„Man kann nicht über die Menschen drüberfahren“4 min read
Lesedauer: 3 MinutenDipl.-Ing. Johann Herdina gilt als eine der wesentlichen Triebfedern des Gemeinschaftskraftwerks Inn. Mit seiner Erfahrung aus zahlreichen großen Infrastrukturprojekten in Österreich gelang es ihm auch beim Bau des GKI, die zahlreichen Hürden gemeinsam mit den Partnern zu meistern. Im Interview mit zek HYDRO klärt er auf, inwieweit die TIWAG bei den Bauverträgen Neuland betrat und damit in unseren Breiten Pionierarbeit geleistet hat.
zek: Was würden Sie im Nachhinein als die größten Herausforderungen in der Projektumsetzung sehen?
Herdina: Es beginnt damit, dass es sich um ein länderübergreifendes Projekt handelt – sogar über EU-Grenzen hinweg. Dafür braucht es einen Staatsvertrag. Die nächste: Es ist ein UVP-Projekt mit über 4.000 Auflagen und Nebenbestimmungen, die es einzuhalten gilt, ebenfalls grenzüberschreitend. Und dann kommen noch die baulichen Herausforderungen hinzu mit einer sehr schwierigen Geologie, wie sich herausstellte. Das Positive daran ist, dass wir das Projekt wirklich partnerschaftlich über die Grenzen hinweg abwickeln konnten. Und auch der erstmalige Einsatz von Allianz-Verträgen im infrastrukturellen Bereich hat sich bezahlt gemacht. Heute wird das Prinzip bereits mehrfach kopiert.
zek: Was ist unter diesen Allianz-Verträgen zu verstehen?
Herdina: Wir haben ja zum Jahreswechsel 2016/17 den Auftragnehmer beim Tunnelvortrieb gewechselt. Natürlich stellten wir uns die Frage: Wie am besten mit der Situation umgehen? Wir haben uns dann an die so genannten „Alliancing Contracts“ angelehnt, die in Australien üblich sind. Dabei handelt es sich um „Pain-and-Gain-Sharing“-Verträge, was nichts anderes bedeutet, dass eben eventuelle Mehrkostenaufwände ebenso geteilt werden wie Benefits aus einer erfolgreichen Umsetzung. Damit wird natürlich auch das Risiko auf mehrere Schultern verteilt. Auf diese Weise ist es uns gelungen, den Auftragnehmerwechsel innerhalb von sechs Wochen durchzuziehen. Große Player in Österreich und Deutschland sind mittlerweile auch dabei, Prototypen dieser Allianz-Verträge zu etablieren.
zek: Hatten Sie je Zweifel an der Durchführbarkeit des Projekts?
Herdina: Nein, seit ich dabei war – das war von 2012 an – war ich davon überzeugt, dass es ein sehr gutes Projekt ist. Ich bin bei allen unseren Projekten überzeugt von der Umsetzbarkeit.
zek: Hätte man nach heutigem Wissensstand den Vortrieb durch die geologischen Störzonen anders oder besser gestalten können?
Herdina: In der Tat: Wir haben das Schneidrad, das zuvor zentrisch situiert war, im Rahmen der Möglichkeit um etwa 5 cm angehoben. Von diesem Zeitpunkt an sind wir ohne Probleme durchgefahren. Man hätte sich vielleicht früher überlegen können, die Maschinenkonfiguration ein wenig zu ändern. Wir haben diese Änderung entgegen dem Rat des Maschinenherstellers vorgenommen. Auch das ist nur in einem Allianz-Vertrag möglich, wenn das Risiko gemeinsam getragen wird.
zek: Hätte es zur Situierung der Wasserfassung eine Alternative gegeben?
Herdina: Diese Frage hat sich sehr schnell gestellt. Es gab in der Vergangenheit viele Untersuchungen. Das erste Projekt stammt aus 1929. Und man überlegte, ob der Standort vielleicht etwas weiter flussaufwärts oder doch etwas flussabwärts besser gewesen wäre. Aber: Am Ende konnte es nur dieser Standort sein. Flussabwärts gibt es einen Bereich, in den immer Lawinen herunterkommen. Die würden den Stauraum verlegen. Das ging nicht. Weiter flussaufwärts wäre der Stauraum zu klein, um den Schwall-Sunk-Ausgleich durchzuführen. Die Pufferfunktion wäre damit nicht erfüllbar. Nach den Analysen mussten wir uns eingestehen: Man muss eben mit diesem Standort für die Fassung leben.
zek: Wie sehen Sie den Stellenwert des GKI für die TIWAG und für Tirol?
Herdina: Das GKI kann ungefähr 8 Prozent des aktuellen Tiroler Stromverbrauchs erzeugen. Für die TIWAG machen die 86 Prozent Anteile am Kraftkwerk rund 10 Prozent unseres Erzeugungsvolumens aus. 10 Prozent, die wir dazugewinnen. Wenn ich davon ausgehe, dass wir bis 2030 gemäß Regierungsplan 5 THW Wasserkraft zubauen müssen, wird das GKI wohl das einzige Kraftwerk dieser Größenordnung bleiben, das bis dahin realisiert werden kann. Ein anderes, das uns zusätzliche Erzeugungskapazitäten verschafft, geht sich zeitlich schon nicht mehr aus. So gesehen repräsentiert das GKI gerade einmal 10 Prozent dieses Ausbauziels.
zek: Wo kann man Ihrer Ansicht nach den Hebel für einfachere und raschere Projektrealisierungen ansetzen?
Herdina: Ich bin seit 40 Jahren in Großprojekten tätig. Es braucht Genehmigungsverfahren, die intensiv und tief sind – und daher eine gewisse Zeit beanspruchen. Wichtig ist, dass man die Bevölkerung dabei mitnimmt. Man kann nicht über die Leute drüberfahren. Man muss sich die Zeit nehmen, um ihnen ein Projekt näherzubringen. Dass der Instanzenweg für manche Projekte heute zu lange dauert, weil die Gerichte nicht entsprechend ausgestattet sind, ist ein Problem. Aber das ist ein anderer Punkt. Schneller werden wir, wenn die weiteren Instanzen schneller entscheiden könnten. Aber ich darf ein aktuelles Gegenbeispiel erwähnen, in dem der Verwaltungsgerichtshof in nur vier Tagen eine Entscheidung getroffen hat. Ich glaube, da ist auch ein Wandel im Gange. Auch die Gerichte erkennen, wie wichtig die Klimaschutzprojekte für unsere Gesellschaft sind.
zek: Vielen Dank für das Gespräch.
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