Aostaner Betreiber setzen auf Wasserkrafttechnik aus Südtirol8 min read
Lesedauer: 5 MinutenRund 12 Jahre, nachdem die ersten Konzepte für das Kraftwerk Arvier auf dem Tisch lagen, konnte die Ökostromanlage im Aostatal nun im Juni dieses Jahres in Betrieb genommen werden.
Die moderne Hochdruckanlage wurde mit zwei 4-düsigen Peltonturbinen des Südtiroler Wasserkraftspezialisten Troyer AG ausgestattet, die eine Ausbauleistung von 9,5 MW ermöglichen. Dass man in der autonomen Region Aostatal die bekannt hohe Qualität der Wasserkrafttechnik aus Südtirol zu schätzen weiß, belegt auch die Tatsache, dass man zudem auf die stahlwasserbauliche Ausrüstung des Branchenexperten Wild Metal aus Ratschings setzte. Das neue Kraftwerk Arvier reiht sich in einen beeindruckenden Kleinwasserkraftwerkspark ein, der das Aostatal zu einem echten Wasserkraft-Hotspot Italiens macht.
Wenn es um das Aostatal geht, assoziieren viele damit den Fontina, den berühmten Käse, oder die exzellenten Weine. Dass es sich bei der autonomen Region Aostatal aber um die Wasserkraftregion Italiens schlechthin handelt, ist weniger bekannt. Über das ganze Jahr hinweg beziehen die Aostaner zu 99 Prozent ihren Strom aus Wasserkraftwerken – das ist einzigartig in Italien. In Summe erzeugen die Wasserkraftwerke im Aostatal knapp 3,5 TWh bei einer installierten Leistung von 950 MW. Dem gegenüber steht ein regionaler Verbrauch von etwa 900 GWh, was einen positiven Stromsaldo von rund 2.550 GWh pro Jahr bedeutet. Lediglich in den wasserarmen Wintermonaten wird bei Bedarf von extern Strom bezogen. Die sowohl flächen- als auch einwohnermäßig kleinste Region Italiens gilt damit als der Hotspot der italienischen Wasserkraft, die hier auch noch nicht zur Gänze ausgereizt ist.
18 Millionen für neues Kraftwerk
Als eines der Vorzeigeprojekte der jüngsten Zeit konnte im Sommer dieses Jahres das Kraftwerk Arvier abgeschlossen werden. Die Anlage, die vom Aostaner Ingenieur Dr. Ing. Alessandro Mosso entwickelt und geplant wurde, hat eine Vorgeschichte, die bis ins Jahr 2007 zurückreicht. „Wir haben mit den ersten Plänen im Jahr 2007 begonnen, die Planungen und das Genehmigungsprozedere zogen sich allerdings rund 10 Jahre hin, sodass der eigentliche Baustart erst Ende März 2017 erfolgen konnte“, erinnert sich der Planer.
Beim Kraftwerk Arvier handelt es sich um ein Laufkraftwerk in der Fraktion Verney in der Gemeinde Arvier, das den Dora di Valgrisenche nutzt – einen Wildbach, der aus dem Gliairettaz-Gletscher entspringt und in den Dora Baltea mündet. Hinter dem Projekt steht die Eaux Valdotaines Srl., ein durchaus erfahrenes Wasserkraftunternehmen, das mit dem KW Arvier mittlerweile fünf Wasserkraftwerke im Aostatal betreibt. Wie die italienische Wirtschaftszeitung „ilsole24ore.com“ berichtete, soll Eaux Valdotaines rund 18 Millionen Euro in das neue Kraftwerk investiert haben. „Bislang produzierten wir im Jahr mit unseren anderen Anlagen rund 18 GWh pro Jahr, die ins öffentliche Netz eingespeist werden. Mit dem neuen Kraftwerk Arvier wird sich unsere Gesamterzeugung auf 20 GWh pro Jahr steigern“, wird Federico Oriani, Präsident und einer der drei Gründungspartner von Eaux Valdotaines Srl, in dem Medium zitiert. Der Strom wird gemäß den gesetzlichen Vorgaben für Strom aus regenerativen Quellen vergütet.
Mit TBM durch den Berg
Die bauliche Umsetzung des Kraftwerksprojekts sollte sich durchaus zu einer Herausforderung für alle Beteiligten entwickeln. Vor allem die Triebwasserleitung von der Fassung bis zum Maschinenhaus bedurfte technischer Sonderlösungen. Eine davon war die Errichtung eines 1,6 km langen Stollens mit einem Durchmesser von 3,6 m2. Er wurde mittels Tunnelbohrmaschine in einem Zeitraum von rund sechseinhalb Monaten realisiert. Laut Dr. Ing. Alessandro Mosso war dies der aufwändigste Teil der gesamten Bauarbeiten. Der Großteil der insgesamt rund 1,4 km langen Druckrohrleitung DN1100, die komplett aus Stahl hergestellt wurde, verläuft somit im Stollen.
Eine weitere Besonderheit ist der an der Wasserfassung installierte Sandfang, der mit einer Entsandungsanlage System HSR ausgeführt wurde. Das System hat seit seiner Einführung im Jahr 2001 einen ausgezeichneten Ruf erworben. Dies liegt vor allem daran, dass es den extremen Verschleißanforderungen in Gebirgsbachfassungen standhält und bezüglich wirtschaftlicher Betriebsführung und minimierten Instandhaltungskosten die heutigen Anforderungen der Betreiber bestens erfüllt.
Südtiroler Profi liefert Stahlwasserbau
Bei der Frage der Wasserfassung entschieden sich die Betreiber zusammen mit ihrem Planer für eine stählerne Wehrklappe mit einer Seitenentnahme. Hier können dem Dora di Valgrisenche konzessionsgemäß bis zu 3.200 l/s entnommen und dem Triebwasserweg zugeführt werden. Für die perfekte stahlwasserbauliche Umsetzung der Wasserfassung zeichnete ein absoluter Branchenexperte verantwortlich: die Firma Wild Metal aus dem Südtiroler Ratschings, die mittlerweile Hunderte Kleinwasserkraftwerke im Alpenraum und darüber hinaus mit ausgefeilter, hochwertiger Technik ausgerüstet hat. Neben der 5 m breiten Stauklappe, dem Doppelschütz, dem Einlaufschütz und dem HSR Plattenschieber lieferte Wild Metal auch den Horizontalrechen mit der passenden Horizontal-Rechenreinigungsmaschine, die auf einer Breite von 12 Meter und einer Tiefe von 1,2 Meter den Rechen freihält. Die stahlwasserbaulichen Lösungen des Südtiroler Branchenunternehmens haben sich in der Kleinwasserkraft mittlerweile aufgrund ihrer Effizienz und ihrer Robustheit vielfach bewährt. Zudem steht Wild Metal in dem Ruf, dass man bei allfälligen Änderungen sehr flexibel und innovativ zu reagieren in der Lage ist.
„Doppel-Herz“ mit 9,5 MW Power
Dass Südtiroler Wasserkrafttechnik bei den Betreibern im Aostatal hoch im Kurs steht, zeigte sich auch in der Wahl der Maschinen. Eaux Valdotaines setzte auf die Kompetenz und die Qualität des Sterzinger Wasserkraft-Allrounders Troyer AG, der die gesamte elektromaschinelle Ausrüstung des Kraftwerks lieferte. Konkret besteht das „Doppel-Herz“ der Anlage aus zwei baugleichen 4-düsigen Peltonturbinen mit vertikaler Achse. Jede der beiden Maschinen ist optimal auf die Ausbauwassermenge von 1.700 l/s und die Fallhöhe von 317 m ausgelegt. Beide Turbinen drehen mit 750 Upm und treiben dabei jeweils einen direkt gekoppelten Synchrongenerator vom Fabrikat WKV mit einer Nennleistung von 6.000 kVA an, der über einen geschlossenen Wasserkreislauf gekühlt wird. Zusammen erreicht das Maschinen-Duo eine Engpassleistung von 9,5 MW. Das turbinierte Wasser wird nach der Stromerzeugung wieder unterirdisch dem Bach zugeführt. Der erzeugte Strom wird über eine unterirdische 132 kV-Leitung über 4,8 km bis zum Umspannwerk der Terna geleitet und hier eingespeist.
Leistungsbeweis in Sachen Water-to-wire
Nachdem die ersten Anfragen hinsichtlich der elektromaschinellen Ausrüstung bereits im Jahr 2014 das Turbinenbauunternehmen in Sterzing erreicht hatten, wurde der entsprechende Auftrag letztlich im Februar 2017 unterzeichnet. Für die Troyer AG sollte das Projekt zu einem weiteren Leistungsbeweis in Sachen Water-to-Wire-Kompetenz werden. Schließlich lieferte man neben den beiden Turbinen und den Generatoren auch zwei Kugelhähne DN600 P40 sowie die gesamte Hydraulik-Technik. Zudem umfasste das Lieferpaket auch die Steuerung und Automation, sowie die Mittelspannungsschaltanlage und den Transformator samt HS-Anlage. „Für Fassung und Wasserschloss haben wir darüber hinaus noch die Sonden und die Sensoren geliefert, außerdem die Ansteuerung des Stahlwasserbaus und des Entsanders“, ergänzt der Projektleiter der Troyer AG, Stefan Macrina.
Maschinenanlieferung als Herausforderung
Zu einer der größten Herausforderungen im Zuge der Projektumsetzung sollte schließlich der Maschinentransport zum Krafthaus – speziell der letzte Kilometer – werden. Hier wurde als Baustellenzufahrt eine eigene, extrem steile Straße nach unten angelegt, die nicht immer befahrbar war. Gerade in den Wintermonaten konnte sie nicht genützt werden. Zur absoluten Nagelprobe wurde in der Folge die Anlieferung des Trafos und der Generatoren, die jeweils circa 30 Tonnen auf die Waage brachten. Sie mussten mithilfe zweier Zugmaschinen nach unten gebracht werden. „In der Folge wurden die zwei Generatoren im Außenbereich mittels zweier Autokräne in die aufrechte Position gedreht, um sie dann mit einem eigens hergestellten Wagen ins Innere des Maschinenhauses zu bringen. Im Krafthaus selbst galt es dann noch einen letzten Höhensprung, immerhin über 4,50 Meter, mit den Maschinen zu bewerkstelligen“, erinnert sich Stefan Macrina. Die Steuerschränke und die Mittelspannungszellen wurden auf einer Stahlkonstruktion aufgebaut, die sich auf mehreren Ebenen befindet. Die aufwändige Verlegung der Kabel zu den Maschinen und Steuerschränken wurde vom Team Troyer in gewohnt sauberer Verarbeitung mittels Kabelkanälen umgesetzt.
Bewährte Kooperation
Nicht zum ersten Mal hatten die Betreiber von Eaux Valdotaines auf die Kompetenzen der Südtiroler Wasserkraftspezialisten gesetzt. Im Gegenteil, was die Zusammenarbeit mit der Troyer AG betrifft, so blickt man auf eine langjährige, sehr erfolgreiche Kooperation zurück. Mittlerweile wurde gerade die bereits 10. Maschine beim Sterzinger Traditionsunternehmen geordert. Auch beim Vorgängerprojekt, das keine 15 Kilometer Luftlinie vom Kraftwerk Arvier im selben Tal am Torrente Mont Fortchat errichtet wurde, vertrauten sie auf die beiden Südtiroler Branchenspezialisten. Für das Kraftwerk Mont Fortchat, das auf eine Ausbauleistung von rund 2,5 MW kommt, lieferte die Firma Troyer die horizontalachsige 2-düsige Peltonturbine, die auf einen Ausbaudurchfluss von 630 l/s und eine Bruttofallhöhe von 449 m ausgelegt ist. Wild Metal steuerte den bewährten Coanda-Rechen vom Typ Grizzly bei. Dieser wurde speziell für die Herausforderungen einer hochalpinen Wasserfassung auf 2.200 m Seehöhe adaptiert. Die positiven Erfahrungen, die der Betreiber aus dem vorangegangenen Projekt mitnehmen konnte, sollten sich letztlich auch im Nachfolgeprojekt Arvier wiederholen, das zur vollen Zufriedenheit des Kunden realisiert werden konnte.
Kleinste Region als Wasserkraft-Hotspot
Während das Kraftwerk Mont Fortchat bereits Ende des letzten Jahres seinen Betrieb aufnehmen konnte, war es für das Kraftwerk Arvier schließlich am 13. Juni dieses Jahres soweit, als die Anlage erstmalig ans Netz genommen werden konnte. Die doch etwas längere Realisierungszeit war letztlich vor allem der schwierigen Zugänglichkeit des Baustellenareals sowie dem schneereichen Winter 2017/2018 im Aosta geschuldet. Dadurch kam es zu kleinen Verzögerungen im Bauablauf. Mit einem Regelarbeitsvermögen von 2 bis 2,5 GWh leistet das neue Kraftwerk heute einen wertvollen Beitrag für die Stromautarkie der autonomen Region Aostatal und zudem für die Klimaziele Italiens. Nicht zuletzt dank Anlagen wie jenen von Eaux Valdotaines darf man die kleinste Region Italiens mit Fug und Recht als die größte in Sachen Wasserkraft bezeichnen.
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