Innovatives Schleusensystem ermöglicht Fischabstieg auch bei großen Fallhöhen8 min read
Lesedauer: 6 MinutenNicht nur Schiffe können die große Schleusenanlage im mittelfränkischen Hilpoltstein am Main-Donau-Kanal passieren. Neuerdings sind auch die darin lebenden Fische in der Lage, problemlos ins Unterwasser zu gelangen. Möglich macht dies eine neuartige Fischabstiegshilfe, die als ein im Bauwerk integriertes Druckkammer- Schleusensystem den oberwasserseitigen Wasserdruck langsam an das Unterwasserniveau anpasst. Auf diese Weise können die Bewohner des Main-Donau- Kanals einen Höhenunterschied von knapp 25 m überwinden. Erste Erfahrungen belegen die Funktionalität des Systems, das von der Betreiberin, der Bayerische Landeskraftwerke GmbH, mit Partnern über Jahre entwickelt worden ist.
Der 171 Kilometer lange Main-Donau-Kanal ist ein wichtiger Bestandteil des europäischen Binnenschifffahrtnetzes. Mithilfe von 16 Schleusen können die Schiffe die europäische Hauptwasserscheide überwinden, die 406 Meter über dem Meeresspiegel liegt. Als eine der höchsten Schleusen gilt jene im mittelfränkischen Hilpoltstein, die neben ihrer Funktion als Schiffsschleuse noch einer weiteren Aufgabe dient: Sie stellt sicher, dass ausreichend Wasser vom deutlich feuchteren Süden in den trockeneren Norden von Bayern gelangt. Heute fließen mit Hilfe dieses Überleitungssystems jährlich rund 125 Millionen Kubikmeter Donauwasser in den Main. „Als die Schleusenanlage Ende der 1980er Jahre bis Anfang der 1990er gebaut wurde, dachte man auch an eine energetische Nutzung. Es wurde ein Kraftwerk integriert, das vorrangig das Wasser der Donau-Main-Überleitung nutzt. Es wird heute von der staatlichen Bayerische Landeskraftwerke GmbH betrieben“, erklärt Stephan Harrer, technischer Leiter der LaKW. Mittels einer Francis-Turbine mit 3,3 MW Nennleistung wird die Energie aus dem Überleitungswasser gewonnen, im Regeljahr sind das ungefähr 8,1 Millionen kWh. „Die Maschine funktioniert optimal, ist aber nur ungefähr ein Drittel des Jahres in Betrieb, den Rest der Zeit steht sie still“, so Stephan Harrer.
Synergien aus zwei Projekten
Vor einigen Jahren entstand die Idee, eine kleine Hausturbine einzubauen, die in den Stillstandszeiten der großen Maschine Strom für den Eigenbedarf des Kraftwerks an der Schleuse liefern sollte. Zur Minimierung des Wartungsaufwands des kleinen Maschinensatzes planten die Verantwortlichen dazu eine vollautomatische Rückspülung des Feinrechens vor der Turbine. Gleichzeitig wurde an ersten Plänen für eine Lösung für einen Fischabstieg getüftelt. Es galt, eine Antwort auf die Frage zu finden, wie ein problemloser Abstieg der Fische aus der Scheitelhaltung des Kanals in die 24,7 m tiefer gelegene Haltung Eckersmühlen bewerkstelligt werden konnte. Stephan Harrer: „Etwa zur gleichen Zeit waren wir auch mit den Planungen für die Fischauf- und Fischabstiegshilfe Eixendorf auf Basis einer Druckkammerfischschleuse nach dem einkämmrigen System Höllenstein zugange. Aufbauend auf den ersten Erfahrungen mit dieser Prototypen-Planung haben wir festgestellt, dass wir vieles auch hier am Standort Hilpoltstein umsetzen können. Die beiden Projekte haben sich somit wechselseitig befruchtet, auch wenn die jeweiligen Ausgangssituationen doch recht unterschiedlich waren.“ Nach dem Start im Jahr 2016 wurde 2017 die Paul Müller Ingenieurgesellschaft mbH mit den Planungen beauftragt. 2019 wurde der Genehmigungsantrag eingereicht. Ein Jahr später erging der Auftrag über die Ausführung der Textur an das renommierte Ingenieurbüro IB Pfeffer aus Regen, das letztlich für beide Projekte verantwortlich zeichnete und mit dessen Hilfe es gelang, Synergieoptionen zu nutzen. 2021 ging es weiter mit Antrag und Bewilligung der Tektur. Die technische Fertigstellung erfolgte im ersten Quartal 2023, die behördliche Abnahme schließlich im Herbst letzten Jahres.
Der Weg durch die Schleuse
Technisch wie optisch unterscheiden sich die Anlagen Eixendorf und Hilpoltstein in mehreren Punkten. Während am Standort der Sperre Eixendorf die Fische einen Höhenunterschied von 5 Meter sowohl stromaufwärts als auch stromabwärts überwinden, gelangen sie am Standort der Schleuse Hilpoltstein in einem Fischabstieg vom Ober- ins Unterwasser über eine Fallhöhe von 24,7 Meter. Als markantester Unterschied kommt hinzu, dass am Standort Hilpoltstein ein Zweikammersystem und in Eixendorf ein Einkammersystem für den Druckausgleich installiert wurde. Die Gemeinsamkeit, die beiden Projekten zugrunde liegt, besteht aber im Konzept des Schleusensystems. Und dieses beruht darauf, den Fischen ein problemloses Passieren des Querbauwerks mittels behutsamen Druckausgleichs in den Schleusenkammern zu ermöglichen. Stephan Harrer erklärt das System in Hilpoltstein: „Über den oberwasserseitigen Zulauf gelangen die Fische entlang der Leitströmung in das Schleusensystem und landen mit dem zuströmenden Wasser in einer der beiden parallel angelegten Kammern vor dem Schutzrechen, wo sie dann verweilen. Zu diesem Zeitpunkt befinden sie sich noch im Druckniveau des Oberwassers. Danach werden die Schieber und somit das System geschlossen, damit in der Druckkammer mittels Ventile ein behutsamer Druckausgleich auf das Niveau des Unterwassers erfolgen kann. Ist dies geschehen, öffnet der unterwasserseitige Schieber, und die Fische können ins Unterwasser ausschwimmen. Am Ende des Schleusenzyklus werden die Schieber wieder geschlossen, sodass sich nun in der Druckkammer wieder der Wasserdruck des Oberwasserniveaus einstellen kann.“ Gemeinsam mit Fischökologen wurde für die Druckanpassung ein Grenzwert von maximal 0,2 bar pro Minute eingestellt, sodass der Zyklus des Druckausgleichs etwa 15 Minuten in Anspruch nimmt. Generell sind beide Kammern permanent durchströmt, der Durchfluss ist also auch für die Energieerzeugung konstant. Im Verlauf der Ausschwimmphase wird zugleich der Feinrechen rückgespült. Der Wechsel von einer Kammer auf die andere wird über die vollautomatische Steuerung geregelt. Wichtig dabei ist, dass die Leitströmung permanent gewährleistet bleibt.
Eigenbedarf deckt neue Maschine
Maßgeblich ist darüber hinaus auch, dass die Strömungsgeschwindigkeit in einem moderaten Bereich bleibt. „Das ist auch der Grund, warum stets beide Kammern durchströmt sind“, erklärt Planer Ing. David Hirtreiter vom Ingenieursbüro Pfeffer einen entscheidenden Punkt des Konzepts. Neben der Funktion als Fischabstiegsschleuse spielte in der Gesamtplanung des Projekts auch die Rückspülmöglichkeit des Feinrechens eine bedeutende Rolle. Gerade während der Mähzeiten, sagt Stephan Harrer, habe es am Kanal häufig Probleme mit dem anfallenden Grünschnitt gegeben, der immer wieder zu Verlegungen von Rechen geführt hätte. Wie geplant wurde daher eine Drucksonde installiert, die erkennt, ob eine Verlegung oder Verklausung vorliegt – und die eine vollautomatische Rückspülung in Gang setzt. „Das hat bisher sehr gut funktioniert, wir hatten seit der Installation des neuen Systems hier keinerlei Verlegungen am Rechen“, zeigt sich Stephan Harrer erfreut. Und auch der zweite wichtige Synergiepunkt des Gesamtprojekts, die kleine Hausturbine, konnte erfolgreich umgesetzt werden. Als Maschinensatz kommt eine „Pumpe als Turbine“ von KSB zum Einsatz, die einen kleinen Asynchronmotor antreibt. Ausgelegt ist der Maschinensatz auf 27 kW – eine Leistung, die ausreicht, um den gesamten Eigenbedarf am Standort abzudecken.
Kernbohrung im Unterwasser
In planerischer Hinsicht brachte das Projekt in Hilpoltstein durchaus Herausforderungen mit sich, wie David Hirtreiter betont: „Der Knackpunkt aus unserer Sicht war mit Sicherheit, dass das gesamte System innerhalb eines bestehenden Bauwerks integriert werden musste, und die Platzverhältnisse entsprechend eingeschränkt waren. In der baulichen Umsetzung war natürlich gerade die Kernbohrung durch das Bauwerk spannend. Das hat aber perfekt und millimetergenau funktioniert.“ Um die Kernbohrung durchführen zu können, wurde im Unterwasser ein Wasserhaltungskasten aus Metall von Tauchern an die Betonwand angebracht und mit Dübeln fixiert. Nicht zuletzt dank des umgebenden Wasserdrucks war der Behälter komplett wasserdicht. Nachdem er ausgepumpt worden war, konnte von hier aus die Kernbohrung vorgenommen werden. Nach Abschluss der Arbeiten wurde der metallene Kasten wieder entfernt. Die einzelnen Komponenten des Schleusensystems konnten aufgrund der beengten räumlichen Situation erst vor Ort montiert werden. „Vom gesamten Schleusensystem hatten wir natürlich 3D-Darstellungen. Trotzdem haben wir so wenig wie möglich fixe Flansche, die im Grunde Genauigkeiten im Zehntelmillimeterbereich verlangen, sondern Victaulic-Kupplungen bei der Montage verwendet, um ein spannungsfreies System auch über lange Zeit sicherstellen zu können. Das erleichtert natürlich auch allfällige Wartungs- oder Reparaturarbeiten“, ergänzt der Planer.
Monitoring gibt Aufschluss
Mit Februar letzten Jahres konnte die neue Fischabstiegsanlage in den Probebetrieb übernommen werden. Was folgte, waren kleinere Änderungen und Anpassungen im Betrieb, die letztlich eines zeigten: Das System funktioniert, zahlreiche Fische konnten in dieser Zeit schon in den Schleusenkammern, die mit Bullaugen ausgestattet sind, beobachtet werden. Wie gut die Fischschleuse von den Gewässerbewohnern angenommen wird, wird sich letztlich erst im fischökologischen Monitoring zeigen. „Das fischökologische Monitoring ist bereits im Gange, zumindest der erste Teil – und zwar das Video Monitoring. Danach folgen noch Befischungen sowie Reusenanalysen im Unterwasser. Zu diesem Zweck wurden bereits die erforderlichen Systemkomponenten, wie Kameras, Messtechnik, Weiß-licht, Infrarot und Reusenrahmen, integriert“, erklärt Stephan Harrer. Die Ergebnisse des Monitorings werden am Ende auch entscheidend sein für die Anpassungen der Regelautomatik. Konkret werden auf dieser Basis dann die Durchlaufzyklen und die Schleusenprozesse für die unterschiedlichen Spezies adaptiert und optimiert. Mit der Fischschleuse in Hilpoltstein ist es der Bayerische Landeskraftwerke GmbH gelungen, ein Fischabstiegssystem zu entwickeln und umzusetzen, das ohne jeglichen baulichen Eingriff in die Natur funktioniert. Das System ist dabei skalierbar und lässt sich daher auch an Standorten mit großen Fallhöhen und/oder bei sehr beengten Platzbedingungen realisieren. Dass nicht zuletzt auch große Zustimmung von Seiten der Fischerei für diese Variante eines Fischwandersystems gekommen ist, kann mit Fug und Recht als „Ritterschlag“ für die Druckkammer-Fischschleuse gewertet werden.
Erschienen in zek HYDRO Ausgabe 2/2024
Teilen: