Ökologie

Innovative Fischaufstiegsanlage im Osten Thüringens erfolgreich in Betrieb genommen8 min read

7. Mai 2024, Lesedauer: 6 min

Innovative Fischaufstiegsanlage im Osten Thüringens erfolgreich in Betrieb genommen8 min read

Lesedauer: 6 Minuten

Seit 22. März dieses Jahres ist die ökologische Durchgängigkeit der Weißen Elster in den Erlbach im Norden der Thüringer Stadt Gera hergestellt. Möglich macht dies das innovative System des enature® Fishpass, der überall dort erfolgreich zum Einsatz kommt, wo beengte Platzverhältnisse die Integration von Fischwanderhilfen erschweren. Die patentierte Fischaufstiegshilfe des österreichischen Fertigteilherstellers MABA Fertigteilindustrie, ein Unternehmen der Kirchdorfer Gruppe, konnte auch beim Einsatz in Thüringen voll und ganz überzeugen. Die Betreiberin der Wehranlage, die Chemiewerk Bad Köstritz GmbH, investierte rund 400.000 Euro in das Vorzeigeprojekt, das zur Hälfte vom Freistaat Thüringen gefördert wurde.

Fischaufstieg
Linksseitig um die Wehranlage der Chemiewerk Bad Köstritz GmbH am Erlbach im
thüringischen Gera wurde eine innovative Fischaufstiegshilfe des österreichischen
Fertigteilherstellers MABA realisiert und erst kürzlich in Betrieb genommen.
© Jan Berling IB Lochmühle GmbH

Seit mehr als 180 Jahren entwickelt und stellt das Chemiewerk Bad Köstritz, kurz CWK, in Thüringen anorganische Spezialchemikalien her, die für Anwendungen in unterschiedlichsten Branchen zum Einsatz kommen. So traditionell der Industriestandort, so traditionell ist auch die Nutzung des Prozesswasser, das aus dem angrenzenden Erlbach, einem Zubringer der Weißen Elster bezogen wird. Etwa 270 m oberstrom der Einmündung des Erlbach in die Weiße Elster ist die Wehranlage der Chemiewerk Bad Köstritz GmbH situiert, die als regelbares Schützenwehr ausgeführt ist. Das Nutzwasser für die Produktion wird mittels einer fixen Pumpstation orographisch rechts aus dem Stauraum der Wehranlage entnommen. Linksseitig schließt sich ein Hochwasserschutzdeich an. Eine Fischaufstiegshilfe gab es bis vor kurzem noch nicht, daher bestand aus fischökologischer Sicht Handlungsbedarf. Das sah auch die Stadt Gera so, die gegenüber der Chemiewerk Bad Köstritz GmbH einen Bescheid erließ, die erforderliche ökologische Durchgängigkeit herzustellen. Zu diesem Zweck sollte auf der orographisch linken Seite eine funktionelle Fischaufstiegshilfe unter Beibehaltung des Querbauwerks angelegt werden.

Fischaufstieg Fishpaß und Baugrube
Um die Baugrube trocken zu halten, wurde sie umspundet. Die Umspundungen in den schwierigen Untergrundverhältnissen schlugen sich letztlich nicht unerheblich in den Gesamtkosten zu Buche.
© Jan Berling IB Lochmühle GmbH

System mit geringem Platzanspruch
Gemeinsam mit den Ingenieuren des beauftragten Planungsbüros IB Lochmühle standen die Verantwortlichen vor der Herausforderung, ein System zu finden, das einerseits wirtschaftlich und wassersparend ist und das andererseits allen Anforderungen moderner Fischmigration am Standort Rechnung trägt. Hinzu gesellte sich ein weiterer zentraler Aspekt: Viel Platz für eine raumgreifende naturnahe Lösung war nicht verfügbar. „Die Frage der Grundstückverfügbarkeit wurde letztlich zu einem wichtigen Kriterium, sodass sich die Betreiber auf eine technische Variante festlegten“, erinnert sich der Projektleiter des österreichischen Fertigteilherstellers MABA Fertigteilindustrie Michael Pötsch. Dass die CWK sich für die patentierte Lösung des enature® Fishpass entschied, war letztlich auch einem glücklichen Umstand zu verdanken, wie die Bauleiterin Inka Richter von der Heinrich Wassermann GmbH & Co.KG erzählte: „Herr Dipl.-Ing. Jan Berling von IB Lochmühle besuchte vor einigen Jahren die Renexpo Interhydro in Salzburg, wo er im Rahmen der Messeausstellung auf das Fischaufstiegssystem von MABA aufmerksam geworden ist. Daraufhin hat er für das Projekt in Gera-Thieschitz ein Angebot eingeholt – und damit konnte es auf Schiene gebracht werden.“

Fischaufstieg Fishpass-Grafik_Multiple-Slot-Prinzip-C-Kirchdorfer Kopie
Trotz minimierter Dotation gewährleistet der enature® Fishpass eine problem-
lose Passage für die wanderungswilligen Fische.

Fischpass mit hoher Wirtschaftlichkeit
Um die Höhendifferenz von 90 cm an der Wehranlage zu überbrücken, setzte man auf die mittelgroße Variante des MABA Multi- struktur-Schlitzpasses, wobei die Schlitzweite mit 20 cm festgelegt wurde. Die zu überwindende Gefällstufe zwischen den einzelnen Becken beträgt 15 cm. Über eine Länge von 20 m erstreckt sich somit das 6-stufige System des Vertical-Slot-Passes. Als Bemessungsfisch diente für das Projekt am Erlbach die Bachforelle mit einer Länge von 50 cm und einer Höhe von 10 cm. Das Sohlsubstrat mit darin untergebrachten Störsteinen ist 20 cm hoch darin aufgebracht. Dotiert wird die Fischaufstiegshilfe mit 100 l/s. Was nun die ausgeprägte Wirtschaftlichkeit des enature® Fishpass ausmacht, hat mit mehreren Faktoren zu tun: Zum einen zeichnet das System die verminderte Betriebswassermenge aus. Konkret benötigt es einen um 30 bis 40 Prozent geringeren Wasserdurchfluss als ein herkömmlicher Schlitzpass bei voller Funktionalität. Zum anderen handelt es sich um ein System aus Beton-Fertigteilen, das sich vergleichsweise einfach und schnell montieren lässt. Daraus resultieren kurze Stillstandszeiten, was der Wirtschaftlichkeit des Gesamtprojekts selbstverständlich zuträglich ist. Die wassersparende Eigenschaft des eingesetzten enature® Fishpass ist deshalb von erhöhter Relevanz, weil damit die Entnahme des Prozesswassers und der Betrieb der Fischaufstiegsanlage auch in trockenen Sommern gesichert sind.

Fischaufstieg brook-trout-5586585
Dank der neuen Fischaufstiegshilfe können Fische wie die Forelle nun ein
Einzugsgebiet von ca. 100 km2 wieder als Laichgebiet und Lebensraum nutzen.
© pixabay

Böse Weihnachtsbescherung
Zu einer echten Herausforderung wurde die Baustelle zur Weihnachtszeit letzten Jahres. Aufgrund von Starkregen schwoll der Erlbach in der Nacht von 23. auf 24. Dezember über seinen kritischen Pegel an. Das Wasser stieg über die Wehrmauer und flutete in der Folge die komplette Baugrube mitsamt der Betonfertigteile, die zuvor bereits angeordnet waren. Die Baufirma reagierte schnell auf die missliche Lage zu dieser ungünstigen Zeit und sorgte für den Deichschluss, um angrenzende Gebäude zu schützen und weiteren Schaden abzuwenden. Dies gelang, es kam zu keinen nennenswerten Schäden. „Nachdem das Ganze überstanden war, wurde die Baugrube ausgepumpt und wieder hergerichtet. Sämtliche Betonfertigteile konnten gereinigt und wiederverwendet werden. Ein weiterer Punkt, der für das MABA-System sprach“, erinnert sich die Bauleiterin.

Erfolg mit wechselnder Schlitzfolge
Grundsätzlich handelt es sich beim enature® Fishpass um eine Weiterentwicklung des klassischen Schlitzpasses oder Vertical Slot Passes. Im Rahmen einer zweijährigen Zusammenarbeit mit der Universität für Bodenkultur Wien entwickelte die F&E-Abteilung der Kirchdorfer Gruppe das neuartige Fertigteilsystem, das den Bedürfnissen der Gewässerorganismen in optimaler Weise gerecht wird, den Wasserbedarf minimiert und sich optimal für Standorte mit beengten Platzbedingungen eignet. Charakterisiert ist der Bautyp durch die vertikalen Schlitze der Zwischenwände, die über die gesamte Höhe des Bauteils reichen. Ein wesentlicher Unterschied zu herkömmlichen Schlitzpässen liegt darin, dass die Schlitze alternierend angebracht sind. Das heißt: die Schlitze befinden sich nicht auf einer Seite, sondern sind wechselweise angeordnet. Auf diese Art bildet das System auch kleine Zwischenbecken aus. Diese liegen zwischen den großen Erholungs- bzw. Ruhebecken, in denen die Energiedissipation erfolgt. „Die Abwechslung der Schlitzseite je Bauteil sowie die Ablenkung beim Schlitz führen zu einer Strömungsumlenkung, um eine geradlinig durchgehende Kurzschlussströmung von Schlitz zu Schlitz zu verhindern. Damit wird eine geschwungene Hauptströmung gewährleistet“, erläutert Michael Pötsch die Vorzüge des patentierten Systems.

Fischaufstieg Montage
Auf der Baustelle geht die Montage der vorgefertigten Stahlbeton-Fertigteile sehr zügig vonstatten.
© Jan Berling IB Lochmühle GmbH

Flexibel in der Bauform
Um den Multistruktur-Fischpass an die Anforderungen an die jeweilige Leitfischart, respektive Fischregion bestmöglich anzupassen, ist das Fertigteilsystem ist in zwei verschiedenen Systemgrößen und mit unterschiedlich breiten Schlitzen (von 15 bis 45 cm) verfügbar. Für jede Systemgröße können zwei gerade Becken – entweder links oder rechts ausgerichtet – sowie ein 45-Grad-Becken gewählt werden, mit denen sich beliebige Kehren und Ausweichmöglichkeiten realisieren lassen. Für eine professionelle Planung greift der Hersteller auf ein spezielles 3D-Tool zurück, das sämtliche Fertigteile des enature® Fishpass und jegliche Bemessungsparameter für unterschiedliche Gefällevarianten berücksichtigt. Die Software wird übrigens auch dem Kunden zur Verfügung gestellt. Dass der enature® Fishpass von den Gewässerbewohnern hervorragend angenommen wird, belegen die Ergebnisse aus zahlreichen video- basierten Monitoring-Studien in sämtlichen Fischregionen. Dabei konnten auch die Passagen von stark bodenorientierten und schwimm- schwachen Arten belegt werden. Die größten bislang über den enature® Fishpass aufgestiegenen Fische sind der Wels mit 1.350 mm und der Huchen mit 1.200 mm Körperlänge.

Etabliert im ganzen D-A-CH-Raum
Der innovative, modular aufgebaute Multi-Struktur Schlitzpass aus dem Hause der Kirchdorfer Gruppe hat sich mittlerweile bestens etabliert und wurde schon über 100 Mal erfolgreich im gesamten D-A-CH-Raum sowie in Südtirol umgesetzt. In Österreich wurde das System etwa auch in den aktuellen Leitfaden zum Bau von Fischaufstiegshilfen aufgenommen. Mit der Fischaufstiegshilfe am Thüringer Erl- bach kam nicht nur eine weitere Referenzanlage auf der langen Liste der österreichischen Fertigteilbau-Spezialisten hinzu. Darüber hinaus handelt es sich um eine echte Premiere: Schließlich wurde das innovative Baukastensystem des enature® Fishpass erstmalig in Thüringen geplant, genehmigt und gebaut. Am 22. März dieses Jahres nahmen Lars Böttcher, Geschäftsführer des Chemiewerkes Bad Köstritz, und Michael Schanze, technischer Leiter, gemeinsam mit Planer und Erbauern die neue Fischaufstiegsanlage am Wehr am Erlbach in Gera-Thieschitz offiziell in Betrieb. Passenderweise wurde das Projekt mit Fischnachwuchs gefeiert. Sie besetzten den Bach mit 100 Bachforellen, die im Gegensatz zu früheren Generationen nun pro­blemlos ihre Wanderung in die Weiße Elster unternehmen können. Die Inbetriebnahme der neuen Fischaufstiegshilfe ist insofern ein ökologischer Meilenstein, als damit der Lebensraum Weiße Elster dauerhaft wieder mit den Lebensräumen Erlbach und Saarbach verbunden wird. Ein Einzugsgebiet von ca. 100 km² ist wieder als Laichgebiet, Lebensraum, Rückzugsgebiet und zur Nahrungaufnahme für Fische sowie andere Wasserkleintiere aus der Weißen Elster erreichbar.

Erschienen in zek HYDRO Ausgabe 2/2024

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