Hydro-Fischlift trotzt Hochwasser an der Ruhr5 min read
Lesedauer: 4 MinutenEin innovatives Fischliftsystem ging an der Staustufe Baldeneysee im Süden der Stadt Essen im Sommer 2020 erstmals in Betrieb. Wegen des Höhenunterschieds von fast 9 m zwischen Ober- und Unterwasser an der Wehranlage und den beengten Platzverhältnissen war die Errichtung einer herkömmlichen Fischaufstiegsanlage nicht möglich. Zur Herstellung der ökologischen Durchgängigkeit setzte der Betreiber Ruhrverband auf das Fischliftsystem der Entwickler Baumann Hydrotec GmbH & Co. KG und Hydro-Energie Roth GmbH. Konzipiert ist das System als eine Art Schleuse, mit der auch schwimmschwache Arten durch ein als Kolben ausgeführtes Fischpassbecken kräfteschonend zwischen Ober- und Unterwasser wechseln können. Neben den positiven Betriebserfahrungen stellte das System im Sommer 2021 auch seine Robustheit bei einem extremen Hochwasserereignis unter Beweis.
Mit einem Fassungsvermögen von ca. 8,3 Mio. m³ ist der Baldeneysee im Süden der Stadt Essen der größte der sechs Ruhrstauseen. Betrieben wird das zwischen 1931 und 1933 errichtete Reservoir vom Ruhrverband. Am rechten Ufer der mit drei Wehrwalzen ausgeführten Wehranlage befindet sich das im Besitz der RWE stehende Wasserkraftwerk Baldeney. Zur Herstellung der ökologischen Durchgängigkeit am Stauwehr gemäß den Vorgaben der EU-Wasserrahmenrichtlinie berief der Ruhrverband vor gut zwölf Jahren eine Expertenkommission ein. Die Kommission sollte für den Standort eine Lösung entwickeln, um den Gewässerlebewesen am Standort eine barrierefreie Wanderung zu ermöglichen. Die Errichtung eines Beckenpasses wäre aufgrund der stark verbauten Grundstücke neben der Wehranlage mit erheblichem Aufwand und hohen Baukosten verbunden gewesen. Zudem hätte die Fischtreppe bei einem Höhenunterschied von 8,7 m aus rund 90 Becken bestanden, was vor allem für schwimmschwache Arten eine zu große Anstrengung bedeutet hätte. Nach umfangreichen technischen Voruntersuchungen fiel die Entscheidung schließlich zugunsten eines innovativen Fischliftsystems, das von der Baumann Hydrotec GmbH & Co. KG und der Hydro-Energie Roth GmbH entwickelt wurde.
Kräftesparender Aufstieg garantiert
Erstmals eingesetzt wurde der Hydro-Fischlift an der ca. 5 m hohen Wehranlage des Kraftwerks Neumühle im Allgäu. Das seit September 2014 im Dauerbetrieb stehende System basiert auf einem Schleusenkonzept, bei dem die Fische durch ein als Schwimmkolben ausgeführtes Fischpassbecken aufsteigen können. Das Transportbecken befindet sich innerhalb eines vertikal platzierten GFK-Rohres und wird durch den Schleusenwasserstand ohne mechanisches Windwerk rein hydraulisch bewegt. Anders als bei einer herkömmlichen Schleuse verändert sich die Wassertiefe im aufschwimmenden Becken nur geringfügig, wodurch die Fische für sie unmerklich und kräfteschonend auf ein höheres Niveau gehoben werden. Für die Anpassung des Hydro-Fischlifts an den Standort Baldeney wurden am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) detaillierte numerische Simulationsstudien, Modelluntersuchungen sowie ethohydraulische Versuche durchgeführt. „Bei diesen Versuchen wurden mehrere funktionsverbessernde Details ermittelt werden. So wirkte während der Laboruntersuchungen eine horizontale Durchströmung für die Fische noch attraktiver, und der Ausschwimmvorgang konnte deutlich verkürzt werden. Zudem wurde das Einschwimmen in den Fischlift in der unteren Position durch einen speziell gestalteten Einstiegsbereich beschleunigt“, so die Entwickler Andreas Roth und Georg Baumann, deren System mehrfach ausgezeichnet wurde.
Wasser- und zeitsparender Betrieb
Nach etwas mehr als zwei Jahren Bauzeit ging das für den Baldeneysee adaptierte Fischliftsystem im Sommer 2020 erstmals in Betrieb. Um den Gewässerbewohnern eine kontinuierliche Passage zwischen Ober- und Unterwasser zu ermöglichen, wurden zwei abwechselnd auf- und abfahrende Fischlifte parallel nebeneinander positioniert. Das Auf- bzw. Abstiegsintervall eines Transportbeckens dauert lediglich ca. 5 Minuten, wobei für den Betrieb eines Fischlifts nur 250 l/s Wasser benötigt werden. Andreas Roth weist darauf hin, dass dem Hydro-Fischlift variierende Stauwasserständen keine Probleme bereiten: „Selbst wenn sich während der Ausschwimmphase der Wasserstand im Oberwasser verändert, funktioniert das Ein- und Ausschwimmen weiterhin bzw. durchgehend. Nach meinem Wissen ermöglicht nur unser System bei variablen Stauwasserständen einen permanent an den Stauwasserstand angepassten Ein- und Ausstieg, was ein besonderes Alleinstellungmerkmal darstellt. Darüber hinaus wird zum Hoch- und Runterfahren keine Fremdenergie benötigt. Die Fische im Lift befinden sich in einem quasi abgeschlossenen Behältnis und merken nichts von der Auf -und Abbewegung. Weiters entstehen keine signifikanten Druckänderungen oder Strömungen.“
Bewährungsprobe bestanden
Seit der Inbetriebnahme im August 2020 wurden durchwegs positive Erfahrungen mit den beiden Fischliften gesammelt, so die Entwickler: „Ein für die Installation und Wartung der Messeinrichtungen beauftragtes Fachbüro für Umweltplanung konnte bislang keine Betriebsstörungen feststellen. Vielmehr wird von zahlreichen Fischsichtungen in der für das im April 2023 beginnende Monitoring bereits installierten Zähleinrichtung berichtet. Teilweise nutzen pro Transfer mehr als 1.000 Organismen den Fischlift.“ Mittlerweile konnte der Hydro-Fischlift seine Robustheit auch bei extremem Hochwasser unter Beweis stellen. Am 15. Juli 2021 wurde am einige Kilometer stromaufwärts gelegenen Pegel Hattingen ein Hochwasserabfluss von 1.230 m³/s gemessen. Damit wurde die bisherige Rekordmarke von 974 m³/s deutlich übertroffen. Im Zuge des Hochwassers wurden die beiden Fischlifte zu mindestens 68 Prozent eingestaut, was einen Anstieg des Wasserstands um 5,92 m bedeutete. Da kein Ende des ansteigenden Wasserpegels absehbar war, wurden die Fischlifte aus Sicherheitsgründen stromlos geschaltet. „Das System wurde schon im Vorfeld für eine besondere Hochwassersicherheit ausgelegt. Alle Baugruppen und die Steuereinheiten für die Schieber fanden einen Platz über der bis dahin bekannten Rekordhochwassermarke. Zum Schutz für einige elektronische Bauteile kam zudem eine Art Tauchglocke zum Einsatz“, erklärt Andreas Roth. Eine Woche nach dem Hochwasserereignis, das große Mengen an Treibgut mit sich gebracht hatte, starteten die Reinigungsarbeiten. Da keinerlei Schäden an den Fischliften festgestellt wurden, konnte das System innerhalb weniger Stunden wieder in Betrieb genommen werden. Die Entwickler freuen sich über die bestandene Bewährungsprobe und sind guter Dinge, dass ihr innovatives System bald an weiteren Standorten zum Einsatz kommen wird.
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