E-Werk Pflersch freut sich zum 100er-Jubiläum über neues Kraftwerk9 min read
Lesedauer: 7 MinutenIn einer nahezu rekordverdächtigen Bauzeit von nur sechseinhalb Monaten konnte im inneren Pflerschtal in der Gemeinde Brenner in Südtirol ein neues Kleinkraftwerk errichtet werden. Realisiert wurde die Anlage am Maratschbach vom traditionsreichen E-Werk Pflersch, einer Energiegenossenschaft, die im August dieses Jahres ihr 100-jähriges Bestandsjubiläum beging. Ein geradezu perfekter Anlass, um zeitgleich auch die Inbetriebnahme des jüngsten Ökostromkraftwerks zu feiern. Mit einer Erzeugungskapazität von 1,7 GWh handelt es sich zwar um eine kleinere Anlage, die aber von einem ungebrochenen Bekenntnis zur Wasserkraft in der Region zeugt.
Der 14. November 1923 sollte ein historischer Tag für das Pflerschtal werden. In dem malerischen Hochtal, das abzweigend vom Wipptal rund 16 Kilometer in die Stubaier Alpen hinein reicht, wurde in der noch heute existierenden Elektrozentrale im Weiler Boden erstmalig Strom erzeugt. Eine Gleichstromanlage mit 6 kW Leistung brachte die ersten Lampen zum Leuchten. Zum Zweck der Stromerzeugung hatten sich einige Hofbesitzer zusammengeschlossen und ein Konsortium gegründet. „Die Energieerzeugung im Pflerschtal wurde im Grunde seit jeher von der eigenen bäuerlichen Bevölkerung angestoßen und umgesetzt. Gerade das innere Pflerschtal galt als abgelegen, und eine funktionierende Stromverteilung wurde hier lange als Problem gesehen. Frei nach dem Motto ‚Hilf dir selbst, sonst hilft dir niemand‘ ist sehr vieles aus Eigeninitiative der Pflerscher entstanden“, erzählt der Obmann der Elektrizitätsgenossenschaft Pflersch, Paul Röck. 1956 wurde die Elektrizitätsgesellschaft GmbH gegründet, die bis 1985 Bestand hatte. „Aus Sorge vor einer eventuellen Verstaatlichung wurde diese Gesellschaft 1985 in die heutige Elektrizitätsgenossenschaft GesmbH umgewandelt“, so der Obmann.
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Rechnerisch ist man stromautark
Mit dem steigenden Strombedarf wurden in den folgenden Jahrzehnten neue Anlagen errichtet, bestehende vergrößert, ausgebaut und neue Stromleitungen verlegt. Spätestens mit der Implementierung einer Mittelspannungsringleitung und einem modernen Netzleitsystem vor rund 10 Jahren ist das E-Werk Pflersch in der Riege der leistungsstarken, alpinen Energiedienstleister angekommen, die neben ihrem zentralen Auftrag als Energieversorger und -verteiler noch anderen Aufgaben nachkommen. „Wir haben zwischen 2017 und 2023 auch den Ausbau des Glasfasernetzes vorangetrieben. Mittlerweile konnten wir die Versorgung unserer Kunden flächendeckend realisieren“, erklärt der Leiter des E-Werks Pflersch, Franz Schwitzer, nicht ohne Stolz. Das eigene, rund 70 Kilometer lange Verteilnetz erstreckt sich dabei über das Pflerscher Tal hinaus bis zu Fraktionen von Gossensaß und Sterzing. Heute erzeugt der Energiedienstleister in der Gemeinde Brenner im Regeljahr zwischen 11 und 15 GWh. Rein rechnerisch würde das leicht ausreichen, um den Strombedarf der Genossenschaftsmitglieder abzudecken. Denn der liegt gerade zwischen 3 und 3,5 GWh. Wäre da nicht die für die Alpen typische winterliche Erzeugungslücke in den Niederwasserphasen im Winter, in denen nach wie vor Strom zugekauft werden muss. Dennoch setzt man im Pflerschtal nach wie vor auf die Versorgung aus eigenen Ressourcen. Mit dem Wasser aus dem Maratschbach tat sich noch eine interessante Perspektive auf.
Verfahrensdauer von 5 Jahren
Franz Schwitzer: „Begonnen haben wir mit dem Projekt im Sommer 2017. Damals haben wir mit unserem Planer Dr. Ing. Markus Zössmayr vom Ingenieurbüro EWS aus Meran zum ersten Mal die verschiedenen Möglichkeiten und Varianten durchbesprochen, wie wir den bislang unberührten Maratschbach am besten nutzen könnten. Unsere Lösung haben wir dann bei den Behörden eingereicht, aber es hat dann noch eine Weile gedauert, bis wir loslegen konnten.“ Im Mai 2022 durfte sich die Elektrizitätsgenossenschaft über die behördliche Genehmigung freuen. Nach einer kurzen Ausschreibungs- und Vergabephase stand den Arbeiten nichts mehr im Wege. Grundsätzlich handelt es sich beim neuen Kraftwerk Maratschbach um ein Ausleitungskraftwerk, das sein Triebwasser aus zwei kleinen Bächen, die sich hier im inneren Pflerschtal zum Maratschbach vereinen, bezieht. Die neue Wasserfassung sollte direkt unterhalb des Zusammenflusses der beiden Wildbäche situiert werden, um die maximale Fallhöhe nutzen zu können. An der Wasserfassung werden max. 190 l/s eingezogen, die nach dem installierten Coanda-Rechen in einen geräumigen Entsander geleitet werden. Danach wird das Triebwasser durch eine 1,8 km lange Druckrohrleitung geführt, wobei es circa 287 m Fallhöhe bis zur Turbinenleitung im neuen Maschinenhaus überwindet. Das hier turbinierte Wasser fließt im Anschluss in den Fernerbach, wo es nur wenige Meter danach in die Wasserfassung des Unterlieger-Kraftwerks gelangt.
Bauarbeiten in Rekordzeit
„Am 18. Juli war der eigentliche Startschuss für unsere Bauarbeiten. Während die Aushubarbeiten an Fassung, Kraftwerk und die Verlegung der Druckrohrleitung von der Firma Gebr. Oberprantacher GmbH aus dem Passeiertal durchgeführt wurden, übernahm die Firma Graus aus Sterzing die Betonarbeiten sowie die Umgebungsarbeiten am Krafthaus“, erzählt Franz Schwitzer. Gerade einmal vier Monate konnte an Fassung, Rohrverlegung und Maschinenhaus gearbeitet werden, ehe im November der Schnee kam und die Arbeiten sistieren mussten. „Doch im Frühling ist es dann schnell gegangen: Von April weg wurden die letzten Bauarbeiten erledigt, sodass wir bereits am 16. Juni das erste Mal Strom mit der neuen Anlage erzeugen konnten“, erinnert sich der Geschäftsführer, der in diesem Zusammenhang den ausführenden Unternehmen, vor allem auch der Baufirma Rosen streut: „Gerade in einigen sehr steilen Trassenabschnitten, wo man nur mit einem Schreitbagger arbeiten konnte, haben die Leute von Oberprantacher schon gezeigt, was sie können. Die Rohrverlegung ist sehr zügig vonstattengegangen, und die anschließende Druckprüfung war auf Anhieb erfolgreich.“
Wirtschaftliche Verlegung der Rohre
Bei der Frage des Rohrmaterials setzten die erfahrenen Wasserkraftbetreiber aus dem Pflerschtal auf die bewährte Qualität der Gussrohre der Tiroler Rohre GmbH, kurz TRM. Konkret kamen über die 1,8 km lange Trassenlänge Rohrschüsse der Dimension DN400 PFA 30 zum Einsatz, die mittels VRS-T schub- und zuggesicherter Muffenverbindungen unterirdisch verlegt wurden. Ein Teil davon wurde auch mit einer Sonderaußenbeschichtung geliefert: Im steilen Gelände wurden Rohre in ZMU-Ausführung, also mit Zementmörtelumhüllung eingesetzt. Diese sind besonders widerstandsfähig und erlauben es, Füllmaterial auch in größerer Korndimension (bis 100mm) wiederzuverwenden. Die Gründe, warum die Elektrizitätsgenossenschaft auf die Gussrohre aus dem Hause TRM vertraute, sind schnell erklärt. Zum einen sei ihm die Qualität des Gussrohrsystems wichtig gewesen, das gerade in schub- und zuggesicherter Ausführung enormen Belastungen standhalten kann, erklärt Franz Schwitzer: „Außerdem geht es auch darum, dass man hier, auf über 1.500 m Seehöhe eine Rohrleitung schnell und effektiv unterirdisch verlegen kann. Und das lässt sich dank der bewährten Auf-Zu-Methode wirklich ideal realisieren. Ein Rohr wird verlegt, das zweite angekuppelt, woraufhin die Künette schon verschlossen werden kann. Das spart Zeit und ermöglicht eine wirtschaftliche Verlegung.“ Dass die Verlegung durch die Gründe der Almbesitzer so problemlos verlaufen ist, sei nicht zuletzt daran gelegen, dass man durch die flächendeckende Versorgung mit Glasfaserkabel auch ein sehr gutes Einvernehmen herstellen habe können.
Extrem kompakte Turbine
Generell handelt es sich beim Kraftwerk Maratschbach um ein fast durch und durch Südtiroler Kraftwerk: Neben der Planung, den Bauarbeiten und der Coanda-Technik konnten die Betreiber auch die elektromechanische Ausrüstung und die Steuerungs- und Leittechnik an Firmen aus der näheren Umgebung vergeben. Während die Firma Sora aus Kiens die 4-düsige Pelton-Turbine lieferte, war die Firma EN-CO aus Ratschings für die gesamte Steuerungs- und Automatisierungstechnik verantwortlich. Beide bewiesen ihr Know-how und ihre Erfahrung speziell im Frühling dieses Jahres und ermöglichten, dass die Anlage derart schnell ihren Betrieb aufnehmen konnte.
Was bei der installierten Turbine von Sora besonders auffällt, ist ihre extrem kompakte Bauweise. Obwohl hier vier Düsen hydraulisch optimal beaufschlagt werden können, sind die einzelnen Zuleitungen so nah am Laufrad, dass sich eine höchst kompakte Einhausung ergibt. Diese Bauform erlaubte dem Planer, Markus Zössmayr, das Maschinengebäude relativ klein zu bauen. Es brauchte keine große Halle. Direkt mit dem Laufrad der Turbine ist ein Synchrongenerator der Firma Marelli Motori gekoppelt, der mit einer Wasserkühlung ausgeführt ist und eine Nennleistung von 600 kVA aufweist.
Feinsieb mit Selbstreinigungseffekt
Von zentraler Bedeutung für ein perfektes Funktionieren eines modernen Kleinwasserkraftwerks ist natürlich auch die Ausführung der Wasserfassung. Zu diesem Zweck hat die Energiegenossenschaft gemeinsam mit ihrem Planer und der Firma Wild Metal aus dem nahen Ratschings eine überzeugende Lösung gewählt. Das gesamte Fassungssystem beruht auf der bewährten Coanda-Technologie des Grizzly PROTEC, der aus einem robusten, feuerverzinkten Stahlgitter und einem darunterliegendem Feinsieb besteht. Das Sieb ist zum größten Teil selbstreinigend, die unerwünschten Partikel werden mit den Fließgewässern weitertransportiert. Der Sandeintrag in die Wasserfassung ist durch die geringe Spaltweite auf ein Minimum reduziert. Zwei Einheiten des Grizzly PROTEC mit einer gesamten Wassereinzugskapazität von 190 l/s sind an der Wasserfassung installiert. Dazwischen wurde vom Team von Wild Metal eine 1,20 m breite Stauklappe eingebaut. „Das System ist einfach, aber genial. Denn die Stauklappe ist in der Lage, den Staupegel an der Fassung millimetergenau zu halten und sorgt damit sowohl für eine exakte Restwasserdotation als auch eine optimale Wasserentnahme. Unsere ersten Betriebserfahrungen damit sind sehr gut“, sagt Franz Schwitzer. Neben den überzeugenden Lösungen für die Wasserfassung lieferte der Stahlwasserbauer aus Ratschings daneben unter anderem auch die Hochwasserschütze am Krafthaus und einige andere Komponenten.
Einzige Anlage über 220 kW
Generell zeigt sich der Geschäftsführer des E-Werks Pflersch hoch zufrieden mit dem jüngsten Ökostromerzeuger im Kraftwerkspark der Genossenschaft. „Im Regeljahr wird die Anlage rund 1,7 GWh erzeugen. Wir reden also von etwa 10 Prozent unserer Gesamterzeugung aus allen fünf Kraftwerken. Das ist jetzt kein Riesensprung für uns. Trotzdem sind wir sehr zufrieden, dass wir dieses Projekt erfolgreich mit unseren Partnern umsetzen konnten, da das Kraftwerk auch sehr gut in unser Anlagenportfolio passt“, resümiert Franz Schwitzer und merkt an: „Ein neues Kleinkraftwerk in Südtirol zu errichten ist sehr schwierig geworden. Unseres Wissens nach war unsere Anlage die einzige aus der Kategorie ‚mittlere Ableitungen‘ – also zwischen 220 kW und 2.999 kW – mittlere Nennleistung, die 2022 in Südtirol genehmigt wurde.“ Dass man sich im Pflerschtal schon vor langer Zeit auf die eigenen Ressourcen und die eigenen Initiativen verlassen hatte, sei aus der Not geboren gewesen, erklärt Obmann Paul Röck. Doch heute kann man sich größtenteils selbst mit sauberen Strom versorgen – und so ist aus der Not doch noch eine Tugend geworden.
Erschienen in zek HYDRO Ausgabe 5/2023
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