Ejektor-Kraftwerk an der Ybbs8 min read
Lesedauer: 5 MinutenAuch an Standorten mit niedriger Gefällestufe kann mit zeitgemäßem Konzept und moderner Wasserkrafttechnik ein wirtschaftlicher Betrieb sichergestellt werden.
Beispielgebend dafür steht heute das neue Wehrkraftwerk Stadtwehr inmitten der niederösterreichischen Stadt Waidhofen an der Ybbs. Spezielles Augenmerk wurde bei dessen Planung auf die Nutzung des Ejektoreffektes gelegt, der an den durchschnittlich 80 Überwasser-Tagen eine Wirkungsgradsteigerung von 20 bis 30 Prozent ermöglicht. Dies trägt somit erheblich dazu bei, dass die Kaplanturbine aus dem Hause GHE im Regeljahr rund 5,5 Mio. kWh Strom erzeugt. Mittlerweile dient die Vorzeigeanlage an der Ybbs auch als Forschungsobjekt, an dem der bis heute nicht ausreichend untersuchte Ejektoreffekt auf den Prüfstand der Wissenschaft kommt.
Ein schweres Hochwasser im Jahr 1974
hatte das alte, hölzerne Wehr im
Stadtgebiet von Waidhofen an der
Ybbs so stark in Mitleidenschaft gezogen,
dass ein Neubau unumgänglich wurde. Drei
Jahre später war die neue Wehranlage fertiggestellt,
nun allerdings als solides Beton-
Querbauwerk ausgeführt. Der Gedanke, die
Gefällestufe an dem Standort mit einem
Wasserkraftwerk zu nutzen, stand im Raum,
wurde allerdings aus Kostengründen damals
nicht realisiert. In den folgenden Jahren
tauchten immer wieder diesbezügliche Überlegungen,
Ideen und Pläne auf, umgesetzt
wurde davon allerdings nichts. Stets hieß es,
die Wirtschaftlichkeit wäre an dem Standort
aufgrund der geringen Fallhöhe von ca. 2,8 m
und den zu erwartenden Schwierigkeiten
beim Bau einfach nicht gegeben.
„Darin haben wir aber die große Herausforderung
gesehen“, erzählt der Planer der
neuen Wasserkraftanlage, Dipl.-Ing. Rudolf Fritsch vom Steyrer Planungsbüro ZT-Fritsch
GmbH. „Schließlich hat die massive
Pfahlfundierung und die Bauweise der bestehenden
gekrümmten Wehranlage gute
Voraussetzungen für den Einbau einer Kraftanlage
mitgebracht. Allerdings galt es auch von vorne herein wesentliche Einschränkungen
wettzumachen, wie dies durch die nicht
mögliche Erhöhung des Oberwasserspiegels
und durch die räumliche Beengtheit generell
gegeben war. Die Oberlieger-Anlage durfte
keine Verschlechterung durch einen eventuellen Einstau erfahren. Aus diesem Grund entstand der Gedanke an die
Alternative des dynamischen Stauziels, in Anlehnung an die Bestandswasserspiegellagen,
gegeben durch die feste Wehranlage. Mit der speziellen
Technik des Ejektor-Kraftwerks gelang letztlich der Sprung in
die Wirtschaftlichkeit.“ Das Konzept aus dem Planungsbüro Fritsch
überzeugte in der Folge auch die Verantwortlichen der Stadtgemeinde
Waidhofen, die gemeinsam mit dem leidenschaftlichen Wasserkraftbetreiber
und Wasserkraftinvestor Dr. Johannes Kühhas die Energiegesellschaft
Waidhofen GmbH gründete. Unter deren Ägide wurde das
Projekt letztlich erfolgreich umgesetzt.
KAMPF MIT DEM HOCHWASSER
Die Tiefbauarbeiten gestalteten sich in der Folge erwartungsgemäß
schwierig. Das lag nicht nur daran, dass die rund 12 Meter tiefe Baugrube
zweimal von einem Hochwasser geflutet wurde, sondern vor
allem an den beengten räumlichen Bedingungen inmitten des
Stadtkerns von Waidhofen. Sowohl die Transportlogistik als auch die
Bauarbeiten auf engstem Raum stellten eine große Herausforderung
dar. Die historischen Gemäuer mussten im Bauverlauf mit Stützmauern
und Unterfangungen abgesichert werden. Angesichts dieser Probleme
erstaunt es nicht wenig, dass die Verzögerungen im Terminplan
auf nur wenige Wochen beschränkt blieben. Nach einer Bauzeit von knapp eineinhalb Jahren nahm die Anlage im September 2012 den
Probebetrieb auf. Durch die spezielle Kraftwerksanordnung ist der
gesamte Stromstrich für die Hochwasserabfuhr frei. Das Krafthaus, für
dessen Fassadengestaltung das Waidhofener Büro „w30“ verantwortlich
zeichnet, integriert sich sehr gut ins Altstadtensemble.
EFFIZIENTER SEDIMENTTRANSPORT
Grundsätzlich umfasst das gesamte Bauprojekt den Umbau der Wehranlage
mit einem flexiblen Wehraufsatz, darüber hinaus die eigentliche
Kraftwerksanlage mit dem Krafthaus samt Einlaufbereich, mit Grobrechen
und Sandfang, den Grund- und Ejektorablass, sowie den Turbinenauslauf,
samt einer dem Hochwasserschutz und der Leistungssteigerung
dienenden Unterwassereintiefung von über einem Meter. Hinzu
kommt noch eine Organismenaufstiegshilfe, ausgeführt in Vertical-
Slot-Bauweise, die den Übergang zum natürlichen Ufer an der linken
Flussseite schafft. „In diesem Fall hat es sich aufgrund der gegebenen
Fallhöhenverhältnisse angeboten, den Grundablass vom Ejektorablass
zu trennen – und nicht wie sonst häufig vereint – anzulegen. Somit gelangt
der Schotter, der über den Grundablass abgeführt wird, nicht zum
Saugrohr, sondern direkt ins Tosbecken“, erklärt Rudolf Fritsch. Generell
ist beim Ejektorkraftwerk die Anlandungsproblematik vor dem
Saugrohr gelöst, da hier durch das Überwasser selbst immer gespült wird.
UNIKAT IN BANANENFORM
Eine wesentliche Komponente des neuen
Kraftwerks stellt die Schlauchwehranlage aus
dem Hause Hydroconstruct dar. Was dabei
sofort ins Auge springt, ist die gekrümmte
Form des Schlauchs, der einem Radius von
gerade einmal 16 Meter folgt und sich exakt
der Form der Wehranlage anpasst. „Eine derart
starke Krümmung haben wir mit den
Hydroconstruct-Schlauchwehren bis dato
noch nicht erreicht. Es ist extrem und im
Grund auch nur mit der Technologie von
Hydroconstruct durchführbar. Mitbewerber
bezeichneten diese Wehranlage als nicht herstellbar.
Meiner Kenntnis nach gibt es in
Europa keine vergleichbare Schlauchwehranlage“,
sagt Fritsch und erläutert die doch sehr
spezielle Betriebsweise bei der dynamischen
Spiegelregelung über das Schlauchwehr:
„Primär gilt es mit der Schlauchwehr nach
oben zu regeln. Das heißt: Wenn wir
Niedrigwasser – wie jetzt im Herbst – haben,
liegt der Schlauch relativ flach, an den niedrigen
Staupegel angeglichen. Erst mit dem
Ansteigen des Wasserdargebotes richtet er
sich durch Erhöhung der Wasserfüllung vollautomatisch
gesteuert auf, bis zu einer maximalen
Höhe von 1,65 m. Erreicht der Abfluss
etwa 100 m3/s, kann aus der Dynamik ein
rund 1 m höherer Pegel genutzt werden, was
sich dann gerade durch den Ejektoreffekt des
Überwassers im Gesamtwirkungsrad der
Anlage niederschlägt. Erst wenn das Hochwasser
weiter über 100 m³/s ansteigt, wird
die Wasserfüllung im Schlauch reduziert und
die Krone senkt sich kontinuierlich. Auf diese Weise wird also die dynamische Regelung der
Fallhöhenverhältnisse, unterstützt durch eine
spezielle Programmierung der Steuerungsautomatik,
optimiert.“ Mit einer Vielzahl von
Mess-Sonden und Instrumenten wird so das
über eine Kurve vorgegebene veränderliche
Stauziel zentimetergenau abgefahren. Auf die
Frage zur Beständigkeit der Schlauchwehranlage
verweist der erfahrene Planer auf die, über
30 jährige Erfahrung mit dieser Technologie
und auf die neue Herstellungs-methode für
die Membrane mit einer Endlos-Vulkanisations-
Presse, welche die Haltbarkeit des Materials
auf 40 Jahre prognostizieren lässt. Auch
danach ist natürlich ein Austausch dieses einfach
zu ersetzenden Bestandteiles möglich.
LEISTUNGSPLUS DANK EJEKTOREFFEKT
Neben der dynamischen Pegelregelung gilt
das Anlagenkonzept zur Nutzung des Ejektoreffektes
als die zweite Besonderheit des
neuen Wehrkraftwerks. Kernstück ist ein im
Grundriss gebogenes Saugrohr kombiniert
mit einer ca. 10° geneigten 7,5 m breiten
Ejektorrampe, über die das Überwasser abgeführt
wird. Das Konzept sieht vor, dass sich
bei gegebenem Überwasser das Triebwasser
mit dem Überwasserstrahl, der auf der Schussrampe
beschleunigt wird, am Saugrohrauslauf
vereinigt. „Auf diese Weise entsteht in
diesem Bereich ein Impuls, der Auslaufverluste
ins Gegenteil wandelt und einen Fallhöhengewinn
durch Verdrängung des Unterwassers
bewirkt. Zudem wird durch die Sogwirkung und auch durch die geänderte Fallhöhe selbst
der Turbinendurchfluss gesteigert, was sich
bei Überwasser insgesamt in einer Leistungserhöhung
von durchschnittlich 20 – 30 %
darstellt.
„Im Schnitt wird es hier an 80 Tagen im Jahr
der Fall sein, dass wir Überwasser nutzen
können und damit die Effizienz steigern“, erklärt
Fritsch.
MODELLVERSUCH IN GRAZ
Wie sich dieser in der Branche durchaus
bekannte Ejektoreffekt wissenschaftlich exakt
erklären und vor allem berechnen lässt, ist
nun gerade an diesem neuen Kraftwerk, welches
als Pilotprojekt dient, ein gewichtiges
Thema geworden. Eine maßstabgetreue
Nachbildung im 1:10-Modell wurde mittlerweile
an der TU Graz hergestellt, und in
einem aufwändigen staatlich geförderten
Forschungsprojekt will DI Fritsch in
Zusammenarbeit mit den Wissenschaftlern
diesem Phänomen nun auf den Grund gehen.
Fritsch: „Es hat dazu in den 1950er Jahren
erstmalig umfangreiche Untersuchungen von
russischen Ingenieuren gegeben, das ist allerdings
ein wenig in Vergessenheit geraten. Erst
nach der Projektidee von K & F Drack für
das am Mühltalwehr an der Alm geschaffenen
Ejektorkraftwerk, bei dem die ZT-Fritsch
GmbH maßgebend mitgewirkt hat, wird nun
das Thema wirklich substanziell angegangen
und untersucht und es freut uns besonders,
dass sich das Institut für Hydraulische Strömungsmaschinen unter Prof. Dr. Jaberg an der TU Graz nun dieses
Phänomens annimmt.“
TECHNIK AUS ÖSTERREICH
Die neue Kraftwerksanlage im Herzen der Stadt Waidhofen glänzt
dabei aber nicht nur durch ein höchst ausgefeiltes Anlagenkonzept,
sondern auch durch modernste Wasserkrafttechnik. Im Inneren des
äußerst kompakt gehaltenen Krafthauses ist eine doppelt regulierte
Kaplanturbine aus dem Hause Global Hydro Energy (GHE) untergebracht,
die für Top-Wirkungsgrade sorgt. Die Turbine ist auf eine
Ausbauwassermenge von 30 m3/s bei einer Nettofallhöhe von 3,9 m
ausgelegt und kommt dabei auf eine Nennleistung von 1.030 kW. Der
4-Flügler mit einem Durchmesser von knapp 2,8 m rotiert dabei mit
einer Nenndrehzahl von 108 Upm. Die vergleichsweise langsame
Drehzahl wird über ein hochwertiges Eisenbeiss-Getriebe auf 750
Upm übersetzt, die Drehzahl des Synchrongenerators, der vom
bekannten Branchenspezialisten Hitzinger aus Linz geliefert wurde.
Dessen Nennscheinleistung liegt bei 1.500 kVA. Mit diesem
Maschinengespann haben die Betreiber ein sehr hochwertiges
Ensemble installiert, das nicht nur für hohe Wirkungsgrade, sondern
auch für Robustheit und lange Lebensdauer steht. Die Turbinensteuerung
wurde ebenfalls von GHE realisiert, die Schaltanlagen stammen
vom niederösterreichischen E-Technik-Spezialisten Schubert Elektroanlagen
realisiert, der Stahlwasserbau wurde vom oberösterreichischen
Wasserkraftspezialisten Danner Maschinenbau übernommen.
ANLAGE MIT SYMBOLCHARAKTER
Im Durchschnittsjahr wird das neue Kraftwerk rund 5,5 GWh sauberen
Strom aus der Kraft der Ybbs erzeugen. Das reicht aus, um circa
1.300 Haushalte zu versorgen. Ohne Ejektoreffekt würde man rund 10
Prozent unter dieser Erzeugungsmenge liegen, kalkulieren die
Verantwortlichen. Die Nutzung dieses Phänomens trägt somit also
wesentlich zum wirtschaftlichen Betrieb des neuen Kraftwerks in
Waidhofen bei.
Die Wirtschaftlichkeit stellte zwar eine Voraussetzung für die
Realisierbarkeit der Anlage dar, die Qualitäten und Vorzüge des
Projektes sind allerdings weiter gefächert. Dies strich auch Waidhofens
Bürgermeister Mag. Wolfgang Mair anlässlich der Eröffnung Mitte
November letzten Jahres heraus: Nicht nur die Hochwassersituation sei
durch die neue Kraftwerksanlage verbessert worden, auch eine ökologische
Aufwertung konnte durch die Organismenaufstiegshilfe erreicht
werden. Erfreut zeigten sich die Gemeindeväter auch darüber,
dass der veranschlagte Kostenrahmen von 6 Mio. Euro exakt eingehalten
werden konnte, wobei 1 Mio. vom Bund als Förderung zugeschossen
wurde. Das neue Kraftwerk im Zentrum der Stadt repräsentiert
daher auch mehr als nur einen Ökostromerzeuger: Vielmehr steht es
heute mittlerweile symbolisch für die Unabhängigkeit, den Weitblick
und die Zukunftssicherheit des traditionsreichen Ybbs-Städtchens.
Dies unterstreich nicht zuletzt die Tatsache, dass die Anlage erst kürzlich
mit einer Auszeichnung des Landes Niederösterreich als „vorbildliches
Bauwerk“ bedacht wurde.
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