Freudentag für die Urner Wasserkraft – Kraftwerk Palanggenbach ist offiziell eingeweiht9 min read
Lesedauer: 7 MinutenZwölf Jahre nach dem ersten Einreichprojekt war der historische Moment für das Kraftwerk Palanggenbach im Oktober letzten Jahres gekommen: Das neue Kraftwerk erzeugte erstmalig Strom und konnte damit rund vier Monate eher als geplant in Betrieb genommen werden. Anfang Juni wurde die neue Anlage nun im Rahmen einer Eröffnungsfeier und bei einem Tag der offenen Tür feierlich seiner Bestimmung übergeben. Beim KW Palanggenbach handelt es sich um ein Gemeinschaftskraftwerk, das von der aventron AG, von EWA-energieUri, der Korporation Uri und der Standortgemeinde Seedorf realisiert wurde. Im Regeljahr erzeugt es rund 11,5 GWh sauberen Strom aus Urner Wasserkraft und versorgt damit circa 2.500 Haushalte.
Der 13. Oktober war ein spezieller Tag. Es war jener Tag, an dem das Kraftwerk Palanggenbach das erste Mal Strom produzierte“, erklärte Werner Jauch, Verwaltungsratspräsident der KW Palanggenbach AG, in seiner Ansprache anlässlich der Eröffnung des Kraftwerks am 3. Juni. Die Zufriedenheit über das erfolgreiche Projekt war bei allen am Projekt beteiligten Partnern am Tag der Eröffnung deutlich spürbar. Schließlich handelt es sich beim Kraftwerk Palanggenbach durchaus um eine besondere Anlage mit besonderer Historie und besonderen Herausforderungen. Der Palanggenbach ist ein Wildbach, der – als natürliche Grenze zum Nachbarort Attinghausen – eine bewegte Geschichte von Hochwässern und Verwüstungen durch Murgänge hinter sich hat. Die letzten Murgänge aus dem Jahr 1977 sind einigen Seedorfern noch lebhaft in Erinnerung. Doch der Wildbach wurde in der Vergangenheit auch wirtschaftlich genutzt, vor allem für das Flößen von Baumstämmen. Die Bezeichnung „Palanggen“ geht wahrscheinlich auf diese Art der Nutzung zurück: Übersetzt bedeutet sie Rundholz oder Prügel. Ein Wasserkraftwerk im Gitschital auf Seedorfer Gemeindegebiet zu bauen war bereits früher angedacht worden, scheiterte aber stets an den zahlreichen bautechnischen Herausforderungen.
Durchbruch mit ökologischer Anpassung
„In den Jahren 2007/2008 haben wir eine groß angelegte Potenzialstudie durchgeführt, in der wir erstmalig die Möglichkeit für ein Kraftwerk am Palanggenbach geprüft hatten. 2009 haben wir dann ein entsprechendes Vorprojekt ausgearbeitet, das kurze Zeit später eingereicht wurde. Spruchreif wurde es allerdings erst 2013, als wir es mit einigen Anpassungen in das SNEE – das Schutz- und Nutzungskonzept Erneuerbare Energien – überführen konnten“, blickt Werner Jauch auf die Anfänge zurück. Auf dieser Basis gelang es in weiterer Folge, verbindliche Einigungen mit den Umweltschutzorganisationen zu erreichen. Im September 2018 wurde dem Kraftwerksprojekt die Konzession erteilt. Wenig später gründeten die Partner der Projektgemeinschaft die KW Palanggenbach AG als Betriebsgesellschaft. Sie wird heute von vier Partnern gehalten: der aventron AG mit 60 Prozent, EWA-energieUri sowie der Korporation Uri mit je 15 Prozent und der Gemeinde Seedorf mit 10 Prozent. Für den Betrieb und die Geschäftsführung ist der Urner Energiedienstleister verantwortlich. Nachdem das Kraftwerksprojekt im März 2020 den letztgültigen Baubescheid zugesprochen bekam, stand der Umsetzung nichts mehr im Weg. Im Juli 2020 wurde der offizielle Spatenstich mit allen am Projekt beteiligten Partnern gesetzt. Es konnte losgehen.
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Baulogistik mit Knacknüssen
Von seinem Konzept her handelt es sich beim KW Palanggenbach um ein Laufwasserkraftwerk, dessen Wasserfassung im Gitschital situiert wurde. An der neuen Wasserfassung werden maximal 1,1 m3/s als Triebwasser eingezogen, das über eine knapp 1.680 m lange Druckrohrleitung und über 356 m Gefälle zur neuen Kraftwerkszentrale im Seedorfer Bodenwald auf 510 m Seehöhe geleitet wird. Während die Errichtung der neuen Kraftwerkszentrale keine außergewöhnliche Herausforderung mit sich brachte, war von Vornherein klar, dass sowohl der Kraftabstieg als auch der Bau der Fassung kein Spaziergang für die erfahrenen Projektleiter des Urner Wasserkraftspezialisten werden würde. Dazu Werner Jauch: „Der Standort der Wasserfassung befindet sich in einer schwer zugänglichen Schlucht, deren Erschließung uns vor große Herausforderungen gestellt hat. Vor allem wurde es zu einem Thema der Baulogistik: Denn zuerst musste der Stollen ins Gitschital gebaut werden, erst dann konnte die Fassung gebaut werden – und dies auch erst in der Niederwasserphase.“ Die Wasserfassung wurde mit dem patentierten HSR-Entsandersystem ausgerüstet. Seine bewährte Funktionalität und der niedrige Spülwasserverbrauch sind die wichtigsten Argumente, warum viele Betreiber auf dieses Entsandersystem setzen.
Kraftabstieg führt durch den Berg
Nicht weniger komplex und aufwändig als die Errichtung der Wasserfassung gestaltete sich der Bau des 1,3 km langen Triebwasserstollens. Vor allem geologische Eigenheiten und schwierige Witterungsbedingungen sollten den Stollenbau zu einer echten Herausforderung werden lassen. Im Sommer 2020 begannen die Ausbruchsarbeiten. Mit zwei bis drei Sprengungen pro Tag schaffte die Baufirma eine beachtliche Vortriebsleistung, sodass man nach rund einem Jahr Bauzeit, am 21. Juli 2021, einen Meilenstein des Projekts erreichte: den Durchbruch des 1.280 m langen Triebwasserstollens. In weiterer Folge wurde der im Querschnitt circa 3 Meter große Stollen ausgekleidet, mit Beton hinterfüllt und für die Verlegung der Druckrohrleitung auf Rohrsätteln vorbereitet. Mit der Fertigstellung des Triebwasserstollens konnten die Arbeiten an der Wasserfassung und die Verlegung der Druckrohrleitung in Angriff genommen werden. Bei der Druckleitung setzte die Projektleitung von EWA-energieUri auf duktile Gussrohre DN 800, die mittels längskraftschlüssiger Muffenverbindungen errichtet wurde. Die Gussrohre benötigen keine Betonfundamente bei den Umlenkungen. Für die Gussrohre sprachen die speditive, einfache Verlegbarkeit, deren Robustheit bezüglich Beschädigungen, sowie die tiefe Schadensrate und die damit verbundenen niedrigen Betriebs- und Wartungskosten dieses Systems.
Maschinenmontage mit Tücken
Mitte Mai 2022 war die neue Kraftwerkszentrale bereits soweit fertiggestellt, dass mit der Maschinenmontage begonnen werden konnte. Elektromechanisch vertraute EWA-energieUri auf das Know-how und die Erfahrung des Südtiroler Wasserkraftspezialisten Troyer aus Sterzing, der nicht nur die elektromechanische, sondern auch die leit- und sekundärtechnische Ausrüstung des Kraftwerks lieferte. Insgesamt umfasste das komplette Lieferpaket der Troyer AG, in enger Abstimmung mit der Projektleitung von EWA-energieUri, neben der 5-düsigen Peltonturbine inklusive Gehäuse, Ringleitung und Kugelhahn auch den Generator vom Fabrikat Hitzinger, das Hydraulikaggregat, das Kühlwassersystem und die gesamte Steuerung inklusive Schutzeinrichtung. Hinzu kamen für die Fassung noch die Drosselklappe und die Steuerschränke für die Schützen und die Rechenreinigungsmaschine. „Die erste Herausforderung für unser Team brachte die Anlieferung von Turbinengehäuse und Generator auf dem letzten Kilometer bis zur Kraftwerkszentrale mit sich, wo es zuerst durch enge Dorfgassen und danach noch ein steiles Waldstück bis zum Zentralengebäude geht“, erzählt der Projektleiter der Troyer AG, Pirmin Schneider. Zudem sei – so Schneider – auch die Einbringung des 20 Tonnen schweren Generators sehr anspruchsvoll gewesen, da es um die Kraftwerkszentrale herum keine größeren befestigten Flächen für den Pneukran gegeben habe. Und auch die Montagen an der Fassung gestalteten sich durch die vorab erforderliche Fertigstellung des Triebwasserstollens herausfordernd.
Herausforderung der leittechnischen Art
Mitte Mai 2022 konnte mit der Montage des neuen Maschinensatzes begonnen werden. Die 5-düsige Peltonturbine ist dabei auf eine Ausbauwassermenge von 1,1 m3/s und eine Fallhöhe von 356 m ausgelegt und erreicht damit eine Ausbauleistung von 3 MW. Anfang September letzten Jahres waren die Montagearbeiten im Wesentlichen abgeschlossen, die Inbetriebsetzung konnte beginnen. Für die Troyer AG, die über eine Niederlassung in der Schweiz verfügt, ist gerade der Kanton Uri bekanntes Terrain. Die Südtiroler Wasserkraftallrounder konnten hier schon einige Wasserkraftwerke mit Turbinen und eigener Leittechnik ausrüsten. Im Fall des neuen KW Palanggenbach entpuppte sich vor allem der leittechnische Teil als Herausforderung. „Von uns wurden ja auch die Schaltschränke und die Automation geliefert. Da der Kraftwerksbetreiber EWA-energieUri in seinen Kraftwerken durchgängig die Steuerung Siemens Sicam verwendet, haben wir die Automatisierung Sicam A8000 eingesetzt. Trotz der erhöhten Herausforderung konnten unsere Techniker Hard- und Software perfekt anpassen. Dies war auch durch die firmeninterne Programmierung der Automation sowie die Planung und Erstellung der Schaltschränke möglich. Außerdem kommt hinzu, dass es eine umfassende Anbindung an die übergeordnete Leitstelle von EWA-energieUri Kunden gab, was einen beachtlichen Aufwand im Hinblick auf den Datenpunkttest bedeutet“, erklärt Pirmin Schneider.
Handschrift von EWA-EnergieUri
Selbstredend durfte bei diesem Kraftwerksprojekt der ökologische Aspekt nicht zu kurz kommen. So wurde als ökologische Ausgleichsmaßnahme etwa die Ausdolung eines rund 200 m langen Abschnitts des Attinghauser Giessens umgesetzt. Die Aufwertung dieses Gewässerabschnitts bildet die Grundlage dafür, dass intakte Lebensräume für Reptilien, Insekten und andere Lebensformen entstehen können. Einmal mehr trägt ein Urner Kraftwerksprojekt in seiner gesamten Ausführung die Handschrift von EWA-energieUri. Schließlich wurden sämtliche Planungs- und Ingenieurdienstleistungen hausintern realisiert. Speziell die konzessionsrechtlichen Belange, oder die Verhandlungen mit den Umweltverbänden gelten als hoch komplex, dafür braucht es neben Erfahrung und Kompetenz auch das nötige Fingerspitzengefühl. EWA-energieUri bietet dieses umfangreiche Know-how mittlerweile schweizweit auch Dritten an. Für den Urner Energiedienstleister ist das KW Palanggenbach bereits das 12. Kraftwerksprojekt, das man in den vergangenen Jahren erfolgreich mit Partnern umsetzen konnte. Für einen der Partner, die aventron AG, repräsentiert das Kraftwerk etwas ganz Besonderes, da das Unternehmen seine Wurzeln in der Wasserkraft verortet. Im Rahmen der Eröffnung fand Conrad Ammann, Verwaltungsratspräsident der aventron AG nur lobende Worte für die Arbeit des Teams von EWA-energieUri: „Werner Jauch und sein Team haben einen unglaublich guten Job gemacht, um das KW Palanggenbach früher als geplant in Betrieb zu nehmen.“ Die aventron AG stärkt mit der neuen Ökostromanlage ihre Position als einer der drei größten Grünstromanbieter in der Schweiz und untermauert weitere Ausbauambitionen in Sachen erneuerbare Energien.
Projekt mit hoher Wertschöpfung
21 Millionen CHF habe die vier Partner in das neue Kraftwerk investiert, das dank eines optimalen Zusammenwirkens aller Beteiligten eine um vier Monate frühere Inbetriebsetzung als ursprünglich geplant ermöglichte. Mit seiner Stromproduktion von rund 11,5 GWh im Regeljahr ist das Kraftwerk in der Lage, rund 2.500 Urner Haushalte mit Strom aus regionaler Wasserkraft zu versorgen. „Wir dürfen stolz auf das sein, was wir mit dem KW Palanggenbach realisiert haben“, freute sich Werner Jauch bei der Eröffnung, der in diesem Zusammenhang auch die Herausforderungen durch Corona-Pandemie, Lieferschwierigkeiten, geologische Besonderheiten und die Wetterbedingungen erwähnte. Er wies zudem auf die regionalwirtschaftliche Wertschöpfung des Projekts hin: Schließlich seien mehr als 85 Prozent der Investition oder rund 18 Millionen CHF Firmen im Kanton Uri direkt in Form von Aufträgen zugute gekommen. Hinzu kommen im laufenden Betrieb noch namhafte Abgaben an die Korporation Uri, den Kanton Uri und die Gemeinde Seedorf.
Anlässlich der Einweihung am 3. Juni veranstalteten die Betreiber im Anschluss an die offizielle Feier einen Tag der offenen Tür für die Bevölkerung, die sich diese Gelegenheit nicht entgehen ließ. Rund 850 Interessierte nutzten die einmalige Möglichkeit, den 1,3 km langen Triebwasserstollen eigenständig zu erwandern und sich modernste Wasserkrafttechnik präsentieren zu lassen. Damit machten alle Anwesenden den Tag am Seedorfer Bodenwald zu einem Freudentag für die Urner Wasserkraft.
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