Interview

„Für die Dekarbonisierung sind die Erneuerbaren und grüner Wasserstoff entscheidend“8 min read

21. November 2022, Lesedauer: 5 min

„Für die Dekarbonisierung sind die Erneuerbaren und grüner Wasserstoff entscheidend“8 min read

Lesedauer: 5 Minuten

Vor dem Hintergrund eines sich rasant verändernden Energiemarktes sehen sich Energiedienstleister heute vor der Herausforderung, ausgetretene Pfade zu verlassen, neue Strategien und ­K­­onzepte zu entwickeln und nach neuen Perspektiven Ausschau zu halten. Mit welchen Lösungen VERBUND diesen Herausforderungen begegnet, wollten wir von Mag. Robert Slovacek wissen, der im VERBUND-Konzern seit elf Jahren als Geschäftsführer bei VERBUND Energy4Business GmbH tätig ist. Der ausgewiesene Energie-Experte erläutert in dem Gespräch die wichtigsten strategischen Stoßrichtungen, erklärt, welchen Einfluss die Digitalisierung auf den Energiemarkt hat und welchen Stellenwert die Wasserkraft mittelfristig einnehmen wird – und bezieht Position zum neuen Erneuerbare Energie Ausbaugesetz.

 

Herr Slovacek, was sind aktuell die zentralen Herausforderungen für Energieversorger und Energiedienstleister?
Der Markt verändert sich rasant von einem zentralisierten zu einem dezentralisierten Format. Der Wandel vom klassischen Energieversorger zum Energiedienstleister, die digitale Transformation sowie die zunehmend individualisierten Kundenbedürfnisse stellen neue Anforderungen an uns als Energieanbieter. Deshalb stehen bei uns die Entwicklung kundenzentrierter, flexibler und nachhaltiger Lösungen im Fokus.

Unter den Vorzeichen des Klimawandels braucht es neue Strategien – welche?
Als integrierter Versorger (Anm.: umfasst Erzeugung, Transport und Absatz) und führender Stromerzeuger aus Wasserkraft haben wir drei strategische Stoßrichtungen definiert: erstens die Stärkung des integrierten Heimmarkts durch den Ausbau der stabilen Strom- und Gas-Infrastruktur, wobei wir durch die Bereitstellung von Ausgleichs- und Regelenergie auch einen wesentlichen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten. In unserem Heimmarkt Österreich und Deutschland bieten wir unseren Industrie- und Großkund:innen neben klassischen Strom- und Grünstromprodukten verstärkt PV-, Batteriespeicher- und Elektromobilitätslösungen an, die wir gesamthaft optimieren. So wollen wir gemeinsam mit unseren Kund:innen die Energiewende aktiv vorantreiben. Zweitens den Ausbau von Energie aus erneuerbaren Quellen in Europa durch strukturierte M&A und Partnerschaften in etablierten Märkten. Und drittens sehen wir grünen Wasserstoff als Schlüssel zur Energiewende und Dekarbonisierung. Hier wollen wir durch die Vertiefung bestehender Kundenbeziehungen mit führenden Industrieunternehmen die lokale Wasserstoffproduktion ausbauen. Mittelfristig streben wir die Erweiterung der Wertschöpfungskette zur internationalen Wasserstofferzeugung, -vermarktung und dem Transport sowie Import von grünem Wasserstoff nach Zentraleuropa an.

Hatte und hat Corona auch Auswirkungen auf VERBUND und E4B?
Neben der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, die Bewältigung der Situation bestmöglich zu unterstützen, ist es uns gelungen, die Stromversorgung und die Versorgungssicherheit während der mittlerweile zwei Jahre andauernden Pandemie aufrechtzuerhalten. Mit einer Vielzahl an organisatorischen Maßnahmen wie Team-Splittings, Sicherheitskonzepten an den Standorten, Homeoffice für Mitarbeiter:innen, wo es möglich ist, regelmäßigem Testen und auch betrieblichem Impfen konnten wir die volle Handlungsfähigkeit von VERBUND in Bezug auf den sicheren Kraftwerksbetrieb und die sichere Stromversorgung aus VERBUND-Kraftwerken gewährleisten. So hatten wir auch im Jänner wieder getrennte Teams für Dispatching, Intraday- und Börsenhandel, die sich nicht begegnen, um Cluster zu verhindern, im Einsatz. Wir haben auch die Lebensmittelvorräte an den Standorten aufgefüllt für den Fall, dass wir Kasernierungen vornehmen müssen, und darüber hinaus gibt es sehr strenge Sicherheitsauflagen.

Welche Rolle spielt heute Autotrading für E4B?
Mit zunehmender Dynamik und Komplexität hält künstliche Intelligenz mehr und mehr Einzug in den Energiemarkt und auch in die Entwicklung automatisierter Handelsstrategien. Ein wesentlicher Schwerpunkt bei uns ist, die unter anderem auf Fundamentaldaten basierenden Erzeugungs- und Strompreisprognosen weiterzuentwickeln und in optimierten Entscheidungsprozessen intelligent zu verknüpfen.

Wie sehen Sie aktuell die Stromverbrauchsentwicklung im Industriesektor?
Trotz der drohenden Auswirkungen des Klimawandels wird jährlich weltweit immer mehr Energie verbraucht. Vor allem aber in der Industrie steigt der Bedarf an Energie stetig. Das bedeutet, wir brauchen Schlüsseltechnologien für die Dekarbonisierung der Industrie. Strom aus erneuerbaren Energien und in weiterer Folge grüner Wasserstoff sind entscheidend, um die Dekarbonisierung von Industrie, Wirtschaft und Mobilität voranzutreiben.

Welchen Nutzen bringt hier die Digitalisierung?
Wir entwickeln gemeinsam mit Partnern zukunftsorientierte Geschäftsmodelle und Services, zudem werden bestehende Prozesse effizienter gestaltet. Die Digitalisierung ist dabei ein wichtiges Werkzeug für Energieeffizienz im Konsum- und Industriebereich. Einige Beispiele dafür sind: die digitale Steuerung von Kraftwerken – zum Beispiel unser digitales Wasserkraftwerk Rabenstein, datenbasierte Vorhersagemodelle für die Energieproduktion sowie automatisierte Handelslösungen für den Stromhandel. Besonders stolz sind wir auf das eigenentwickelte Businesskundenportal VISION. Diese Plattform ist ein gelungenes Beispiel für die Transformation bestehender Prozesse durch Digitalisierung in eine konkrete, innovative Anwendung mit unmittelbarem Kundennutzen. Das ist nur ein kleiner Ausschnitt an Maßnahmen, die wir bereits umgesetzt haben.

Wie sehen Sie die Bedeutung der Wasserkraft mittel- bis langfristig?
Die Wasserkraft ist der zentrale erneuerbare Energieträger und Flexibilitätsbereitsteller in Österreich und Europa und trägt wesentlich zur nachhaltigen und effizienten Integration von Wind und Photovoltaik bei. Mit 90 Prozent Stromerzeugung aus Wasserkraft ist VERBUND in der Wasserkraft die Nummer 1 in Österreich mit einer installierten Gesamtleistung von über 8.500 MW und einer Gesamterzeugung von über 30 TWh. Mit diesem hohen Anteil an erneuerbarer, CO2-freier, gut planbarer und flexibler Erzeugung leistet VERBUND einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der Energie- und Klimaziele sowie zur Systemstabilität und Versorgungssicherheit in Österreich und in den angrenzenden Nachbarstaaten. VERBUND betreibt in Österreich und Deutschland 129 Wasserkraftwerke – davon 106 Laufkraftwerke und 23 Speicher- und Pumpspeicherkraftwerke.

Worin liegen die zentralen Herausforderungen für die Wasserkraft?
Gerade bei energiewirtschaftlichen und ökologischen Fragen steht die Wasserkraft vor großen Herausforderungen. Es gilt, ihre Wettbewerbsfähigkeit weiter zu stärken, um ihr Potenzial für eine effiziente Energiewende vollumfänglich zu nützen. Die von Oesterreichs Energie erstellte Stromstrategie Empowering Austria sieht für den weiteren Ausbau der Wasserkraft bis 2030 ein Potenzial von 6 – 8 TWh vor. Um die Ziele der neuen österreichischen Klima- und Energiestrategie zu erreichen, sind vom Gesetzgeber die entsprechenden regulatorischen Rahmenbedingungen zu schaffen, um den Kraftwerksbetreibern die für Neuinvestitionen notwendige Planbarkeit und Investitionssicherheit zu geben.

Wie sieht es mit dem Ausbau der Photovoltaik aus?
Das im Regierungsprogramm bis 2030 angestrebte EE-Ausbauziel von 11 TWh in der Photovoltaik bedeutet fast eine Verzehnfachung der derzeitigen PV-Stromerzeugung. Dieses ambitionierte Ziel wird sich mit kleinen PV-Aufdach-Anlagen alleine nicht erreichen lassen. Es werden zusätzlich – auch aus Effizienzgründen – PV-Großanlagen mit über 500 kWp auf bebauten Flächen sowie auf Freiflächen notwendig sein. Im Sinne einer effizienten Raumnutzung bieten sich dazu insbesondere Deponieflächen, gewerbliche und vor allem industrielle Betriebsflächen an.

Immer mehr Betriebe setzen heute auf Versorgung aus eigenen Ressourcen. Ist das mehr als ein Trend?
Ein Teil des mit Großflächenanlagen erzeugten PV-Stroms wird ins öffentliche Netz eingespeist, ein nicht unerheblicher Teil wird jedoch auch für den Eigenbedarf verwendet. Insbesondere Industrieunternehmen können einen großen Teil der eigenen PV-Erzeugung für den Eigenbedarf verwenden. Das ist aus betriebswirtschaftlicher Sicht sinnvoll und hat auch system- und netztechnische Vorteile.

Wie sehen Sie das Erneuerbare Ausbau Gesetz EAG?
Das EAG ist das zentrale Regelungswerk zur Erreichung des 100 Prozent-Ziels bis 2030. Alle erneuerbaren Energieträger müssen dabei unterstützt werden. Sowohl die Neuausrichtung des Ökostrom-Förderregimes, als auch die Schaffung der Grundlagen für einen sektorgekoppelten Regulierungsrahmen durch Novellen des ElWOG und des GWG sind essenziell für die Ausgestaltung des Energiesystems der Zukunft.

Was bringt die darin enthaltene Möglichkeit für Bürger- und EE-Gemeinschaften mit sich?
Der Gedanke der Bürgerenergiegemeinschaften (BEG) und Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften (EEG) stärkt den dezentralen Ansatz der Energieerzeugung und die Teilhabe, damit verbunden die Akzeptanz, an der Energiewende in der Bevölkerung. Zusätzlich wird erneuerbarer Strom bei EEG auf lokaler Ebene erzeugt und verbraucht. Der Verbrauch der EEG-Teilnehmer:innen, welcher dabei auf untergeordneten Netzebenen stattfindet, wird von den übergeordneten Netzkosten – dem Ökostromförderbetrag – entlastet. Das Gesetz sieht weiter vor, dass das nicht nur die Netzebenen 7 und 6 betrifft, also die lokale Ebene, sondern auch weitere Ebenen bis zur Netzebene 4. Damit könnten solche Gemeinschaften mehr als 10.000 Haushalte umfassen – und das halten wir für kritisch, denn die große Herausforderung liegt darin, die neuen Gemeinschaften netzdienlich ins Gesamtsystem zu integrieren.

Aktuell ist der Strompreis hoch und immer noch mit steigender Tendenz. Was sind die Hauptpreistreiber?
Der Hauptgrund für diese Entwicklung ist der steigende Erdgaspreis. Vor allem in der Wintersaison kommen in Österreich vermehrt Gaskraftwerke zur Strom- gewinnung zum Einsatz, deren Grenzkosten bedeutend höher sind als jene von erneuerbaren Energieträgern wie Wind-, Wasserkraft und Photovoltaik. Während etwa ein Windkraftwerk so gut wie keine laufenden Kosten verursacht, benötigen Gaskraftwerke den Rohstoff Erdgas und CO2-Zertifikate. Ein vermindertes Angebot aufgrund technischer Probleme in Norwegen und Lieferengpässe aus Russland trifft auf eine höhere Nachfrage durch anziehende Konjunktur. Dazu kommt, dass die europäischen Gasspeicher momentan relativ niedrig gefüllt sind. Wenn steigende Nachfrage auf ein vermindertes Angebot trifft, kommt es zu Preissteigerungen am Markt.

Wo sehen Sie eine Lösung für diese Entwicklung?
Im Großhandel für Strom bildet sich der Preis nach dem Merit-Order-Prinzip. Die Grenzkosten des letzten Kraftwerks, das zur Deckung des Strombedarfs benötigt wird, bestimmen den Preis. Je nach Verfügbarkeit sind das zuerst die Kraftwerke mit den niedrigsten Grenzkosten – das sind die erneuerbaren Energien. Danach kommen erst die Kraftwerke mit hohen Grenzkosten, vor allem fossile Kraftwerke. Die Verfügbarkeit von grünem Strom senkt die Großhandelspreise, indem teure Kraftwerke – eben Kohle und Gas – nicht benötigt und aus dem Markt gedrängt werden. Die Lösung für das Problem der steigenden Energiepreise liegt im raschen Ausbau erneuerbarer Energien und deren flexiblen Einsatzmöglichkeiten. Nur so können Strompreise leistbar und stabil gehalten werden.
zek: Vielen Dank für das Gespräch!

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