlerbehebung in die Wege leiten zu können. Wagner ergänzt, dass in die Anlagensteuerung des Kraftwerks Papieri eine äußerst nützliche Wartungsunterstützung implementiert wurde. Konkret wird der Betriebswart der Anlage davon in Kenntnis gesetzt, wenn einzelne Komponenten wie Hydraulikpumpen, Generator oder Leistungsschalter eine vordefinierte  Anzahl an Betriebsstunden erreicht haben, die ein Wartungsintervall erforderlich machen. Komplettiert wurde der Schubert-Lieferumfang durch die Herstellung der Online-Anbindung, die eine komfortable Anlagenüberwachung aus der Ferne ermöglicht.

Digitalisierung in der Praxis
Die Montage der e-technischen Komponenten des rundum erneuerten Krafthauses Papieri startete schließlich im Juli. Schubert-Projektleiter Wagner gab schon vor dem Beginn der Inbetriebsetzungsphase ein positives Vorab-Fazit ab: „Die Kooperation mit allen am Umbau beteiligten Unternehmen und Personen hat sehr gut und wunschgemäß funktioniert, es war sehr angenehm, mit den Leuten zusammenzuarbeiten. Ich bin mir sicher, dass die Betreiber viel Freude an ihrer im Prinzip neuen Anlage und unserer modernen Steuerung haben werden.“ Alexander Schneeweis, seines Zeichens Leiter Technik und Produktion bei Schubert, fügt an, dass die Komplettsanierung des KW Papieri hinsichtlich Leistungssteigerung und Bedienkomfort einem Quantensprung gleichkommt. So verfügten zuvor nur zwei der alten Francis-Maschine über eine rudimentäre Pegelregelung, die restlichen Turbinen mussten in Abhängigkeit vom jeweiligen Wasserdargebot manuell zu- oder abgeschaltet werden. Dem Stand der Technik entsprechend sorgt das intelligente Schubert-Leitsystem nun für einen vollständig automatisierten und maximal effizienten Anlagenbetrieb. Schneeweis hält fest, dass der in der jüngeren Vergangenheit immer stärker um sich greifende Trend Richtung Automatisierung – auch bekannt als „Digitalisierung 4.0“– seit jeher eine zentrale Rolle im Schubert-Portfolio einnimmt: „Wir haben eine ganze Reihe von Lösungen im Angebot, die die Kriterien von „Digitalisierung 4.0“ erfüllen. Grundsätzlich sind wir in der Lage, eine Vielzahl von anlagenspezifischen Dingen zu regeln und zu überwachen, wenn dies kundenseitig gewünscht oder für notwendig erachtet wird. Beispielsweise können wir Unterstützung bei einem Cyber-Angriff leisten oder einen unerwünschten Zugriffsversuch nachverfolgen. In Sachen IT-Security haben wir sehr viele Pakete im Haus, etwa Log Management, unsere sichere Datenschleuse via VPN oder Firewall as a Service bzw. Cloud-Backup as a Service, um einige davon zu nennen.“ Bei der zentralen Leitsystem-Applikationen verfolgt Schubert die Philosophie, dass die Steuerung stets im Mittelpunkt der Anlage stehen sollte und sämtliche zur Anlage gehörenden Gewerke darin integriert sind.

Vernetzter Workflow
Darüber hinaus sieht man es bei Schubert laut Schneeweis als sehr sinnvoll an, wenn sich die jeweiligen Gewerke auch untereinander digital austauschen können. Für die Optimierung des unternehmensinternen Workflows haben die Niederösterreicher eine eigene Wissensdatenbank entwickelt. Dieses „Schubert-Wikipedia“ dient den rund 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Ober-Grafendorf als zentrale Informationsplattform über unterschiedliche aktuelle und vergangene Projekte und Themen. „Zurzeit arbeiten wir im Haus an der Digitalisierung unseres Engineerings. Gemeint ist damit, dass wir Pläne zukünftig nicht mehr ausdrucken, sondern in ein, vereinfacht gesagt, ‚intelligentes‘ PDF umwandeln. Damit können Kollegen aus verschiedenen Abteilungen den Status und den Fortschritt eines gemeinsamen Projekts in Echtzeit verfolgen und ohne Umwege direkt ihre eigenen Beiträge dazu leisten.“ Weit fortgeschritten ist man bei einem weiteren aktuellen Vorhaben, nämlich der Digitalisierung von Stromlaufplänen. Dabei geht es ebenfalls darum, die konkrete Umsetzung – vom anfänglichen Engineering bis hin zur finalen Montage – so kooperativ und universell zugänglich wie möglich zu gestalten. Wie diese Anwendungsbeispiele aus der Praxis zeigen, ist die Thematik „Digitalisierung 4.0“ bei Schubert mehr als nur ein Schlagwort.

 

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