Dotierwehr Pradella wird zum Kraftwerk5 min read
Lesedauer: 4 MinutenDas 1995 fertig gestellte Wehr Pradella im Unterengadin (Kanton Graubünden, Schweiz) gehört zur letzten Kaskadenstufe der Engadiner Kraftwerke AG und speist das Kraftwerk Martina.
Mit Einführung der Kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) entschied die Engadiner Kraftwerke AG, das Wehr um ein Kraftwerk zur energetischen Restwassernutzung zu erweitern. 2009 fiel der Startschuss zur Planungs- und Konzessionsphase. Im April 2013 erfolgte der Spatenstich zu den Bauarbeiten. Die tiefe Lage des Wehres stellte die Projektverantwortlichen jedoch vor eine große Herausforderung im Umgang mit dem Grundwasser. Auch die Fischdurchgängigkeit, bedingt durch den bestehenden Fischbach, musste während der Bauarbeiten stets gegeben sein. Es galt dahingehend die angrenzende Baugrube vor dem Fischbach zu schützen und umgekehrt den Fischbach vor Giftstoffen aus der Baugrube zu bewahren. Im Oktober 2013 konnten noch vor Wintereinbruch die wichtigsten Arbeiten erfolgreich abgeschlossen werden. Nach erfolgreichem Probebetrieb im Januar 2014 konnte die Anlage im darauffolgenden Februar offiziell ans Netz gehen.
Die Engadiner Kraftwerke AG (EKW) mit Hauptsitz in Zernez im Kanton Graubünden hat sich der Nutzbarmachung der Wasserenergie des Engadins verschrieben. Die 1954 gegründete AG betreibt heute drei größere Kraftwerke und eine Hochspannungsschaltanlage für eine Aufspannung bis zu 380 kV. Diese Hochspannungsschaltanlage, die auch in das entsprechende europäische Stromnetz einspeist, befindet sich neben der Schaltzentrale der EKW in Pradella. Dort befindet sich ebenfalls das Wehr mit Ausgleichsbecken für das Kraftwerk Martina. Das Wehr dotierte bis anhin mit Hilfe des Kegelstrahlschiebers eine fixe Wassermenge von 5 m3/s ins Bachbett des Unterwasserbereichs. Weitere 500 l/s werden über den 300 m langen Fischbach abgegeben. Eine Nutzung der Dotierwassermenge hat sich beim Bau des Wehres Anfang der 1990er Jahre als unwirtschaftlich erwiesen.
KEV ermöglicht Restwassernutzung
Mit 1. Januar 2009 führte die Schweiz die Kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) ein. Sie ist das Schweizer Förderinstrument für die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien. Im Zuge dessen führte man eine erneute Berechnung der Wirtschaftlichkeit eines Dotierkraftwerkes am Standort Pradella durch. Als Resultat erwies sich dieses Vorhaben nun als wirtschaftlich und so begann die EKW 2009, in Zusammenarbeit mit der Straub AG, konkrete Pläne auszuarbeiten. Den Baubeginn visierte man mit Frühjahr 2012 an, jedoch kam es im Zuge der Auftragsvergabe zu juristischen Verzögerungen. Die EKW konnte vor Gericht die Vorwürfe abwenden, aber der Baubeginn musste deshalb um ein Jahr auf April 2013 verschoben werden.
Baugrube trocken legen
Im ersten Schritt wurde die Baugrube mit Hilfe eines Caissons (Tauchwand) trockengelegt und mit Spundwänden abgeschottet. Der angrenzende Fischbach musste während der Bauarbeiten seine Funktionsfähigkeit aufrechterhalten und so galt es die Baustelle auch von diesem abzuschotten. Hierfür kamen Holzdammbalken zur Anwendung.Eine Herausforderung ergab sich durch den Staudruck des Grundwassers, denn dieser war höher als man zuerst annahm. So mussten an der Grundplatte Entlastungsbohrungen gesetzt werden. Für die Grundwasserabsenkung legte man 5 Filterbrunnen mit 6 Pumpen an.
Nutzung des Überlaufwassers
Zum Zeitpunkt der Einreichung der Konzession wurde eine Dotierwassermenge von 5m3/s festgelegt. Für das neue Kraftwerk wurde zusätzlich diejenige Wassermenge mit einbezogen, die bei Hochwasser ungenutzt über die Wehrklappen abfließt. Die Berechnung ergab, dass auf diese Weise an 70 Tagen im Jahr eine zusätzliche Wassermenge von mindestens 5 m3/s für die Produktion zur Verfügung steht. Daher entschloss sich die Projektleitung, diese Wassermenge ebenfalls zu nutzen und beantragte dafür eine weitere Konzession für den zweiten, identischen Maschinensatz.
Schrittweiser Aufbau von unten
Die neue Zentrale wurde an der bestehenden Wehrmauer angebaut. Hierzu musste ein Teil des bestehenden Bauwerks zur Restwasserabgabe verschlossen werden. In der Folge konnte ein zusätzlicher Durchstoß der Wehrmauern und die Abrissarbeiten durchgeführt werden. Ein Schütz der Wild Metall GmbH sorgte für die Sicherheit der Baugrube. Danach wurde begonnen die beiden Maschinen schrittweise von unten nach oben zu montieren. Dabei wurden die Saugrohre auf der Fundamentplatte zuerst ausgerichtet und anschließend mit Beton eingegossen. Der neu entstandene 2,2 m dicke Fundamentblock hat nun auch kein Problem mehr dem Staudruck mit seinem Eigengewicht entgegenzuwirken. Für die vertikale Montage der Maschinen verwendete man Stahlträger. Die beiden Turbinen erstrecken sich über drei Etagen vom Saugrohr im Unterwasserbereich bis zum Einlauf im Oberwasserkanal. Die Betondecken in den jeweiligen Etagen wurden erst nach der Montage eingezogen.
Zwei eigenständige Maschinen
Die beiden baugleichen vertikalen Kaplan-Rohrturbinen lieferte die Firma Kössler. Sie besitzen einen Laufraddurchmesser von 1000 mm. Zusammen bewältigen sie bis zu 10 m3 pro Sekunde und produzieren mit einer Gesamtleistung von 920 kW ca. 2,8 GWh Strom im Regeljahr. Die Firma Hitzinger lieferte zwei Synchrongeneratoren mit jeweils 560 kVA. Die beiden Maschinensätze verfügen über jeweils eigene Aggregate und sind in der Lage unabhängig voneinander zu arbeiten. Die beiden Maschinen arbeiten je nach Wassermenge parallel oder wechseln sich nach Betriebsstunden ab. Die Turbinensteuerung kommt aus dem Hause Schubert Elektroanlagen GmbH. Sollte es zu einem Problem am Wehr kommen, übernimmt die übergeordnete Wehrsteuerung automatisch.
Wartungsarme Rechenreinigung
Probleme am Einlauf aufgrund von Geschwemmsel ist im Normalfall nicht zu erwarten. Da einerseits wenig Unrat in den Oberwasserkanal gerät und andererseits die automatische Rechenreinigungsmaschine die Vertikalrechen stets freihalten. Die beiden Teleskopmaschinen stammen von der Firma Wild Metal GmbH aus Südtirol. Die Automatisierung des Reinigungszyklus übernimmt eine SPS Steuerung. Die Reinigungsmaschine kann aber bei Bedarf auch manuell vor Ort betrieben werden. Der Antrieb des Reinigers erfolgt über zwei Hydraulikzylinder mit integrierten Näherungsschaltern. Betriebsstörungen durch Fremdkörper an Umlenkrollen oder Führungen sind bei der frei geführten Harke nicht möglich. Diese vorteilhafte Anordnung, zusammen mit einer sehr einfachen und robusten Bauweise vereinfachen und reduzieren die Wartungsarbeiten und Unterhaltskosten auf ein Minimum. Im Ruhezustand sind sämtliche Bauteile außerdem leicht zugänglich und befinden sich über dem Wasserspiegel. Die beiden Einläufe verfügen über eigene Teleskoparme. Das in der Spülrinne gesammelte Material wird durch ein Spülschütz in das Unterwasser abgegeben.
Ökologische Aufwertung
Bis auf die unerwartete Grundwassersituation verliefen die Bauarbeiten ohne Probleme und konnten im Oktober 2013 erfolgreich abgeschlossen werden. Das Projekt ist ein Erfolg und mit Hilfe der KEV kann das Wasserpotential am Wehr in Pradella nun genutzt werden. „Das Wehr ist deshalb auch ökologisch sinnvoll, weil es im Gegensatz zu einem Neubau keinen Eingriff in die Natur gab“, so Projektleiter Curdin Barblan. Aber auch bei der Planung legte man großen Wert auf den Schutz der Gewässerökologie. „Damit keine Fremdstoffe im Störfall ins Wasser gelangen, haben wir uns für wassergeschmierte Lager bei unseren Maschinen entschieden“, so Curdin Barblan ergänzend. Nach erfolgreichem Probebetrieb im Januar 2014 konnte die Anlage im darauf folgenden Februar offiziell in Betrieb gehen. Derzeit sind noch einige kosmetische Abschlussarbeiten am Wehr zu verrichten, aber diese wird man bis zum Sommer 2014 abgeschlossen haben.
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