1-jähriges Betriebsjubiläum für Kavernenkraftwerk Gletsch-Oberwald im Oberwallis8 min read
Lesedauer: 6 MinutenSchon seit Anfang 2018 produziert im Oberwallis das neu gebaute Kraftwerk Gletsch-Oberwald sauberen Strom, wodurch das bislang ungenutzte Energiepotential der oberen Rhone am Fuß des Furkapass nun effektiv verwertet wird.
Realisiert wurde das logistisch aufwändige Projekt mit einem Auftragsvolumen von rund 67 Millionen CHF von der Stromproduzentin FMV SA aus Sion. Von der Kavernenzentrale über den 2,2 km langen Druckstollen bis hin zu einem Entsander verbirgt sich ein Großteil der Anlage komplett unter Tage. Während der rund dreijährigen Umsetzungsphase, die neben weitreichenden Sprengmaßnahmen auch den Einsatz einer Tunnelbohrmaschine mit einem Durchmesser von 3,9 m beinhaltete, wurden rund 90.000 m³ Gestein aus dem Berg gebrochen. Hinsichtlich der Leistungsfähigkeit der fertigen Anlage hat sich der Bauaufwand definitiv gelohnt. Bei vollem Wasserdargebot schaffen zwei identische Pelton-Turbinen von ANDRITZ Hydro eine Engpassleistung von über 14 MW. Im Regeljahr deckt die hochmoderne Anlage den Strombedarf von rund 9.000 durchschnittlichen Haushalten im Oberwallis. Um die mit dem Kraftwerksbau einhergehenden ökologischen Auflagen zu erfüllen, wurde ein bestehendes Auengebiet großflächig aufgewertet.
Das beträchtliche Energiepotential der oberen Rhone auf dem Gebiet der Walliser Gemeinde Obergoms zwischen den Ortsteilen Gletsch und Oberwald war seit vielen Jahrzehnten bekannt. Raoul Albrecht, Mitglied der Geschäftsleitung und Produktionsleiter bei der FMV SA aus Sion weist in einem aktuellen Artikel der Schweizer Fachzeitschrift „Wasser Energie Luft“ darauf hin, dass schon in den 1970er Jahren verschiedene Ausbaukonzepte zur Nutzung der Wasserkraft im Projektgebiet im Oberwallis zur Diskussion gestanden waren. Dabei wurden etwa der Bau eines 100 Millionen m³ fassenden Saisonspeichers in Gletsch, aber auch unterschiedliche Pumpspeicherkonzepte ins Auge gefasst. Aufgrund der steigenden Sensibilisierung im Land hinsichtlich des Landschaft- und Umweltschutzes in den 1980er-Jahren und veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wurden die Pläne für die Realisierung eines Großwasserkraftprojekts allerdings auf Eis gelegt. Mit der Einführung der „Kostendeckenden Einspeisevergütung“ (KEV) als Förderinstrument für aus erneuerbaren Energieträgern erzeugten Strom im Jahr 2009 stellte sich die wirtschaftliche Situation für Schweizer Stromproduzenten schließlich gänzlich verändert dar. Der Energieversorger FMV SA hatte in weiser Voraussicht bereits 2007 eine Machbarkeitsstudie für ein Kraftwerksprojekt in der Region Gletsch-Oberwald erstellt, und reichte ein Jahr nach der KEV-Einführung das Konzessionsgesuch zum Bau eines Wasserkraftwerks in besagtem Gebiet ein.
Ökologisches Maßnahmenpaket geschnürt
Die Konzessionsgenehmigung für eine Dauer von 80 Jahren wurde der FMV vom Kanton Wallis 2013 erteilt. Möglich gemacht wurde die Genehmigung durch eine Einigung mit den Umweltverbänden, welche ursprünglich Einspruch gegen die Konzessionsverleihung erhoben hatten. In intensiven Verhandlungen erarbeiteten die beteiligten Parteien gemeinsam ein mehrere Punkte umfassendes Maßnahmenpaket, mit dem als zentralen Punkt eine umfangreiche ökologische Aufwertung des Auengebiets „Sand“ bei Oberwald sichergestellt werden sollte. Darüber hinaus wurden bei den Planungen der Hochwasserschutz für die Gemeinde sowie touristische Aspekte nicht außer Acht gelassen. Unter anderem sollten zusätzliche Seitengerinne der Rhone im Bereich des Auenwalds geöffnet, eine Fußgängerbrücke errichtet sowie Wanderwege geschaffen werden. Im Anschluss an die Konzessionsgenehmigung wurde noch Ende 2013 das Plangenehmigungsgesuch eingereicht und mit dem Ausschreibungsverfahren begonnen. Mit dem tatsächlichen Bau des Kraftwerks wurde im Frühjahr 2015 gestartet.
Logistische Herausforderungen
Bei der vor Ort Beschau der hochmodernen Kavernenzentrale von zek Hydro beschreibt Raoul Albrecht vor allem die organisatorisch-logistischen Aspekte als größte Herausforderung bei der baulichen Umsetzung: „Wie bei Großprojekten im alpinen Bereich üblich sahen wir uns mit zahlreichen logistischen Herausforderungen konfrontiert. Grundsätzlich hatte man ein Konzept erstellt, das einen ganzjährigen Baubetrieb möglich machte. Am Standort der Wasserfassung in Gletsch konnte allerdings nur während der Sommer- und Herbstmonate gearbeitet werden, da die Zufahrt über die Furka-Passstraße im Schnitt sieben Monate wegen Lawinengefahr gesperrt ist. Somit war die Erstellung des Stollens in Oberwald von hoher Relevanz, um einen ganzjährigen Zugang zur Baustelle an der Wasserfassung zu ermöglichen.“ Darüber hinaus mussten bei begrenzten Platzverhältnissen im Berginneren sowie bei den Zugängen an den Stollen entsprechende Flächen für den Material- und Gerätetransport geschaffen sowie ein geeigneter Standort für die Betonaufbereitung angelegt werden. In Sachen Koordinationsplanung galt es, einen mehrschichtigen Betrieb mit durchschnittlich rund 40 Personen zu organisieren. Die Detailplanungen der einzelnen Gewerke wurden von insgesamt vier externen Ingenieurbüros erstellt.
Tunnelbohrer fräst Triebwasserstollen
Für die Umsetzung der gesamten Bohr- Spreng- und Betonarbeiten konnte sich die im Tiefbau international vielfach bewährte Strabag AG qualifizieren. Der eigentliche Baustart erfolgte mit dem zeitgleichen Beginn der Sprengarbeiten für die beiden Zugangsstollen in Gletsch und Oberwald im April 2015. In Oberwald wurden die ersten 300 m des Zugangsstollens bis zur Kavernenzentrale komplett mittels Sprengungen hergestellt. Dieser Zugangsstollen in Oberwald diente gleichzeitig zum Einbringen und für die Montage der insgesamt 120 m langen Tunnelbohrmaschine, mit welcher der Triebwasserstollen erstellt wurde. Der Bohrkopf der Maschine mit einem Durchmesser von 3,9 m konnte sich ab Oktober durch das harte Gestein des Grimsel-Massivs fräsen. Der Ausbruch der Kavernenzentrale sowie die Erstellung des Rückgabestollens für das abgearbeitete Triebwasser in die Rhone starteten ebenfalls noch im Herbst 2015. Etwa die Hälfte der 90.000 m³ Ausbruch, die durch Sprengungen und Bohrarbeiten aus dem Berg entnommen wurden, konnten als wiederaufbereitetes Beton- und Schottermaterial direkt wiederverwertet werden. Dank günstiger geologischer Gegebenheiten und der optimalen Kooperation aller beteiligten Unternehmen schaffte man den Durchbruch nach Gletsch planmäßig innerhalb eines halben Jahres bis zum April 2016. Mit der Herstellung des Stollens war nun auch ein ganzjähriger Zugang zum Standort der Wasserfassung in Gletsch während der Bauzeit möglich.
GFK-Material beschleunigt Verlegung
Vor dem Übergang in die Kavernenzentrale wurde der finale Abschnitt der Druckleitung auf einer Länge von rund 60 m in massiver Stahlausführung erstellt. Daran schließt im unteren Drittel des Stollens ein etwa 700 m langer Abschnitt aus GFK-Rohren. Bei der Montage der bereits werksseitig mit Beton ausgekleideten Rohrelemente konnte die bestehende Schieneninfrastruktur, die der Vortrieb der Tunnelbohrmaschine hinterlassen hatte, genutzt werden. Nach dem Verlegen der jeweils 6 m langen und 15 t schweren Rohrelemente wurden diese innerhalb des Druckstollens komplett mit Beton hinterfüllt. Diese Variante brachte laut Albrecht einen erheblichen Zeitvorteil im Gegensatz zur Ausführung mit Stahlpanzerungen mit sich. Die hervorragende Beschaffenheit des Felsmaterials erlaubte es, den weiterführenden, rund 1,3 km langen Abschnitt des Druckstollens bis zum Entsander an der Wasserfassung mit reiner Betonauskleidung ohne zusätzliche Verstärkungen zu erstellen. In Summe hat der kontinuierlich mit 13 Prozent ansteigende Triebwasserstollen, dessen Verlauf auf dem letztem Drittel einen fast vollständigen 90 Grad Bogen beschreibt, eine Gesamtlänge von 2.150 m.
Wasserfassung und Entsander
Die Errichtung des Fassungsbauwerks in Form eines Tiroler Wehrs und der Innenausbau der Entsanderkaverne konnten in den Sommer- und Herbstmonaten 2015 bis 2017 durchgeführt werden. Eine temporäre Umleitung der Rhone mit einer Durchflusskapazität von über 20 m³/s sorgte während der Bauphase für einen trockenen Arbeitsbereich und Schutz bei erhöhter Wasserführung. Albrecht weist darauf hin, dass der Innenausbau der komplett aus dem Fels gesprengten Entsanderkaverne ebenfalls erhöhte Anforderungen mit sich brachte. Auf engstem Raum wurden in kürzester Zeit 10 m hohe und bis zu 60 cm starke Betonwände in die Höhe gezogen, während parallel die Montage der Stahlwasserbauelemente erfolgte. In seinem fertigen Zustand besteht der Entsander im Prinzip aus zwei voluminösen Becken mit einer Länge von jeweils 45 m, in denen sich der vom Gletscher abgetragene Feinschliff und die mitgeführten Sedimente der Rhone langsam absetzen können. Dank der guten Koordination der ausführenden Unternehmen konnten die Arbeiten an der Wasserfassung und der direkt anschließenden Entsanderkaverne plangemäß im Herbst 2017 abgeschlossen werden.
Modernste Technik in der Kaverne
Bereits im Frühjahr 2017 startete mit dem Einbau der beiden Turbinengehäuse die Montage der technischen Ausstattung in der Kaverne in Oberwald. Geliefert wurde die elektromaschinelle und leittechnische Anlagenausstattung in Form eines Komplettpakets vom weltweit aktiven Wasserkraft-Allrounder ANDRITZ Hydro. Nach dem Abschluss der elektrotechnischen Installationsarbeiten konnte die Anlage noch im November 2017 den Probebetrieb aufnehmen. Um bei vollem Durchfluss als auch bei variablem Wasserdargebot stets ein Maximum aus dem Energiepotential der Rhone zu generieren, wurden zwei hocheffiziente 6-düsige Pelton-Turbinen verbaut. Den jeweils vertikalachsig montierten Turbinen stehen eine Ausbauwassermenge von insgesamt 5,7 m³/s sowie eine Bruttofallhöhe von 288 m zur Verfügung. Bei vollem Wasserdargebot kann jede der mit hydraulischer Düsensteuerung ausgestatteten Maschinen eine Engpassleistung von 7.500 kW erreichen. Die aus Edelstahl-Monoblöcken gefrästen Laufräder haben jeweils einen Durchmesser von 1.150 mm und drehen mit 600 U/min. Mit der exakt selben Drehzahl werden die direkt in vertikaler Richtung gekoppelten Synchron-Generatoren angetrieben. Eine Wasserkühlung im Mantel der Generatoren sorgt beim wärmeintensiven Betrieb unter Volllast für optimale Betriebsbedingungen. Beim Einbau der jeweils 35 t schweren Generatoren mit einer Nennscheinleistung von 8.100 kVA erwies sich der vorgängig montierte Hallenkran als sehr hilfreich. Von den Generatoren wird der erzeugte Strom zuerst zur Mittelspannungsschaltanlage geleitet und im Anschluss noch in der Kaverne von zwei Transformatoren auf 16 kV hochtransformiert. Mit dieser Spannung gelangt der Strom aus der Kaverne in Erdkabeln zum Unterwerk „Pfarrhaus“ und wird schließlich im nahegelegenen Unterwerk Ulrichen (65 kV) in die nächste höhere Netzebene eingespeist. Die vollautomatische Regelung der Stromproduktion übernimmt die ebenfalls von ANDRITZ Hydro ausgeführte Leittechnik. Bedient wird die Steuerung über großflächige Touch-Panels an den Steuerungsschränken.
FMV setzt auf Wasserkraftpotential
Den Regelbetrieb hat das Kraftwerk Gletsch-Oberwald bereits vor über einem Jahr im Jänner 2018 aufgenommen. Ende August 2018 wurde das Kraftwerk im Rahmen einer feierlichen Einweihung schließlich offiziell in Betrieb genommen. „Der angespannten Lage auf den Energiemärkten zum Trotz hat FMV 2015 beschlossen, in Eigenregie und als alleiniger Bauherr das neue Wasserkraftwerk Gletsch-Oberwald zu errichten. Dies getreu der kantonalen und firmeneigenen Strategie, das Wasserkraftpotential der Walliser Gemeinwesen effizient zu verwerten“, äußerte sich dabei FMV-Generaldirektor Paul Michellod in einer offiziellen Pressemeldung. Projektleiter Albrecht zeigt sich nach dem ersten Betriebsjahr sehr zufrieden mit der Energieproduktion des neusten Wasserkraftwerks der FMV und stellt den an der Umsetzung beteiligten Unternehmen ein positives Zeugnis aus. Mit einem jährlichen Regelarbeitsvermögen von 41 GWh kann das Kraftwerk den Jahresstrombedarf von 9.000 durchschnittlichen Haushalten abdecken.
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