Projekte

Doppelkraftwerk ersetzt Dieselaggregate9 min read

20. Feber 2014, Lesedauer: 6 min

Doppelkraftwerk ersetzt Dieselaggregate9 min read

Lesedauer: 6 Minuten

Naturidyll und Dieselgestank – das lässt sich auf keinen gemeinsamen Nenner bringen. Umso erfreulicher, dass das Gebiet der steirischen Sölkalmen nun auf Basis regenerativer Quellen elektrifiziert werden konnte.

Zwei Kraftwerke, vereint nur durch die Tatsache, dass sie unter einem Dach untergebracht wurden und dass sie dieselbe
Energieableitung nutzen, liefern heute den Strom für die Gasthöfe,
Hütten und Ferienhäuser und ersetzen somit eine Vielzahl an bislang hier betriebenen Dieselaggregaten. Ausgerüstet mit modernster Wasserkrafttechnik erzeugen die beiden Hochdruckkraftwerke zusammen im Regeljahr rund 6 Millionen kWh – sauber und höchst umweltverträglich.

“Nicht nur das Brummen der
Aggregate, auch die Einlagerung
des Dieselkraftstoffs, der
Gestank und natürlich die Belastung für die
Umwelt – all das war zweifellos ein Missstand
hier auf den Sölkalmen“, erinnert sich Josef
Gusterer, der mit seiner Familie selbst Landund
Forstwirtschaft unterhalb des Sölkpasses
betreibt. Freude hatte man zwar nie mit den
Dieselaggregaten, die in jeder Hütte, in jedem
Hof und in jedem Ferienhaus installiert
waren. Aber ohne Anbindung an ein
Stromnetz war dies für die Anwohner lange
Zeit die einzige Form funktioneller Energieversorgung.
„Man konnte das Gebiet hier tatsächlich
als einen der letzten weißen Flecken
auf der Landkarte der österreichischen
Stromversorgung bezeichnen“, sagt DI
Helmut Mitterfellner vom Planungsbüro PI
Mitterfellner GmbH, der die Situation und
auch die Menschen der Sölkalmen seit Jahren
bestens kennt. Als Planungsingenieur, der sich
in den letzten Jahren mit der Planung von
Wasserkraftwerken in Österreich einen ausgezeichneten
Ruf erarbeitet hatte, freute es ihn
besonders festzustellen, dass die Idee einer
Wasserkraftnutzung mit unterschiedlichen
Synergieeffekten auf den Sölkalmen immer
weitere Kreise zog – und langsam zu einem
konkreten Vorhaben heranwuchs.
SCHWARZE LISTE DER KLIMASÜNDER
Zwei Parteien, zum einen die Familie
Gusterer und zum anderen die Familie
Simbürger, die die bekannte Kreuzer-Hütte
unterhalb des Sölkpasses betreibt, hatten
schließlich beschlossen, jeweils unabhängig
voneinander ein Wasserkraftwerk zu errichten
– eines am Gastlbach, das andere am
Katschbach. Das Ziel lautete, den erzeugten
Strom zu den bisherigen Selbstversorgern zu
bringen. „Als wir mit dem Vorhaben an die
Anrainer hier oben herantraten, waren sie alle
sofort von dem Projekt überzeugt und standen
hinter uns“, erzählt Gusterer. Konkret
sah der Plan der beiden Betreiber bereits jenen Synergieeffekt vor, dass die Maschinen
der beiden Anlagen am selben Ort untergebracht
werden sollten – also in einem gemeinsam
genutzten Maschinenhaus. Es sollte
nicht der letzte Synergieeffekt bleiben.
Im September 2008 reichte das Planungsbüro
Mitterfellner im Namen der beiden
Projektwerber die Unterlagen über die
geplanten Bauvorhaben bei den zuständigen
Behörden ein. „Die Genehmigung von Seiten
der Naturschutzbehörde ließ ein wenig auf
sich warten. Daraufhin haben wir uns die
Mühe gemacht, einmal alle Dieselaggregate
in dem Areal aufzulisten und deren CO2-
Emissionen zu subsumieren. Dies dürfte
letztlich kein schlechtes Argument zugunsten
der Wasserkraftwerke gewesen sein, denn
danach lag uns in absehbarer Zeit auch die
naturschutzrechtliche Genehmigung für
beide Anlagen vor“, sagt Mitterfellner. Im
Juni 2010 konnte mit den Bauarbeiten
begonnen werden.
FISCHPASS ALS NATURIDYLL
Dank ähnlicher hydrologischer und topographischer
Bedingungen unterscheiden sich die
beiden Anlagen in ihrem Konzept nur marginal.
Beide Wasserfassungen wurden als einfaches
Tirolerwehr angelegt. Das eingezogene
Triebwasser wird durch einen Querkanal in
den unterirdischen Ein-Kammer-Entsander
geführt. Von dort gelangt es durch den
Feinrechen, wo jeweils eine Rechenreinigungsmaschine
installiert ist, und über den
anschließenden Einlauf weiter in die Druckrohrleitung.
Als Rohrbruchsicherung dienen
die hydraulisch angetriebenen Entsanderschütze.
Sie öffnen sich, sobald die vorgegebene
Fließgeschwindigkeit in der Druckrohrleitung
überschritten wird. Dadurch
kann kein weiteres Triebwasser in die Leitung
gelangen.
Besonders auffällig sind die naturnah angelegten
Fischaufstiegshilfen, die nicht nur
optisch besonders schön gelungen sind, sondern
auch von den Fischen bestens angenommen
werden. Einer der Fischpässe wurde als
naturnaher Tümpelpass, der andere als natürliches
Umgehungsgerinne ausgeführt. Über
die Fischpässe wird jeweils der konstante
Anteil des Restwassers, und über spezielle
Dotier-Auslässe an der Wehranlage der dynamische
Anteil abgegeben.
SYNERGIEN IM ROHRLEITUNGSBAU
Auch die beiden Druckrohrleitungen unterscheiden
sich nur im Durchmesser und in
ihrer Länge. Beide wurden aus Rohren aus
duktilem Guss, Fabrikat Duktus, in zugsicherer
Ausführung ausgeführt. Es wurden Rohre
gewählt, die innen mit einer Zementmörtelauskleidung
versehen sind und außen zwecks
Korrosionsschutz verzinkt sind. Da das Kraftwerk
Kreuzer im Vergleich zum Kraftwerk
Kreuzer mit 700 l/s eine mehr als doppelt so
hohe Ausbauwassermenge aufweist, kam
dafür auch eine deutlich durchmessergrößere
Rohrleitung zum Einsatz – und zwar DN
800. Die Gesamtlänge dieser Druckrohrleitung
beträgt 1.831 m. Für das Kraftwerk
Rössler wurde vom Planungsbüro PI
Mitterfellner GmbH als optimale Dimensionierung
eine Rohrleitung DN 500 konzipiert.
Diese Leitung erstreckt sich über eine
Gesamtlänge von 2.397 m. „Es ist uns gelungen
den Krafthausstandort und die Rohrleitungstrasse
beider Anlagen so zu optimieren,
dass beide Druckrohrleitungen die letzten
1.000 Meter vor dem Krafthaus in einer
Künette gemeinsam verlegt werden konnten“,
so Mitterfellner. Eine weitere Synergie
also. Beide Rohrleitungen wurden über ihre
gesamte Länge erdverlegt, wobei parallel dazu
ein Lichtwellenleiterkabel für die Steuerung
sowie ein Stromkabel für die Wasserfassungen
mitverlegt wurden. Die Druckrohrleitungen
sind auf einen maximalen Druckstoß von
15 Prozent ausgelegt.
Die gesamten Baumeisterarbeiten inkl. Grabung
und Verlegung wurden zur vollsten
Zufriedenheit von der Teerag-Asdag AG
(Niederlassung Scheifling), und die Stahlwasserbauarbeiten
wurden vom Stahlwasserbauer
Josef Neuper ausgeführt.
BETRIEB MIT 5 % BEAUFSCHLAGUNG
Beim äußeren Erscheinungsbild des Krafthauses
war es dem steirischen Planer besonders
wichtig, dass es sich harmonisch in die
schöne Landschaft der Sölkalmen einfügt.
Aus diesem Grund wurde das Stahlbeton-
Stromproduktion aus zwei
verschiedenen Bächen für
zwei verschiedene Betreiber:
die Turbine „Rössler“ ist 4-düsig
ausgeführt, Turbine „Kreuzer“ 5-
düsig. Beide Turbinen stammen
von Andritz Hydro.
gebäude rundum mit einer Rauschalung aus
Lärchenholz verkleidet und mit einem ziegelgedeckten
Satteldach versehen. Eingebettet
zwischen frei stehenden Nadelhölzern einerseits
und einer alten Scheune anderseits deutet
heute kaum etwas darauf hin, dass sich in
dem Gebäude eines der modernsten Kleinwasserkraftwerke
der Obersteiermark der
jüngsten Zeit befindet. Oder – besser gesagt:
zwei. Schließlich sind unter dem Dach des
Gemeinschaftsgebäudes der beiden Familien
Simbürger und Gusterer die zwei Maschinensätze
mit den vorgeschalteten Absperrorganen
untergebracht.
Maschinell sind nun auch die größten
Unterschiede zwischen den beiden Kraftwerken
festzustellen. Während die etwas leistungsstärkere
Rössler-Maschine (797 kW) 4-
düsig ausgeführt wurde, kam beim Kreuzer-
Maschinensatz (646 kW) eine 5-düsige
Peltonturbine zum Einsatz. Doch auch in
diesem Punkt überwiegen die Gemeinsamkeiten
die Unterschiede. Beide Turbinen
stammen aus dem Hause Andritz Hydro.
Beide wurden speziell unter dem Gesichtspunkt
konzipiert und optimiert, dass sie bis
zu einer minimalen Teillast-Wassermenge von
bis zu 5 Prozent mit akzeptablem Wirkungs –
grad betrieben werden können. Mitterfellner:
„Das war eine wichtige Vorgabe, die von
Andritz Hydro in überzeugender Manier
umgesetzt wurde. Man muss wissen, dass die
Winter in diesem Gebiet und vor allem auf
dieser Seehöhe immer mit Frostgefahr verbunden
sind. Wenn man also die Maschinen
aufgrund zu geringer Wassermengen abstellen
müsste, hätte man alternativ das Krafthaus-
Innere zu beheizen. Daher ist es für die
Betreiber von enormer Bedeutung, dass die
Maschinen auch bei ganz geringen Wasser –
mengen im Winter am Netz gehalten werden
können.“
SYNERGIE – KANALANBINDUNG
Zum Lieferumfang von Andritz Hydro
gehörte über die Turbinen hinaus auch die
jeweilige Maschinensteuerung mit Synchronisierung,
Schutz- und SCADA-System, je einem synchronisierfähigen 400V-SF6 Leistungsschalter
sowie die jeweiligen Transformatoren.
Gemeinsam genutzt kann die 30
kV-Sammelschiene mit dem nachgeschalteten
Lasttrenner werden, über welche schließlich
die Verbindung zum Stromnetz des örtlichen
Elektrizitätsversorgers, der E-Werk
Schöder GmbH, erfolgt.
„Dabei beschränkt sich die Synergie aus der
Errichtung dieses 5,5 km langen Erdkabels
nicht alleine darauf, dass beide Kraftwerke
dieselbe Energieableitung verwenden können.
Darüber hinaus gelang es, parallel dazu
eine Kanalleitung mitzuverlegen“, erklärt
Helmut Mitterfellner. Damit wurde das von
Wanderern so beliebte Ausflugsgebiet nun
nicht nur mit dem Stromnetz, sondern auch
mit dem örtlichen Kanalnetz verbunden.
Ebenfalls eine wichtige Aufwertung, die sich
durch das Kraftwerk am Ende ergab, wenn
man bedenkt, dass alleine die Kreuzer-Hütte
über 120 Sitzplätze verfügt – und der Betrieb
einer Sickergrube in alpinen Bereichen auf
knapp 1.500 Meter Seehöhe alles andere als
einfach ist.
REDUKTION AUF „DAS BESTE“
Eine wichtige Überlegung stellte für die Betreiber
die vollautomatisierte Regelungstechnik
ihrer Anlagen dar. Der Auftrag darüber
ging an die Firma MGX Automation GmbH
aus Leibnitz, deren Team sich seit zwei
Jahrzehnten mit der elektrischen Ausrüstung
und Automation von Kleinwasserkraftwerken
beschäftigt. „In dieser Zeit haben wir unzählige
Anlagen in Betrieb gesetzt und diese, aber
auch fremde Anlagen, über viele Jahre betreut.
Dabei konnten wir umfangreiche Erfahrungen
darüber sammeln, wo die Schwachstellen
und Fehlerquellen liegen“, sagt MGXGeschäftsführer
Ing. Martin Grübler. In die Entwicklung des eigenen Steuerungsund
Automatisierungskonzeptes flossen in
der Folge diese Überlegungen mit ein. So
setzt man bei MGX etwa auf ein unabhängiges,
offenes Automatisierungskonzept auf
Basis hochwertiger und weltweit frei verfügbarer
Komponenten. Darüber hinaus wurden
konsequent mögliche Fehlerquellen eliminiert.
Grübler: „Unser Konzept zielt darauf
ab, unter Nutzung hochwertiger Komponenten
und einem sinnvollen Funktionsumfang
einen langfristig preiswerten Betrieb des
Kraftwerks sicherzustellen. Die Reduktion
von Fehlerquellen ist uns durch die ‚Reduktion
auf das Beste’ gelungen.“
Konkret bedeutet das für den Kraftwerksbetreiber
eine höhere Regelerzeugung im Jahr
durch weniger Stillstände, die nicht nur Zeit
und Geld, sondern auch Nerven kosten.
Ein weiterer, wichtiger Vorteil der Auto-mationslösung
aus dem Hause MGX ist, dass man
kein Produkt „von der Stange“ anbietet.
Vielmehr werden die Lösungen an die individuellen
Anforderungen des Kraftwerksbetriebs
und des jeweiligen Kunden angepasst.
Grübler: „Jedes Wasserkraftwerk hat seine
ganz eigenen Charakteristika. Unsere Automationslösungen
tragen dem Rechnung und
werden auf die Anlage und die Bedürfnisse
des Betreibers zugeschnitten. Das hat sich
sehr gut bewährt.“
Hinzu kommt eine verbesserte und übersichtlichere
Überwachung und Bedienung der Anlage
durch ein optimiertes Bedienkonzept
und praktische Zusatzfunktionen wie etwa
Videoüberwachung, Datenarchivierung etc.
Last-but-not least setzt man bei MGX auf
einen neu entwickelten, auf die Anforderungen
von Kleinkraftwerken optimierten Turbinenregler,
der sowohl beim Maschinensatz
Rössler, als auch beim Maschinensatz Kreuzer
Anwendung fand.
INNOVATION FÜR NOTENERGIEABLEITUNG
Nicht zuletzt weil das Kraftwerksduett unweit
des Sölkpasses doch recht abgeschieden
situiert ist, kam einer höchst verlässlichen
elektro- und steuerungstechnischen Lösung
natürlich große Bedeutung zu. In enger
Zusammenarbeit mit der MGX Automation
GmbH wurde diese von den Murauer
Stadtwerken konzipiert und implementiert.
Neben der e-technischen Ausrüstung aus
Nieder- und Mittelspannungsebene waren
die Murauer Stadtwerke mit ihrem Knowhow
auch an der Elektrifizierung der Gebäude
auf der Alm verantwortlich. Was die
Lösung des Unternehmens aber wirklich
innovativ machte, war der installierte niederspannungsseitige
Kuppelschalter, der eine
Notenergieableitung – zumindest im Teil-lastbereich
– ermöglicht. Sollte es beispielsweise
zu einem Fehler am Trafo, der SF6-Anlage,
am Kabelkopf oder bei der Ableitung bei
einer der beiden Anlagen kommen, so kann
über den niederspannungsseitigen Kuppel –
schalter von der einen 400 V-Schiene auf die
andere, noch intakte aufgeschaltet werden.
Dies funktioniert zwar nur im Teillastbereich,
doch schließlich arbeiten beide Kraftwerke
den allergrößten Teil des Jahres über auf
Teillast. Damit ist es den Murauer Stadt –
werken gelungen, noch einen weiteren, wichtigen
Synergieeffekt für die beiden Kraft –
werke zu schaffen.
ENDE DER DIESEL-ÄRA
Im Dezember letzten Jahres konnten die beiden
Anlagen nach einer Bauzeit von nicht
einmal einem halben Jahr den Betrieb aufnehmen.
Im Regeljahr wird das Kraftwerk
Kreuzer rund 2,6 GWh erzeugen, während
das Kraftwerk Rössler auf circa 3,4 GWh
kommen wird. Insgesamt also rund 6 GWh
sauberer Strom aus Gewässern der
Sölkalmen, was die einst so negative CO2-
Bilanz mittlerweile ins Positive gewandelt hat.
Dass beide Kraftwerke natürlich deutlich
mehr Strom erzeugen, als von den wenigen
Bewohnern auf der Murtaler Passseite verbraucht
werden, liegt auf der Hand.
Nichtsdestotrotz geht es den Betreibern vor
allem darum, die Energieversorgung auf saubere
Beine zu stellen – und das Ende der Ära
der Dieselaggregate hier einzuläuten. Und
dass es an weiteren Ideen auch nicht mangelt,
beweist Betreiber Gusterer, wenn er vorschlägt:
„Wenn sich die Elektroautos weiter
durchsetzen, können wir im Tal ja eine Ladestation
anbieten, die sauberen Strom aus
unseren neuen Kraftwerken anbietet.“ Es
würde nicht überraschen, würde sein Weitblick
ein weiteres Mal belohnt werden.

 

Teilen: