Am Ende eines langen Weges: GKI wird feierlich eröffnet19 min read
Lesedauer: 12 MinutenEin Mammutprojekt in Sachen erneuerbare Energie ist geschafft. Mit dem Bau des Gemeinschaftskraftwerks Inn – kurz GKI – gelang der TIWAG gemeinsam mit den Engadiner Kraftwerken ein echter Meilenstein am Weg zur Energieautonomie von Tirol und Graubünden. Nach acht Jahren Bauzeit wurde die grenzüberschreitende Kraftwerksanlage am Oberen Inn nun am 4. November im Tiroler Prutz feierlich eröffnet. Das GKI, das eine installierte Leistung von 89 MW aufweist, wird in Zukunft Strom für rund 90.000 Haushalte liefern.
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Bei nachmittäglichem Sonnenschein an einem Regentag hatte sich jede Menge Prominenz aus Politik und Wirtschaft vor dem Krafthaus des GKI in Prutz versammelt, um das neue Laufkraftwerk gebührend zu feiern. Angesichts einer Bauzeit von acht Jahren und einer gesamten Investitionssumme von 620 Millionen Euro zählt das Gemeinschaftskraftwerk Inn zu den größten und bedeutendsten Infrastruktur- und Energieprojekten Tirols sowie des Kantons Graubünden. Ein Projekt, das auch geprägt war von gravierenden baulichen Herausforderungen – wie etwa durch schwierige meteorologische, aber auch geologische Herausforderungen und Restriktionen während der Corona-Pandemie. Entsprechend groß waren die Erleichterung und die Freude, die den Verantwortlichen in ihren Festansprachen anzumerken waren. „Heute ist ein großer Tag für die Wasserkraft. Das Gemeinschaftskraftwerk kommt in Zeiten drohender Strommangellagen genau zur richtigen Zeit. Das Projekt zeigt auf: Erneuerbare Stromproduktion aus Wasserkraft ist einer der zentralen Pfeiler der Energiesicherheit der Alpenländer“, sagte der Bündner Regierungsrat und Energiedirektor Mario Cavigelli in seiner Ansprache. Und GKI-Geschäftsführer und TIWAG-Vorstandsdirektor Johann Herdina betonte: „TIWAG und EKW haben dieses Großprojekt in vorbildlicher Zusammenarbeit realisiert, und wir sind in jeder Hinsicht stolz auf die erfolgreiche Umsetzung. In den kommenden Jahrzehnten werden wir ernten, was bereits 2003 – mit Beginn der konkreten Planungen des GKI – gesät wurde.“
Intensive Projektierungsphase
Die ersten Pläne für die Nutzung der Wasserkraft am Oberen Inn reichen zurück in die 20er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts, wie Johann Herdina im Gespräch erklärt. Das neue Projekt wurde im Rahmen der Neuauflage im Jahr 2003 an den neuesten Stand der Technik angepasst und ökologisch optimiert. Dem offiziellen Baustart im November 2014 ging eine intensive und sehr aufwändige Projektierungsphase voraus, die den Weg für eine zügige Realisierung des Projekts ebnen sollte. Seit 2003 arbeiteten die Projektbetreiber gemeinsam an der Planung und Umsetzung des Kraftwerks am Oberen Inn. Von April 2007 an durchlief das Projekt eine lange und hoch komplexe Prüf- und Genehmigungsphase mit zwei Umweltverträglichkeitsprüfungen, die schließlich 2013 in die rechtskräftigen Behördenbewilligungen diesseits und jenseits der Grenze mündete. Nach den erfolgten Vergaben der wesentlichen Baulose konnte bereits im Sommer 2014 mit den Vorbereitungsmaßnahmen für das Bauvorhaben, wie etwa Felssicherungs-, Rodungs- oder Baustelleneinrichtungsarbeiten, begonnen werden. Es war der Auftakt für ein Großprojekt, zu dessen Spitzenzeiten über 460 Fachkräfte vor Ort tätig sein sollten, die dementsprechend auch zur regionalen Wertschöpfung beitrugen. Am 14. November 2014 wurde der feierliche Spatenstich gesetzt, der die eigentlichen Bauarbeiten am seit vielen Jahren größten Flusskraftwerk Österreichs und Graubündens einläutete. Wirtschaftlich hatte die TIWAG die Führungsrolle eingenommen: 86 Prozent des GKI gehören heute der Tiroler Wasserkraft AG, 14 Prozent der Engadiner Kraftwerks AG. Die Kooperation sollte sich über die Jahre als ebenso erfolgreich wie belastbar beweisen, wie Vertreter beider Partner auch bei der Eröffnungsfeier betonten.
23 Kilometer durch den Berg
Geplant wurde die Anlage von einem Planungskonsortium. Integraler Teil dieses Planungskonsortiums war das Tiroler Planungsbüro ILF Consulting Engineers mit Sitz in Rum bei Innsbruck. Die Ingenieure von ILF zeichneten dabei für die Entwurfsplanung, die Variantenstudie hinsichtlich Krafthaus und Maschinenanzahl, die Variantenstudie bezüglich Unterwasserkanal sowie für die technische Einreichplanung für die Umweltverträglichkeitserklärung sowohl auf österreichischer als auch auf Schweizer Seite und für die Ausschreibungsplanung verantwortlich. Von seinem Konzept her handelt es sich beim GKI um ein Ausleitungs-Laufwasserkraftwerk, das sich vom Ortsteil Martina der Schweizer Gemeinde Valsot aus über das Gebiet von sieben Tiroler Gemeinden erstreckt und das im Wesentlichen unterirdisch angelegt wurde. Grob umrissen besteht es aus den drei Hauptkomponenten Wehranlage mit Stauraum, dem Triebwasserstollen und dem Krafthaus in Prutz. Das Wehrbauwerk, das den Oberen Inn im schweizerisch-österreichischen Grenzgebiet auf einer Länge von 2,6 km aufstaut, wurde in Ovella errichtet. Hier werden bis zu 75 m3/s an Triebwasser entnommen und in den circa 23 km langen Triebwasserstollen geleitet, der an seinem unteren Ende in einen 17 Grad geneigten Schrägschacht übergeht. An dessen Ende befindet sich das Maschinenhaus, das ebenfalls zum größten Teil unterirdisch konzipiert wurde. Nur um wenige Meter ragt das Gebäude heute über das Geländeniveau hinaus. Im Krafthaus sind zwei leistungsstarke Francis-Maschinensätze untergebracht, die mit je einem direkt gekoppelten Generator die kinetische Energie des Inn in grünen Strom verwandeln. Dieser wird über das nahgelegene Umspannwerk des Kraftwerks Kaunertal ins Netz eingespeist. Das abgearbeitete Triebwasser fließt durch einen unterirdischen Rückgabekanal in den Inn zurück.
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Riesige Maschinen in Stellung gebracht
Die Bauarbeiten in den Folgejahren sollten sich als äußerst anspruchsvoll herausstellen, auch wenn in den ersten Monaten nach Baubeginn alles noch auf einen zügigen Bauverlauf hindeutete. So wurde gerade einmal vier Monate nach dem Anschlag des Fensterstollens zum Triebwasserweg in Maria Stein der offizielle Baubeginn des 385 m langen Schrägschachtes in Prutz eingeläutet. Unmittelbar davor konnte mit der Baugrubenumschließ- ung für das neue Kraftwerk begonnen werden. Vom Zugangsstollen aus wurde der eigentliche Triebwasserstollen mithilfe von zwei gewaltigen Tunnelvortriebsmaschinen – kurz TVM – ausgefräst, konkret über eine Länge von rund 12,7 km in Richtung Ovella und circa 8,9 km in Richtung Prutz. Zudem wurde von beiden Enden ein Gegenvortrieb im konventionellen Sprengvortrieb eingerichtet. Nachdem die riesigen Maschinenkolosse ab Juni 2015 vor Ort auf die volle Länge von rund 200 m zusammengebaut worden waren, konnte die erste der beiden TVM beginnen, sich mit 3.500 kW Gesamtleistung durch den Fels zu fressen. Im Oktober folgte dann TVM2, die ihren Vortrieb in Richtung Prutz in Angriff nahm. „Dank genauester Dokumentation und strikter Einhaltung behördlicher Vorgaben kann man durchaus von einer ‚gläsernen‘ Baustelle sprechen. Aber darüber hinaus zeichnete sie sich auch durch ein effizientes und ressourcenschonendes Baustellenmanagement aus“, erklärt Vorstandsdirektor Johann Herdina, der im Rahmen der Einweihungsfeier als zentrale Triebfeder des Projekts bezeichnet wurde.
Nutzung eigener Ressourcen
Dass man zentrales Augenmerk auf einen besonders schonenden Umgang mit den gegebenen Ressourcen legte, zeigte sich nicht zuletzt auch bei der Fertigung und dem Einsatz der Stahlbeton-Tübbinge, die aus Kiesmaterial aus einer Nassbaggerung und der Kiesgewinnung durch die Hilti & Jehle GmbH gefertigt wurden. Zu diesem Zweck wurde an der Baustelle eine eigene Feldfabrik am Eingang zum Fensterstollen errichtet. Rund 50.000 Tübbinge mit einer Breite von 1,66 m und einer Dicke von 27 cm wurden für die Auskleidung des Triebwasserstollens verwendet, der letztlich einen Innendurchmesser von 5,76 m aufweisen sollte. Für die Betonproduktion vertraute das hierfür verantwortliche Bauunternehmen Hilti & Jehle GmbH auf das Know-how der oberösterreichischen SBM Mineral Processing und deren mobile Mischanlage LINEMIX® 3000. Diese leistungsstarke Anlage ermöglichte es, insgesamt 120.000 m³ Hochleistungsbeton für 50.000 Tübbinge mit über 7.300 Tonnen Bewehrungsstahl zeitgerecht und im 24-Stunden-Ganzjahresbetrieb herzustellen. In Summe fielen bei den gesamten Aushubarbeiten und vor allem den Tunnelbohrarbeiten circa 1 Mio. m3 Ausbruchsmaterial an. Ein Teil davon, der als geeignet eingestuft wurde, wurde der Tübbing-Herstellung zugeführt. Der größte Teil landete allerdings auf den vorgesehen Deponieflächen, wohin das Material über besonders geräuscharme Förderbänder verfrachtet wurde. Der Transport via Förderbänder brachte gegenüber jenem mit Schwerfahrzeugen den großen Vorteil mit sich, dass damit eine effiziente Minimierung der Staubentwicklung erreicht werden konnte.
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Millimeterarbeit auf der Baustelle
Im Frühling 2016 waren die Arbeiten am Krafthaus so weit gediehen, dass die Saugrohre installiert werden konnten – ein weiterer Meilenstein im Bauverlauf. Rund 18 Tonnen bringen die beiden, 10 m langen und 6 m breiten Stahlbauteile auf die Waage. Im Hinblick auf bestmögliche hydraulische Bedingungen wurden sie bereits im Vorfeld in einem Modellversuch im Maßstab 1:6 optimiert. Sowohl die Fertigung als auch die Montage mussten in Millimeterarbeit erfolgen. Aufgrund ihrer beachtlichen Abmessungen konnten die Bauteile nicht als Ganzes, sondern nur in Einzelsegmenten angeliefert und vor Ort wieder zusammengeschweißt werden. Ob der Überbreite stellte sich der Transport über den Reschenpass als besondere Herausforderung dar. Die Rohre wurden beim Branchenspezialisten Pelfa im italienischen Grumello del Monte im Auftrag des Wasserkraftspezialisten Voith Hydro gefertigt.
Wehr in Nassbauweise gebaut
Zu diesem Zeitpunkt waren die Arbeiten an anderer Stelle, rund 24 km davon entfernt an der Wehrbaustelle, ebenfalls erkennbar vorangeschritten. „Mitte März 2016 haben wir den Inn durch einen Ablenkdamm in das zuvor errichtete Ersatzflussbett umgeleitet, um die 50 m lange und 26 m hohe Wehranlage in einer ‚trockenen‘ Baugrube zu bauen“, erinnert sich Johann Herdina. Grundsätzlich wurde zuerst für den Bau der Stauanlage der Inn umgeleitet. Danach wurde das Wasser durch die Wehrfelder der fertiggestellten Wehranlage geführt, um auf der anderen Seite „im Trockenen“ das Dotierkraftwerk inkl. Betriebsgebäude, den Triebwassereinlauf und die Fischwanderhilfen zu bauen. Für die Realisierung der Anlagenteile in Ovella wurden insgesamt rund 28.500 m³ Beton verbaut.
An der Wehranlage wird nicht nur das Triebwasser bis max. 75 m3/s entnommen, sondern auch die behördlich vorgegebene Restwassermenge abgegeben. Während im Winter und in der Übergangszeit eine konstante, ökologisch angepasste Dotierwassermenge rückgeführt wird, sieht das dynamische Restwassermodell in den Sommermonaten eine Anpassung dieser Restwassermenge an das natürliche Wasserdargebot vor. Dabei wird auch dieses Wasser zur Stromerzeugung genutzt. Zu diesem Zweck wurde eine spezielle Dotierturbine installiert, die im Regeljahr rund 8 GWh Strom liefert.
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Verzögerungen im Stollenbau
Eine Zäsur im Bauverlauf markierte der Jahresbeginn 2017, als sich die Betreiber des GKI und das mit dem Tunnelvortrieb betraute Unternehmen einvernehmlich auf eine Beendigung des Vertrags einigten. Unvorhersehbare, vor allem geologische Schwierigkeiten hatten in den Monaten zuvor die Vortriebsleistung erschwert und in weiterer Konsequenz zu Verzögerungen geführt. Bereits kurze Zeit später sprang ein anderes Baukonsortium in die Bresche, das den Vortrieb für den Triebwasserweg in der Folge wieder aufnahm. Das neue Baukonsortium setzte sich aus der STRABAG AG, der Jäger Bau GmbH aus Schruns und der G. Hinteregger & Söhne Baugesellschaft zusammen.
Während im Berginneren die beiden TVM wieder langsam Fahrt aufnahmen, nahm das Maschinenhaus in Prutz bereits Formen an. Nur wenige Wochen nach der Firstfeier im April 2017 konnte langsam die Geländegestaltung umgesetzt werden. Und Ende Juli selbigen Jahres stand bereits die Maschinenmontage auf dem Programm. Mit dem Einheben des ersten Rotors, im Übrigen der schwerste Bauteil mit 120 Tonnen, wurde somit ein weiterer Meilenstein erreicht. Mitte Oktober folgte schließlich die Montage des zweiten baugleichen Rotors. Einmal mehr zeichnete sich dabei das Montageteam durch Fingerspitzengefühl und technisches Know-how aus. Im Winter 2017/18 konnte in der Folge die wesentliche Maschinenmontage mit den Turbinen sowie den 90 Tonnen schweren Trafos abgeschlossen werden. Während also das Herz der Anlage sich bereits seiner Fertigstellung näherte, blieb der Stollenbau weiterhin im Zeitplan zurück.
Extreme Bedingungen an der Wehranlage
„Wir sind zu dieser Zeit immer wieder auf geologische Störzonen gestoßen, die den Stollenvortrieb bremsten und uns im Zeitplan zurückwarfen“, blickt Johann Herdina auf eine schwierige Bauphase zurück. Völliger Stillstand herrschte zu diesem Zeitpunkt gar an der Wehranlage Ovella. Aufgrund extremer Schneebedingungen mussten die Bauarbeiten Ende Jänner 2018 sogar kurzfristig gestoppt werden. Sie konnten erst Anfang Mai wieder aufgenommen werden. Im Herbst des selben Jahres wurde schließlich der Inn erfolgreich umgeleitet, sodass die Baugrubenumschließ- ung hergestellt und in weiterer Folge das Dotierkraftwerk integriert werden konnte.
Während im Spätherbst 2018 die Arbeiten am Krafthaus in Prutz sich bereits ihrem Ende entgegenneigten und schon mit den Rekultivierungsarbeiten begonnen werden konnte, stieg die Vortriebsleistung untertage langsam wieder an. Zwei Drittel der gesamten Strecke waren zu diesem Zeitpunkt ausgebrochen. „Nach vielen Rückschlägen waren wir zu diesem Zeitpunkt wieder gut unterwegs. Dennoch mussten wir unseren Zeit- und Kostenplan adaptieren. Der eingetretene Rückstand war einfach nicht mehr aufzuholen. So viel stand fest“, erinnert sich GKI-Geschäftsführer Johann Herdina.
Erfolgreicher Tunnel-Durchschlag
Im April 2019 war es schließlich soweit: Der TVM Nord gelang der Durchschlag zum Gegenvortrieb im Bereich Prutz/Ried – ein weiterer wichtiger Meilenstein im Projektverlauf. Drei Monate später vermeldeten die Baumannschaften auch den erfolgreichen Durchschlag der „Südröhre“. Damit konnten die aufwändigen Vortriebsarbeiten abgeschlossen werden – ein Umstand, der Anlass für erleichtertes Aufatmen bei allen Beteiligten bot. Von da an galt die gesamte Aufmerksamkeit der Fertigstellung der Wehranlage Ovella.
Für Sorgenfalten sorgten dabei allerdings die außergewöhnlichen Witterungsverhältnisse, die das ganze Frühjahr über an der Wehrbaustelle herrschten. Was baulich realisiert wurde, konnte nur unter erschwerten Bedingungen durchgeführt werden, wie Johann Herdina betont: „Schneemassen mit permanent drohender Lawingengefahr, Steinschläge und sogar ein massives Hochwasser im Juni, das die Baustelle beinah überschwemmt hätte: Das Groß- projekt blieb weiterhin eine Herausforderung.“ Um die Sicherheit der Bauarbeiter auf der Baustelle sicherzustellen, mussten noch umfangreiche Sicherungsmaßnahmen, wie etwa zusätzliche Steinschlagschutznetze am darüberliegenden Hang, umgesetzt werden. Der Sicherheit der Arbeiter wurde von Seiten der Projektleitung höchste Priorität eingeräumt. „Die gesamten zusätzlichen Maßnahmen im Umfang von über 2 Mio. Euro sind nicht ausschließlich in die Sicherheit der Arbeiter vor Ort, sondern auch für einen späteren reibungslosen Kraftwerksbetrieb gut investiert. Generell haben wir unser Gefahrenplanmanagement diesbezüglich laufend weiterentwickelt. Die Investitionen in die Sicherheit der Anlagen steigt stetig“, so der GKI-Geschäftsführer.
Auch Corona bremst
Während 2019 noch bauliche Herausforderungen das Projekt beherrschten, trat 2020 ein anderes und nicht minder schwieriges Thema in den Vordergrund: die Corona-Pandemie. Zum einen galt es zügig ein funktionelles Hygiene- und Sicherheitskonzept für die Arbeiten zu entwickeln, zum anderen weiterhin die laufende Kooperation über eine Staatsgrenze hinweg aufrecht zu erhalten. Vor diesem Hintergrund wurden die Arbeiten im März 2020 für ein Monat unterbrochen, um sie danach unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen weiterzuführen.Besonders intensiv wurden in der Folge die Arbeiten am neuen 2,1 MW starken Dotierkraftwerk weiter vorangetrieben. Bis Ende August 2020 wurde die dafür erforderliche Baugrubenumschließung mit über 230 Bohrpfählen abgeschlossen, die bis zu 37 m tief im Boden verankert wurden. Im Anschluss konnten die Betonierarbeiten für Einlaufbauwerk und Fischwanderhilfe in Angriff genommen werden. Daneben wurde der Großteil der Wehranlage in Ovella auf der orographisch linken Seite fertiggestellt. In weiterer Folge schritten die Arbeiten gut voran. Besonders der niederschlagsarme letzte Winter begünstigte den Baufortschritt.
Leistungsstarke Verschlusssysteme
Spezielle Herausforderungen hielten die Arbeiten an der Wehranlage Ovella auch für den beauftragten Stahlwasserbauspezialisten Künz bereit, der dabei einmal mehr sein technisches Know-how und auch seine Flexibilität unter Beweis stellte. Konkret zeichnete das Vorarlberger Stahlbauunternehmen für die zwei Staubalken-Wehrverschlusssysteme mit je einem Drucksegment und einer Wehrklappe für die zweifeldrige Wehranlage, sowie für 11 Dammbalken und eine Dammtafel verantwortlich. Doch einfach sei dieser Auftrag nicht gewesen, wie die Künz-Projektleitung betonte: „Nicht vorherzusehende Naturereignisse und der alpine Standort mit seinen extrem beengten Platzverhältnissen hat unser Team immer wieder vor anspruchsvolle Herausforderungen gestellt.“ Erst im Mai dieses Jahres konnte die finale Montage der Wehrklappen abgeschlossen werden. Bei den beiden Verschlussorganen am Staubalkenwehr handelt es sich um Wehrsegmente mit auf einem dazwischen liegenden Staubalken aufgesetzter Klappe, die bei voller Öffnung das 1,5-Fache eines 1000-jährlichen Hochwasser abzuführen vermögen. Im Fall einer Blockade von einem der Verschlussorgane, ist immer noch die Abfuhr eines HQ1000 möglich. Die Segmente sind auf eine Belastung von 13,8 m Wassersäule ausgelegt. Dieses System stellt im Wesentlichen das Rückgrat der Betriebssicherheit an der Wehranlage dar.
Panzertür verschliesst Stollenabzweig
Für stahlwasserbauliche Sicherheit im Bereich Maria Stein, wo der Fensterstollen zur Aufnahme der Vortriebsarbeiten angelegt worden war, sorgt dagegen eine spezielle Panzertüre, die vom oberösterreichischen Stahlwasser- und Maschinenbauspezialisten Braun Maschinenfabrik geliefert wurde. Die Panzertüre mit einer lichten Weite von 2,7 m und einer lichten Höhe von 4,0 m dient dem Verschluss der Abzweigung des Fensterstollens vom Triebwasserweg. Sie ist als 2-teiliges Verschlussorgan mit separat zu öffnendem Ober- und Unterteil ausgeführt. Geöffnet kann die halbrunde Tür nur in Richtung Oberwasser werden. Sie ist auf einen Wasserdruck von 10,5 bar ausgelegt. Bei der Montage wurde vor allem die Einbringung der Bauteile im Stollen aufgrund der beengten Platzverhältnisse zur Herausforderung. Eine Gelegenheit, bei der das Montageteam von Braun sein bekanntes Know-how und seine Erfahrung unter Beweis stellen konnte. Letzteres floss auch in die Montage der beiden aus Niro-Stahl gefertigten Entleerschieber ein, die zum Öffnen und Schließen der 80 m langen Entleerungsleitung DN600 dienen. Die Entleerleitung wird für eine allfällige Stollenentleerung benötigt. Zu diesem Zweck wurde zusätzlich ein Energievernichtungsbauwerk errichtet.
Einlaufschütz dichtet doppelt
Weitere wichtige Sicherheitsorgane an der Wehranlage Ovella sind die beiden Triebwassereinlaufschützen, die als Betriebs- und Revisionsschützen unmittelbar hintereinander angeordnet sind. Die ebenfalls von der Firma Braun gelieferten Verschlussorgane dienen dem Verschließen des Triebwassereinlaufs. Sie wurden als quadratische Rollschütze mit einer lichten Weite und Höhe von 5,8 m ausgeführt. Geliefert wurden die Tafeln jeweils als zweiteiliges Bauteil, das direkt vor Ort zusammengeflanscht wurde. Das Besondere an dem Betriebsschütz: Es weist eine beidseitige Dichtung auf, dichtet also sowohl gegen den Stauraum als auch gegen den Triebwasserstollen. Die 32,5 Tonnen schweren Bauteile wurden vom Montage-Team der Braun Maschinenfabrik in 18 m Tiefe montiert. In ebendieser Tiefe wurden auch die Einlaufverschlüsse für das Dotierkraftwerk an der Wehranlage montiert. Dabei handelt es sich im Fall des Betriebsschiebers um ein Rollschütz, und beim Reserveschieber um ein Gleitschütz, das im Grunde eine Dammtafel darstellt. Beide Verschlüsse können ohne externe Energie bei einem Stromausfall mittels Eigengewicht selbsttätig schließen. Das Betriebsschütz ist mit einem eigenen Hydraulikantrieb ausgerüstet. Darüber hinaus lieferte der Stahlwasserbauspezialist aus Vöcklbruck auch den Auslaufschütz des Dotierkraftwerks mit einer Lichten Weite von 8,4 m und einer Lichten Höhe von 3,15 m sowie weitere 9 kleinere Schützen.
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Inbetriebsetzung kann beginnen
Noch vor dem Sommer dieses Jahres konnten auch die Bauarbeiten im Stauraum, der sich von der Wehranlage bis zur rund 2,5 km entfernten Innbrücke in Martinsbruck erstreckt, abgeschlossen werden. Damit stand dem für August geplanten ersten Aufstau des Inns nichts mehr im Wege. „Dieser Schritt erfolgte schrittweise in mehreren Etappen und wurde von einem umfangreichen Messprogramm zur Sicherstellung der einwandfreien Funktion der Wehranlage begleitet“, erklärt Johann Herdina. Parallel dazu konnte mit den ersten Maschinentests im Trockenbetrieb begonnen werden. Wenig später gelangte schließlich das erste Wasser aus dem Inn auf die Laufräder des neuen Kraftwerks. Die Nassinbetriebsetzung konnte starten. Das umfangreiche Test- und Messprogramm im Rahmen des Probebetriebs erstreckte sich über mehrere Wochen und verlief zur Zufriedenheit der Projektbetreiber erfolgreich. Die Weichen für die offizielle Inbetriebnahme Anfang November waren somit endgültig gestellt.
Verbesserung der Ökologie
Ein wesentlicher Aspekt in der Realisierung des GKI lag in einer möglichst naturverträglichen Bauweise und der Intention, den ökologischen Zustand des Inn und seiner Uferbereiche zu verbessern. Zum einen sollte dies durch die Reduktion des bislang von bestehenden Kraftwerken verursachten Schwalls am Oberen Inn und zum anderen durch zusätzliche Ausgleichsmaßnahmen und Rekultivierungen gelingen. Generell wurden sämtliche vom Bau betroffenen Flächen im Nachhinein begrünt, bepflanzt oder aufgeforstet. Zudem wurde und wird der Lebensraum Inn durch unterschiedliche Maßnahmen aufgewertet. So wird etwa in Maria Stein ein weitläufiges Biotop mit neuen Lebensräumen für Fische und Kleintiere geschaffen, oder verschiedene Aufweitungen des Flussbetts vorgenommen, auch ein Auwald wurde angelegt. Auch auf Schweizer Seite konnte eine umfangreiche Ausgleichsmaßnahme unterhalb von Ramosch umgesetzt werden. Sämtliche ökologische Ausgleichsmaßnahmen sowie die Renaturierungen wurden von einer unabhängigen ökologischen Bauaufsicht überwacht.
Fischabstieg durch spezielle Leitung
Gleiches gilt natürlich auch für die Migrationsmöglichkeit für die Fische, die heute das komplexe Wehrbauwerk Ovella problemlos passieren können. Zu diesem Zweck wurde gemeinsam mit Experten und auf Basis neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse an der orographisch rechten Flussseite der Wehranlage sowohl ein Fischauf- als auch ein Fischabstieg installiert. Flussaufwärts haben die Flussbewohner die Möglichkeit, das Querbauwerk über 81 treppenförmig angeordnete Becken zu überwinden, flussabwärts geht es durch eine speziell konstruierte Fischabstiegsanlage. Diese besteht im Wesentlichen aus einem speziellen Übernahmeteil und dem daran anschließenden Spezialrohr. Beide Teile wurden von der Etertec/JSW Handelsvertretung mit Sitz im Tiroler Thiersee geliefert. Im Querschnitt weisen sowohl das Sonderformstück zur Aufnahme als auch das 62 m lange Rohr DN 600/900 einen annährend eiförmigen Querschnitt auf. Der Grund dafür: Auf diese Weise kann auch bei geringerem Wasserdargebot eine gute Benetzung, bzw. ein höherer Wasserspiegel im Rohr sichergestellt werden. Während Etertec/JSW Handelsvertretung die Rohrschüsse mit Sonderprofil in GFK-Ausführung lieferte, wurde der 4,6 m lange Erstbetonanschluss in Edelstahl ausgeführt. Um etwaige Setzungen und Bewegungen am Bauwerk zu kompensieren, wurde ein spezieller Klemmflansch vom Fabrikat Korema integriert. Gemäß behördlicher Vorgaben verbleiben mindestens 5,5 m³/s Restwasser im Inn. Damit wird die Situation in der Restwasserstrecke bis zum Unterlieger verbessert.
Strom für 90.000 Haushalte
Das Gemeinschaftskraftwerk Inn stellte nicht nur eines der größten Infrastruktur-Projekte Tirols und Graubündens in den letzten Jahren dar. Das neue Grenzkraftwerk sollte darüber hinaus auch das größte Laufwasserkraftwerk in der jüngsten Vergangenheit auf beiden Seiten der Grenze werden. Trotz der unerwarteten Herausforderungen im Bauverlauf blickten die Verantwortlichen am Tag der feierlichen Eröffnung, am 4. November, mit Stolz und Zufriedenheit auf die vergangenen acht Jahre zurück. So meinte etwa Johann Herdina: „Wir sind stolz, diesen Meilenstein gesetzt und damit ein Vorzeigeprojekt im deutschsprachigen Raum geschaffen zu haben – und dies als grenzüberschreitendes Projekt harmonisch und gemeinschaftlich.“ Dabei habe es vor 10 Jahren auch genug Gegner gegeben, die das Projekt nicht zuletzt aufgrund der damals sehr niedrigen Strompreise gerne „beerdigt“ hätten. Dank der Ausdauer von Befürwortern wie etwa Ex-TIWAG-Vorstandschef Bruno Wallnöfer oder Johann Herdina blieb das Projekt dennoch auf Schiene. „Mit der Inbetriebnahme des GKI haben wir einen großen Schritt auf dem Weg in eine nachhaltige, sichere und autonome Energiezukunft Tirols gemacht“, sagte TIWAG-Vorstandsvorsitzender Erich Entstrasser in seiner Festrede. Und Neo-Landeshauptmann Anton Mattle, der sich die Eröffnungsfeier ebenfalls nicht entgehen ließ, betonte die Bedeutung des neuen Kraftwerks: „Für den Ausbau der Energieautonomie und die Versorgungssicherheit Tirols leistet das GKI einen wichtigen Beitrag. Mit mehr als 440 Gigawattstunden pro Jahr kann das GKI den Bedarf von circa 90.000 Haushalten decken.“ Gegenüber einem konventionellen modernen Steinkohlekraftwerk spart die Anlage rund 322.000 Tonnen CO2 ein – und leistet somit einen wichtigen Beitrag für den Klimaschutz in der Region.
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