Aargauer Kleinwasserkraftwerk schlägt nach Sanierung neues Kapitel auf9 min read
Lesedauer: 7 MinutenIm Dezember ´22 war es schließlich soweit: Nach einer rund sechsmonatigen Umbau- und Sanierungsphase konnte das Kraftwerk Sigismühle in der Aargauer Gemeinde Seon wieder seinen Betrieb aufnehmen. Im Fokus des Projekts standen primär die gewässerökologischen Sanierungsmaßnahmen, die dem Betreiber auf Basis des revidierten Gewässerschutzgesetzes von 2011 vorgeschrieben waren. Heute verfügt die Anlage nicht nur über Fischauf- und Fischabstieg, sondern präsentiert sich generell als ein modernes, fischfreundliches Kleinkraftwerk.
Die Wasserkraftnutzung am Aabach hat Tradition. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts sollen es 26 Gewerke gewesen sein, die sich die Kraft des Baches zunutze gemacht hatten. Heute sind es derer nur mehr sieben. Eines davon ist das Kraftwerk Sigismühle, das ursprünglich mit seinen beiden Wasserrädern der Papierherstellung diente. Später wurden in der Anlage, die 1913 mittels einer Francis-Doppel-Spiralturbine für die Stromproduktion adaptiert wurde, Textilabfälle verarbeitet. Der letzte große Umbau der Anlage erfolgte Mitte der 1990er Jahre, als eine neue Kegelrad-Rohrturbine installiert worden war. Das Ausleitungskraftwerk erhielt damit eine Konzession für 80 Jahre, in der die Bruttofallhöhe von 9,54 m sowie eine Restwasserabgabe von 440 l/s festgeschrieben wurde. Beim Aabach handelt es sich um einen 27 Kilometer langen Zubringer der Aare, der dem Baldeggersee entspringt und in seinem weiteren Verlauf in einen weiteren See einmündet. Dank der beiden Seen weist das Gewässer eine relativ konstante Wasserführung auf, wodurch sich der Aabach seit jeher sehr gut für die Wasserkraftnutzung eignete.
Fische landeten in Sackgasse
Auch wenn die Maschinentechnik durchaus noch zeitgemäß war, die ökologische Situation des Kraftwerks war es nicht. Der fehlende Fischabstieg bei der Wasserfassung und die Fischgängigkeit im Ober- und Unterwasserkanal waren nicht mehr gesetzeskonform. Sie entsprachen also nicht mehr dem 2011 revidierten Gewässerschutzgesetz, das die Verringerung der negativen Auswirkungen der Wasserkraftnutzung vorsieht. Dem Kanton oblag es, entsprechende Sanierungsmaßnahmen zu verfügen. 2017 trat der Kanton Aargau schließlich an den Betreiber der Anlage, Benno Döbeli, mit der Auflage heran, das Kraftwerk dem Gesetz entsprechend zu adaptieren. „Neben dem fehlenden Fischabstieg und den Mängeln hinsichtlich Fischgängigkeit im Ober- und Unterwasserkanal, gab es noch ein weiteres Handicap für die Fische: Diese konnten in beide Kanäle einschwimmen, waren damit aber in einer Sackgasse gelandet. Außerdem war die Anströmgeschwindigkeit im Oberwasser zu hoch und der Rechenabstand von <20 mm zu groß gewählt, um alle Fische vor dem Zutritt in den Turbinenzulauf zu bewahren. All diese Punkte galt es zu beheben“, erläutert der zuständige Planer Dipl.-Ing. Leif Karcheter, Geschäftsführer des Ingenieursbüros Hydro-Solar Water Engineering AG (kurz: Hydro-Solar), die Ausgangssituation. Das erfahrene Planungsbüro erarbeitete in der Folge gemäß den Vorgaben des Bundesamts für Umwelt BAFU drei Variantenstudien für das Umbauprojekt. Daraus ging sehr schnell hervor, dass die optimale Variante darin besteht, den Zugang der Fische zu den Kanälen zu verhindern. Alternativ hätte man ein Umgehungsgerinne um die Zentrale errichten müssen, was aufgrund der hohen Bebauungsdichte in der Umgebung schwierig gewesen wäre.
Eine Klappe für den Abstieg
Als wesentliche Bestandteile prägten vor dem Umbau ein luftgefülltes Schlauchwehr und der linksufrig angelegte Einlauf in den Oberwasserkanal die bestehende Wasserfassung. Auf der orografisch rechten Seite war bereits 1994 ein Fischaufstieg in naturnaher Ausführung mit 8 Becken ausgeführt worden. Darin können die Fische den Höhenunterschied von 1,35 m zwischen dem Staubereich und der Restwasserstrecke überwinden. Dieser Fischaufstieg erfüllte nicht nur seine Funktion, sondern auch die Anforderungen des neuen Gewässerschutzgesetzes. Somit musste hier nichts umgebaut werden. Leif Karcheter: „Der bestehende Fischbach galt gemäß den gesetzlichen Richtlinien demnach als Fischaufstieg, nicht aber als Fischabstieg. Ein solcher wurde nun zwischen dem Einlauf des Oberwasserkanals und dem Schlauchwehr konzipiert.“ Zu diesem Zweck wurde vom beauftragten Stahlwasserbauunternehmen, der Firma Wild Metal aus Südtirol, eine kleine Stauklappe aus Stahl eingebaut, die in ihrer Krone eine Aussparung aufweist. Darin wird ein Wasserstrahl für die Fische gebildet, um sie damit sicher Richtung Unterwasser zu befördern. Die Stauklappe dient darüber hinaus auch dem Einhalten des Stauziels und optimiert zugleich die Abfuhr von Geschwemmsel und Geschiebe aus dem Staubereich in die Restwasserstrecke. Mit der Installation der neuen Klappe ging auch der Einbau eines Trennpfeilers einher, was eine Verkürzung des Schlauchwehrs zur Folge hatte. Obwohl die Membran des knapp 30-jährigen Schlauchwehrs noch wiederverwendet werden hätte können, entschied sich der Betreiber für eine Erneuerung und zugleich für die Beibehaltung des Systems, das seinen Angaben zufolge bislang so gut funktioniert hatte. Schlauchwehre werden von Hydro-Solar seit Jahrzehnten selbst konzipiert, gebaut, montiert und in Betrieb gesetzt.
Moderne Stahlwasserbautechnik im Einsatz
Um das Eindringen der Fische in die Sack- gasse Oberwasserkanal zu verhindern, wurde nun ein Horizontalrechen mit einem lichten Stababstand von lediglich 15 mm eingebaut. Hinter dem Rechen ist ein Tafelschütz, das der Zuflussregulierung dient, situiert. Sowohl Rechen als auch Tafelschütz wurden vom ebenfalls vom Südtiroler Branchenspezialisten Wild Metal geliefert. Dank dieser Maßnahmen verirrt sich heute kein Fisch mehr in den rund 400 m langen Oberwasserkanal. Durch die geringere Spaltbreite am Rechen wurde auch die auftretende Geschiebemenge geringer. Eine höchst sinnvolle Verbesserung, da zuvor eingedrungenes Geschiebe direkt vor dem Turbineneinlauf entfernt werden musste. Nun wird das Geschiebe, das sich vor dem Rechen ansammelt über eine Spülrinne und weiter über die Öffnung in der Stauklappe in die Restwasserstrecke weitergeleitet. Der gesamte Stahlwasserbau an der Wasserfassung wurde von der Firma Wild Metal geliefert, die zudem auch für den modernen Horizontal-Rechenreiniger verantwortlich zeichnete. Wild Metal-Rechenreiniger bewähren sich im täglichen Einsatz durch ihre wartungsarme, langlebige und gleichzeitig funktionelle Konstruktion. Auf die Zugänglichkeit zu Ersatz- bzw. Verschleißteilen oder Bauteilen mit Wartungserforderlichkeit wird schon bei der Konzeption großer Wert gelegt. Schlauchwehr, Stauklappe und Einlaufschütz bilden eine funktionale Einheit und können somit automatisch oder manuell gesteuert werden. Um diese Einheit nun betreiben zu können, musste ein leistungsfähigeres Stromkabel von der Zentrale zur Fassung verlegt werden.
Erfolg mit nichtmechanischer Lösung
Während im Oberwasser nun ein neuer Horizontalrechen die Fische vor dem Einschwimmen in den Oberwasserkanal abhält, wurde für den selben Zweck im Unterwasserkanal eine nichtmechanische Lösung realisiert: „Zum einen werden die Fische vor dem Eingang in den Unterwasserkanal durch geschickte Strömungsführung ins Bachbett geleitet. Und zum anderen ist der Unterwasserkanal so konstruiert, dass bei geringem Durchfluss der Wasserpegel zu niedrig oder – umgekehrt – bei hohem Durchfluss die Wassergeschwindigkeit zu hoch für ein Hinaufschwimmen gegen die Strömung ist“, erläutert Leif Karcheter das Funktionsprinzip. Es basiert im Wesentlichen darauf, dass die letzten 60 m des Unterwasserkanals als 3 m breites offenes Rechteckgerinne ausgeführt ist, das eine glatte Oberfläche und ein durchgehendes Gefälle von >1% aufweist. Und das funktioniert sehr effektiv. Bislang habe er seit dem Umbau kaum mehr Fische im Unterwasserkanal entdeckt, sagt Betreiber Benno Döbeli erfreut. Und auch von Seiten der zuständigen Behörden zeigt man sich mit der umgesetzten Lösung zufrieden.
Neue Optionen mit neuer Steuerung
Zwar lag der Fokus des Sanierungsprojektes im Wesentlichen auf den ökologischen Anpassungen der Anlage, doch der Betreiber nutzte den Stillstand seiner Anlage auch für andere, notwendig gewordene Retrofitmaßnahmen. Neben der baulichen Sanierung des Oberwasserkanals und einer Brücke, wurden auch Turbine und Generator einer Revision unterzogen und die komplette Steuerung erneuert. Letztere wurde vom branchenbekannten Fachbetrieb Kobel Elektrotechnik AG aus Affoltern realisiert, der die konventionelle Turbinensteuerung aus 1994 durch eine neue, moderne ersetzte. Konkret handelt es sich um eine SPS-basierte Steuerung aus der 1500er Reihe von Siemens. Erneuert wurde aber auch die Steuerung an der Wasserfassung. Im Gegensatz zu früher hat der Betreiber heute die Möglichkeit, auf Kameras zuzugreifen und mit der Anlage aus der Ferne zu interagieren. Als durchaus bedeutsam zeigte sich in diesem Rahmen auch die Sanierung der knapp 30 Jahre alten Turbine, die von der Firma Kochendörfer ausgeführt wurde. Speziell die Turbinenschaufeln waren über die Jahrzehnte in Mitleidenschaft gezogen worden. Heute ist die doppeltregulierte Kaplan-Turbine technisch wieder auf dem neuesten Stand.
Rundum positive Bilanz
In Summe belief sich die gewässerökologische Sanierung auf rund 1,3 Mio. CHF. Dabei wurden sämtliche Aufwände, die auf die Sanierung der Fischgängigkeit entfielen, vom BAFU übernommen. Außerdem kam das Bundesamt für Umwelt auch für den Ertragsausfall auf, der aus der Unterbrechung der Stromproduktion resultierte. Ausgenommen davon waren allerdings jene Zeiten, die für die Maschinenrevision angerechnet wurden. In der Retrospektive kann Betreiber Benno Döbelin heute eine positive Bilanz über das Sanierungsprojekt ziehen. Nicht nur die Zusammenarbeit mit Planer und den beauftragten Branchenunternehmen sei angenehm und sehr professionell gewesen, auch die Kooperation mit Kanton und BAFU wird von ihm positiv hervorgehoben. Zudem sei die gesamte Umsetzung ohne größere Zwischenfälle verlaufen. Das Kraftwerk Sigismühle ist das zweite von insgesamt sieben Kleinkraftwerken am Aabach, das bislang gewässerökologisch saniert wurde.
Autor: Samuel Vögtli / Swiss Small Hydro & Hydro-Solar Water Engineering AG et al.
Erschienen in zek HYDRO Ausgabe 3/2024
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