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Algund gewinnt Ökostrom aus dem Trinkwassernetz8 min read

25. Jänner 2021, Lesedauer: 6 min

Algund gewinnt Ökostrom aus dem Trinkwassernetz8 min read

Lesedauer: 6 Minuten

Es war ein Kraftakt für die kleine Südtiroler Gemeinde Algund, ihre beiden neuen Trinkwasserkraftwerke Sticklwies und Birbamegg zu realisieren. Kaum Zufahrtsmöglichkeiten, steilstes, unwegsames Gelände und…

… keine großen zu erwartenden Gewinne. Letztlich wurde die Gemeinde für ihren Mut und ihr Engagement belohnt. 2019 konnten beide Anlagen den Betrieb aufnehmen und laufen seitdem einwandfrei. Mit den beiden Pelton-Trinkwasserturbinen aus dem Hause Tschurtschenthaler erzeugen sie gemeinsam im Jahr rund 200.000 kWh sauberen Strom, der ins regionale Verteilernetz eingespeist wird.

Die 5.000-Seelen-Gemeinde Algund wird mitunter auch liebevoll das „Gartendorf“ genannt. Kein Wunder, bei mediterranem Klima gedeihen hier neben Apfelbäumen und Weinreben unter anderem auch Palmen und Olivenbäume. Die artenreiche Vegetation reicht vom Tal auf 330 m Seehöhe bis hoch hinauf in den Naturpark der Texelgruppe. Vor allem bei Naturliebhabern ist der Nachbarort der Kurstadt Meran äußerst beliebt, speziell der Algunder Waalweg gilt nach wie vor als absoluter Tipp unter Wanderern. Algund besteht aus sieben Fraktionen, die heute durch ein weitläufiges Versorgungsnetz mit qualitativ hochwertigem Trinkwasser aus dem Gebirge, sowie einem Tiefbrunnen versorgt werden. Die zuverlässige Verteilung wird einerseits durch die Gemeinde Algund und andererseits durch verschiedene Trinkwasser-Interessensgemeinschaften sichergestellt. Der Ortsteil Dorf, der etwa einen Kilometer vom heutigen Gemeindezentrum entfernt liegt, bezieht sein Trinkwasser aus den Sticklwiesquellen, den Birbameggerquellen sowie dem Locherstollen. Erstgenannte dienen neuerdings nicht mehr ausschließlich der Bereitstellung von Trinkwasser, seit letztem Jahr wird ihre Energie für die Erzeugung von Ökostrom genutzt.

Alte Leitung mit Leckagen
Dem Einzugsbereich des Grabbachs am Vellauer Berg unterhalb von Rötelspitze und Mutspitze entspringend, treten die Sticklwiesquellen auf 1.260 m Seehöhe zu Tage, wo sie schon früh für die Trinkwasserversorgung gefasst wurden. Rund 500 m tiefer sind die beiden Birbameggerquellen – obere und untere – situiert. Ihrem natürlichen Verlauf nach vereinigen sie sich auf rund 750 m Seehöhe mit dem Wasser aus der Sticklwiesquelle. „Das war letztlich auch der Grund, warum wir keine einstufige Kraftwerkslösung angestrebt haben. Hätten wir eine Stufe über eine Fallhöhe von circa 770 m realisiert, hätten wir das Wasser aus den Birbameggerquellen nicht nutzen können. Auf diese Weise ließ sich das Projekt wirtschaftlicher gestalten“, erklärt der verantwortliche Planungsingenieur Dr.-Ing. Walter Gostner von der Ingenieure Patscheider & Partner GmbH. Was die generelle Entscheidung zugunsten des Projektes erleichterte, war die Tatsache, dass ein Teil der alten Freispiegelleitung von den Sticklwiesquellen zuletzt immer wieder Defekte aufwies und eine Sanierung unumgänglich wurde. Um die Energie der Quellen hydroelektrisch zu nutzen, mussten die Leitungen nun allerdings druckfest gemacht werden. Es brauchte stabile Druckrohrleitungen.

Mut als erste Voraussetzung
„Wir haben uns dann für Rohre aus duktilem Guss von der Firma Tiroler Rohre in der Dimension DN100 entschieden. Um aufwändige Fixpunkte zu sparen, haben wir diese in schub- und zuggesicherter Variante gewählt“, so Walter Gostner. Er blickt auf ein Projekt zurück, das vor allem baulich so einige Tücken bereithalten sollte. Vor allem die Steilheit des Geländes unterhalb der Sticklwiesquellen sollte zu einem Prüfstein für alle Beteiligten werden. „In diesem Bereich liegen Hangneigungen von bis zu 60 Prozent vor. Keine Zufahrten zu den Hochbehältern, extrem unzugängliches Gelände – wir bekamen im Ort schon die Frage zu hören, ob wir denn spinnen“, erinnert sich Walter Gostner und spricht dem Bürgermeister von Algund, Ulrich Gamper, seine Anerkennung aus: „Da gehörte auch eine Portion Mut dazu, dieses Projekt umzusetzen. Schließlich waren ja auch keine allzu großen Gewinne zu erwarten.“ Was es für eine erfolgreiche Umsetzung allerdings unbedingt brauchte: einen Spezialisten für Bauarbeiten im steilen Gelände. Fündig wurde man bei der Fa. Gebr. Oberprantacher aus St. Leonhard im Passeiertal, die in der Folge ihrem guten Ruf gerecht wurde. Das Südtiroler Familienunternehmen rückte mit einer eigenen Materialseilbahn an, die ebenso wertvolle Dienste leistete wie der Spinnenbagger, der von Karl Oberprantacher, einem der beiden Firmenchefs, mit großer Routine im Steilgelände manövriert wurde. Hinsichtlich des Trassenverlaufs ließ man der Spezialbaufirma Spielraum. Gostner: „Wir haben schon in der Ausschreibung festgelegt, dass sich die Baufirma nicht zu 100 Prozent an die vorgegebene Trasse halten muss, sondern aufgrund der extremen Topographie auch ein wenig davon abweichen darf. Bedingung für dieses Zugeständnis war allerdings, dass die Leitung nicht länger wird und es zu keinen Mehrkosten kommt. Dies hat die Fa. Oberprantacher dann auch auf Punkt und Komma eingehalten.“

Umplanungen wurden erforderlich
2013 hatte der Planer von Ingenieure Patscheider & Partner GmbH bereits mit den ersten Planungsarbeiten begonnen. Doch kurz darauf trat eine Novelle zum Landesgesetz für die Genehmigung von kleinen und mittleren Ableitungen in Kraft, wodurch noch einmal Umplanungen erforderlich wurden. 2016 wurde das Projekt schließlich erneut eingereicht – diesmal mit Erfolg: Im Herbst 2018 standen die Ampeln auf Grün, das Bauvorhaben konnte starten.
Die bauliche Umsetzung erfolgte von oben nach unten. Im Herbst 2018 wurde die Stufe Sticklwies realisiert, die allerdings nicht gleich ans Netz gehen konnte. Das Krafthaus oberhalb der Birbameggerquellen, schwer zugänglich im Wald situiert, musste erst ans Netz angeschlossen werden. Zu diesem Zweck errichtete der Netzbetreiber Edyna eine eigene Leitung, die großteils als Freileitung ausgeführt wurde. Aus diesem Grund ging die Oberlieger-Anlage schließlich später in Betrieb als das Unterlieger-Kraftwerk Birbamegg, wo sich der Einspeisepunkt in unmittelbarer Nähe befindet. Mit der Inbetriebnahme des TWKW Sticklwies im Sommer 2019 und der Umsetzung der allfälligen Restarbeiten konnte das Projekt abgeschlossen werden.

Steuerungstechnik vor Herausforderungen
Die Exponiertheit des Geländes brachte nicht nur in planerischer und baulicher Hinsicht große Herausforderungen mit sich. Auch regeltechnisch waren hier keine Lösungen „von der Stange“ möglich. Somit war das mit der Umsetzung der Regel-, Steuerungs- und Automatisierungstechnik betraute Unternehmen, Electro Clara aus dem Südtiroler Enneberg, durchaus gefordert. Primär galt es, eine Kommunikation zwischen den beiden Anlagen herzustellen, um die Wasserführung bestmöglich regeln zu können. „An der Fassung der Sticklwiesquellen gibt es weder eine Stromverbindung noch ein Steuerkabel. Auch besteht keine Sichtverbindung zur Unterstufe. Eine Verlegung von Steuer- und Stromkabel hätte sich nicht rentiert. Daher haben wir uns entschlossen, die Oberstufe über eine Druckregelung zu steuern. Diese bot sich hier an, weil der Verlauf der Leitung bereits ab Leitungsbeginn sehr steil ist und weil die Rohrleitung so ausgelegt wurde, dass auch bei Nenndurchfluss kaum nennenswerte Reibungsverluste entstehen. Diese Faktoren ermöglichen, dass die Druckregelung ausreichend arbeitet“, erklärt dazu Janpaul Clara, der auf eine große Erfahrung im Kleinwasserkraftsektor verweisen kann.

Von der Druck- zur Wasserstandsregelung
50 Meter vom Auslauf der Oberlieger-Anlage entfernt befindet sich die Fassung der Birbameggerquellen. Hier wurde von den E-Technik-Spezialisten von Electro Clara eine Wasserstandsonde installiert. Über eine Mobilfunkverbindung wird somit eine Kommunikation zwischen der Steuerung der Oberlieger- mit der Unterlieger-Anlage erreicht, wobei die Signalübertragung in Echtzeit erfolgt. „Dies war die einzig praktikable Möglichkeit für eine Kommunikation, schließlich gibt es ja kein Steuerkabel und auch keine Sichtverbindung zwischen den beiden Punkten. Für die Stufe Birbamegg hat sich die Wasserstandsregelung durchaus angeboten, nicht zuletzt da dank des KW Stickl- wies dort Strom vorhanden ist und damit die Wasserstandsonde für Birbamegg versorgt werden kann“, erläutert Janpaul Clara. Er verweist darauf, dass sowohl der Kunde als auch Electro Clara selbst über eine umfassende Fernzugriffsmöglichkeit verfügen. Das komplette System wird über eine zentrale SPS gesteuert – hardwaretechnisch setzt Electro Clara dabei auf Beckhoff SPS – und ist in ein firmeninternes Leitsystem von Electro Clara integriert, damit die Steuerungsexperten schnell eingreifen können, sollte es zu einer Störungsmeldung oder einer Fehlfunktion kommen. „Das zeichnet unser Service absolut aus: Wir können auf diese Weise bei einer kleinen Störung oft schneller eingreifen und sie beheben, ehe sie der Kunde überhaupt registriert. Über die Fernwartung können wir viel umprogrammieren und das System nach Bedarf anpassen“, erklärt Janpaul Clara.

500 m Fallhöhe für Oberlieger-Anlage
Das Herzstück der Trinkwasserkraftwerke bilden natürlich die voll trinkwassertauglich ausgeführten horizontalachsigen Peltonturbinen – designt, geliefert, montiert und in Betrieb genommen vom Südtiroler Wasserkraftspezialisten Tschurtschenthaler. Das Unternehmen aus den Dolomiten hatte sich im Rahmen der Ausschreibung durchgesetzt, nicht zuletzt die ellenlange Referenzliste sprach für die Sextener Wasserkraftspezialisten. Konkret waren schnelllaufende Maschinen gefragt, die perfekt auf große Fallhöhen und relativ geringe Durchflussmengen angepasst sind. Knapp 500 m Fallhöhe überwindet das Triebwasser aus den Sticklwiesquellen bis hinunter zur Turbine in der Oberlieger-Anlage. Bei einer Nenndrehzahl von 1.520 Upm und einer Ausbauwassermenge von 4 l/s erreicht die Tschurtschenthaler-Peltonturbine 19,5 kW Ausbauleistung. Sie treibt einen Küenle-Asynchrongenerator mit 19,5 kW Nennleistung an. Zusammen liefert das Maschinen-Ensemble im Regeljahr rund 120.000 kWh sauberen Strom.

Südtiroler Partner mit Handschlagqualität
Bei der Turbine der Unterlieger-Anlage handelt es sich ebenfalls um eine 1-düsige Peltonturbine. Allerdings ist diese auf die doch deutlich geringere Fallhöhe von 276 m und einen leicht erhöhten Durchfluss – aufgrund der Birbameggquellen – von 4,3 l/s ausgelegt und erreicht eine Ausbauleistung von 11,6 kW. Sie treibt mit 1.525 Upm ebenfalls einen Küenle-Asynchrongenerator mit einer Leistung von 12,5 kW an. Im Durchschnitt erzeugt dieses Maschinengespann rund 80.000 kWh Strom im Jahr. Was die beiden Turbinen aus dem Hause Tschurtschenthaler auszeichnet, ist zum einen ihre starke Leistungsperformance: Das heißt, dass die Turbinen dank eines modernen Laufraddesigns Top-Wirkungsgrade garantieren. Zum anderen ist die Betriebssicherheit der Turbinen aus Sexten beinah sprichwörtlich. Sie gewährleisten, dass der Produktionsbetrieb über Jahre und Jahrzehnte hinweg sicher und komplikationsfrei läuft. „Wir haben mit den Turbinen der Firma Tschurtschenthaler in der Vergangenheit bei vielen Projekten beste Erfahrungen gemacht. Hinzu kommt, dass es sich um ein äußerst zuverlässiges Unternehmen handelt, wo Handschlag noch immer etwas gilt und wo man gemeinsam immer nach einer Lösung sucht, wenn einmal etwas Unerwartetes eintritt“, ist Planer Walter Gostner voll des Lobes. Er verweist darauf, dass beide Maschinen seit der Inbetriebnahme kontinuierlich Strom ans Netz lieferten. In Summe sind das im Regeljahr rund 200.000 kWh. Eine Strommenge, die zur Gänze ins Netz gespeist und gemäß des italienischen Ökostromförderungsregimes vergütet wird. Die Gemeinde Algund nutzt mit den neuen Trinkwasserkraftwerken gleich mehrere Synergieeffekte, da einerseits die Infrastruktur der Trinkwasserversorgung querfinanziert wird und andererseits diese Querfinanzierungen dafür sorgen, dass die Trinkwassertarife für die Bevölkerung niedrig gehalten werden können. Außerdem kann auf diese Weise die Infrastruktur am Letztstand der Technik gehalten werden – ein klassisches Win-Win-Modell.

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