SAK realisiert barrierefreie Fischwanderung beim Kraftwerk Lienz am Rheintaler Binnenkanal7 min read
Lesedauer: 5 MinutenDas Traditionskraftwerk Lienz am Rheintaler Binnenkanal im Kanton St. Gallen wurde durch eine bauliche und technische Adaptierung barrierefrei für die Fischpopulation gestaltet. Durch die Errichtung einer Fischauf- und -abstiegsanlage können die Gewässerbewohner das 1906 erstmals in Betrieb genommene Kraftwerk in beide Flussrichtungen ungehindert passieren. Zusätzlich wurde während der rund einjährigen Umbauphase die Kegelrad-Rohrturbine einer umfassenden Sanierung unterzogen. Das komplette Stahlwasserbauequipment inklusive fischfreundlichem Horizontalrechen und Rechenreinigungsmaschine sowie eine speziell konstruierte Fischabstiegsklappe lieferte der Südtiroler Stahlwasserbauspezialist Wild Metal GmbH. Bis Ende 2024 plant die SAK die beiden Unterlieger-Kraftwerke Blatten und Montlingen ebenfalls in beide Richtungen durchgängig zu gestalten, wodurch Aal, Seeforelle und Co. zukünftig den gesamten Reintaler Binnenkanal ungehindert durchwandern können.
Der Rhein war bis in das 19. Jahrhundert im St. Galler und Vorarlberger Rheintal ein wilder Fluss, der sein Bett kontinuierlich neu formte und damit die Entstehung von größeren Siedlungen verhinderte. Die Bewohner der Rheinebene mussten im Prinzip permanent mit Überschwemmungen rechnen, wodurch sich der Begriff „Rhein Not“ etablierte. Mit der voranschreitenden Besiedelung der Region wurden sukzessive Rufe nach einem nachhaltigen Hochwasserschutz laut. Um eine wirkungsvolle Entwässerung der Rheinebene zu gewährleisten, war sowohl die Regulierung des Rheins als auch der Bau von Binnenkanälen auf beiden Flussseiten bzw. auf österreichischem und Schweizer Territorium notwendig. Besiegelt wurde die großangelegte Rheinregulierung schließlich mit einem Staatsvertrag im Jahr 1892 zwischen den beiden Ländern. Auf Schweizer Seite startete der Bau des rund 23 km langen Rheintaler Binnenkanals 1896 und wurde 1904 abgeschlossen. Die Gefälleverhältnisse erforderten die Errichtung von Absturzbauwerken im Bereich der Ortschaften Lienz, Blatten und Montlingen, um die Tiefe des Kanals zu begrenzen. Diese Abstürze im Kanal wurden für den Bau von drei Laufwasserkraftwerken genutzt, die allesamt 1906 fertiggestellt wurden und noch heute im Verbund alljährlich rund 5,1 Millionen kWh sauberen Strom erzeugen.
Maßnahmen für die Fische
Betrieben werden die Kleinwasserkraftwerke vom Ostschweizer Energieversorger St.Gallisch-Appenzellische Kraftwerke AG (SAK), der laut Projektleiter Produktion Christian Neff 2016 vom Kanton die Sanierungsverfügung erhielt, an den drei Standorten die ökologische Durchgängigkeit in beide Flussrichtungen herzustellen: „Die Sanierungsverfügungen basieren auf dem 2011 in Kraft getretenen nationalen Gewässerschutzgesetz vom Bundesamt für Umwelt (BAfU), mit dem Maßnahmen zur Optimierung der Fischwanderung in der Schweiz festgelegt werden. Die Kraftwerke waren zwar schon früher mit Fischaufstiegshilfen ausgestattet worden, diese entsprachen aber nicht mehr den modernen Anforderungen. Ein Fischabstieg war zudem nur bei geöffneten Wehrklappen bzw. bei Hochwasser möglich“, so Christian Neff. Die notwendigen Umbauten wurden in enger Zusammenarbeit mit dem BAfU und dem Amt für Wasser und Energie des Kantons St. Gallen erarbeitet. Mit der Generalplanung für die Herstellung der ökologischen Durchgängigkeit an allen drei Kraftwerken wurde ab 2017 das Ingenieurbüro fmb-ingenieure aus Baar beauftragt. Den Zuschlag für die Hoch- und Tiefbauarbeiten an allen Standorten erhielt die ARGE Glarnerland, bestehend aus den Unternehmen STRABAG AG (Federführung) und der linth stz ag. Als erste der drei Anlagen sollte das am weitesten oben gelegene Kraftwerk Lienz umfassend saniert werden, bei dem die Arbeiten im Oktober 2021 in Angriff genommen wurden.
Anlagentechnik saniert und erneuert
Eine wesentliche Randbedingung des Projekts stellte laut Christian Neff die Aufrechterhaltung des Oberwasserpegels im Kanal während der Bauphase dar: „Ein Leerlaufen des Kanals musste auf alle Fälle verhindert werden, um den beträchtlichen Fischbestand nicht zu gefährden. Zudem durften durch die Baustelle auch keine negativen Auswirkungen für die beiden Unterliegerkraftwerke entstehen. Für die Erstellung der Wasserhaltungsmaßnahmen gab es im Hinblick auf die Laich- bzw. Schonzeiten einen Zeitplan zu beachten. Die erste Umleitung auf der Baustelle musste bis zum Beginn der Schonzeit Anfang November 2021 abgeschlossen werden, die zweiten Wasserhaltungsmaßnahmen durften erst ab Anfang Juni 2022 beginnen.“ Die neue Fischaufstiegsanlage wurde von der orographisch rechten auf die linke Kanalseite verlegt, wobei sich der Einstiegsbereich nun in der Nähe des Turbinenauslaufs befindet. Mit dieser Anordnung wird das ausströmende Triebwasser als Lockströmung für die aufstiegswilligen Fische im Unterwasser genutzt. Den Kraftwerksstillstand für die Durchführung der umfangreichen Bauarbeiten nutzte die SAK zudem für die Revitalisierung der 1988 eingebauten Kegelrad-Rohrturbine. Die vertikal durchströmte Kaplan-Maschine wurde komplett demontiert und zur Sanierung zu ANDRITZ Hydro transportiert. Während des Refurbishments wurde im Zuge der Wasserhaltungsmaßnahmen ein Rohr anstelle der Turbine eingebaut und das Wasser somit an der Baugrube vorbei durch das Gebäude geleitet. Zu den Revitalisierungsmaßnahmen zählten unter anderem der Austausch der Leitschaufeln, neue Flügel für das Laufrad sowie die Erneuerung des Turbinen-Lagers. Der in vertikaler Richtung mit der Turbine gekoppelte Generator sowie die dazugehörigen Schutzeinrichtungen bedurften keiner Erneuerung. Sehr wohl modernisiert wurde hingegen die elektro- und leittechnische Ausstattung der Anlage durch die Firma Rittmeyer.
Südtiroler liefern Komplettpaket
Das gesamte Stahlwasserbauequipment stammt vom Südtiroler Branchenexperten Wild Metal, der für das Projekt ein qualitativ und funktionell hochwertiges Technikpaket schnürte. Für das Aufstauen des Gewässers sorgt nun eine Wehrklappe in Fischbauchausführung mit einseitigem hydraulischen Antrieb. „Der Umbau des Einlaufbereichs, der anstelle eines Grobrechens und einem danach angeordneten Feinrechen nun mit einem horizontalen Schutzrechen und dazugehöriger Rechenreinigungsmaschine ausgestattet wurde, bringt neben den betrieblichen Optimierungen auch Vorteile für die Anlagenwärter der SAK mit sich. Vor dem Umbau musste der Grobrechen bei Verklausungen mühevoll per Hand gereinigt werden, wozu sich die Arbeiter aus Sicherheitsgründen anseilen mussten. Dieser Aufwand gehört mit dem neuen Rechenreinigungssystem der Vergangenheit an. Treibgut und Geschwemmsel werden von der pegelgeregelten Rechenreinigungsmaschine zuverlässig von der Rechenfläche entfernt und über eine Klappe ins Unterwasser abgegeben“, erklärt Christian Neff und ergänzt, dass die ebenfalls hydraulisch bewegte Klappe in erster Linie für den Fischabstieg konzipiert wurde: „Die Idee zur Konstruktion der Fischabstiegsklappe stammt vom Generalplaner Fernando Binder vom Ingenieurbüro fmb-ingenieure. Die Konstruktion der Klappe ähnelt einem Trichter, wodurch gegen Ende eine höhere Strömungsgeschwindigkeit erreicht werden kann, was in weiterer Folge den Fischabstieg begünstigt.“ Komplettiert wurde der Wild Metal-Lieferumfang durch die Wehrklappe, den Einlaufschütz, das Hydraulikaggregat und die entsprechenden Verrohrungen.
Kombinierter Fischaufstieg
Die neue Fischaufstiegshilfe besteht im unteren Bereich aus einem technischen Abschnitt und einem naturnahen Umgehungsgerinne zur Anbindung an das Oberwasser. Für das Gerinne im Oberlauf wurde ein vorhandener Entwässerungskanal, der zum Teil bereits verwuchert war, entsprechend adaptiert. Im unteren Bereich wurde der Fischaufstieg als klassischer Vertical-Slot-Pass realisiert. Aus Platzgründen schlängeln sich die insgesamt 21 Becken zunächst in Form einer dreireihigen Kaskade vor dem Maschinengebäude in die Höhe, im Anschluss erfolgt der Übergang zum naturnahen Abschnitt der Fischaufstiegshilfe. Die Becken des Vertical-Slot-Pass wurden für die Leitfischart Seeforelle entsprechend großzügig dimensioniert. Christian Neff merkt an, dass mit dem Sanierungsprojekt auch die Restwasserabgabe der Anlage deutlich erhöht wurde. „Der alte Fischaufstieg wurde mit rund 150 l/s dotiert, beim neuen System liegt die kontinuierliche Dotation bei 400 l/s. Hinzu kommen noch die 100 l/s, die konstant über die Fischabstiegsklappe abgegeben werden.“
Kanal bald zur Gänze fischdurchgängig
Der erste Nasstest des neuen Fischaufstiegs erfolgte Anfang Oktober des Vorjahres. Dabei wurde allerdings im Bereich des Umgehungsgerinnes ein Wasserverlust festgestellt, weswegen der Fischaufstieg zur Ortung der Leckage wieder außer Betrieb genommen wurde. „Die Abdichtungsmaßnahmen dauerten rund eine Woche. Obwohl der Fischaufstieg zunächst nur kurz in Betrieb war, wurden innerhalb des ersten Tages bereits mehr als 20 Fische innerhalb der neu geschaffenen Passage ins Oberwasser gezählt – ein sehr gutes Zeichen für die ordnungsgemäße Funktionalität bzw. der Attraktivität der Anlage für die aquatischen Lebewesen. Wenn alle drei neuen Fischwanderhilfen fertiggestellt sind, wird die SAK ein großangelegtes Monitoring für alle drei Standorte durchführen“, betont Christian Neff. Die Wiederinbetriebnahme des Kraftwerks Lienz erfolgte schließlich Ende November 2022. Beim Unterliegerkraftwerk Blatten starteten die Umbauarbeiten bereits im Oktober des Vorjahres, die Wiederinbetriebnahme ist für den kommenden Herbst geplant. 2024 wird die SAK beim Kraftwerk Montlingen eine moderne Fischauf- und -abstiegsanlage errichten, wodurch die Gewässerbewohner zukünftig den kompletten Rheintaler Binnenkanal in beide Richtungen barrierefrei durchschwimmen können.
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